Man sollte Einfachheit nicht mit Dürftigkeit verwechseln und Kunstfertigkeit nicht mit trockener Gelehrsamkeit, die sich erst durch Analyse erschließt. Vor allem aber ist es ein Unterschied, ob ein Komponist in der Fülle seines Schaffens auch Einfaches hinterläßt oder ob seine Absonderungen immer nur eine billige Masche sind.
Musik ist wie jede Kunst eine Synthese aus Geist und Emotion. Niemand bestreitet, daß sie sehr emotional sein kann und daß der erste Zugang zu einer Musik am besten immer emotional sein sollte. Denn ein Stück, von dem man nach Analyse feststellt, daß es kunstvoll gemacht ist, das aber emotional nicht berührt, muß den Hörer kalt lassen.
Es geht also nicht darum, "daß Leute Probleme mit Gefühlen haben", wie Haydnspaß völlig unzulässig unterstellte, sondern es gibt Leute, die mit allzu durchschaubar und einfach gestrickten Maschen Probleme haben und von solchen Maschen schrecklich gelangweilt werden -- man darf mich dazu rechnen. Insofern habe ich tatsächlich ein Problem mit Gefühlen: Langeweile ist eines der unangenehmsten Gefühle, die ich kenne...
Die Frage, wann etwas gute Musik ist und wann nicht, ist allgemeingültig allerdings kaum zu beantworten. Das wahre Geheimnis liegt aber natürlich darin, daß man intensive Gefühle in genießbare Formen gießt. Ein Gefühlchen ist noch keine Kunst. Und ein Gefühlchen, eine Stimmung, eine Befindlichkeit in allzu klischeehaften, allzu einfachen Mustern auszudrücken, die weder Können, noch Wollen bezeugen, ist erst recht keine.
Eigentlich muß man darüber aber kaum diskutieren. Ich kenne jedenfalls keinen Klavierkollegen persönlich, der bei Yann Tiersen nicht sofort abwinkte: "Ach dieses Zeugs..."
"'ja nicht vom Metronom abweichen!' und ähnliche Pedanterien haben alle denselben Grund."
Es gibt ein paar pragmatische Forderungen: Wenn du im Ensemble Musik machst, dann wirst du dich vielleicht nicht ans Metronom anpassen müssen, wohl aber an die jeweils führende Stimme und dafür sorgen müssen, daß alle vier Musiker gleichzeitig am Schlußstrich ankommen. Und wenn du im Orchester sitzt, wirst du dich brav an den Dirigenten anpassen müssen. Ich habe mal mit einem furchtbar emotionalen Geiger ein Klavier-Quartett aufführen müssen, der meinte, er müßte eine Ganze Note agogisch beschleunigen und ich müßte mich mit meinen Klavier-32teln an seine ausgehaltene Ganze auf der Geige anpassen. Wie man kleine Notenwerte an größere anpassen kann, weiß ich nicht; gelernt habe ich, daß Handwerk manchmal zu besseren Ergebnissen führt als Emotionen, denn der Geiger spielte "nach Gefühl" und war mit der Ganzen schneller fertig als ich mit meinen 32teln, um hinterher zu dozieren, daß man aufeinander hören müsse... Zum Schluß waren drei Spieler des Quartetts nur noch genervt, wir haben mit diesem Geiger nie wieder musiziert.
Handwerk, Kinnersch, Handwerk! Laßt die Gefühlchen lieber erst einmal abklingen und habt, wenn ihr Musik macht, besser das Werkzeug zur Hand. Emotionalität ist Voraussetzung guten Musizierens, aber das Handwerk durch Emotionen ersetzen zu wollen, kann man nur Dilettantismus nennen.