Musik-empfindungs-Gene?

Stilblüte

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Hallo,

Ich hoffe, wir hatten das Thema noch nicht.

Aber warum empfinden die allermeisten Menschen Musik unterschiedlicher Stimmungen gleich?
Woher weiß man denn, dass diese Stelle spannungsgeladen und die nächste eher entspannt klingt, dieses Stück traurig, das nächste zornig, das nächste leicht und fröhlich klingt?
Warum klingt mancher flotte ungarische Tanz in Moll eher frisch und belebend als düster und manche Musik in Dur von Bach oder Mozart so unglaublich betrübt?
Woher kommt überhaupt diese Moll-Dur-Konnotation.
Die berühmten "Gänsehaut-Stellen" sind auch nicht bei allen Zuhörern unterschiedlich, sondern meist an der gleichen Stelle.
Das ist doch nicht erlernt...?
Gibt es ein Musik-empfindungs-Gen?

bin gespannt auf ernst gemeinte Antworten.
Liebe Grüße
Stilblüte
 
Aber warum empfinden die allermeisten Menschen Musik unterschiedlicher Stimmungen gleich?
Woher weiß man denn, dass diese Stelle spannungsgeladen und die nächste eher entspannt klingt, dieses Stück traurig, das nächste zornig, das nächste leicht und fröhlich klingt?

Ich glaube, das liegt in erster Linie am Interpreten und nur in zweiter Linie an der Komposition.

Hier einige Beispiele - nicht aus dem Bereich der Musik, sondern aus dem Bereich deutsche Sprache:

http://de.youtube.com/watch?v=BNHQ4R3LF7Y
 
*rofl*

also als beispiel für die macht des interpreten beeindruckend :)
 
Oh wie schön, Tiefenpsschiekologie :p
Oder wir betrachten die eher langweilige Ebenen der Biologie und Physik, also zB. die Umsetzung von Schwingungen in elektrische Impulse und deren durch Evolution begründeter Einfluss auf das Gehirn.Stichworte wären auch die Sprachentwicklung oder das Zusammenspiel von Sprache und Ohr...
Hm, also doch lieber ersteres, das zweitere ließe mir zuviel außenvor.
Der erste mir zu machende Punkt: Musik kann nur vielschichtige Emotionen entlocken wenn sie auch in ihrer Struktur verstanden wird.Die Enspannung in (beispielsweise) P+F in E-Dur aus dem 2. Teil des WK von Bach kommt angeblich nur wenn die Spannung fein herausgehört wird und man den Fluss zur nächsten Note fühlen kann.Die bestätigung der Erwartung bringt die Entspannung.
Zweites Beispiel: Ein gutes atonales Werk: Wer mit der Musik unvertraut ist ist verwirrt bis zerstört, andere Erahnen die Klänge und fühlen die Struktur herraus - die Musik klingt herrlich.
Soweit meine Gedanken zum generellem musikalischem Verständniss.
Doch um auch ein Gegenbeispiel zu nennen das jeder der mal Gehörbildung gemacht hat kennt:
"Das ist ein G G G G G G G Das ist ein G, usw....
Keine Struktur, und doch schwingen bei jedem Ton charakteristsiche Gefühle
mit.
Tolles Thema Stilblüte :D
Und zum Schopenhauer: soll glaub ich ein ziemlicher Trauerklos gewesen sein:
"Sozialer Kontakt ist wie ein Feuer: In gebührendem Abstand kann man sich an ihm wärmen, aber wenn man zu nah kommt verbrennt man sich."
(hoffe ich verwechsel ihn nun nicht) , was sein musikaliches Empfinden etwas
Einseitig macht...
Nächster Punkt der mir einfiele: Denk positiv! :-D:-D
 
Viele Zuhörer sind vielleicht gar nicht in der Lage, ÜBERHAUPT zu erkennen, welche Emotionen gerade vermittelt werden sollen. Zumindest merken sie es dann nicht allein über die Musik. Ein Grund, warum viele Pianisten wie Lang Lang zu ihren Gestiken und Verrenkungen greifen, eben um diese Emotionen sichtbar zu machen, damit es auch der letzte Zuhörer begreift.
 
Das beste Beispiel hierfür ist das zweite Rachmaninov Klavierkonzert. Ich hab bis jetzt noch kein anderes Werk gehört, das mir so viel Gänsehaut beschert hat. Diese Gänsehaut geschieht aber immer an denselben Stellen.

Ich nehme an, du hast eine bestimmte Aufnahme, bei der dies der Fall ist. Und genau davon rede ich. Natürlich wird der Interpret kaum ein Gänsehauterlebnis erzeugen können, wenn die Musik nur aus Tonleiter rauf Tonleiter runter besteht Aber letzten Endes hängt dermaßen viel am Interpreten. Hör dir mal andere Aufnahmen des 2.Rach Konzerts an. Du wirst sehr enttäuscht sein.
Verrätst du, wer bei deiner Aufnahme spielt? ;)
 
Viele Zuhörer sind vielleicht gar nicht in der Lage, ÜBERHAUPT zu erkennen, welche Emotionen gerade vermittelt werden sollen. Zumindest merken sie es dann nicht allein über die Musik. Ein Grund, warum viele Pianisten wie Lang Lang zu ihren Gestiken und Verrenkungen greifen, eben um diese Emotionen sichtbar zu machen, damit es auch der letzte Zuhörer begreift.

Da ist was dran :D
 
Ein wahrlich komplexes Thema!

Ich kann hierzu ein interessantes Buch empfehlen:

http://www.amazon.de/Das-wohltemperierte-Gehirn-Musik-entsteht/dp/382741122X

Daß wir uns am Klang, an der Melodie einer Stimme, die zu uns spricht, orientieren, fängt ja schon in allerfrühester Kindheit - höchstwahrscheinlich schon in der Zeit vor der Geburt - an. Wir lesen und verstehen die Empfindungen, die uns entgegengebracht werden. Es steckt also in uns und hat sicher evolutionsbiologische Hintergründe. Wer die Drohgebärden und ~geräusche eines Raubtieres falsch gedeutet oder ignoriert hat, der ist gefressen worden, um es mal ganz stark vereinfacht zu sagen.

Die Tatsache, dass auch unsere Haustiere (Hund, Katze, Pferd, …) ebenfalls am Klang unserer Stimme genauestens hören, wie wir ihnen gegenüber gesinnt sind, fällt sicher unter das gleiche Phänomen.

Um nochmal speziell auf Stilblütes Gedanken zurückzukommen: Interessant wäre es vielleicht, zu wissen, ob Menschen, die in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen sind, also ein anderes musikalisches Gehör entwickelt haben (Inder z.B.), auf unsere Musik ganz ähnlich reagieren würden, wie wir das tun. Vielleicht kann jemand hierzu etwas sagen ...
 

Um nochmal speziell auf Stilblütes Gedanken zurückzukommen: Interessant wäre es vielleicht, zu wissen, ob Menschen, die in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen sind, also ein anderes musikalisches Gehör entwickelt haben (Inder z.B.), auf unsere Musik ganz ähnlich reagieren würden, wie wir das tun. Vielleicht kann jemand hierzu etwas sagen ...
Spannender Gedanke!!
Das wäre in der Tat genau das, was ich in diesem Faden haben wollte.

EDIT: ubik, ich habe auch Ashkenazy. Der geborene Romantik-Interpret :)
 
Ein spannendes und sehr kompliziertes Thema! :p
Ich lese gerade 'Der einarmige Pianist', ein Buch, das sich mit Musik und den entsprechenden Regionen im Gehirn beschäftigt (bin aber noch nicht mal zur Hälfte damit fertig).

Insgesamt sind sehr viele Hirnregionen mit der Erkennung und Erfassung von Musik beschäftigt.

Es gibt eine Region für Tonhöhe, eine andere für Melodie-Erkennung, eine für Rhythmus, eine für die 'Sinnerfassung' von Musik, eine Region für die emotionale Wirkung von Musik, ...

Diese Regionen sind räumlich oft weit voneinander entfernt. Zum Bespiel liegen die Regionen für Melodieerkennung und die für Rhythmus in verschiedenen Großhirnhälften (!). Und Sprachtexte und Liedtexte sind in getrennten Regionen abgespeichert.

Interessanterweise sind z. B. absolutes Gehör und 'Musik-Sinnerfassung' nicht unbedingt miteinander gekoppelt! Das heißt, es gibt auch Menschen, die zwar ein absolutes Gehör haben, aber den Sinn der Musik nicht erfassen können.

(weitere Ergänzungen folgen evtl., wenn ich das Buch fertig gelesen habe);)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
sorry, wenn ich nicht auf dem Laufenden bin: um welches Buch handelt es sich?
Es geht aber nicht um den guten alten Homunculus:confused:?

Das Modell ist sooo alt, und immer noch wird es gelehrt.:confused:
 
homunculus.jpg
 
sorry, wenn ich nicht auf dem Laufenden bin: um welches Buch handelt es sich?
In 'Der einarmige Pianist' (Autor: Oliver Sacks) geht es um Menschen, die die unterschiedlichsten 'Störungen', 'Probleme' und 'Varianten' haben, die mit der Wahrnehmung von Musik zusammenhängen.

Das Spektrum reicht von musikalischen Halluzinationen über musikalische Savants, Synästhesie, absolutes Gehör, Musikerkrampf (Dystonie), Phantomfinger (daher der Titel 'Der einarmige Pianist' - der Titel ist etwas irreführend, weil das nur eine kurze Geschichte unter vielen ist) ... bis hin zu Musiktherapie bei Erkrankungen wie Parkinson-Syndrom, Depression und Demenz.

:cool:
 
Das hört sich ja absolut spannend an!

Versteht man das Buch denn auch als Normalsterbliche oder sollte man zumindest in Neurophysiologie promoviert haben?
 
hallo,
schöne Fragestellung!!
vorschnell und naiv beantwortet: das gehört in den Themenkomplex "kulturelle Evolution", und hat dort eine kleine Spezialecke, die man als "emotionale Traditionen abendländisch sozialisierter Müßiggänger" humoristisch bezeichnen könnte (halt! bevor das mit Grimm bedacht wird: ein arbeitslos gewordener Mercedes-Fließbandarbeiter wird andere Sorgen haben, als Trost bei Mozart zu suchen - leider ist unsere Welt wahrlich nicht die beste!...)
--- das Thema beschäftigt unterschiedlichste Forschungsansätze innerhalb der Musikwissenschaft; eines ist sicher: andere Kulturen empfinden unsere "abendländische" oder "europäische" Klangsprache ganz anders, so wie uns musikalisch etwa manches "affektierte Gekreische" der Peking-Oper fremdartig vorkommt. Also kann man davon ausgehen, dass vieles quasi "erlernt" ist, also zu unseren kulturellen Traditionen gehört.
... ...ja, mir kommt es auch sonderbar vor, dass ein Steppennomade bei Beethovens Arietta keine Tränen in den Augen und keine Gänsehaut bekommt -- aber ebenso sonderbar kommt es mir vor, dass sehr viele "Europäer" bei einer Sopranarie von Wagner eher Ohrenweh empfinden...

"Kunst" und "Schönheit" sind abstrakte Begriffe, die sicher mehr oder weniger weltweit allgemeingültig sind - aber die reale Ausprägung in den unterschiedlichen Kulturen fällt recht verschieden aus. Debussy, Ravel, später Messiaen und u.a. Glass haben versucht, unsere Wahrnehmungsgewohnheiten durch die Integration anderer ("ferner" und "fremder") Klänge und Rhythmen zu erweitern - freilich aber "übersetzen" sie diese in unseren kulturellen Kontext.

...es ist hart, zu erkennen, dass Mozart und Co nicht überall so empfunden werden, wie wir es für "normal" halten, und ganz ehrlich: für mich ist es eigentlich unmöglich, eine Peking-Oper auf das selbe Niveau wie Tristan oder Aida zu denken... objektiv sollte man das wohl tun, aber subjektiv (wenn du so willst: kulturell "verwestlicht") kann ich das nicht...

Kultur-Relativismus ist leicht zu denken, aber schwer zu praktizieren - - - und wenn man mit Mozart und Co zu tun hat, dann regulieren die einem das Werte-Empfinden...
 
eines ist sicher: andere Kulturen empfinden unsere "abendländische" oder "europäische" Klangsprache ganz anders, so wie uns musikalisch etwa manches "affektierte Gekreische" der Peking-Oper fremdartig vorkommt. Also kann man davon ausgehen, dass vieles quasi "erlernt" ist, also zu unseren kulturellen Traditionen gehört. [...] "Kunst" und "Schönheit" sind abstrakte Begriffe, die sicher mehr oder weniger weltweit allgemeingültig sind - aber die reale Ausprägung in den unterschiedlichen Kulturen fällt recht verschieden aus.
Prinzipiell hat Du wohl recht. Aber es ist doch bedenkenswert, daß die ostasiatischen Kulturen mit der abendländischen Musiktradition mehr anfangen können als umgekehrt. Die abendländische Aneignung fremder Musikkulturen findet nur über den Prozeß der Transformation statt, während die Japaner uns mittlerweile sogar schon die historische Aufführungspraxis von Renaissance- und Barockmusik streitig machen ...
 

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