Musizieren aus psychologischer Sicht und Motive für Musik

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Liebes Forum,

angeregt durch folgenden Beitrag Hasenbeins in einem anderen Thread möchte ich näher verstehen was die Kommunikation beim Musizieren bedeutet:

Beim Musizieren geht es darum, daß ich mit dem Hörer über Schallwellen eine Kommunikation herstelle. (Der Hörer kann auch ich selbst sein.) Es ist also völlig egal, ob dies durch ein eigenes Werk oder eine Improvisation geschieht oder über die Vorlage "Beethovensonate" - immer findet hier und jetzt eine Kommunikation statt, die von MIR ausgeht.

Es handelt sich um eine unmittelbar körperlich-emotionale Kommunikation (wobei "Emotion" NICHT gleich "Gefühl" ist!), nicht aber um etwas, wo Rationalität und Bewerten eine Rolle spielt.

Rationalität und Bewerten kommen nur an zweckmäßigen Punkten im Lern- und Übeprozeß zum Einsatz, wo sie natürlich auch sehr wichtig und notwendig sind.

Tastenkind, es besteht gar keine Notwendigkeit, groß rumzugrübeln oder rumzupsychologisieren, Du mußt einfach nur Dich erinnern, warum Du überhaupt Musik machst (nämlich wegen der obigen, ganz rationalitäts- und bewertungsfreien Kommunikation, die mit Musik möglich ist), und auf diese Weise musizieren!

Das heißt vermutlich, nicht die Stücke zu spielen, an denen Du gerade arbeitest, sondern irgendwelche, die Du schon lange kannst und einfach so mit Spaß zu spielen vermagst. Oder Du improvisierst.

Du spielst nicht Klavier, um irgendwelche Lehrer zufriedenzustellen. Und auch nicht, um Deinen bewertenden, perfektionistischen Verstand zufriedenzustellen (möglicherweise ist Deine Illusion, Du seist dieser Verstand, aber dies ist unwahr).

Mach Dir das immer wieder klar, bis Du irgendwann merkst, daß es für Dich selbstverständlich geworden ist.

Die 2 Lehrer behalte ruhig; denn daß jeder was anderes sagt und eine andere Einstellung und Art hat, zeigt Dir immer wieder sehr schön plastisch, daß es nicht darum geht, einem Lehrer zu gehorchen oder zu gefallen, sondern DEINEN ganz individuellen Weg zu gehen, Dir und anderen mit Musik Freude zu bereiten!

LG,
Hasenbein

Dazu folgende Fragen:

1. Kann mir jemand passende Literatur dazu empfehlen?

2. Glenn Gould hat sich aus der Konzerttätigkeit im relativ jungen Alter von Anfang 30 komplett zurückgezogen mit der sinngemäßen Begründung, das Publikum sei ein Haufen von schlechtgesinnten Voyeuren, die nur darauf warteten, dass der Pianist einen Fehler begeht. Hat er die Psychologie des Musizierens total falsch interpretiert?

3. Was heißt in diesem Zusammenhang Kommunikation "mit mir selbst"? Nehme ich dann außerhalb des Übens gleichzeitig die Position eines Hörers ein, wenn ich die geübten Stücke für mich selbst vortrage? Dominiert bei der Kommunikation die Richtung Musiker zu Zuhörer und ist es deshalb vielleicht kein großer Unterschied, ob ich mit mir selbst oder dem Publikum kommuniziere, weil der Anteil des Publikums, das idealerweise die Musik als angenehmen, anregenden und bewegenden Input genießt, an dieser Kommunikation eher gering ist und erst nach dem Musikzieren beim Applaus an Bedeutung gewinnt?

4. Spielt Rationalität und Bewertung wirklich keine Rolle? Beim Vortragen erinnere ich mich an Harmoniefolgen, an Abläufe, ich reflektiere meine bisherige Improvisation und plane die nächsten Schritte, überprüfe, ob irgendwo Anspannungen sind, ob das Klangbild so ist, wie ich es haben möchte - ist das neben den beim Spielen vorherrschenden Emotionen nicht rational? Und spiele ich nicht selten auch, um eine Anerkennung zu erhalten, die eine Bewertung der Zuhörer voraussetzt?

5. Wie sehen Beispiele für Inhalte dieser Kommunikation konkret aus? Hat es was mit der Beziehungsebene zu tun, die bei Gesprächen eine Rolle spielt (, was ich schwierig finde, wenn ich etwa noch in Noten oder auf die Tasten schauen muss; ein Sänger hat es da schon einfacher)? Geht es um Vermittlung von Emotionen/Gefühle, die ich z. B. habe, wenn mich ein Stück berührt, bewegt? Bzw. spricht die Musik selbst für sich, wie z. B. ein Rhythmus relaxed/cool sein kann oder eine phrygische Skale "dunkel und geheimnisvoll" (Beschreibungen zu emotionalen Beziehungen zu Tonleitern finden sich bei Sikora, "Die neue Jazzharmonielehre", S. 51) wirken kann? Möchte ich die Kommunikation mit meinen Mitmusikern darstellen (ich spiele Jazz häufiger in Zweierbesetzungen, wo ich versuche, mit dem Mitmusiker in einen Dialog zu treten, auf ihn zu reagieren, ihm Bälle zuzuspielen)? Geht es um in der Musik immanente Emotion oder die, die ich durch die Musik vermitteln möchte oder - vielleicht idealerweise - um eine gemeinsame Verbindung dieser beiden?

6. Eigenes konkretes Beispiel: Ich war eben auf einer Geburtstagsparty wo ich spontan eine Gitarre schnappte und zwei Stücke (vereinfachtes Stück von Giuliani und Op. 18 Andantino No. 3 von Felix Horetzky) von jeweils etwa 1 Minute spielte.

Rationale Aspekte: es war eine 3/4 Mensur-Gitarre, die ungewohnt für mich war und mangels Fußbank konnte ich nicht in der gewohnten Haltung spielen. Ich musste auf die linke Hand schauen und konnte keinen Blickkontakt mit den Gästen halten. Die meiste Zeit wurde weiter geredet, vereinzelt wurde aber zugehört. Reaktionen gabe es nach dem Spiel gar keine (was mich etwas verwunderte, weil ich das anders gewohnt bin, wobei ich in den letzten Jahren meistens nicht solo sondern in einer Band vorgespielt habe - auch oder insbesondere auf Privatparties).

Emotionale Aspekte: ich hatte das zweite Stück während der letzten Wochen mit Begeisterung geübt und wollte es den anderen vorstellen. Ein Feedback konnte ich praktisch nicht vernehmen, wobei erwähnt werden muss, dass die anderen Gäste normalerweise Rockmusik hören. Die einzige Reaktion darauf war, dass die Gastgeberin später vorschlug, ich möge an Sylvester, wo möglicherweise auf einer Party weitere Personen musizieren, Jazz am Piano spielen, nachdem ich ja eben schon gespielt habe.

Wie ist das einzuordnen? Konnte ich keine Kommunikation aufbauen? War diese gestört (z. B. weil die Stücke von der Stimmung doch nicht in die relativ entspannte kleine Partyrunde passte oder weil die Stücke nicht den Geschmack der Zuhörer trafen)? Ist für diese Kommunikation erforderlich, dass man das Stück und das (in dem Fall fremde und ungewohnte) Instrument soweit beherrscht, dass die Aufmerksamkeit schwerpunktmäßig den Emotionen/der Kommunikation zugewendet werden kann/sollte, als dass sie erforderlich wäre, um ein Stück so vorzutragen, wie man es bei konzentriertem Üben gewohnt ist?

Danke im voraus für Erklärungen, Anregungen und Meinungen.

LG
Bassplayer

PS: Ein Jazzpianist bedankte sich neulich nach einem Solokonzert, das für ein Album aufgezeichnet wurde, beim Publikum mit den Worten, dass seine Stücke ohne die Anwesenheit der Zuhörer nicht so zustande gekommen wären.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
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3. Was heißt in diesem Zusammenhang Kommunikation "mit mir selbst"? Nehme ich dann außerhalb des Übens gleichzeitig die Position eines Hörers ein, wenn ich die geübten Stücke für mich selbst vortrage?
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Genau deshalb beschäftige ich mich mit dem Klavier. Es macht mir einfach Freude, das zu hören, was ich dem Instrument an Klangfolgen entlocken kann. (Auch wenn es nicht immer so gelingt wie ich es gerne wollte.) Es geht dabei aber nicht nur um das Zuhhören sondern vielmehr um das Abschalten aller anderer Gedanken was dabei automatisch passiert. Mein ganzes Wesen nimmt, außer dem Bedienen des Klaviers und den Klängen der Musik, nichts anderes wahr. (Idealer wäre es, wenn das Spielen komplett automatisch ginge.)
Was bleibt, ist meistens eine innere Ruhe.

Demnach könnte ich sagen, bei mir wird nicht mit Hilfe von Musik kommuniziert, sondern jede Kommunikation abgeschaltet.

Gruß cm
 
2. Glenn Gould hat sich aus der Konzerttätigkeit im relativ jungen Alter von Anfang 30 komplett zurückgezogen mit der sinngemäßen Begründung, das Publikum sei ein Haufen von schlechtgesinnten Voyeuren, die nur darauf warteten, dass der Pianist einen Fehler begeht. Hat er die Psychologie des Musizierens total falsch interpretiert?
Ich glaube es hat auch andere Gründe gegeben. Er hat viel im Studio gearbeitet und seine Aufnahmen selten am Stück gemacht. Auf der Suche nach der perfekten Interpretation hat er teilweise einzelne Takte zig mal aufgenommen und den für ihn besten in das Stück reingeschnitten.
3. Was heißt in diesem Zusammenhang Kommunikation "mit mir selbst"? Nehme ich dann außerhalb des Übens gleichzeitig die Position eines Hörers ein, wenn ich die geübten Stücke für mich selbst vortrage?
Da geht´s mir wie Caligulaminix, ich spiele nur für mich und kommuniziere auch nur mit mir, wenn ich spiele. Wenn ich auf irgend einer Party was zu Bestem gebe, spiele ich eigentlich auch nur für mich. Mir kommt es wie ein ständiger Dialog vor zwischen dem was ich höre und hören will und dem was ich spiele. Aber sicher sind meine amateurhaften Erfahrungen nicht übertragbar auf Profis. Dennoch bin ich mir sicher, dass man erst mal mit sich selbst kommunizieren und sich selbst zuhören muss, bevor man auch mit dem Publikum kommunizieren kann. Automatisches Spielen kann ich mir nicht als Ideal vorstellen.
 
Liebes Forum,

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Emotionale Aspekte: ich hatte das zweite Stück während der letzten Wochen mit Begeisterung geübt und wollte es den anderen vorstellen. Ein Feedback konnte ich praktisch nicht vernehmen, wobei erwähnt werden muss, dass die anderen Gäste normalerweise Rockmusik hören. Die einzige Reaktion darauf war, dass die Gastgeberin später vorschlug, ich möge an Sylvester, wo möglicherweise auf einer Party weitere Personen musizieren, Jazz am Piano spielen, nachdem ich ja eben schon gespielt habe.

Wie ist das einzuordnen? ...

LG
Bassplayer

Na ja, Zuhörer können so oder so sein. Jemand, der sich gezielt eine Karte kauft, und sei es nur eine Eintrittskarte für eine lokale Rockband beim Stadtteilfest, hat schon ein bestimmtes Interesse an (Live-)Musik und die damit verbundenen Gegebenheiten (Spontanität, Eingehen auf die herrschende Stimmung, aber u.U. auch geringere Klangqualität und evtl. kleinere Fehler, etc.). Mein Eindruck ist, das der "Durchschnittsmensch", der nicht selbst ein Instrument spielt, an Musik oft nur insoweit Interesse hat, als er eine (Dauer-)beschallung als Hintergrundmusik oder Dauerdröhnung (im Ohr "festgewachsene" MP3-Stöpsel bei Autofahrt, Joggen, Kochen, Lesen, you-name-it) braucht. Die echte Beschäftigung mit Musik ist aber viel zu anstrengend, um "mehrheits- oder mainstreamfähig" zu sein, das wissen wir wohl alle. Auf entsprechend wenig Interesse kann ggfs. stoßen, wer spontan etwas vorspielt und unter dem (elektronisch aufgepeppten und zigmal mit Mehrspur-recording optimierten) CD-/MP3-Sound zurückbleibt. Das Gegenteil ist aber auch möglich, hängt wohl immer stark von der Situation und den gerade anwesenden Zuhörern ab, und nicht unbedingt am stärksten von Deatils der der musikalischen Qualität Deines Vortrags. Insofern finde ich es mutig, spontan auf einem unbekannten Instrument für ein unbekanntes Publiukm vorzuspielen, Daumen also hoch!

Gruß
Rubato
 
1. Kann mir jemand passende Literatur dazu empfehlen?

Ich meine, es reicht, sich selbst damit zu beschäftigen. Achtsamkeit mit sich selbst und im Umgang mit anderen braucht man, mehr nicht. Das lernt man nicht durch Bücher. In sich selbst hineinhören, fühlen, lauschen, beim Üben sich selbst auch mal so zurücknehmen, dass man sich wie eine zweite Person quasi von außen zuhört, ist wichtig. Beim Konzert ist die Musik die Sprache, mit der ich zum Publikum sprechen kann - das gemeinsame Erleben verbindet und schafft wundervolle Erlebnisse. In einem anderen Faden (den kannst du auch mal lesen) habe ich es mal so ausgedrückt:

https://www.clavio.de/forum/klavierspielen-klavierueben/10977-vor-publikum-spielen-3.html#post159902

"Ich versuche immer, den Klang in den Raum zu schicken, so dass er alle erreicht und überall ist und schwingt (auch wieder zu mir zurück). Ich finde, ich habe durch diese Vorstellung einen viel präsenteren Klang. Und irgendwie empfinde ich es, dass man zusammen mit dem Publikum diese große Musik erlebt. Besonders spürbar wird das in den Pausen( in einem Stück, nicht während zweier Hälften )."


2. Glenn Gould hat sich aus der Konzerttätigkeit im relativ jungen Alter von Anfang 30 komplett zurückgezogen mit der sinngemäßen Begründung, das Publikum sei ein Haufen von schlechtgesinnten Voyeuren, die nur darauf warteten, dass der Pianist einen Fehler begeht. Hat er die Psychologie des Musizierens total falsch interpretiert?

Nein. Er hatte einfach selbst Probleme mit Leistungsdruck etc.. Es ist nicht einfach, Konzertpianist zu sein. Dauernd woanders, nie zu Hause, das Publikum eine anonyme Masse, Kritiker, die alles Mögliche schreiben können und dürfen ........... da können solche Assoziationen schon mal aufkommen. Er ist ja nicht der einzige Pianist, der sich diesem Druck entzogen hat (Horowitz ......).

Ich persönlich glaube, dass alles vorbei ist, wenn man an "vorspielen" denkt. Das bedeutet nämlich im Wortsinn, dass man vor einem Publikum spielt. Man gibt, das Publikum nimmt. So sehe ich das nicht. Im Gegenteil ist ein gelungener Konzertauftritt ein Dialog - das gemeinsame Erleben schafft Räume für wortlose Kommunikation, der Pianist nimmt auch, weil das Publikum ihm aufmerksam zuhört. Es ist manchmal unglaublich, welche Atmosphäre und Spannung durch diese gemeinsame Aktivität im Raum herrscht. Das ist wunderbar!

3. Was heißt in diesem Zusammenhang Kommunikation "mit mir selbst"? Nehme ich dann außerhalb des Übens gleichzeitig die Position eines Hörers ein, wenn ich die geübten Stücke für mich selbst vortrage?

Natürlich (s.o.). Du bist doch Spieler und Hörer in einer Person. Dessen sollte man sich bewusst sein - wenn man nämlich manuell (als Spieler) zu sehr in Anspruch genommen ist, kann man sich (als Hörer) nicht mehr gut genug zuhören und dann passieren nicht selten viele Fehler in Dynamik und musikalischer Gestaltung.

4. Spielt Rationalität und Bewertung wirklich keine Rolle? Beim Vortragen erinnere ich mich an Harmoniefolgen, an Abläufe, ich reflektiere meine bisherige Improvisation und plane die nächsten Schritte, überprüfe, ob irgendwo Anspannungen sind, ob das Klangbild so ist, wie ich es haben möchte - ist das neben den beim Spielen vorherrschenden Emotionen nicht rational? Und spiele ich nicht selten auch, um eine Anerkennung zu erhalten, die eine Bewertung der Zuhörer voraussetzt?

Natürlich ist all das da. Ich finde sowieso, dass das eine das andere nicht ausschließt. Oft ist es aber so, dass vorrangig (!) alles bewertet wird. 'Mist, ein Fehler', 'Bäh, das war Schrott', ............. . :p Dann nimmt die Bewertung einen solchen Raum ein, dass man nicht mehr uneingeschränkt wahrnehmen kann. Man will immer alles besser machen, es geht um Leistung ..... . Wichtig ist, zu hören, wahrzunehmen, was gerade ist, und dem zu folgen, was man wahrnimmt. Bewertungen behindern das. Eine Lehrerin von mir hat mal gesagt, dass es erst mal kein "Falsch" gibt: aus einer musikalischen Situation, die man eher als ungünstig bewerten würde, kann etwas völlig Neues entstehen. Bewertet man sofort diese Situation als schlecht, ist man nicht mehr offen für die Möglichkeiten und eine neuartige Sicht auf das Stück, die sich genau aus dieser Situation ergeben können.


5. Wie sehen Beispiele für Inhalte dieser Kommunikation konkret aus?

S.o. Punkt 1 und 2.

Wie ist das einzuordnen? Konnte ich keine Kommunikation aufbauen? War diese gestört (z. B. weil die Stücke von der Stimmung doch nicht in die relativ entspannte kleine Partyrunde passte oder weil die Stücke nicht den Geschmack der Zuhörer trafen)? Ist für diese Kommunikation erforderlich, dass man das Stück und das (in dem Fall fremde und ungewohnte) Instrument soweit beherrscht, dass die Aufmerksamkeit schwerpunktmäßig den Emotionen/der Kommunikation zugewendet werden kann/sollte, als dass sie erforderlich wäre, um ein Stück so vorzutragen, wie man es bei konzentriertem Üben gewohnt ist?

Mit dir hat das aus meiner Sicht gar nichts zu tun, auch nicht mit der Qualität deines Spiels. Kommunikation gelingt nur, wenn die Ohren des/der Gegenüber auch offen sind. Das waren sie hier wohl nicht. Vielleicht wollten sich die Leute unterhalten und dein Spiel hat dabei sogar gestört. Bei einem Konzert kommt das Publikum zum Veranstaltungsort - es WILL zuhören, das ist das Ziel. In deinem Fall können die jeweiligen Ziele der Gäste sehr unterschiedlich sein - du hast einfach angefangen zu spielen, das kann sehr unterschiedlich ankommen. Stell dir mal vor, jemand fängt auf einer Party an, plötzlich Heine-Gedichte zu zitieren. :D Das könnte Bruno Ganz höchstselbst sein - ich befürchte, es könnte ein Reinfall werden (vielleicht auch nicht, wenn die Party völlig öde ist :D ). Ich selber sollte neulich auf dringenden Wunsch der Gastgeberin irgendwas spielen - so etwas ist mir äußerst unangenehm, weil ich weiß, dass manche Gäste keine Lust zum Zuhören haben werden und dann spiele ich nicht gern.

Die äußeren Rahmenbedingungen müssen also stimmen, soll die Kommunikation eine gelungene sein. Eine Party kann das (selten) auch sein, wenn die Gäste eine Gitarre herumliegen sehen und begeistert bitten 'och, lieber BP, bitte spiel mal was!' Dann sind sie offen, hören zu, weil sie selbst es so wollten und nicht, weil es ihnen fast aufgezwungen wurde, und dann hättest du sicher ein Feedback bekommen.

C'est la vie! :p

Liebe Grüße

chiarina
 
Vielen Dank für die Antworten, insbesondere an chiarina, die uns immer wieder reichhaltig an ihrem umfangreichen, professionellen Wissens- und Erfahrungsschatz teilhaben lässt. Stichworte wie "gemeinsames Erleben" und "Bereitschaft zum Zuhören" bieten bereits sehr geeignetes Gepäck in meinen Rucksack für die weitere Entdeckungs- und Entwicklungsreise beim Vorspielen und Musik machen. :-)
 
...
Automatisches Spielen kann ich mir nicht als Ideal vorstellen.

Den manuellen Ablauf meinte ich mit automatischem Spiel.

Je weniger Aufmerksamkeit die manuelle Tätigkeit erfordert um so besser gelingt das Spiel.
Sobald ich bewusst denke was ich gerade tue und als nächstes zu tun habe, passieren die meisten Fehler und es lenkt mich von Zuhören ab. Wenn ich jedoch den aktuellen Klang im Ohr habe und damit auch den nächsten schon kenne und erwarte, funktioniert es.

@chiarina:
Danke für die ausführlichen Erklärungen.

@pppetc:
Geniale Formulierung: "durch mich hindurch"

Grüße cm
 
Tolle Diskussion, die Du da eröffnet hast.

zu Glenn Gould: Ich denke, er hatte recht, wenngleich er natürlich in der ihm eigenen Manie etwas überzogen hat. Prinzipiell gibt es zwei Arten von Zuhöerern:
1. jene, die Musik lieben und bereit sind, sich bei einem Konzert voll und ganz auf den Pianisten einzulasen und seiner Einladung zu folgen. Dabei ist es wirklich nicht so sehr wichtig, ob der Künstler genau nach Vorlage spielt, hauptsache, er unterhält angenehm und es findet Kommukiation zischen ihm und seinen Zuhöreren statt.
2. die anderen: die alles besser wissen, ganze Partituren auswendig können, sich bei jeder "falschen" Note aufregen und aus jedem konzert mehr oder weniger frustriert nach hause gehen, wo sie dann tags darauf vor ihrem Steinway sitzen und nciht begreifen, wieso sie selbst nichts Anhörbares spielen können, obwohl sie doch jede Note richtig wiedergeben.

Toll sind Deine Ausführungen zum Thema Kommunikation.
Ja, es ist so, dass ein Pianist, sein Publikum braucht, um gut spielen zu können. Ich reise mit meinem Pianisten und erlebe, wie sehr sein Spielerfolg vom Publikum abhängig ist. Ein guter Pianist spürt, ob bzw wie er beim Publikum ankommt. Wenn er dort ankommt, und sei es nur bei einigen wenigen davon, wird er sich von Stück zu Vortragsstück steigern und immer besser spielen. Das ist dann die Folge einer perfekten interaktiven Kommunikation.
Im 19. Jarhhundert wusste man das und es gab keine oder nur wenige Konzerte in großen Sälen, wo Tausende von Leuten zwei stunden lang still sitzen mussten. Nein, man saß in keliner Runde in einem Raum, der dem Klavier angemessen war. Man lauschte dem Klaviervortrag, man lauschte den Wortbeiträgen, man fragte was man fragen wollte und zuweilen aß und trak man auch dabei. Das Ergebnis war, dass es zuhauf wunderbare Tastenlöwen gab, die ihr Publikum verzauberten.
 

Prinzipiell gibt es zwei Arten von Zuhöerern:
1. jene, die Musik lieben und bereit sind, sich bei einem Konzert voll und ganz auf den Pianisten einzulasen und seiner Einladung zu folgen. Dabei ist es wirklich nicht so sehr wichtig, ob der Künstler genau nach Vorlage spielt, hauptsache, er unterhält angenehm und es findet Kommukiation zischen ihm und seinen Zuhöreren statt.
2. die anderen: die alles besser wissen, ganze Partituren auswendig können, sich bei jeder "falschen" Note aufregen und aus jedem konzert mehr oder weniger frustriert nach hause gehen, wo sie dann tags darauf vor ihrem Steinway sitzen und nciht begreifen, wieso sie selbst nichts Anhörbares spielen können, obwohl sie doch jede Note richtig wiedergeben.

Liebe broadwood1830,

ich bin mir ganz sicher, dass es sehr viel mehr "Arten" von Zuhörern gibt! Du verbindest in Punkt 1 die Bereitschaft, sich voll und ganz auf den Pianisten einzulassen mit der Haltung, Werktreue etc. sei diesen Zuhörern nicht wichtig. Dieser Schlussfolgerung stimme ich nicht zu! Einschließlich mir selbst kenne ich jede Menge Leute, die sehr neugierig und gespannt sind auf die Sichtweise und Interpretation, die der entsprechende Pianist zu Gehör bringt. Deshalb gehen sie nämlich ins Konzert. Hat diese höchste Qualität und ist in sich stimmig und schlüssig, wird auch eine Deutung, die die Grenzen möglicher Interpretationen auslotet, auf höchstes Interesse stoßen und einen kostbaren Baustein im Fundus der vorhandenen Interpretionen bilden. Diese Grenzen liegen im Notentext begründet. Aus einem Allegro sollte man kein Adagio machen ...... . Es gibt so einige Interpretationen, die bis an diese Grenzen gehen. Allen ist die hohe musikalische und pianistische Qualität gemeinsam. Wenn die allerdings nicht vorhanden ist, wird es schwierig.

Ich als eine, die sich absolut auf den Pianisten einlässt, möchte auch nicht "angenehm unterhalten" werden. Dazu kenne ich andere Möglichkeiten. Ich möchte vielmehr in das jeweilige Stück eintauchen, möchte es verstehen lernen aus der Sicht des Pianisten, möchte berührt werden, gemeinsam mit dem Interpreten und dem Publikum die Tiefen des Stücks und seine Möglichkeiten ergründen und das auch dann, wenn ich den Notentext in- und auswendig kenne.

Es gibt noch viel mehr Motivationen, ein Konzert zu besuchen.

Ich bin auch nicht der Meinung, dass der Spielerfolg eines Pianisten vom Publikum abhängig ist. Die meisten Aufnahmen sind ohne Publikum zustande gekommen. Bei Glenn Gould sowieso. Es geht doch um die Musik - ein Pianist, der etwas zu sagen hat und gut spielt, sollte nicht so abhängig sein von dem Wohlwollen des Publikums.

Liebe Grüße

chiarina
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ich bin auch nicht der Meinung, dass der Spielerfolg eines Pianisten vom Publikum abhängig ist. Die meisten Aufnahmen sind ohne Publikum zustande gekommen. Bei Glenn Gould sowieso. Es geht doch um die Musik - ein Pianist, der etwas zu sagen hat und gut spielt, sollte nicht so abhängig sein von dem Wohlwollen des Publikums.

Hallo chiarina,

nach meiner Ansicht hat das Publikum schon einen erheblichen Einfluss auf den Pianisten. Ohne Zweifel beherrschen die auftretenden Künstler ihr Instrument und das jeweilige Programm des Konzertes. Viele der besten Aufnahmen entstehen aber nach meiner bescheidenen Meinung gerade im unmittelbaren Kontakt zwischen Künstler und Publikum. Wenn man sich im Bereich der klassischen Musik z.B. Aufnahmen von unbestrittenen Größen wie Horowitz oder Rubinstein anhört sind die im Studio gemachten Aufnahmen der jeweiligen Werke perfekt bis hin zu einer fast vorhandenen Sterilität, die Liveaufnahmen der jeweiligen Werke haben jedoch -trotz gelegentlicher Verspieler- einen besonderen Zauber und sind zumindest für mich wesentlich packender. Glenn Gould war sicherlich ein Technik- und Aufnahmefreak, es gibt ja zum Glück eine Vielzahl von Videoaufnahmen -insbesondere die Bruno Monsaingeon Reihen- wo er schwierigste Werke auch jenseits seiner unbestrittenen Domäne Bach ohne jegliche Schnitte spielte, bei ihm war das Publikum wohl eher hinderlich. Aber vielleicht interpretiere ich Deine Zeilen ja auch falsch.

Liebe Grüße
Christian
 
Zu Glenn Gould und den Einfluss eines Publikums auf sein Spiel (und allgemein): klar bevorzugte er das Aufnahmestudio, worauf er sich später ja ganz beschränkte. Ein Radiomoderator erklärte mal zu einer Aufnahme der Goldbergvariationen von ihm, die er live in Salzburg spielte, dass besonders gelungene Interpreationen oft in der Atmosphäre mit dem Publikum entstehen; dieses Konzert in Salzburg sei abgesehen von 2 bis 3 verspielten Tönen so ein Beispiel. Da diese Einspielung für mich tatsächlich besonders wirkt und ich auch Goulds Studio-Einspielungen der Goldb.Var. kenne, stimme ich der These des Moderators zu.
 
nach meiner Ansicht hat das Publikum schon einen erheblichen Einfluss auf den Pianisten.

Lieber Christian,

natürlich ist das so! Hier ging es m.E. aber darum,

dass ein Pianist sein Publikum braucht, um gut spielen zu können. Ich reise mit meinem Pianisten und erlebe, wie sehr sein Spielerfolg vom Publikum abhängig ist.

Ich hoffe doch sehr, dass ein Pianist auch ohne Publikum gut spielen kann! Horowitz und Rubinstein konnten das jedenfalls. :D Ihr Spielerfolg hing keinesfalls vom Publikum
ab, sondern in erster Linie von ihrem Spiel selbst.

Mir gefällt auch nicht die Sicht von broadwood1830 auf das Publikum. Ich finde sie sehr negativ, einseitig und besonders unter Punkt 2 nicht gerade wertschätzend.

Liebe Grüße

chiarina
 
...
Im 19. Jarhhundert ...
Man lauschte dem Klaviervortrag, man lauschte den Wortbeiträgen, man fragte was man fragen wollte und zuweilen aß und trak man auch dabei. Das Ergebnis war, dass es zuhauf wunderbare Tastenlöwen gab, die ihr Publikum verzauberten.

Möglicherweise gab es damals nicht so viele Radios, CD-Player, MP3-Player und sonstige Wiedergabegeräte für - Aufnahmen. (Gab es die schon?)

Gruß cm
 
@chiarina
Da habe ich Dich dann irgendwie total missverstanden obwohl Du ja eigentlich immer sehr präzise in Deinen Beiträgen -die ich übrigens sehr schätze- formulierst, sorry.

@Bassplayer
Dachte eigentlich, dass ich nahezu alle Aufnahmen von Gould habe. Gibt es diese Liveaufnahme der Goldbergvariationen noch auf CD zu kaufen? Habe nur die Studioaufnahmen von 1955 und 1981.

LG
Christian
 
Möglicherweise gab es damals nicht so viele Radios, CD-Player, MP3-Player und sonstige Wiedergabegeräte für - Aufnahmen. (Gab es die schon?)
Die Anfänge im späten neunzehnten Jahrhundert hörten sich etwa so an:
https://www.youtube.com/watch?v=qYIZaTiGxAM
https://www.youtube.com/watch?v=z0Fl6XzCZ20
https://www.youtube.com/watch?v=Lv7i-gkSWn0
https://www.youtube.com/watch?v=eBgtX6l2Xag
https://www.youtube.com/watch?v=_uChzq8CxZ8
https://www.youtube.com/watch?v=yVaYYNo3mkE
https://www.youtube.com/watch?v=Vel0Y_55OBU
https://www.youtube.com/watch?v=Pl9y_kkS8A0
https://www.youtube.com/watch?v=ue31YWfmFiA

Die auch damals schon als unbefriedigend empfundene Tonqualität und die technischen Einschränkungen (begrenzte Dupliziermöglichkeiten) verhinderten um 1890 die schnelle Verbreitung dieser Aufnahmen. Einen Tonträgermarkt, eine Schallplattenindustrie und entsprechende Absatzmöglichkeiten gab es zunächst gar nicht, so dass musikalische Darbietungen immer Präsenzcharakter hatten und auf den Ort eingeschränkt waren, an dem selbige Ereignisse stattfanden. Erst im Zeitalter des Rundfunks ab den 1920er-Jahren sollte sich das grundlegend ändern.

LG von Rheinkultur
 
Es ist manchmal unglaublich, welche Atmosphäre und Spannung durch diese gemeinsame Aktivität im Raum herrscht. Das ist wunderbar!

Diese Spannung und Atmosphäre konnte ich vorige Woche sehr deutlich beim zweiten Satz von KV 467 hören als das Publikum förmlich den Atem anzuhalten schien und sicherlich nicht nur mir eine Gänsehaut über den Körper strich. Man sah schöne Regungen in den Gesichtern der anderen Zuhörer.

Aber bei einem Solokonzert scheint es oft anders zu sein (wenn man einmal von Pianisten wie Iiro Rantala und Chilly Gonzales absieht, die – besonders letztgenannter – einen intensiven Dialog mit dem Publikum suchen). Entertainer wie Gonzales erleben hautnah die Reaktionen des Publikums, denn er fordert sie geradezu ein.

Grigory Sokolov z.B. habe ich am Flügel erlebt wie einen Roboter. Er schien nichts um sicher herum wahrzunehmen und hat – in meinen Augen – wie mechanisch gespielt. Da schien kein Dialog mit dem Publikum stattzufinden. Den gab es dann aber doch und zwar bei oder hervorgerufen durch erstaunliche fünf Zugaben.

Ich bin auch nicht der Meinung, dass der Spielerfolg eines Pianisten vom Publikum abhängig ist.

nach meiner Ansicht hat das Publikum schon einen erheblichen Einfluss auf den Pianisten.

Das Publikum kann sich – falls ich da nichts übersehe - nur durch den Applaus mitteilen (oder bei Gonzales durch Gejubel und Zwischenrufe) also sind Ovationen dann ja wohl der einzige Gradmesser für den Pianisten um herauszufinden wie seine Interpretationen beim Publikum ankommen.

Wenn hingegen etliche Zuhörer ungeniert und laut husten, dann ist eine solche Situation (David Fray und András Schiff z.B. reagieren ja bekanntlich überaus sensibel auf derartige Störungen) meiner Ansicht nach recht ärgerlich für den Pianisten und könnte als reduzierte Wertschätzung des Vortrages gedeutet werden.

Mich beeindrucken die Pianisten nicht nur aufgrund ihres Könnens sondern auch in Anbetracht dessen was sie auf sich nehmen um ihren Zuhörern schöne und klangvolle Stunden zu bescheren.

Aber wie genau meint ihr das mit dem Spielerfolg des Pianisten, der vom Publikum anhängt? Für mich ist das – auch in Anbetracht meiner Überlegungen im Absatz unterhalb von Christians Zitat – nicht ganz schlüssig.
 

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