Bassplayer
- Dabei seit
- 14. Nov. 2011
- Beiträge
- 1.966
- Reaktionen
- 898
Liebes Forum,
angeregt durch folgenden Beitrag Hasenbeins in einem anderen Thread möchte ich näher verstehen was die Kommunikation beim Musizieren bedeutet:
Dazu folgende Fragen:
1. Kann mir jemand passende Literatur dazu empfehlen?
2. Glenn Gould hat sich aus der Konzerttätigkeit im relativ jungen Alter von Anfang 30 komplett zurückgezogen mit der sinngemäßen Begründung, das Publikum sei ein Haufen von schlechtgesinnten Voyeuren, die nur darauf warteten, dass der Pianist einen Fehler begeht. Hat er die Psychologie des Musizierens total falsch interpretiert?
3. Was heißt in diesem Zusammenhang Kommunikation "mit mir selbst"? Nehme ich dann außerhalb des Übens gleichzeitig die Position eines Hörers ein, wenn ich die geübten Stücke für mich selbst vortrage? Dominiert bei der Kommunikation die Richtung Musiker zu Zuhörer und ist es deshalb vielleicht kein großer Unterschied, ob ich mit mir selbst oder dem Publikum kommuniziere, weil der Anteil des Publikums, das idealerweise die Musik als angenehmen, anregenden und bewegenden Input genießt, an dieser Kommunikation eher gering ist und erst nach dem Musikzieren beim Applaus an Bedeutung gewinnt?
4. Spielt Rationalität und Bewertung wirklich keine Rolle? Beim Vortragen erinnere ich mich an Harmoniefolgen, an Abläufe, ich reflektiere meine bisherige Improvisation und plane die nächsten Schritte, überprüfe, ob irgendwo Anspannungen sind, ob das Klangbild so ist, wie ich es haben möchte - ist das neben den beim Spielen vorherrschenden Emotionen nicht rational? Und spiele ich nicht selten auch, um eine Anerkennung zu erhalten, die eine Bewertung der Zuhörer voraussetzt?
5. Wie sehen Beispiele für Inhalte dieser Kommunikation konkret aus? Hat es was mit der Beziehungsebene zu tun, die bei Gesprächen eine Rolle spielt (, was ich schwierig finde, wenn ich etwa noch in Noten oder auf die Tasten schauen muss; ein Sänger hat es da schon einfacher)? Geht es um Vermittlung von Emotionen/Gefühle, die ich z. B. habe, wenn mich ein Stück berührt, bewegt? Bzw. spricht die Musik selbst für sich, wie z. B. ein Rhythmus relaxed/cool sein kann oder eine phrygische Skale "dunkel und geheimnisvoll" (Beschreibungen zu emotionalen Beziehungen zu Tonleitern finden sich bei Sikora, "Die neue Jazzharmonielehre", S. 51) wirken kann? Möchte ich die Kommunikation mit meinen Mitmusikern darstellen (ich spiele Jazz häufiger in Zweierbesetzungen, wo ich versuche, mit dem Mitmusiker in einen Dialog zu treten, auf ihn zu reagieren, ihm Bälle zuzuspielen)? Geht es um in der Musik immanente Emotion oder die, die ich durch die Musik vermitteln möchte oder - vielleicht idealerweise - um eine gemeinsame Verbindung dieser beiden?
6. Eigenes konkretes Beispiel: Ich war eben auf einer Geburtstagsparty wo ich spontan eine Gitarre schnappte und zwei Stücke (vereinfachtes Stück von Giuliani und Op. 18 Andantino No. 3 von Felix Horetzky) von jeweils etwa 1 Minute spielte.
Rationale Aspekte: es war eine 3/4 Mensur-Gitarre, die ungewohnt für mich war und mangels Fußbank konnte ich nicht in der gewohnten Haltung spielen. Ich musste auf die linke Hand schauen und konnte keinen Blickkontakt mit den Gästen halten. Die meiste Zeit wurde weiter geredet, vereinzelt wurde aber zugehört. Reaktionen gabe es nach dem Spiel gar keine (was mich etwas verwunderte, weil ich das anders gewohnt bin, wobei ich in den letzten Jahren meistens nicht solo sondern in einer Band vorgespielt habe - auch oder insbesondere auf Privatparties).
Emotionale Aspekte: ich hatte das zweite Stück während der letzten Wochen mit Begeisterung geübt und wollte es den anderen vorstellen. Ein Feedback konnte ich praktisch nicht vernehmen, wobei erwähnt werden muss, dass die anderen Gäste normalerweise Rockmusik hören. Die einzige Reaktion darauf war, dass die Gastgeberin später vorschlug, ich möge an Sylvester, wo möglicherweise auf einer Party weitere Personen musizieren, Jazz am Piano spielen, nachdem ich ja eben schon gespielt habe.
Wie ist das einzuordnen? Konnte ich keine Kommunikation aufbauen? War diese gestört (z. B. weil die Stücke von der Stimmung doch nicht in die relativ entspannte kleine Partyrunde passte oder weil die Stücke nicht den Geschmack der Zuhörer trafen)? Ist für diese Kommunikation erforderlich, dass man das Stück und das (in dem Fall fremde und ungewohnte) Instrument soweit beherrscht, dass die Aufmerksamkeit schwerpunktmäßig den Emotionen/der Kommunikation zugewendet werden kann/sollte, als dass sie erforderlich wäre, um ein Stück so vorzutragen, wie man es bei konzentriertem Üben gewohnt ist?
Danke im voraus für Erklärungen, Anregungen und Meinungen.
LG
Bassplayer
PS: Ein Jazzpianist bedankte sich neulich nach einem Solokonzert, das für ein Album aufgezeichnet wurde, beim Publikum mit den Worten, dass seine Stücke ohne die Anwesenheit der Zuhörer nicht so zustande gekommen wären.
angeregt durch folgenden Beitrag Hasenbeins in einem anderen Thread möchte ich näher verstehen was die Kommunikation beim Musizieren bedeutet:
Beim Musizieren geht es darum, daß ich mit dem Hörer über Schallwellen eine Kommunikation herstelle. (Der Hörer kann auch ich selbst sein.) Es ist also völlig egal, ob dies durch ein eigenes Werk oder eine Improvisation geschieht oder über die Vorlage "Beethovensonate" - immer findet hier und jetzt eine Kommunikation statt, die von MIR ausgeht.
Es handelt sich um eine unmittelbar körperlich-emotionale Kommunikation (wobei "Emotion" NICHT gleich "Gefühl" ist!), nicht aber um etwas, wo Rationalität und Bewerten eine Rolle spielt.
Rationalität und Bewerten kommen nur an zweckmäßigen Punkten im Lern- und Übeprozeß zum Einsatz, wo sie natürlich auch sehr wichtig und notwendig sind.
Tastenkind, es besteht gar keine Notwendigkeit, groß rumzugrübeln oder rumzupsychologisieren, Du mußt einfach nur Dich erinnern, warum Du überhaupt Musik machst (nämlich wegen der obigen, ganz rationalitäts- und bewertungsfreien Kommunikation, die mit Musik möglich ist), und auf diese Weise musizieren!
Das heißt vermutlich, nicht die Stücke zu spielen, an denen Du gerade arbeitest, sondern irgendwelche, die Du schon lange kannst und einfach so mit Spaß zu spielen vermagst. Oder Du improvisierst.
Du spielst nicht Klavier, um irgendwelche Lehrer zufriedenzustellen. Und auch nicht, um Deinen bewertenden, perfektionistischen Verstand zufriedenzustellen (möglicherweise ist Deine Illusion, Du seist dieser Verstand, aber dies ist unwahr).
Mach Dir das immer wieder klar, bis Du irgendwann merkst, daß es für Dich selbstverständlich geworden ist.
Die 2 Lehrer behalte ruhig; denn daß jeder was anderes sagt und eine andere Einstellung und Art hat, zeigt Dir immer wieder sehr schön plastisch, daß es nicht darum geht, einem Lehrer zu gehorchen oder zu gefallen, sondern DEINEN ganz individuellen Weg zu gehen, Dir und anderen mit Musik Freude zu bereiten!
LG,
Hasenbein
Dazu folgende Fragen:
1. Kann mir jemand passende Literatur dazu empfehlen?
2. Glenn Gould hat sich aus der Konzerttätigkeit im relativ jungen Alter von Anfang 30 komplett zurückgezogen mit der sinngemäßen Begründung, das Publikum sei ein Haufen von schlechtgesinnten Voyeuren, die nur darauf warteten, dass der Pianist einen Fehler begeht. Hat er die Psychologie des Musizierens total falsch interpretiert?
3. Was heißt in diesem Zusammenhang Kommunikation "mit mir selbst"? Nehme ich dann außerhalb des Übens gleichzeitig die Position eines Hörers ein, wenn ich die geübten Stücke für mich selbst vortrage? Dominiert bei der Kommunikation die Richtung Musiker zu Zuhörer und ist es deshalb vielleicht kein großer Unterschied, ob ich mit mir selbst oder dem Publikum kommuniziere, weil der Anteil des Publikums, das idealerweise die Musik als angenehmen, anregenden und bewegenden Input genießt, an dieser Kommunikation eher gering ist und erst nach dem Musikzieren beim Applaus an Bedeutung gewinnt?
4. Spielt Rationalität und Bewertung wirklich keine Rolle? Beim Vortragen erinnere ich mich an Harmoniefolgen, an Abläufe, ich reflektiere meine bisherige Improvisation und plane die nächsten Schritte, überprüfe, ob irgendwo Anspannungen sind, ob das Klangbild so ist, wie ich es haben möchte - ist das neben den beim Spielen vorherrschenden Emotionen nicht rational? Und spiele ich nicht selten auch, um eine Anerkennung zu erhalten, die eine Bewertung der Zuhörer voraussetzt?
5. Wie sehen Beispiele für Inhalte dieser Kommunikation konkret aus? Hat es was mit der Beziehungsebene zu tun, die bei Gesprächen eine Rolle spielt (, was ich schwierig finde, wenn ich etwa noch in Noten oder auf die Tasten schauen muss; ein Sänger hat es da schon einfacher)? Geht es um Vermittlung von Emotionen/Gefühle, die ich z. B. habe, wenn mich ein Stück berührt, bewegt? Bzw. spricht die Musik selbst für sich, wie z. B. ein Rhythmus relaxed/cool sein kann oder eine phrygische Skale "dunkel und geheimnisvoll" (Beschreibungen zu emotionalen Beziehungen zu Tonleitern finden sich bei Sikora, "Die neue Jazzharmonielehre", S. 51) wirken kann? Möchte ich die Kommunikation mit meinen Mitmusikern darstellen (ich spiele Jazz häufiger in Zweierbesetzungen, wo ich versuche, mit dem Mitmusiker in einen Dialog zu treten, auf ihn zu reagieren, ihm Bälle zuzuspielen)? Geht es um in der Musik immanente Emotion oder die, die ich durch die Musik vermitteln möchte oder - vielleicht idealerweise - um eine gemeinsame Verbindung dieser beiden?
6. Eigenes konkretes Beispiel: Ich war eben auf einer Geburtstagsparty wo ich spontan eine Gitarre schnappte und zwei Stücke (vereinfachtes Stück von Giuliani und Op. 18 Andantino No. 3 von Felix Horetzky) von jeweils etwa 1 Minute spielte.
Rationale Aspekte: es war eine 3/4 Mensur-Gitarre, die ungewohnt für mich war und mangels Fußbank konnte ich nicht in der gewohnten Haltung spielen. Ich musste auf die linke Hand schauen und konnte keinen Blickkontakt mit den Gästen halten. Die meiste Zeit wurde weiter geredet, vereinzelt wurde aber zugehört. Reaktionen gabe es nach dem Spiel gar keine (was mich etwas verwunderte, weil ich das anders gewohnt bin, wobei ich in den letzten Jahren meistens nicht solo sondern in einer Band vorgespielt habe - auch oder insbesondere auf Privatparties).
Emotionale Aspekte: ich hatte das zweite Stück während der letzten Wochen mit Begeisterung geübt und wollte es den anderen vorstellen. Ein Feedback konnte ich praktisch nicht vernehmen, wobei erwähnt werden muss, dass die anderen Gäste normalerweise Rockmusik hören. Die einzige Reaktion darauf war, dass die Gastgeberin später vorschlug, ich möge an Sylvester, wo möglicherweise auf einer Party weitere Personen musizieren, Jazz am Piano spielen, nachdem ich ja eben schon gespielt habe.
Wie ist das einzuordnen? Konnte ich keine Kommunikation aufbauen? War diese gestört (z. B. weil die Stücke von der Stimmung doch nicht in die relativ entspannte kleine Partyrunde passte oder weil die Stücke nicht den Geschmack der Zuhörer trafen)? Ist für diese Kommunikation erforderlich, dass man das Stück und das (in dem Fall fremde und ungewohnte) Instrument soweit beherrscht, dass die Aufmerksamkeit schwerpunktmäßig den Emotionen/der Kommunikation zugewendet werden kann/sollte, als dass sie erforderlich wäre, um ein Stück so vorzutragen, wie man es bei konzentriertem Üben gewohnt ist?
Danke im voraus für Erklärungen, Anregungen und Meinungen.
LG
Bassplayer
PS: Ein Jazzpianist bedankte sich neulich nach einem Solokonzert, das für ein Album aufgezeichnet wurde, beim Publikum mit den Worten, dass seine Stücke ohne die Anwesenheit der Zuhörer nicht so zustande gekommen wären.
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: