Liebe partita,
zunächst einmal, entschuldige bitte, daß ich so harsch in zwei Zeilen reagiert habe! ;) Wenn ich das jetzt so lese, kommt es mir schon etwas flapsig vor.
Nun, Schwamm drüber. Ich kann versuchen, etwas Klarheit reinzubringen. Aber natürlich ist alles nur eine subjektive Herangehensweise und Sichtweise von mir speziell. Sollte es jemandem nicht behagen, von allzuviel persönlichem meinerseits zu lesen, dann bitte einfach überspringen.
Zunächst zur (anspruchsvollen) Gestaltung eines Stückes, nehmen wir ein dreisätziges Orchesterstück. Bei mir ist es tatsächlich so, daß ich Grobstruktur und manche Feinstrukturen wohl hauptsächlich unterbewußt, nein sagen wir besser:
intuitiv, wahrnehme. Ich kenne z.B. den Begriff "Seitenthema" vom Forum hier, könnte aber nicht benennen, ob die zweite Melodie, die da nun "eingeführt" wird, ein "Seitenthema" ist. Eigentlich will ich das aber auch gar nicht wissen. Ich denke ähnlich wie Monte: sobald ich zuviel rational weiß (z.B. ups - jetzt kommt gleich die zweite Variation des Hauptthemas, aufpassen!) geht der uneingeschränkte Genuß - zumindest bei mir - ein wenig den Bach runter. Der Komponist wollte mir sagen: schau mal Dreiklang, jetzt bin ich mit der ersten Melodie fertig, ich habe eine tolle Idee: ich schenke Dir jetzt gleich eine zweite!
Und hier kommt sie... später kommt sie wieder... sie wandert vom
flügel ins Orchester, beide tauschen die Rollen, mal führt der eine, dann begleitet der andere. Dann darf der eine mal ganz alleine zeigen was er kann, und so richtig doll. Dann wieder der andere. All das kann ich intuitiv verstehen, was da gemacht wird, was der Komponist mir zeigen wollte. Er wollte sagen:"Mensch, kuck mal, Dreiklang, was man alles so machen kann! Und ich mache das auch! Ich schenke Dir eine Schönheit nach der anderen! Willst Du sie? Verstehst Du sie?" Und ich antworte: ja ich höre es, was schöne Orchestermusik alles tun kann.
Das ist die Ebene, auf der ich gestalterische Struktur hauptsächlich wahrnehme. Natürlich die Harmonik, deren Wanderungen, Auflösungen. Der Wechsel in eine andere Tonart, zwischen Dur und Moll und so fort.
Was bei mir ein bißchen gedauert hat, das war, die Erzeugung von extrem lang anhaltender Spannung zu verstehen. Es ist glaube ich eine hohe kompositorische Leistung, eine echte, schöne, und lange lange andauernde Spannung zu erzeugen, die irgendwann dann, aber dafür umso mächtiger, aufgelöst wird z.B. durch ein Akkordgewitter in der Grundtonart, die man nun endlich einmal erreicht hat.
Als ich diesen Spannungsbogen zunächst nur halb-intuitiv begriff, war es, nun ja, sehr schön. Als ich es aber mal rational begriff,
wielange der Spannungsbogen tatsächlich geführt wird, welche melodischen Mittel eingesetzt werden, wo er beginnt, und daß er erst an einer bestimmten Stelle endet, da wurde ich zutiefst bewegt, wie ein Komponist eine solche Schönheit erschaffen konnte.
Es ist wohl ebenfalls eine Leistung, als Interpret diesen Spannungsbogen dann auch schön herauszuarbeiten, bis hin und einschließlich einer überzeugenden Auflösung der Spannung.
That's it. Ich stimme Dir vollkommen zu, daß man die gestalterische Schönheit wahrzunehmen, selbst nur
intuitiv wahrzunehmen,
lernen muß. Man muß wohl
hinhören lernen.
Und natürlich: von der Melodie her ein Orchesterstück zu kennen, das ist sehr schön. Ich glaube, ich könnte alle meine Lieblingswerke mitpfeifen. Es ist wunderbar zu wissen, wie sich die Melodie weiter entwickelt. Darauf zu warten, daß sie es während des Hörens wieder so tut, wie man es weiß. Ja, und noch etwas gibt es: ein Orchesterwerk in seiner Rhythmik irgendwann auswendig zu kennen. Man weiß, wo das Tempo angezogen wird, wielange ein Pause an einer Stelle eingelegt wird. Eine Tonaufnahme ändert sich ja schließlich nicht. Und, was vielleicht etwas kindisch klingen mag: es kommt bei mir schon, selten, mal vor, daß ich ein Stück "dirigiere" ;) freihandmäßig phantasiemäßig, ich weiß ja, welches Tempo an welcher Stelle des Stückes gemacht wird, welche Pausen, und dann wird dirigiert, als ob das Orchester auf meine Armbewegungen genau reagieren müßte. Spaß macht das, ab und zu! Das heißt,
so genau kenne ich meine Lieblingswerke tatsächlich. Genauer, als es mir eigentlich selbst bewußt war ;)
Ich stimme Dir vollkommen zu, daß man gestalterische Strukturen zuerst nur unbewußt wahrnimmt. Vielleicht, partita, ich mutmaße nur, äußert sich eine gute gestalterische Struktur eines Orchesterstückes dann zunächst nur darin, daß man nichts als "störend" empfindet. Aber so richtig toll findet man dann den Knalleffekt am Anfang, das "Rumms!" des Flügels, wo man ja nur staunen kann, was dieses Instrument so hergibt. Die Feinheit, musikalischen Ideen und die musikalische Feinschmecker-Kost, die danach kommt, gehen in einem Rauschen unter. "Boah - nochmal zurückspulen an den Anfang, nochmal den bombastischen Anfang anhören ;)" das will man dann, wenn man musikalische Feinheiten eines Stückes noch nicht zu erhören, zu memorieren und zu genießen gelernt hat.
Je feiner man lernt zu hören, desto mehr versteht man, zu genießen. Phrasen muß man, zumindest intuitiv, einmal erkennen und auch erkennen lernen (aha - da fängt eine neue an, es werden bestimmte Harmoniewechsel durchlaufen, so, jetzt sind wir am Ende, und es beginnt wieder eine neue).
Lernen, Verstehen und der letztendlich entstehende Genuß, sind ein wechselseitiger Prozeß, der sich dann immer weiter hochschaukelt. Ich denke, so könnte man es ausdrücken.
Viele Grüße!
Dreiklang
P.S. und zum Löschen sage ich etwas in der Antwort an Gomez.