Wiederholungen spielen oder weglassen?

hallo,

da hat gubu doch eine sehr bedenkenswerte Perspektive genannt: den Hörer! An diesen wendet sich doch jede Musik.

daran knüpft sich folgende Überlegung: Musik war und ist sicher nicht immer so konzipiert und konstruiert worden, dass sie sich einzig und allein an einen kleinen Kreis von Musikwissenschaftlern und Interpreten wendet (also eine Gruppe, die sehr analytisch wahrnimmt) - sie wendet sich an eine etwas breitere, im weitesten Sinne "kultivierte" oder wenigstens interessierte Gruppe. UND sie wendet sich natürlich auch an Hörer, die etwas ZUM ERSTEN MAL hören!!!

Ich bin überzeugt, dass jeder schon dieses Erlebnis hatte: man hört ein Musikstück zum ersten mal. Begreift man gleich alles? Erkennt man gleich jede Wiederholung (oder zählt man sie gar beim ersten Hören?)?

Wiederholungen können unter diesem Aspekt - also sich an einen Hörer zu wenden, dem man etwas neues mitteilt - auch den ziemlich guten Zweck haben, den überraschten Hörer nicht zu überfordern sondern im Gegenteil ihm die Möglichkeit zu bieten, sich schon beim ersten hören mindestens partiell im neuen "unerhörten" Stück heimisch zu fühlen.

Diese Möglichkeit sollte man Musikstücken gleich welcher Art nicht absprechen - natürlich ist jedes zweite und weitere Hören anders als das erste! Und natürlich ist wiederum die Beschäftigung (üben etc) und das Aufführen von einem Musikstück etwas anderes (klar: der/die Spieler/in übt & hört alles weitaus öfter und kann die Geduld verlieren - es sei denn, man will beim spielen auch die erreichen, für die es neu ist und dann zählt zum Verständnis des Musikstücks auch dazu, sich in dieses und in seine WirkungsabsichtEN hineinzuversetzen). Einen faden Krimi wird man kein zweites mal lesen wollen - "Schuld und Sühne" (als ein Beispiel, es gibt viel mehr) wird auch beim zweiten Lesen nicht langweilig, obwohl man die Antwort auf die krimitypische Frage "who has done it" längst kennt.

Wenn man in den Wiederholungen also den Sinn des "bekannt machens" gönnt, dann bewirkt man bei dem Hörer, der etwas zum erstenmal hört, dass er Veränderungen und Varianten schon wahrnehmen kann.

...und Überdruss kann sich bei allem, was man zu gut kennt (oder zu kennen glaubt) einstellen - da müssen nicht einmal die Wdhs schuld sein: man kann auch eines kompletten Musikstücks überdrüssig werden, wenn man es zu oft gehört hat (das ging mir mal mit Beethovens 5. so... erst Jahre später hab ichs wieder anhören können) - - - zu oft hören konnte man mangels CDs etc im 18. Jh. nicht, das geht uns heute so.

mir scheint hier ein weiterer Grund vorzuliegen, die diskutierten Wdhs nicht in Bausch und Bogen zu verdammen.

Gruß, Rolf
 
...und Überdruss kann sich bei allem, was man zu gut kennt (oder zu kennen glaubt) einstellen - da müssen nicht einmal die Wdhs schuld sein: man kann auch eines kompletten Musikstücks überdrüssig werden, wenn man es zu oft gehört hat (das ging mir mal mit Beethovens 5. so... erst Jahre später hab ichs wieder anhören können) - - - zu oft hören konnte man mangels CDs etc im 18. Jh. nicht, das geht uns heute so.

mir scheint hier ein weiterer Grund vorzuliegen, die diskutierten Wdhs nicht in Bausch und Bogen zu verdammen.

Ich kenne das auch, dass ich etwas zu oft gehört habe und dessen überdrüssig werde. Mit Rachmaninoffs 2. Klavierkonzert ist es mir so gegangen. Dieses Konzert habe ich eine zeitlang andauernd gehört und bin regelrecht reingekrochen in diese Musik. So gesehen habe ich es also ständig wiederholt, - bis es genug war.

Die Speichermedien bieten einem tatsächlich die Möglichkeit, etwas nach eigenem Belieben so oft zu wiederholen wie man möchte. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass wir alle heute tendenziell so übersättigt sind von der Allgegenwart der Musik bzw. von den ganzen "Wiederholungen" der Stücke, die wir uns immer wieder anhören, dass wir deshalb ganz gern auf die eigentlich vorgeschriebenen Wiederholungen in den Werken verzichten.

Vor allem das Nebenher-Hören fördert vermutlich dieses Übersättigt-Sein. Ich versuche momentan, das stark zurückzuschrauben, Musik also nur noch zu hören, wenn ich wirklich zuhöre. Es ist ganz schön schwer, weil es schon so zur Gewohnheit geworden ist. Für die Menschen vor dem 20. Jahrhundert war die Musik-Situation, also auch die Zuhör-Situation noch eine ganz andere.

Grüße von
Fips
 
hallo,

wie schade, dass auch dieses - wie ich finde sehr interessante - Thema einfach versickert...

einfach versickert, versandet, als ob schon restlos alles gesagt und bedacht sei, was nicht der Fall ist!

Ich erlaube mir, ein wenig provokant (in der Absicht, die Diskussion wieder anzukurbeln) folgende Beobachtung mitzuteilen:
- alles, was hier gegen Wiederholungen vorgebracht wurde (selbst dann, wenn es mit Witz und Raffinement geschah), entstammt einer übersättigten Konsumentenhaltung...!

Der übersättigte Konsument ist Kenner und Gourmet, und er hat den Anspruch, gefälligst stets und bestens unterhalten zu werden - und da er sich auskennt (hier kocht man so, dort würzt man anders), ist er in seiner Anspruchshaltung ziemlich gnadenlos.

Der übersättigte Konsument weiss schon gar nicht mehr, wie es schmeckte, als er zum ersten mal Spargel verzehrte - stattdessen philosophiert er über exotische Gewürze, welche zu grünem Wildspargel in trockenem Weisswein fein dosiert zugegeben werden sollen und wer das wie und wo ganz besonders beherrscht... :)

Historischer Kontext (Entwicklung der Sonate, Anspruch der Gattung im 18. Jh. etc), Wirkungsabsichten (etwa das erste Hören etc) - all das ist für den übersättigten Gourmet irrelevant, denn für ihn zählt primär er selbst. "MICH langweilt das" oder "ICH werde dessen überdrüssig, auch wenn es noch so gut ist".

---zwischendurch: bitte keine Schelte! ich habe extra darauf hingewiesen, dass ich provokant formuliere, um dieses Thema anzukurbeln---

Eine andere Position, die man probeweise einnehmen kann, ist: ich spiele mal die "wiederholungslastigen" Sachen (ob Sonatinen oder Sonaten des 18. Jh. mit Doppelpunkten am Ende der Abschnitte, ob Chopinsachen voller Wdhs ohne Doppelpunkte) und versuche, mich in diese hinein zu versetzen. Also mit der Absicht, die Wiederholungen überzeugend zu gestalten (nicht für den ich-süchtigen Konsumenten, sondern für den, der Musik mag!). Mit anderen Worten: die Position des Musikstücks einzunehmen versuchen.

Jede/r, der/die Klavier spielt, sollte sich in das, was er/sie gerade spielt, einfühlen können - das bedeutet auch die Absicht mit dem, was man da tut, überzeugen zu wollen. Zumal der oder die, welche gerade spielen, in diesem Moment eben nicht zu den "Konsumenten" zählen - aber eine schöne Aufgabe wäre, auch die "übersättigten" zu überzeugen...

vereinfacht gesagt: die Zuhörer sind überwiegend weniger genervt von Wdhs als die, die es spielen; die "Kenner" wiederumg neigen zu einer übersättigten Strenge, die den "Ersthörern" fremd ist.

bedenkenswert??

gespannt auf verschiedene und kontroverse Meinungen, Rolf
 
Hallo Rolf,


ich hätte zu diesem äusserst interessanten Thema auch noch etwas zu sagen:

So wie ich den bisherigen Faden gelesen habe, wird das Thema hier etwas zu einseitig aus der Sicht der die Musikstücke vortragenden Pianisten beleuchtet.

Selbstverständlich kann ich nachvollziehen, dass beim Vortrag - insbesondere komplexer - Klavierwerke die Wiederholungen den Pianisten nicht immer erfreuen.

Andererseits spielt ein konzertierender Pianist natürlich auch und vor allem für das Publikum, also die Zuhörer. Auch wenn sich unter den Zuhörern ein gewisser Anteil an Personen befinden sollte, der evtl. selbst Klavier spielt oder auch das vorgetragene Stück schon öfter auf CD bzw. live von einem anderen Pianisten gehört hat, so ist doch wohl davon auszugehen, dass keiner im Publikum das Stück musikalisch und geistig so durchdrungen hat, wie der Pianist, der es präsentiert. Daher wird das Hörempfinden des vortragenden Pianisten für dieses Stück ein völlig anderes sein als das der verschiedenen Personen im Publikum.

Dort (im Publikum) kann es i.d.R.alles geben: Personen, die noch nie in einem Klavierkonzert waren, solche die das Stück noch nie gehört haben, solche die das Stück schon mehr oder weniger gut kennen, solche, die evtl. schon mal selbst versucht haben, das Stück auszugsweise zu spielen, etc. etc.

Das Hörempfinden dieses Publikums wird daher erheblich von dem des vortragenden Pianisten abweichen und der Hörgenuss dieses Publikums liegt daher m.E. mehr auf einer intuitiven Ebene - es wird quasi eine wohlklingende und ausdrucksvolle Sprache gehört, die man in weiten Teilen zwar versteht, aber manche Feinheiten dieser Sprache erschließen sich durch dieses einmalige Anhören des musikalischen Vortrags eben doch (noch) nicht.

Vielleicht ist das für Konzertpianisten schwer zu verstehen: Aber man kann die musikalische Bildung und Ausbildung nicht mehr zurückschrauben: Das geschulte Ohr kann nicht mehr so hören, wie ein ungeschultes Ohr hört und sich daher vielleicht nicht wirklich vorstellen, wie das Publikum hört.

Daher sollte man den Zuhörern m.E. die im Stück vorgesehenen Wiederholungen gönnen! Mag sein, dass der Pianist es zwar langweilig und überflüssig findet, aber vielleicht findet er auch das ganze Stück - wenn er es schon Wochen und Monate einstudiert und schon xxx-mal vorgetragen hat - nicht mehr so hinreißend wie am Anfang.

Aber das gehört m.E. doch auch zu der Kunst des Vortragenden: Ein Stück, das er schon lange Zeit und in- und auswendig kennt so zu präsentieren, dass die Faszination, die das Stück erzeugt, so rüber kommt, als würde es zum ersten mal so wie bei diesem Vortrag gespielt!

Natürlich ist die Frage für Klavierspieler, die Stücke ausschließlich für sich selbst spielen anders zu beantworten. Diese müssen sich ja nach keinem Publikum richten und können Wiederholungen (oder auch noch mehr) weglassen wie sie wollen:D:D

Aber auch diese Klavierspieler müssen sich fragen, ob das Weglassen der Wiederholungen dem Stück gerecht wird und ob man dann, wenn man merkt, dass einem die Wiederholungen in einem Stück zu viel werden, schon am Anfang einer Phase steht, die zum Überdruss am ganzen Stück führt.

Vielleicht sollte man an diesem Punkt das Stück einfach mal für einige Zeit beiseite legen, um es dann irgendwann mit zeitlichem Abstand wieder hervorzuholen und dann wieder vollumfänglich (mit allen Wiederholungen:cool:) spielen und genießen zu können???

Soweit mein Beitrag zu diesem Thema!

Liebe Grüße

Debbie digitalis
 
Daher sollte man den Zuhörern m.E. die im Stück vorgesehenen Wiederholungen gönnen! Mag sein, dass der Pianist es zwar langweilig und überflüssig findet, aber vielleicht findet er auch das ganze Stück - wenn er es schon Wochen und Monate einstudiert und schon xxx-mal vorgetragen hat - nicht mehr so hinreißend wie am Anfang.

Interessant - das ist jetzt die völlig entgegengesetzte Argumentation zu meiner :)

Ich selbst als Klavierspieler langweile mich natürlich auch bei Wiederholungen nicht, ich bin ja schließlich beschäftigt :D

Ich denke eher, daß der Zuhörer sich langweilt, wenn er immer wieder dasselbe präsentiert bekommt. Und es ist für den Hörer auch sehr schwierig, große Formteile (die dann wiederholt werden) zu erkennen. Beim erstenmal spielen weiß man ja noch nicht, daß an einer bestimmten Stelle an Formteil beginnt. Und nach 2 Minuten weiß man eben auch nicht wirklich, ist das jetzt die Wiederholung eines ganzen Abschnitts oder ist es eine Weiterentwicklung des Vorangegangenen.
Es war mir selbst in dem einfachen Stückchen von Galuppi nicht möglich, rein vom Hören her eine klare Vorstellung vom formalen Aufbau des Stücks zu bekommen. Es klang für mich eben wie ein Rondo.

Also: vom Pianisten her gedacht würde ich für die Wiederholungen plädieren, vom Zuhörer aus gedacht jedoch dagegen ^_^
 
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hallo kölnklavier,

danke für die Erwähnung der Umstände und Verhältnisse, mit denen Mozart & Co. nicht immer zur eigenen Freude konfrontiert waren - übersättigte, aber dennoch anspuchsvolle Konsumenten gab es mit einer von uns heute unterschiedenen Erwartungshaltung damals auch.

Vielleicht könnte man Beethovens "Akademien" schon als einen Anfang der Veränderungen in der Rezeptionshaltung sehen (Wandlung von höfisch-galanten zu bürgerlich-kunstinteressierten Haltungen), die dann natürlich u.a. dank der Romantiker wie Du es erwähnst mehr in unsere heutige Richtung gehen.

Doppelpunkte (und in der trüben Praxis gewiss manche senza fine repetizione) als Loop-Taste am Fürstbischofshof, und der hohe Herr will Qualität (man ist ja wer), aber auch Unterhaltung und bitte schön keine Störung beim prassen an überfüllten Tafeln - - etwas krass formuliert, aber für z.B. Mozart nicht unalltäglich (zu schweigen von Telemanns Zeiten).

Wir heute neigen dazu, jedes Musikstück als "Kunstwerk" aufzufassen, und das aus unserer Perspektive und mit unseren Ansprüchen - damals dachte man so noch nicht. ABER innerhalb dieser problematischen, sich auf einen gesellschaftlichen Wandel hinbewegenden Zeit, hatte z.B. Mozart (obwohl man ihm beim Klavierspiel nicht immer zuhörte) Werke wie die Sonate a-Moll oder die Fantasie c-Moll geschrieben - - - von BEIDEN möchte ich heute auch nicht beim Festessen wie nebenbei berieselt werden: die ist mir dafür zu tragisch, zu traurig - wenn leise genug, könnte ich zu solchem Anlaß eine "kleine Nachtmusik" ertragen!

Also in diesen "anderen" Zeiten hatten die Komponisten auch - nicht nur - quasi "Bekenntnis-Musik" verfasst, freilich teilweise manchen formalen "Gewohnheiten" (Schematismen) unterworfen, teilweise aber auch schon experimentierend (z.B. Mozarts KV 331). Ich bin überzeugt, dass gerade diese Werke anregend für die spätere bürgerliche Zeit waren, also anregend für Haydn, Beethoven an der Wende vom 18. zum 19. Jh.

(historische Instrumente, historische Aufführungspraxis - ob man mal "historisches Rezeptionsverhalten" auch probieren sollte?)

allgemein gesagt, können auch für die "Nebenbei-Berieselungen" Wdhs sinnvoll sein: gefällt etwas, so sollte man diesen Effekt melken (also wiederholen) und bei angemessener Kondition machen es die Wdhs dann dem Ausführenden sogar leichter, denn er muss nicht permanent neues darbieten.

schwierig und im Einzelfall sicher kontrovers ist zu entscheiden, was man (von heute aus) eher als höfische Gebrauchsmusik oder "angenehme Unterhaltung höherer Stände" betrachtet und was als (von heute aus) "Kunstmusik".

Letztere aus dem 18. Jh. hat nicht eben wenige Doppelpunkte - ich glaube, dass man diese nicht allein als automatischen formalen Schematismus, als unreflektierte Konvention ansehen sollte.

:) mal zurück zum "advocatus diavoli": der Hinweis, nachzuschauen wer was wann für wen gemacht hat, spricht in vielen Fällen (z.B. Gallupi, auch frühe Mozartsonaten) gegen den scheinbar texttreuen (alle Zeichen usw.) Wiederholungszwang.

Vieles innerhalb der Musik des 18. Jh. ähnelt sich sehr untereinander, hat einen allgemeinen "europäischen" Tonfall (ob Boccherini, Salieri, Mozart dieses oder jenes gerade im Radio laufende Quartett komponiert haben, ist oft nicht zu unterscheiden, wenn man es noch nicht kennt) - aber manche Sachen ragen aus diesem zeitypischen Klang-Parlando heraus, werden subjektiv, verlieren quasi die stilistische Anonymität: eine Jupiter-Sinfonie, ein C-Dur Konzert oder eines in d-Moll, eine a-Moll Sonate usw (ok, man muss nicht nur Mozart nennen, weiss ich).

Vorschlag: die herausragenden mit allen Wiederholungen, gerade weil sie aus der Konvention herausragen - sie vertragen das, und wir können das ertragen :)
 
hallo Debbie digitalis,

sowas in Richtung Deiner Betrachtung hatte ich bzgl derjenigen angemerkt, die etwas zum ersten mal hören (auch, dass Musik sich nicht nur an hochqualifizierte Kenner richtet) - mal salopp gesagt: wir tuten da ins selbe Horn :)

hallo Haydnspaß,

der Spieler langweilt sich nicht, aber der Hörer langweilt sich bei Wdhs, gibst Du zu bedenken. Ob das bei denen, die etwas noch nicht kennen, auch der Fall ist? (bei trivialem Zeug gewiss, aber da langweilt ja schon die Banalität - z.B. beim "Gebet einer Jungfrau" als krasses Exempel)

Kurze Übersicht, was schon angesammelt ist:
- rezeptionshistorische
- formale
- ästhetische (im weitesten Sinne)
- werkimmanente
- aufführungspraktische
Gründe liegen vor - sie alle sprechen für und wider die Wdhs. Ich halte es für vorteilhaft, das Thema aus diesen vielen Perspektiven zu betrachten!

Meine ganz subjektive Meinung:
ich bringe es nicht übers Herz, in den Werken der "Frühklassiker", in welchen sie die zeittypische Konvention verlassen, die Wdhs zu streichen - ich glaube, dass denen auch die Wdhs etwas bedeuten. Und ich finde es großartig, womit manche frühen Sonaten die noch unausgegorene Form ausfüllen - sie sind es ja, die den Anreiz bewirkten, die Sonate weiter zu entwickeln!

(ok: bei weniger ambitionierten Sachen bin ich für "weg mit den Wdhs", ja manchmal auch für "weg mit dem Krempel"... man muss nicht alles spielen, mancherlei ist nicht ohne Grund ins Vergessen abgesunken und mag dort in Frieden ruhen)

Gruß, Rolf
 
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Hallo miteinander,

zum Thema Wiederholungen finde ich insbesondere die folgende Aussage von koelnklavier interessant:

Zitat von koelnklavier:
Was die Frage von Wiederholungen und Zuhörer angeht, so sollte man sich vor Augen halten, daß die Rezeptionsgewohnheiten noch bis ins 19. Jahrhundert hinein andere waren. Mozart z.B. berichtet in seinen Briefen aus Paris, daß man von seinem Klavierspiel nicht die mindeste Notiz nahm und sich weiter unterhielt. Louis Spohr schreibt in seiner Autobiographie, daß er von seinem fürstlichen Dienstherrn gemaßregelt wurde, weil man wegen des Lärms, den er mit seinem Orchester erzeugte, nicht mehr gepflegt Karten spielen könne. Instrumentalmusik - nicht anders als heute auch - als Klangtapete, als Hintergrundbeschallung für die Konversation oder ausgiebige Gelage (Telemanns "Tafelmusiken" heißen nicht aus Zufall so). Da sind dann Wiederholungen nichts anderes als die Loop-Taste beim CD-Spieler. Die Verhältnisse beginnen sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts unter Persönlichkeiten wie Franz Liszt zu ändern.

Diesen Wandel in der Wertschätzung der Musik als eigenständige Kunst und nicht nur als Beiwerk zu anderen "events" macht man sich heute gar nicht mehr so bewusst.

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine Führung durch ein Renaissance-Schloss, bei der bei der Besichtigung des prächtigen Speisesaales auf die über diesem Saal angebrachte Galerie verwiesen wurde. Dort durften erlesene Gäste als "Augenschmaus-Teilnehmer" fungieren, d.h. sie durften von oben beobachten, was und wie die adligen Herrschaften (ver-)speisten - dort oben hatten auch etwaige Musiker ihren Platz!:D:D


Liebe Grüße

Debbie digitalis
 
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Ich bin vor kurzem über Mozarts Sonate für Klavier und Violine KV 304 gestolpert.Und bevor die Diskussion hier abebbt werf´ich dieses Beispiel in die Runde :p;):
Im ersten Satz setzt die Reprise in Takt 113 (bzw. bei 6) mit dem 1.Thema wieder ein, jedenfalls wenn man darauf wert legt, dass das 2:Thema in der Reprise vorkommt und der Sonatenhauptsatz korrekt ist.
Nun steht da aber eine Wiederholung im Takt 193, welche es verlangt Durchführung (ein mini Teil) mit der Reprise bis dahin zu wiederholen
(Bisher habe ich nur eine Aufnahme gehört, da wurde die Wh. weggelassen^^).
Ob Mozart befürchtete die Zuhörer könnten die Durchführung beim Essen, Kartenspielen, etc. verpassen?
Kennt ihr ähnliche Beispiele in der Literatur?Wie ist so ein Aufbau möglicherweise zu Interpretieren?
Schönes Wochenende,
classican

Berichtigt
 
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Hallo classican,

dein Beitrag zeigt mir eigentlich, wie wichtig es ist, bei der Beurteilung der Wirkung eines Musikstücks auch aus der Perspektive des Musizierenden - und damit insiders - herauszutreten bzw. heraustreten zu können.

Ich gebe zu, dass ich das Stück, von dem du sprichst nicht kenne. Der link zu den Noten führt leider zu einer Seite, die derzeit nicht angezeigt werden kann. Aber das nur am Rande.

Gehe doch einfach mal von dem "Durchschnittszuhörer" aus, der dir zuhört, wenn du vor Publikum spielst. Weiß dieser bei Takt 113 bzw. 196 noch wie die entsprechende Passage im ersten Satz genau geklungen hat?? Dir ist das wahrscheinlich völlig klar und du kannst dir wahrscheinlich nicht vorstellen, wie es sich anhört, wenn man nicht dein musikalisches Verständnis hat - aber das ist doch meistens die Basis der Zuhörer!!:D

Daher würde ich mir über Wiederholungen (egal an welcher Stelle im Stück) keine allzu großen Gedanken machen, sondern sie einfach mit Freude spielen!


Liebe Grüße

Debbie digitalis
 
@Debbie digitalis:

Der Link führt jetzt auf eine Übericht, wenn du nach 304 suchst findest du eine Datei.
Aber zum eigentlichen: Ich gehe schon davon aus, dass der Zuhörer sich an etwas gerade schon mal gehörtes erinnert.Ich redete nämlich nur vom ersten Satz, es ist also so, dass die Takte (weiß ich grad nicht) bis 193 direkt nochmal wiederholt werden.
Und der Witz ist der, dass der dann zu wiederholendeTeil duch Durchführung und einen Teil der Reprise geht, also ein neuer Formsatz in den klassischen geschaffen wird.
Das ist dem Zuhörer, wie du schon angemerkt hast, vermutlich schnuppe,
und selbst der Musiker muss sich dafür nicht interessieren (es kommt ja nur darauf an, wie es klingt - das hat Mozart ja irgendwie so auch gezeigt, mir scheint solch ein Aufbau ein Verstoß gegenüber jeder damaligen Form).
Mozart hat es aber so gemacht, mich interessieren jetzt die Gründe dafür:
Nur um Regeln (Formen) zu brechen? Kann ich mir bei Mozart weniger vorstellen, lasse mich aber gerne belehren.
Oder aus klanglichen Gründen? Ich habe mich gerade näher damit befasst,
hier eine Aufnahme mit der Wiederholung http://www.youtube.com/watch?v=Hq4F2f4021I
Der Sprung zum Anfang der zu wiederholenden Stelle ist bei ca. 4min 5sec,
es kommt wieder das Thema im Klavier, aber in der Dominante.Dann sehr dramatisch, drohend.
Nach der Wh. setzt das Thema in der Violine und in der Tonika ein (war ja zu erwarten^^), klingt dann im weiteren Verlauf eher traurig.Ende schmerzend.
Jetzt probiere ich mal alles auf einen Nenner zu bringen:
Vom Gestus ist das Zweite das themendualistische Gegenteil (hoffnungsvoll, beschwingt und froh).
Der Zweck der Wh. könnte es sein das zweite Thema vom Ende zu isolieren.
Mit Wh. scheint mir es, als wäre diese Hoffnung prinzipiell da (auf sie wird ja auch immer wieder angespielt, aber sie bekommt einen dunklen Überzug),
aber als rücke sie in sehr weite ferne.
Würde man es also ohne Wh. spielen könnte es dem Zuhörer vorkommen als müsse da noch etwas kommen, er hat sich mit der Bitterkeit noch nicht ganz anfreunden können.

Das war jetzt meine Interpretation.Was meint ihr?
Grüße,
classican
 

Also bei dem Teil nach der zweiten Wiederholung in der Sonate KV 304 handelt es sich um eine Coda. Insofern ist die Wiederholung eine ganz "normale" Wiederholung von Durchführung + Reprise.
 
Classican, du überinterpretierst da etwas. Haydnspaß hat recht, es ist ein schlichtes konventionelles Wiederholungszeichen des zweiten Sonatenteils, auf den noch eine kurze Coda folgt. Allerdings ist die Reprise recht unkonventionell, denn sie setzt einstimmig ein, zitiert das ursprüngliche Thema nicht wörtlich und wird beim nachträglichen Klaviereinsatz mit der Doppeldominante harmonisiert, so daß sie dem Hörer erst einmal verschleiert bleibt. Das Besondere dieser Sonate ist also weniger das konventionelle Wiederholungszeichen, das völlig schematisch plaziert ist, sondern erstens die Sparsamkeit der unkonventionellen Mittel, zweitens der Schubertsche Tonfall und drittens die spieltechnische Einfachheit, weswegen es die meistgespielte Violinsonate Mozarts ist.

Eine Beobachtung am Rande: Die IMSLP-Ausgabe ist in der EU nicht gemeinfrei (public domain). Darf man hier trotzdem einen Link darauf veröffentlichen? (Eine ernstgemeinte Frage -- ich weiß es nicht.)
__________
Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
 
Eine Beobachtung am Rande: Die IMSLP-Ausgabe ist in der EU nicht gemeinfrei (public domain). Darf man hier trotzdem einen Link darauf veröffentlichen? (Eine ernstgemeinte Frage -- ich weiß es nicht.)
__________
Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
Hallo J.Gedan,

Links, die auf nicht gemeinfreie Noten führen, werden von uns gelöscht. Der obere Link führt aber nur auf eine Übersichtsseite der Mozartwerke. Deswegen sehe ich keinen Grund ihn zu entfernen.

In den Foren-Regeln heißt es: keine Links oder Bilder zu rechtsextremen/illegalen/pornographischen Seiten, z.B. illegale Klaviernoten.

Wir bitten alle, sich an diese Regelung zu halten.

lg marcus
 
Wiederholungszeichen, das völlig schematisch plaziert ist, sondern erstens die Sparsamkeit der unkonventionellen Mittel, zweitens der Schubertsche Tonfall und drittens die spieltechnische Einfachheit, weswegen es die meistgespielte Violinsonate Mozarts ist.
Hallo J. Gedan,
Ich frag jetzt mal ganz naiv, wie kann Mozart einen Schubertschen Tonfall haben. Schubert kam doch viel später auf die Welt als Ersterer. Vielleicht hatte Schubert einen Mozartschen Tonfall, oder hab ich da was missverstanden in Deiner Ausführung.

LG
Michael
 
Eine berechtigte Frage, Klaviermacher, ohne Frage. Da du aber genauso ohne Frage davon ausgehen darfst, daß ich weiß, wann Mozart und Schubert gelebt haben, obendrein davon, daß ich Mozarts und Schuberts Violinmusik kenne, ist die Frage auch ein wenig überflüssig. Entweder teilt man die Meinung, daß hier ein Schubertscher Tonfall herrsche, oder man teilt sie nicht -- darüber mag man gerne verschiedener Ansicht sein. Mir ist es -- 'tschuldigung -- zu mühsam, die Aussage, daß er hier herrsche, zu begründen. Wer Mozarts e-moll-Violinsonate kennt und wer Schuberts D-dur-Violinsonatine kennt, wird's aber gewiß auch ohne Begründung verstehen selbst dann, wenn er den Vergleich für unsinnig hält. Wer beides nicht kennt, halte sich -- 'tschuldigung -- mit naiven Fragen dezent zurück.
__________
Jörg Gedan
http://www.pian-e-forte.de
 
He, vertragt Euch wieder, solche Spitzfindigkeiten könnt Ihr per PN austauschen...
Bin hier zwar nicht als Moderator angestellt...
Jeder hier weiß wohl um die Geburtsdaten der Komponisten.

Glättet die Wogen!

Klavirus
 
wie kann Mozart einen Schubertschen Tonfall haben

Genauso wie Haydn einen Beethovenschen Tonfall haben kann. :)

Beethovens Musik ist genausowenig im luftleeren Raum entstanden wie Schuberts Musik.

Man könnte auch sagen: Beethovens (oder Schuberts) Geist war bereits da, als diese Komponisten noch garnicht gelebt haben.

Ich würds mal so formulieren: jeder Komponist arbeitet an dem Gemeinschaftsprojekt "Musik" eine Zeitlang (seine Lebenszeit lang) mit - im übrigen ist er nur ein Glied in einer langen Kette. Keiner von denen hat die Musik erfunden :p
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
hallo,

wiewohl es wenig mit dem Thema "Wiederholungen spielen (oder nicht)" auf den ersten Blick zu tun hat: hellhörige Kommentatoren haben z.B. in Beethovens op.106 (langsamer Satz) und op.111 (Coda 1. Satz, Arietta Var.1) typisch Chopinsche Harmonien und Wendungen herausgehört - allerdings ginge es wohl zu weit, Chopin zur "Wiederholung" Beethovenscher Ansätze zu degradieren :)
Mozart - Schubert: die evtl nicht von Mozart stammende Schlusswendung des 2. Satzes der Sonate KV 330 wirkt auch wie eine Vorwegnahme a la "das könnte von Schubert sein".
...Mendelssohns Reformationssinfonie und Wagners Parsifal...

(((manchmal findet Wundersames auch innerhalb des Oeuvres von EINEM Komponisten statt: so klingt es in der "Messa da Requiem" partienweise mehr als nur verdächtig nach "Aida")))

WENN es bei Mozart manchmal - trotz schematischer Formmuster - schon fast wie "Romantik" klingt, dann sollte man das erfreut wahrnehmen: da steckt also viel drin (salopp gesagt) - solche Momente könnte man wohlwollend als "wiederholenswert" betrachten. Zumindest kann man das als ein Indiz dafür werten, dass sich auch in als abwertend "schematisch" bezeichneten Sonaten was ereignet.

retour zu den "schematischen" Formmustern: man kann auch die Frage stellen, ob es gerechtfertigt ist, von Mozart oder Haydn zu erwarten, sie hätten formal (bzgl. Sonatenform) wie in Beethovens Spätwerk oder wie Liszt oder gar wie Skrjabin komponieren sollen... Analog gibt es keine Publikation, welche Mozarts Klavierwerk als unzureichend erklärt, weil dort donnernde (spät)romantische Oktavenkaskaden fehlen :)

die Wdhs in Klaviersonaten des 18. Jh.: in denen, die aus dem allgemeinen zeittypischen Tonfall herausragen, sind die Wdhs hörens- und spielenswert (zuvor in diesem Faden aus verschiedenen Perspektiven erörtert).

Gruß, Rolf
 
Erstmal danke für die Aufklärung.Also hat diese Wiederholung dort wenig zu sagen, weil dies für eine Wiederholung nunmal einer der üblichen Standplätze ist?
Ich befürchte aber noch ein bischen verwirrt zu sein ;):
Gehört die Coda nicht zur Reprise?Und wenn doch, wie schon ganz zu Anfang gesagt, ist das die erste Sonate die ich sehe bei der der Teil vor der Coda mit Durchführung wiederholt wird.Nachdem das für ich alle ganz normal scheint, kenne ich bisher wohl zu wenige Sonaten aus dieser Zeit (und da es nur 3 sind, ist diese Annahme wohl richtig;)).
In welchen Sonaten ist das noch der Fall?
Vielen Dank,
classican
 

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