[...] die Musik ist so schön, dass sie es wert ist!
Dies ist natürlich eine sehr subjektive Einschätzung. Auch im As-Dur-Impromptu von Schubert könnte man theoretisch die Wiederholungen im Mittelteil weglassen, weil ja nach einmaligem Spielen schon alles gesagt ist. Aber diese Musik ist so tiefgehend und so berührend, dass sie von mir aus auch drei- oder viermal "gesagt" werden könnte. Das ist der Hauptgrund, warum ich es hier eine Sünde finde, die Wiederholungen nicht zu spielen. Ebenso bei den Duport-Variationen und noch vielen anderen Werken.
Genau das wollte ich dir auf deinen Eingangsbeitrag antworten, aber du bist mir einfach zuvorgekommen. Manchmal ist die Musik so schön, dass es den Zuhörer wirklich schmerzt, wenn der Vortragende diese Schönheit übersieht (anders ist das Weglassen dieser Wiederholungen ja kaum zu erklären).
Nüchtern betrachtet fallen konkret diese Wiederholungen ja so leicht, weil a) die Abschnitte recht kurz sind und nicht mehrere Themen enthalten wie Abschnitte in Sonatensätzen sowie b) sonst der Mittelteil gegenüber den Außenteilen zu kurz kommen würde.
Was die Fis-Dur-Sonate angeht, muss ich dir auch zustimmen. Bei der kann man sich 100% sicher sein, dass beide Wiederholungen von Beethoven beabsichtigt sind, da dieser ja schon in der Appassionata eifrig über die Wiederholungspraktiken nachgedacht hat. Ich denke, da kann man auch Respekt vorm Komponisten verlangen, ohne als verstaubter Dogmatiker dazustehen.
Bei Haydn, Mozart und deren Zeitgenossen ist das schon etwas Anderes, denn die haben nicht so konsequent gegen die Konventionen gearbeitet wie Beethoven und andere spätere Komponisten. Denen war es noch nicht oberstes Ziel, alles anders zu machen, um sich als Künstler zu rechtfertigen, sondern eher, "erquickliche" Musik zu schreiben. Bevor jetzt Protest kommt: natürlich haben gerade Haydn und Mozart immer wieder mit Freude gegen die Konventionen verstoßen - das ist ein Hauptgrund, warum diese beiden heute noch frisch sind -, aber sie waren auch auf die Wünsche ihrer Gönner und Auftraggeber angewiesen und konnten sich deswegen nur in einem verhältnismäßig (!) kleinen Rahmen bewegen.
Was hat das nun mit der Frage der Wiederholungen zu tun? Nun ja, das soll deutlich machen, dass der Musikbetrieb zwischen Komponist/Kapellmeister, Musikern und Publikum viel strengeren Regeln unterlag als in späteren Jahrhunderten. (Fast) jeder weiß aus dem Geschichtsunterricht, dass damals das Leben in engeren Bahnen verlief und dass "Freiheit" verglichen mit heute ein Fremdwort war. Ob da nun ein Mozart am Ende eines Sonatensatzes zwei Pünktchen machte oder nicht, hatte damals wohl wenig Auswirkung auf die endgültige Aufführung. Wenn ein Orchester oder Streichquartett diesen Sonatensatz spielte, wird es sich in Sachen Wiederholungen eher daran orientiert haben, wie es es schon immer gemacht hat (d.h. bei ganz anderen Stücken), und weniger daran, was nun auf den Notenblättern stand. Damals wurden Noten oft mehrmals (fehlerhaft) kopiert und man konnte auch nicht mal eben den Komponisten anrufen und nachfragen, wie der sich das nun gedacht hatte. Wenn es also in einem durchschnittlichen Ensemble bspw. üblich war, die Exposition zu wiederholen und die Durchführung und Reprise nicht, dann wird es das wohl immer gemacht haben. Das werden die Komponisten auch gewusst haben und entsprechend werden sie sich auch verhalten haben; das heißt, man wird sich eher auf die Noten konzentriert haben und weniger auf die Frage, ob man dort nun zwei Pünktchen schreibt oder nicht. (Falls das jetzt kompletter Unsinn sein sollte, bitte berichtigen. Ich bin kein Musikwissenschaftler.)
Die Folgerung ist ganz einfach: es ist sehr nützlich, wenn man sich mit dem breiteren Schaffen der Komponisten auseinandersetzt, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was wie gemeint sein könnte (zumindest als halbwegs ambitionierter Musiker). Nach meinem Eindruck ist es halt so, dass man bei Haydn und Mozart etwa auch mal mit reinem "Gewissen" eine Wiederholung weglassen kann, wenn man das Gefühl hat, die Zuhörer sonst zu nerven. Bei Beethoven sollte man dagegen vorsichtiger sein, denn dieser hat die Wiederholungszeichen mit sehr großer Wahrscheinlichkeit immer vollkommen bewusst gesetzt - zumindest ab Op. 20-30. Wenn man dann z.B. bei Op. 78 die Wiederholungen weglassen möchte, sollte man konsequenterweise auch über die Sinnhaftigkeit jeder einzelnen Note nachdenken... Dabei dann viel Spaß! :D