Schwierigkeitsbewertung

Sollte es hier jemanden geben, der die Liszt-Sonate spielen kann, aber an der Bach-Invention scheitert, dann nehme ich die Aussage gerne zurück. :-D

Herrlich. :lol: Ich hab Kopfkino.
mademyday.gif
 
gibt es viele Schüler, die halbwegs sinnvoll die Schwierigkeitsgrade innerhalb der Klavierliteratur einschätzen können? Wenn ja, käme man dem Paradies näher (zumindest im engen Dunstkreis der Tasten...)
Ketzerische Frage: Wofür soll das gut sein? Der typische Schüler wird ein Stück zuerst anhand des Schriftsbildes taxieren auf den Schwierigkeitsgrad schätzen. Da kann er sich böse täuschen, aber das wird er relativ bald merken. Dann kann er versuchen, sich durchzubeißen. Oder er legt die Noten weg, für später. Wie dem auch sei, er wird den individuellen Schwierigkeitsgrad auf jeden Fall im Selbstversuch erfahren. Die Information, welcher Henle-Stufe das Stück angehört, ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr relevant.

Wer die Sache vorher und am besten zutreffend beurteilen muss, ist der Lehrende. Denn er sucht die Stücke aus, die der Schüler bewältigen kann. Aber wenn der KL dazu die Henle-Skala braucht, dann ist er ein schlechter Lehrer. Behaupte ich jetzt einfach mal so.

Interessant erscheinen mir solche Gradierungen am ehesten für die Notenverlage. "Sie spielen Stufe 5? Da hätten wir..." Passt auch zu Klafinas Erfahrungen, dass bei der Einstufung der Umsatz eine Rolle spielt.

Ich denke, das grundsätzliche Problem solcher Gradierungen ist, dass Profis entscheiden, was für Anfänger oder Amateure schwierig und was leicht ist. Ich habe eine Sammlung bearbeiteter Ragtimes. Die waren für mich aber kein Stückchen leichter als die Originalnoten. Was sie vereinfacht hatten, bereitete mir keine Probleme und die Problemstellen hatten sie nicht vereinfacht.
 
Angaben zum Schwierigkeitsgrad, sei es von Notenverlagen oder in Musikzeitschriften, können einen Anhaltspunkt zur Schwierigkeit geben, etwa wenn man sich unbekannte Noten kaufen möchte. Man muss ja nicht ausschließlich Stücke spielen, die der Lehrer vorschlägt und nicht jeder ist Zeit seines Lebens ständig auf Unterricht angewiesen oder gewillt, ausschließlich mit Lehrerbetreuung zu musizieren. Manchmal werden Unterrichtsstunden nach vielen Jahren des Lernens auch in längeren Intervallen als individuell vereinbarte Einzelstunden genommen. Das aber nur am Rande.

Wer sich dann jedoch Noten einer Stilrichtung kauft, die ihm nicht vertraut ist - z. B. wenn sich jemand mit Neuer Musik beschäftigen möchte, der so etwas vorher noch nie gespielt hat - dann sollte man da vielleicht berücksichtigen, dass neben den manuellen Herausforderungen auch die musikalische Umsetzung hier etwas schwieriger sein mag, als wenn man sich auf vertrautem Terrain bewegt.

Subjektiv mag man dann besonders im mittleren Schwierigkeits-Bereich einiges einfacher oder schwieriger finden als die angegebene Stufe, aber als grobe Orientierung dürfte es schon hilfreich sein. Abhängig ist die Schwierigkeit natürlich auch, vom gewählten Tempo, wie bereits angegeben, und vom Anspruch an die musikalische Gestaltung. Es kommt sicher auch darauf an, ob die pianistische Ausbildung eher breit angelegt wurde oder ob bestimmte Bereiche, Stile und Techniken ausgeklammert wurden.
 
Wer sich dann jedoch Noten einer Stilrichtung kauft, die ihm nicht vertraut ist - z. B. wenn sich jemand mit Neuer Musik beschäftigen möchte, der so etwas vorher noch nie gespielt hat - dann sollte man da vielleicht berücksichtigen, dass neben den manuellen Herausforderungen auch die musikalische Umsetzung hier etwas schwieriger sein mag, als wenn man sich auf vertrautem Terrain bewegt.
Gehen in die gängigen Schwierigkeitsbewertungen (Wolters, Henle) eigentlich Schwierigkeiten der musikalischen Umsetzung ebenso in die Bewertung ein wie die manuell-technischen Probleme? Oder werden musikalische Schwierigkeiten dabei eher stiefmütterlich berücksichtigt? Weiß das zufällig jemand?

(Ja, ich weiß - man kann die musikalische Umsetzung sowieso nicht wirklich von der manuell-technischen Ausführung trennen.)
 
Gehen in die gängigen Schwierigkeitsbewertungen (Wolters, Henle) eigentlich Schwierigkeiten der musikalischen Umsetzung ebenso in die Bewertung ein wie die manuell-technischen Probleme? Oder werden musikalische Schwierigkeiten dabei eher stiefmütterlich berücksichtigt? Weiß das zufällig jemand?

(Ja, ich weiß - man kann die musikalische Umsetzung sowieso nicht wirklich von der manuell-technischen Ausführung trennen.)
Bei Henle wird versucht, möglichst viele Parameter in die Bewertung reinzunehmen, z. B. auch, wie schwer die Struktur zu erfassen ist.

https://www.henle.de/de/der-verlag/schwierigkeitsgrade-klaviermusik/
 
Jetzt wird es interessant!
Dazu ein reales Beispiel, welches zeigt, wie extrem differenziert Schwierigkeiten beim Klavierspiel auftreten.
Ein Pianist mit großen Händen, guten Oktaven und extrem schnellen Reflexen spielt bei der Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule den Mephisto-Walzer von Liszt so, dass die ziemlich abgebrühte Jury mit offenen Mündern Bestnoten verteilt. Er/Sie ist aber nicht im Stande eine einfache Mozart Sonate auch nur annähernd korrekt (Triller, Passagen, ...) zu spielen. Dieser Fall ist nicht konstruiert!!! Was ist also schwieriger?
Da muss man doch wenigstens differenzieren nach: große Technik außerordentlich (Stufe 14/15)
kleine Technik mäßig (Stufe 4 oder 5).
Was ich sagen will ist, dass es eine lineare Entwicklung im Sinne Wolters möglicherweise bei entsprechend aufgebauten (gutem!?) Klavierunterricht geben mag, aber eben nicht zwingend und nicht allgemeingültig!
Dazu passt die interessante Aussage von vielen großen Pianisten, dass Mozart besonders schwer sei!?
 
Die Angabe von mehr oder weniger kompetent ermittelten Schwierigkeitsgraden erzeugt noch ein weiteres Problem: das der Kompetitivität.
Welcher Klavierlehrer hat nicht Schüler bremsen müssen, die unbedingt Stücke eines hohen Schwierigkeitsgrades vorzeitig spielen wollten, oder fast noch schlimmer Schüler motivieren müssen, die eingeschüchtert von einer Zahl bei machbaren Stücken völlig verkrampfen!
Ich wiederhole mich: ich bin ein Gegner der linearen Schwierigkeitsbewertung.
Wir sollten als Lehrende im Umgang damit sehr vorsichtig sein!
 
gibt es viele Schüler, die halbwegs sinnvoll die Schwierigkeitsgrade innerhalb der Klavierliteratur einschätzen können? Wenn ja, käme man dem Paradies näher (zumindest im engen Dunstkreis der Tasten...)

Wenn überhaupt Schüler (und die dazugehöhrigen Eltern) pianistische Fähigkeiten einigermaßen realistisch einstufen könnten, dann wäre (hier würde man sich den doppelten Konjunktiv wünsche!) das Leben sehr viel erfreulicher.
Aber als Gesangslehrer muss dies noch viel schlimmer sein!
 
Die Angabe von mehr oder weniger kompetent ermittelten Schwierigkeitsgraden erzeugt noch ein weiteres Problem: das der Kompetitivität.
Welcher Klavierlehrer hat nicht Schüler bremsen müssen, die unbedingt Stücke eines hohen Schwierigkeitsgrades vorzeitig spielen wollten, oder fast noch schlimmer Schüler motivieren müssen, die eingeschüchtert von einer Zahl bei machbaren Stücken völlig verkrampfen!
Ich wiederhole mich: ich bin ein Gegner der linearen Schwierigkeitsbewertung.
Wir sollten als Lehrende im Umgang damit sehr vorsichtig sein!

Das klingt für mich konstruiert. Die Leute wollen nicht zu früh die Elise, die "Mondcheinsonate" und "Turkish March[sic!]" lernen, weil da eine Zahl dransteht.

Außerdem informiert sich der durchschnittliche Schüler wohl eher nicht am Wolthers. Woher soll er "die" Zahlen kennen?
 

Menschen haben einfach Freude am Kategorisieren. :super:


@Alter Tastendrücker

Hast Du den Eindruck, dass "Schwierigkeitsgrade" wirklich eine große Rolle spielen? Nicht in den Extremen. Mehr im weitgespannten Mittelfeld. Da interessiert doch niemanden, ob ein Stück nach Henle mit 5 oder 7 kategorisiert wird. :denken:
 
Natürlich kennen die Schüler in der Regel den Schwierigkeitsgrad 'nach Wolters' nicht. Aber die - teilweise sehr merkwürdigen - Bewertungen auf den Schott Einzelausgaben haben uns früher schon sehr interessiert. Selbst bei Anfängern ist (ein gewisser Ehrgeiz vorausgesetzt) das renommieren mit: "Ich bin schon bei Nummer 96 meiner Klavierschule, wo bist Du??" nicht sooooo selten!? Das ist ja auch kein Fehler!
 
Das klingt für mich konstruiert. Die Leute wollen nicht zu früh die Elise, die "Mondcheinsonate" und "Turkish March[sic!]" lernen, weil da eine Zahl dransteht.

Nun, es gibt das Renommieren mit berühmten Stücken ('Was Du hast noch nie die ''Mondschein-Sonate gespielt") und das Recht mit Schwierigkeit ("Klaviersaal bei der Musikmesse, wo jeder die ersten Takte von schwierigsten Stücken herunterhaut"). Am Besten aber beides!
(Chopin op. 10,1).
 
(…)
(1) Was ich sagen will ist, dass es eine lineare Entwicklung im Sinne Wolters möglicherweise bei entsprechend aufgebauten (gutem!?) Klavierunterricht geben mag, aber eben nicht zwingend und nicht allgemeingültig!
(2) Dazu passt die interessante Aussage von vielen großen Pianisten, dass Mozart besonders schwer sei!?
zu (1) na also, unabhängig von den individuellen Voraussetzungen wie "hatte guten Unterricht" und "hatte keinen solchen, also mus.-techn. mit Mängeln" kann es die linear dargestellte Progression nicht nur geben, sondern es gibt sie auch. Hierbei ist diese allerdings kein Mathe-Lehrbuch, d.h. Stufe 2 ist nicht exakt doppelt so schwierig wie Stufe 1 - es sollte zweierlei für jeden vernünftigen Leser klar sein: erstens dass zwischen ganzen natürlichen Zahlen noch eine Menge vorhanden ist ;-)0,1-0,2-0,3 usw. kurzum gibt es innerhalb jeder Wolterschen Stufe natürlich auch Abstufungen*) und zweitens betreffen individuelle Unterschiede mus.-techn. Art lediglich individuelle "Probleme" (die Terzenetüde wird weder leichter noch schwieriger, wenn irgendwem Terzen liegen und irgendwem nicht) - - ungern wiederhole ich mich: die Einordnung der Klavierliteratur in 15 Schwierigkeitsstufen stellt eine ungefähre, aber überwiegend in sich stimmige und kenntnisreiche Orientierung dar.

zu (2) das hat nichts mit individuellen spieltechnischen Fähigkeiten zu tun (im Mephistowalzer finden sich Triller, Tremoli, allerlei Verzierungen, und das innerhalb eines hochvirtuosen Klaviersatzes; die Triller bei Mozart sind gewiß nicht schwieriger!) sondern mit musikalischen. Rein manuell ist alles, was Mozart für Klavier komponiert hat, deutlich leichter als Chopins Etüden. Wer die 24 Etüden kann, wird nirgendwo bei Mozart vor spieltechnische Probleme gestellt! Es ist nicht jedermanns Sache, Mozart so zu spielen, dass es nicht wie lieblose Spieldose oder missverstandene Romantisierung klingt, was aber keine Frage der spieltechnischen Schwierigkeit ist. Übrigens @Alter Tastendrücker dasselbe wird auch gerne über Schumanns Träumerei geschrieben: dass dort oftmals diejenigen ins schwitzen kommen, die ansonsten Transzendentaletüden brillant hinlegen - nun ja, das katapultiert weder Mozart noch die Träumerei in eine imaginäre "Stufe 16" ;-):-D...wie das? Na, wer nur Mozartsonaten und die Träumerei spielen kann, der kann mit diesem "Stufe 16 Können" mal probieren, ob die Griffelchen für das leichtere Stufe 15 Zeugs taugen...:lol:

Nochmal zur Einteilung in Schwierigkeitsstufen: wenn man auf falsche solche stößt, kann man ihren Nutzen ex negatione erschließen. Es gab mal eine Einteilung in 6 Stufen (war das Henle oder Schott?) und dort rangierte Chopins Trauermarschsonate in Stufe 5, also dort neben dem cis-Moll Prelude von Rachmaninov - ich möchte nicht wissen, wie diejenigen geplärrt haben, die stolz auf ihr Rach-Prelude waren und voller Eifer die Sonate angingen... :lol::lol::lol:
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*) die Annahme, z.B. alle (!) unter Stufe 12 aufgeführten Stücke seien exakt gleich "schwer" und folglich sei es egal, welches man wählt, ist ziemlich beschränkt: der angeblich realitätsferne Wolters beschreibt die Unterschiede innerhalb einer Schwierigkeitsstufe! Das Buch besteht eben nicht nur aus einer Tabelle mit 15 Spalten, in welcher dann zigtausend Klavierstücke nur genannt wären. Das kann jeder nachvollziehen, der sich einer bei Büchern erfahrungsgemäß nützlichen Technik bedient: aufmachen, reingucken, lesen...
 
Es gab mal eine Einteilung in 6 Stufen (war das Henle oder Schott?) und dort rangierte Chopins Trauermarschsonate in Stufe 5, also dort neben dem cis-Moll Prelude von Rachmaninov - ich möchte nicht wissen, wie diejenigen geplärrt haben, die stolz auf ihr Rach-Prelude waren und voller Eifer die Sonate angingen...

kann ich mir lebhaft vorstellen :lol::lol:
 
Es gab mal eine Einteilung in 6 Stufen (war das Henle oder Schott?) und dort rangierte Chopins Trauermarschsonate in Stufe 5, also dort neben dem cis-Moll Prelude von Rachmaninov - ich möchte nicht wissen, wie diejenigen geplärrt haben, die stolz auf ihr Rach-Prelude waren und voller Eifer die Sonate angingen...

https://www.henle.de/de/detail/?Titel=Prélude+cis-moll+op.+3+Nr.+2_1211

https://www.henle.de/de/detail/?Titel=Klaviersonate+b-moll+op.+35_289

Henle war es anscheinend nicht. :-)
 

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