Dirigat und Solopart vereinigen oder trennen? Das kommt auf das jeweilige Stück an. Der Dirigenten-Beruf im heutigen Sinne ist ein relativ neuzeitliches Phänomen, das sich erst im frühen 19. Jahrhundert durchgesetzt hat. Persönlichkeiten wie Habeneck, Spohr oder Weber traten da (vielfach noch mit Instrument) vor das frühromantische Orchester, Gewandhaus-Kapellmeister Mendelssohn-Bartholdy wird oftmals als erster Dirigent im heutigen Sinne genannt. Es ist davon auszugehen, dass die Solokonzerte des 18. Jahrhunderts stets vom Solisten auch dirigiert worden sind. Eine Durchsicht entsprechender Partituren bringt es an den Tag: Wo das Orchester Abschnitte allein ausführt (Orchestereinleitung, Übergänge etc.), hat der Solist die Hände frei; wo begleiterische Aufgaben den Solopart grundieren sollen, ist das Grundtempo stabil und das Orchester organisiert diese gut überschaubaren Abläufe selbst, indem man auf die Bogenführung am Konzertmeisterpult achtet. Die beiden Chopin-Konzerte sind für das Orchester gut überschaubar gestaltet, nicht anders als die Mozart-Klavierkonzerte. Das sieht beim Schumann-Konzert schon anders aus, bei den Brahms-Konzerten ist vom Solistendirigat dringend abzuraten, bei noch späteren Werken ist das im Prinzip unmöglich. Je "symphonischer" oder "orchestraler" der Orchester-Apparat kompositorisch durchorganisiert ist, desto mehr ist die Übersicht eines souverän agierenden Dirigenten gefragt. Allerdings ist der Grenzverlauf zwischen einem seriösen Orchesterleiter und einem affektierten Selbstdarsteller am Pult fließend - ersterer ist für das Orchester besser, letzterer dient vorrangig sich selbst.
Die erwähnte Kombination mit dirigierendem Solisten gab es schon vor Toscanini/Horowitz. Wie wäre es mit Mozarts Konzert KV 453 mit Ernst von Dohnányi als dirigierendem Solisten aus dem Jahre 1928?
Mozart: Concerto G Major, K 453, mvt 1 - Dohnányi - YouTube
Mozart: Concerto G Major, K 453, mvt 2 - Dohnányi - YouTube
Mozart: Concerto G Major, K 453, mvt 3 - Dohnányi - YouTube
Bei kammermusikalischen Projekten ist Selbstorganisation gefragt - und ein Salonorchester wird mittels "Violin-Direktion" oder "Piano-Direktion" auch heute noch aus den eigenen Reihen geleitet. Dass natürlich Persönlichkeiten wie Toscanini sich wirkungsvoll in Szene setzen konnten und ihre Tätigkeit gut und teuer zu verkaufen wussten, ist eine wohlbekannte Tatsache.