Betablocker gegen Vorspielangst

  • Ersteller des Themas KrautundRueben
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Hallo, boah ich bin total überwältigt! Da ist man einen Tag auf der Arbeit, kommt zurück und stellt erfreut fest dass man erstmal ne halbe Stunde Lesestoff hat! Super, danke Leute, jetzt lese ich erstmal...:super:
 
wenn man eine offene Wunde hat, wird diese versorgt.
wenn man starke Schmerzen hat, nimmt man Schmerzmittel.
Wenn ein Bein gebrochen ist, wird man es konservativ oder operativ versorgen.
wenn man schlecht sieht, setzt man eine Brille auf.
wenn man Karies hat, wird der Zahn mit einer Füllung versorgt.
wenn man Vorspielangst hat, nimmt man Betablocker.

so what?????

Wer sagt denn, dass nur körperliche Gebrechen zu behandeln sind?

Natürlich versucht man als Mediziner, die Ursache der Beschwerden / Erkrankungen zu finden und primär diese zu beseitigen. Falls dies nicht auf Anhieb gelingt oder nicht möglich ist, wird eben zumindest begleitend symptomatisch behandelt. So lange keine ethisch-moralische Grenze überschritten wird, sehe ich dies relativ entspannt. Man muss halt den Patienten dort abholen, wo er sich befindet und dann gemeinsam ein Therapiekonzept erarbeiten.
Deshalb ist jeder Patient grundsätzlich Mitglied des Behandlungsteams! Zumindest ist dies mein persönliches Credo.

Im konkreten Fall würde ich (natürlich erst nach vorangegangener Logistik) keinen Vorbehalt gegen die Einnahme von Betablockern haben, wenn dies eine einmalige oder zumindest überschaubare Situation bleibt. Aber parallel muss das Ziel verfolgt werden, ohne Medikamente erfogreich auszukommen.
 
Liebe Clavionisten und Clavionistinnen,

Kürzlich habe ich gelesen, dass viele Berufsmusiker gegen Vorspielangst Betablocker nehmen. Angeblich ist diese Indikation auch anerkannt.
Ich frage nicht direkt nach eueren Erfahrungen damit, denn das Thema ist natürlich nicht einfach. Aber nachdem ich selbst unter großer Auftrittsangst leide und mich das Thema daher beschäftigt möchte ich gerne eine Diskussion dazu anregen.

Liebe Grüße
Krauti

Hab Dir schon damals im Mariandl den Tip gegeben - einfach mal n "Obligatorischen".....und jetzt kimm mia ned daher "des ist ned gut für die Leber" Medikamente belasten die Leber sehr vel stärker. Bevor ich wo spiele, trink ich einfach mal n Bierchen vorher, des entspannt und befreit vom Lampenfieber.

LG
Henry
 
Zu den Betablockern: bei Probespielen vor allem als Tuttist (kein Solist) habe ich vollstes Verständnis, dass jemand Betablocker nimmt, vorausgesetzt, er weiß, wie die bei ihm wirken und hat ärztliche Unterstützung (kann man die denn überhaupt rezeptfrei bekommen???).

Denn dort muss man in der ersten Minute all seinen Können zeigen - falsche Töne etc., aus die Maus. Wer weiß, wie Probespiele ablaufen, wird mir zustimmen. :D Als Doping sehe ich das nicht, denn jeder hat unterschiedliche Formen von Lampenfieber und die Musiker mit sehr viel Lampenfieber sind gar nicht in der Lage, ernsthaft an einem Probespiel teilzunehmen.

Liebe Grüße

chiarina


Enthemmende Substanzen sind hier hilfreich; Dipiperon, Risperidol, Norazepam....hat mein Großer von der Heckscher Klinik in München verordnet gekriegt....naja, Klavier spielt er ned, aber er hat jetzt kein Problem mehr Damen bis über die Schmerzgrenze hinaus unsittlich zu berühren ....:dizzy:

LG
Henry
 
Gauf,

ich spiele nun schon 54 Jahre ohne Unterbrechungen Orgel im Gottesdienst, Konzert usw.
Meine innere Unruhe muss ich auch heute noch besiegen. Gut vorbereitet bin ich eigentlich immer.
Mir hilft es, wenn ich mir kurz vor dem Spielen ein Bonbon in den Mund schiebe.
Probiert es einfach mal aus.

Gauf!
 
Natürlich versucht man als Mediziner, die Ursache der Beschwerden / Erkrankungen zu finden und primär diese zu beseitigen.

Nö.

Wenn es nicht sinnvoll ist, Medikamente zu nehmen, dann schreibt mich mein Doc auch erst einmal drei Tage krank und wenn es nicht besser wird, soll ich wieder kommen. Leider, sagte er, sind die Leute darauf fixiert, dass man "unbedingt was einnehmen muss".

Anderes Beispiel, hat mir eine Zahnärtzin erzählt:
Befund: So eine komische blaue Zunge.
Meistens, sagte sie, geht die nach ein paar Tagen von selber weg, nichts ernstes.
Da die Leute aber unbedingt Medizin wollen, bekommen die ein Mundwasser, 3x tägöich gründlich spülen. Bringt zwar nix, aber die Leute fühlen sich halt behandelt.

Da wären wir bei dem komischen Konstrukt "Homo Sapeins". Placebo Forte hilft, weil man nimmt ja was.


Zum Thema selbst:
Wenn man im Mensch Pilze pflückt nd plötzlich wird man von einem wilden Tier angegriffen, dann muss der Mensch blitzschnell entscheiden: Kämpfen oder Fliehen (fight or flight).

Der bevorstehende Auftritt, als "Bedrohung" epfunden, bietet diese Möglichkeit nicht. Damit kann der manchmal der Mensch nicht gut umgehen. Daher der Tipp: Kämpfen! In dem man z.B. 10 Liegestütz macht. Dann hat man "gekämpft" und kommt aus diesem Modus heraus.

Ich kenne mehrere Fälle, wo das erfolgriech geklappt hat, ganz ohne Medikamente.


Grüße
Häretiker
 
Hab Dir schon damals im Mariandl den Tip gegeben - einfach mal n "Obligatorischen".....und jetzt kimm mia ned daher "des ist ned gut für die Leber" Medikamente belasten die Leber sehr vel stärker. Bevor ich wo spiele, trink ich einfach mal n Bierchen vorher, des entspannt und befreit vom Lampenfieber.

Alkohol ist definitiv keine bessere Lösung als Betablocker... denn das kann zwar entspanntend wirken, aber verringert die Konzentration deutlich und macht manche Menschen auch noch müde.

Ich trinke vorher gar nichts an Alkohol, weil ich mich zu gut kenne und das Risiko nicht eingehe.
 
Kämpfen oder Fliehen (fight or flight).

Der bevorstehende Auftritt, als "Bedrohung" epfunden, bietet diese Möglichkeit nicht. Damit kann der manchmal der Mensch nicht gut umgehen. Daher der Tipp: Kämpfen!

Es gibt noch eine dritte Strategie, die heißt "freeze". Angewurzelt stehen bleiben, sich nicht rühren. Ich verstehe überhaupt nicht, warum diese Option nicht gleichwertig ins Feld geführt wird. "Fight" oder "Flight" sind kraftvolle Reaktionen. Erstarrung ist mindestens ebenso urtümlich/instinktiv angelegt.

Die Erstarrung blockiert Motorik und Intellekt und wirkt schlimmstenfalls kataplektisch.

Statt Betroffenen ein zusätzliches Schuldgefühl zu verursachen ("Du müsstest nur...") wäre eher Berufsberatung angesagt. Jemand mit richtiger Auftrittsangst ist gut beraten, die evtl. angestrebte Bühnenlaufbahn kritisch zu überdenken.
 
Statt Betroffenen ein zusätzliches Schuldgefühl zu verursachen ("Du müsstest nur...") wäre eher Berufsberatung angesagt. Jemand mit richtiger Auftrittsangst ist gut beraten, die evtl. angestrebte Bühnenlaufbahn kritisch zu überdenken.

Wobei die sich oft auch im Laufe des Lebens erst entwickelt bzw "schlimm" wird...
In Bonn gab es mal eine Ambulanz des Lampenfiebers für Musiker... Ich weiß nicht, ob es sie noch gibt, aber das finde ich wirklich eine gute Idee. Ich glaube, in dem Link von Chiarina ist die auch erwähnt.
 

Es gibt noch eine dritte Strategie, die heißt "freeze". Angewurzelt stehen bleiben, sich nicht rühren. Ich verstehe überhaupt nicht, warum diese Option nicht gleichwertig ins Feld geführt wird. "Fight" oder "Flight" sind kraftvolle Reaktionen. Erstarrung ist mindestens ebenso urtümlich/instinktiv angelegt.

Die Erstarrung blockiert Motorik und Intellekt und wirkt schlimmstenfalls kataplektisch.

Statt Betroffenen ein zusätzliches Schuldgefühl zu verursachen ("Du müsstest nur...") wäre eher Berufsberatung angesagt. Jemand mit richtiger Auftrittsangst ist gut beraten, die evtl. angestrebte Bühnenlaufbahn kritisch zu überdenken.
Jedem das, was ihm am besten hilft.

Blockierte Motorik könnte für das Musizieren hinderlich sein.

Wenn der Körper sich aufgrund der aufkommenden Angst auf kraftvolle Bewegung einstellt, kann eine wie von @Häretiker beschriebene Handlung die vom Körper bereitgestellten Mittel wie Adrenalin, erhöhte Muskelspannung etc. etwas abbauen und so Körper und Geist wieder in den normalen Betriebszustand überführen, wie er für das Musizieren angenehmer erscheinen mag. Aber wie gesagt, jedem das seine - ich kenne auch das Phänomen, dass unter Anspannung manchmal besondere Leistungen abgerufen werden können.
 
Hier hab ich noch einen interessanten Artikel zum Thema (ab Seite 36) gefunden, der leider schon älter ist (Stand 2005):

http://pdes.de/literat/Scripte V3.pdf

Zum dort beschriebenen Ikarus-Syndrom als Äquivalenz zum Burn-out-Syndrom für Musiker hab ich nichts Aufschlussreiches gefunden.
Kennt das jemand in Bezug auf Musiker?
 
Es gibt viele Möglichkeiten, sich damit auseinander zu setzen. Viele davon hängen mit einer Art mentalem Training zusammen. Diverse Entspannungstechniken oder Körperarbeit kann helfen, bestimmte Gedankenmodelle oder vorher ausprobierte Bewegungen. Manchem hilft sogar sowas wie Klopfakupressur. Es ist ganz egal was es ist und ob das irgendwas mit Wissenschaft zu tun hat, solange es hilft.
Davor steht die Vorbereitung - sowohl des Stückes als auch des Menschen. Es kann helfen, die Situation so genau wie möglich zu simulieren, inklusive Konzertkleidung und zum Instrument hinlaufen.

Erst wenn all das nichts hilft, kann man über ärztlich verschriebe Beta-Blocker nachdenken. Mit Doping hat das nichts zu tun, denn es steht jedem frei, diesen Weg zu wählen oder nicht. Der große Unterschied zum Sport ist außerdem, dass sie die absolut erreichbare Leistung nicht steigern. Keiner wird ein besserer Musiker, weil er irgendetwas einnimmt. Das wäre ja noch schöner.
 
Statt Betroffenen ein zusätzliches Schuldgefühl zu verursachen ("Du müsstest nur...") wäre eher Berufsberatung angesagt.

Das 'müsste' kommt von Dir. Ich habe einen Tipp gegeben. Einen Tipp, den ich für besser halte als Medikamente einzunehmen.

Ehrlich: Wenn ich Mediakemente bräuchte, würde ich einen anderen Beruf erlernen ... ich will keinen Beruf ausüben, bei dem ich zur Bewältigung Pillen schlucken muss.

Grüße
Häretiker
 
Mit Doping hat das nichts zu tun, denn es steht jedem frei, diesen Weg zu wählen oder nicht. Der große Unterschied zum Sport ist außerdem, dass sie die absolut erreichbare Leistung nicht steigern.
Wenn diese Behauptung richtig wäre, würden Beta-Blocker nicht auf der Doping-Liste stehen.

Zudem ist die Bedeutung des Begriffes "Sport" offenbar unklar. Der Vergleich von körperlichen und geistigen Leistungen (letztlich immer die Kombination daraus) in einem Leistungswettbewerb ist Sport.

Keiner wird ein besserer Musiker, weil er irgendetwas einnimmt. Das wäre ja noch schöner.
Musiker (und nicht nur die) dopen, um sich im Leistungswettbewerb (z. B. bei Prüfungen) gegen andere Kandidaten durchzusetzen. Einen moralischen Unterschied zu einem Sportlerin, die mit Einnahme von Substanzen die Olympiaqualifikation schafft, gibt es nicht.
 
Überhaupt nicht. Bin Rampensau und kein Arzt. Kenne aber Leute, bei denen das schon geholfen hat. Ist das verwerflich?

Grüße
Häretiker

Nein, natürlich ist das nicht verwerflich!

Alles was hilft, ist gut!

Das können Bach Rescue Tropfen sein, homöopathische Globuli, das Lutschen eines Bonbons, autogenes Training u.a. sein.

Der erfahrene und geschulte Therapeut (Arzt, Psychologe u.s.w.) ist in der Lage das Ausmaß der Angst ( um die es ja hier geht) und die dadurch bedingte Einschränkung im alltäglichen Leben zu beurteilen.
Das heißt, er kann das im Sinne einer Übertragung ( etwas veralteter Begriff aus der Psychoanalyse) beim Zuhören und Hineinversetzen in die Gefühlswelt des Angstpatienten in gewisser weise abschätzen.

Ich kann dir versichern, da kommt oft eine eine geballte Ladung Leid an.
Durch einfühlsames Befragen kannst du herausfinden, ob es bereits Strategien gibt, diesen Ängsten zu begegnen und wie weit sie zu einer Reduzierung und Bewältigung geführt haben.

Dann bist du in der Lage, eine sorgfältige und angemessene Beratung über therapeutische Optionen anzubieten. Dazu gehören die Psychotherapie, insbesondere die Verhaltenstherapie ( es ist manchmal weniger wichtig zu wissen, wo die Angst herkommt, als wie man mit ihr umgeht).

Es gilt auch zu bedenken, dass eine Psychotherapie in bestimmten Fällen kontraindiziert ist.

Die Option einer medikamentösen Therapie darf auf keinen Fall vernachlässigt werden und hier ist mein Kritikpunkt an laienhaften Aussage: „Ich bin gegen Medikamente".

Ich berate dahingehend, dass es die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung gibt, respektiere den Wunsch des Patienten, ob er dieses in Anspruch nehmen möchte oder nicht und bestätige ihm, dass die Option bestehen bleibt.

Kraut und Rüben hat gefragt, ob man bei Auftrittsangst Betablocker nehmen kann und ja, es ist eine Option, die er aber mit dem Arzt seines Vertrauens besprechen sollte, auch in Bezug auf das mögliche Nebenwirkungsprofil. Ich würde auch bestimmte Untersuchungen vorab machen, um eventuelle Kontraindikationen auszuschließen , z.B beim vorliegen einer Bradykardie ( sehr langsame Herzfrequenz) oder Hypotonie (sehr niedriger Blutdruck ).
 

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