8. Invention analysieren (Formen, Harmonielehre ...)

Clavifilius

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Da ich zur Zeit Bachs Inventionen übe, möchte ich nach und nach jede Invention analysieren. Das soll dazu dienen, sie besser zu verstehen und hoffentlich auch leichter auswendiglernen zu können.

Als Schüler war mir früher Harmonielehre und dergleichen ein Graus. Hab den Nutzen davon nicht eingesehen und empfand das immer als sinnlose Schikane. Entsprechend wenig habe ich davon gelernt und behalten.
Doch es gibt ja heutzutage viele Infos im Internet zu allen möglichen Spezialthemen, sogar zur 8. Invention.
Außerdem kann ich mir jetzt erlauben, spielerisch an das Thema heranzugehen, da mir kein Lehrer im Nacken sitzt.
Und deshalb beginne ich völlig unbedarft mit dem, was mir spontan dazu einfällt. Bevor ich nach genaueren Informationen recherchiere (oder jemand hier antwortet, der sich auskennt).

Ich kratze also mal mein Halb- und Viertel-Wissen zusammen.

Hmm ... wie geh ich da jetzt heran?
Es ist ja nicht bloß Harmonielehre allein.
Was muss man wissen? - Formen analysieren können. Also Motive usw. Und auch das, was Bach mit diesen Motiven anstellt. Wie sie verarbeitet werden.
Was ist das überhaupt bei der 8. Invention für eine Technik: Kontrapunkt? Kanon? Irgend etwas in dieser Art.
Irgendwie "fugenähnlich" ist das Stück ja. Interessant, dass ich überhaupt nicht weiß, was ich da drei Wochen lang gespielt habe! :002:
Eine echte Fuge ist es nicht. Aber was ist der Unterschied?
Kanon passt vielleicht besser als Begriff. Weil sich das Thema in beiden Händen abwechselnd wiederholt.

Ok, viel weiß ich ja wirklich nicht, ich rate nur.
Weiß ich überhaupt, was das "Thema" ist? (Sagt man überhaupt "Thema" oder "Motiv", "Leitmotiv", "Melodie"???)

Hmm... Das zentrale Thema/Motiv/Melodie scheint aus den ersten 5 oder 6 Achtel-Noten zu bestehen.
Ja was denn nun? Aus den ersten 5 oder den ersten 6 Noten? Gehört die 6. Achtel-Note noch zum ersten Motiv oder schon zum zweiten? Na ja, jedenfalls folgt auf das Motiv mit Achtel-Noten ein Motiv mit Sechzehntelnoten, während die linke Hand das erste Motiv (kanonartig?) wiederholt.
Das scheint die Grund-Struktur des Stücks zu sein, die sich ständig wiederholt. Zwischendurch passieren aber noch andere Dinge, bei denen die Motive bearbeitet werden (Kontrapunkt???)

Soweit erstmal zur "Formenlehre" (sagt man das so?)
Ach so, ja, Ergänzung: Das Stück ist im Dreivierteltakt geschrieben.
Gehört das zur Formenlehre? Und ist das überhaupt relevant?
Inwiefern macht es den "Charakter" des Stücks aus, dass es ein Dreivierteltakt ist? (Bei einem Walzer verstehe ich das. So ein Walzer ist schon ganz eigentümlich. Aber diese Invention hat ja überhaupt keinen Walzer-Charakter, obwohl sie im Dreivierteltakt steht.)


Was die Harmonielehre betrifft ...
Das Stück steht in F-Dur. Schlusstonkontrolle: Jawohl, F-Dur. :001:
Im letzten Takt ist wenigstens ein anständiger F-Dur-Akkord. In den übrigen Takten muss man sich die Akkorde mühsam zusammensuchen. Wie soll man da überhaupt vorgehen? Wahrscheinlich so, dass jeder Takt aufgefasst wird wie ein Arpeggio eines Akkords.
Soweit ich erkennen kann, stehen die ersten Takte der Invention allesamt in F-Dur.
Hat jeder Takt eigentlich nur eine Harmonie oder kann sich die im Laufe eines Taktes ändern?
(Wie war das bei Leadsheets? Ah, ok, die Harmonie kann sogar im Laufe eines Taktes wechseln, vemutlich auch bei den Inventionen.)

Soweit der erste Überblick über mein Nicht-Wissen.

Wenn sich Wissende, Halb-Wissende oder Nicht-Wissende an der Analyse beteiligen, freut mich das.
Wenn nicht, mache ich nach und nach alleine weiter. :004:
 

Anhänge

  • IMSLP128950-WIMA.0792-Bach_Invention_08.pdf
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Zuletzt bearbeitet:
P.S. Ist es erlaubt, die kostenfreien Noten als Anhang anzufügen, die man auf IMSLP findet?

(Hab ich das so richtig gemacht? PDF als Datei hochladen? Oder wie konkret kann man das besser machen?)
 
Meine KL hat bei dieser Invention größten Wert auf das abwechselnde legato/non-legato (fast schon staccato) zwischen rechter und linker Hand gelegt. In anderen Notenbeispielen sind v.a. die 8-tel Noten fast durchgehend punktiert. Da wird dann schon beim Spielen die Struktur klar.
Grüße
Hyp
 
Der Vorteil, sich selbst (auf dem eigenen Stand des Wissens) aktiv Fragen zu stellen und zu versuchen, diese Fragen nach und nach zu beantworten - im Gegensatz zu einer passiven Rezeption von Infos - besteht ja darin, dass man sich durch das aktive Verfahren Wissen tatsächlich aneignet. Bei der passiven Methode bleibt das alles oberflächlich.
(Bei beiden Vorgehensweisen ist "Googeln" nützlich, aber die Erwartung, alles "mundgerecht serviert" zu bekommen, ohne eigene Fragen zu stellen und sich aktiv damit auseinanderzusetzen, halte ich für ungünstig.)

Ich finde es ganz nützlich für mich, dass ich gestern alle meine Fragen dazu aufgeschrieben habe. So kann ich nach und nach versuchen, sie zu beantworten.

Eine Frage war: Was sind die Inventionen eigentlich? Fugen/Kontrapunkte oder Kanons?

Laut Wikipedia sind einige Inventionen tatsächlich ausgearbeitete Fugen. Dagegen wird die 8. Invention "als strenger, bald freier werdender Kanon" bezeichnet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Inventionen_und_Sinfonien#Einzelsätze_Inventionen

Es scheint also so zu sein, dass die Inventionen gar nicht so leicht einheitlich zu charakterisieren sind.
 
Nächste offene Frage: Wie geht man am besten beim Analysieren vor?

Mir scheint die deduktive Methode geeignet: Vom Allgemeinen zum Einzelnen.
Also: Zunächst die allgemeine Struktur des Stücks im Sinne der Formenlehre.
(Da wäre dann vermutlich die Antwort, dass es sich bei der 8. Invention um einen Kanon handelt.)
Dann die detailliertere Analyse, die anscheinend so ein Mittelding ist zwischen Formenlehre und Kompositionslehre.
(Die Motive und ihre Verarbeitung.)
Und zuletzt die Analyse der einzelnen Akkorde im Sinne der Harmonielehre.
Wenn man dann die Funktion der Akkorde erfasst (Von Tonika zur Dominante und zurück zur Tonika), kommt man vom Einzelnen wieder zum Allgemeinen.

(Insofern ist das Verfahren vielleicht besser als "hermeneutischer Zirkel" zu beschreiben denn als "deduktiv". Denn am Ende hat man ja nicht nur Einzelheiten besser verstanden, sondern hoffentlich auch ein besseres Verständnis des Stücks insgesamt.)

Wäre interessant zu wissen, was diejenigen dazu sagen, die Musikwissenschaft studiert haben.
Und auch die praxisorientierten Musiker, die dennoch den Anspruch haben, ihre Stücke zu verstehen und zu analysieren.

Geht Ihr so vor? Also erst allgemeine Strukturen erfassen (z.B. Kanon, F-Dur, Dreivierteltakt), dann immer weiter ins Detail (zentrale Motive und ihre Verarbeitung) - und dann über die Analyse der einzelnen Harmonien wieder zum Gesamtverständnis des Stücks?
 
Als erstes solltest du mal die These überdenken, dass es sich hier um einen Kanon handelt.
 
Als erstes solltest du mal die These überdenken, dass es sich hier um einen Kanon handelt.

Hmm ... das Stück ist immerhin zum Teil ein Kanon. Die ersten vier Takte auf jeden Fall. Das Kanon-artige wird später noch mehrfach wiederholt. Dazwischen passiert etwas anderes. Kontrapunktische Verarbeitung? Modulation?

Wenn man das nicht als Kanon bezeichnen kann - als was denn dann?
 
Wenn man das nicht als Kanon bezeichnen kann - als was denn dann?
Als ... mh ... lass mich überlegen ... äh ... Invention?

Es ist theoretisch möglich, dass eine Invention zugleich ein Kanon ist - allerdings fällt mir spontan kein Beispiel ein. Sowohl "Invention" als auch "Kanon" sind jedoch Gattungsbegriffe, deren äußere Form unbestimmt ist. Allerdings beruht der Kanon auf einem bestimmten, sehr eng gefassten Konstruktionsprinzip. Die Invention tut das nicht zwingend, aber sehr viele Inventionen beruhen auf dem Prinzip der Imitation - so auch diese Nr. 8.

Nun ist damit aber noch nichts über die formale Struktur des Stückes gesagt. Um die herauszufinden, könnte man mal nach Abschnitten suchen, die ein kadenzierendes Ende haben...
 
Als ... mh ... lass mich überlegen ... äh ... Invention?

Muss man nicht unterscheiden zwischen Begriffen, die relativ willkürlich gewählt sind und solchen, die Genaueres und relativ Eindeutiges über die Machart eines Stücks sagen?
"Invention" besagt ja kaum etwas. Bach sprach in der ersten Fassung nicht einmal von "Invention", sondern von "Praeambulum" (was auch nicht besonders viel über die Machart sagt, fürchte ich).

Auf den Wikipedia-Artikel, der die Inventionen dadurch zu charakterisieren sucht, dass einige als fugenartig gekennzeichnet werden, die 8. Invention beispielsweise dagegen als kanonartig, hatte ich bereits verwiesen.

Was ist daran so komisch, dass Du Dich darüber lustig machst? :001:


Nun ist damit aber noch nichts über die formale Struktur des Stückes gesagt. Um die herauszufinden, könnte man mal nach Abschnitten suchen, die ein kadenzierendes Ende haben...

Was ist ein "kadenzierendes Ende"?
Meinst Du den normalen Weg von Tonika beispielsweise über die Dominante zurück zur Tonika?
Okay, das ist natürlich auf jeden Fall im letzten Takt gegeben. Der ist wieder in F-Dur.

Allerdings klingt für mich auch Takt 12 irgendwie wie ein vorläufiges Ende. Allerdings ist das C-Dur.
 
Muss man nicht unterscheiden zwischen Begriffen, die relativ willkürlich gewählt sind und solchen, die Genaueres und relativ Eindeutiges über die Machart eines Stücks sagen?
Man muss vor allem unterscheiden zwischen Begriffen, die eine Form bezeichnen und solchen, die zwar ein Werk bezeichnen, sich aber in völlig unterschiedlichen äußeren Formen manifestieren können. Begriffe wie "Präludium", "Praeambulum" oder auch "Invention" gehören zu den sogenannten freien Formen - sie sind nur eine Hülle, sagen aber nichts über die innere Struktur des Werkes aus. Die muss man jeweils individuell herausfinden.

Auf den Wikipedia-Artikel, der die Inventionen dadurch zu charakterisieren sucht, dass einige als fugenartig gekennzeichnet werden, die 8. Invention beispielsweise dagegen als kanonartig, hatte ich bereits verwiesen.
Viele der Inventionen beruhen auf dem Prinzip der Imitation. Der Kanon wäre ein Spezialfall dieses Prinzips - dabei wird die Imitation über den Themenkopf hinaus bis ans Ende weitergeführt. Ein Kanon im engeren Sinne ist die 8. Invention deshalb nicht, aber sie enthält kanonartige Abschnitte. Etwas näher kommt dem Kanon-Ideal noch die c-Moll-Invention, aber auch die hält eine strengen Kanon nicht konsequent durch.
Der Kanon ist also durchaus ein Bestandteil dieser 8. Invention - aber er definiert nicht ihre Form. Die wird durch Kadenzbildungen gegliedert, und hiermit
Allerdings klingt für mich auch Takt 12 irgendwie wie ein vorläufiges Ende. Allerdings ist das C-Dur.
bist du auf der richtigen Spur.
 
Zuletzt bearbeitet:

Der Kanon ist also durchaus ein Bestandteil dieser 8. Invention - aber er definiert nicht ihre Form. Die wird durch Kadenzbildungen gegliedert, und hiermit ... bist du auf der richtigen Spur.

Vielen Dank für die Antwort!

Ich probiere also mal, mit der harmonischen Analyse zu beginnen:

Die ersten Takte bleiben in der Grundtonart des Stücks, F-Dur, also Tonika.
Danach wird nach meinem Empfinden sehr viel moduliert, was ich nicht gut entziffern kann. Aber ein Einschnitt ist definitiv im 12. Takt, da haben wir C-Dur. Das ist die Dominante der Grundtonart F-Dur.
Anschließend wird wieder viel moduliert, bis das Stück schließlich in F-Dur (Tonika) endet.

Aufteilen würde ich das Stück also in zwei große Teile:
Takt 1 bis 12 (Tonika bis Dominante)
Und Takt 12 bis zum Schluss (Dominante bis Tonika).

Soviel glaube ich mit einiger Sicherheit sagen zu können.
:002:
 
Und Takt 12 bis zum Schluss (Dominante bis Tonika).
Diesen verhältnismäßig langen Abschnitt kann man noch mehrfach sinnvoll unterteilen - allerdings lassen sich die Teile längst nicht so klar abgrenzen wie der ersten Abschnitt (bis T. 12) vom Rest. Ein Anhaltspunkt zur Forschung könnte die Suche nach harmonisch gefestigt wirkenden Teilen und nach sequenzierenden Teile mit Überleitungscharakter sein; auch die Betrachtung des Imitationsprinzips (wo ist es klar vorhanden, wo nicht?) liefert Aufschluss.
 
Diesen verhältnismäßig langen Abschnitt kann man noch mehrfach sinnvoll unterteilen - allerdings lassen sich die Teile längst nicht so klar abgrenzen wie der ersten Abschnitt (bis T. 12) vom Rest. Ein Anhaltspunkt zur Forschung könnte die Suche nach harmonisch gefestigt wirkenden Teilen und nach sequenzierenden Teile mit Überleitungscharakter sein; auch die Betrachtung des Imitationsprinzips (wo ist es klar vorhanden, wo nicht?) liefert Aufschluss.

Vielen Dank für den Hinweis. Bislang bin ich noch nicht wirklich fündig geworden, da sich für mich sonst nichts harmonisch gefestigt anhört und mir eine weitere Einteilung daher willkürlich erscheint. Aber ich werde mich morgen noch einmal damit beschäftigen.
 
Hallo Clavifilius.

Bach zu analysieren ist schon nicht ganz ohne ... gerade was die Harmonieverläufe und Modulationen angeht.

Meine Lehrer haben dabei immer dazu geraten, die Begriffe "vorhalt" und "durchgang" nicht zu vergessen und sich auf die schweren Zählzeiten zu konzentrieren.
Du gehst also Takt für Takt durch das Stück durch, und notierst dir die Klänge auf den schweren Zählzeiten ... und zwar so, wie sie da stehen. Im günstigsten Fall gelangst du auf diese Weise schon zu einer Akkordfolge, welche du in eine Tonart einordnen kannst. Wenn du mal nicht weiter kommst, dann siche dir das Ende einer "Kadenz" oder das Ziel einer "Modulation", und analysiere die Akkordfolge "von hinten". Wenn du Glücjk hast, fällt dir dabei einges aus dem Gesicht.

Aber Vorsicht ... Bachs denken ist nicht immer im modernen Sinne "tonal", sondern auch mal "modal" ... orientiert sich also an den alten Kirchentonarten, und nicht an der moderneren Funktionsharmonik ... es klappt allerings oft, seinen Kompositionen eine funktionsharmonische Analyse aufzuzwingen (aber bisweilen wird das ganz schön wild).
Bach steht an der Schwelle zwischen musikalischem Mittelalter und Neuzeit ... und so findet man seine Kompositionstechniken oft bei früheren Komponisten in "einfacherer" Form ... beschäftige dich mit dem, was Josquin des Prez und seine Zeitgenossen in ihren Motetten umgesetzt haben ... dann egibt sich Bach fast von selbst, denn der nutz die selben Techniken, hat aber die Freiheiten eines temperierten Tonsystems (In reinen Stimmungen sind Modulationen enge Grenzen gesetzt ... h-Moll auf einem rein gestimmten Tasteninstrument klingt einfach grausam).

So verrückt es klingt, aber genau die "Techniken", die Bach (und viele Komponisten vor ihm) eingesetzt haben, tachen in der Zwölftonmusik wieder auf ... du könntest spasseshalber also auch mal einen Blick in die "Harmonielehre" eines Arnold Schönberg werfen. Der erklärt zwar nicht unbedingt Bach ... aber er erkärt die (im Grunde mittelalterlichen) Techniken recht anschaulich.

Die Frage nach dem "Thema" hast du im Grunde selbst schon beantwortet, denn wie bei den liturgischen Komponisten vor Bach, so hat auch Bach das "Thema" am Anfang des Stückes prominent gesetzt ... also meist alleine und meist in der Stimme, die bei einem Chor dem "Tenor" zugeschrieben würde (darauf geht die Redewendung "der Tenor war ..." (z.B. bei einer Rede) zurück ... denn Jahrhunderte lang, war dieser Stimme eben die Vorstellung des "Themas" vorbehalten.
Kaum ist diese Exposition des Themas abgeschlossen, übernimmt eine andere Stimme das Thema, während der Tenor dieses Thema begleitet. Oft eben mit einem Kontrapunkt ... obwohl dieser Begriff eigentlich garnicht so leicht einzutüten ist. Ein Kontrapunkt taucht (genau wie das Thema) in anderen Stimmen immer wieder auf ... er ist sozusagen das 2. Thema ... obwohl er durch seine Funktion als Begleitung des Themas eben NICHT unabhängig ist. Von 2. Themen zu sprechen, macht bei einem Kontrapunkt also eigentlich keinen Sinn.

Bei Bach nach echten "Motiven" zu suchen, ist müßig ... denn diese Art zu komponieren passt frühestens zu klassischen Komponisten wie Mozart oder Beethoven. Bach hat noch ganz anders komponiert ... sich dabei an mittelalterlichen Vorbildern orientiert und damit im Grunde die reiche Polyphonie der Jahrhunderte vor ihm getötet ... fast 200 Jahre lang hat sich nach Bach niemand mehr an eine echte Fuge gewagt ... man nutzte die Techniken allenfalls für "quasi-Zitate" ... wenn man halt zwischenzeitlich mal klingen sollte (oder wollte) wie Bach.

Noch eine Sache, über die so mancher Analyst bei Bach stolpert ... "Orgelpunkt".
Das ist ein liegender Ton, meist im Bass und sehr oft auf der Dominante oder dem Grundton.
Wenn man nun alles, was über diesem Grundton passiert, versucht auf diesen Grundton zu beziehen, wird man seines Lebens nicht mehr froh. Also identifiziert man einen "Orgelpunkt" ... und ignoriert ihn bei der Harmonischen Analyse, bis Bach endlich in seiner Zieltonart angekommen ist, und man mit einem simplen "Quart-Sechst-Vorhalt" entweder zur Dominante ODER direkt zur Tonika gelangt.
Bach setzt Orgelpunkte oft ein, weil er am Ende der Stücke nicht nur zu seinem Grundton zurück MUSS (von Wollen kann da keine Rede sein) sondern dieser Schlussakkord auch (fast) immer in Dur präsentiert wird ... war das restliche Stück in Moll, muss man das auch irgendwie herleiten, und dabei KANN ein Orgelpunkt helfen.
Bach konnte auch Enden in Moll (z.B. die berühmte Toccata in d-Moll) ... aber das war gerade in Kirchenkreisen nicht besondes beliebt ... eine kleine Terz konnte damals durchaus noch als dissonant wahrgenommen werden und hatte daher in einem Schlussakkord nicht viel zu suchen. So ist das "Ende" der Toccata in d-Moll z.B. nicht das Ende des Stückes, denn die Toccata ist lediglich das "Vorspiel" für die folgende Fuge ... und die endet in Dur.
Das "Stück" bestand für Bach (sowie seine Hörer und Auftraggeber) allerdings aus Toccata UND Fuge.

Du merkst, wer Bach analysieren will, der kommt an der Musikgeschichte vor Bach nicht vorbei und kann sich nur bedingt auf das stützen, was nach Bach kam.
Der gravierendste Unterschied zwischen Bach und Mozart ist der zwischen Stufen- und Funktionsharmonik, zwischen "echter Polyphonie" und dem Wechselspiel zwischen "Melodie" und "Begleitung" ... in Reinform findet man letzteres bei Bach nämlich eigentlich nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Beitrag steckt so voller Fehler und ungenauer Begrifflichkeiten, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll, das alles zu korrigieren.

Nur ein paar Punkte:
Bachs denken ist nicht immer im modernen Sinne "tonal", sondern auch mal "modal"
Das Gegenteil ist die Regel: Bach hat modale Melodien fast immer "modernisiert", also in die Dur-/Moll-Tonalität überführt. Ein krasses Beispiel ist der Beginn von Kantate 61, bei der durch diese Maßnahme sogar eine unsangliche verminderte Quarte im c.f. entsteht:
1613828582514.png

Wieviele modale Stellen in freien (also nicht choralgebundenen) Werken bei Bach gibt es denn so? Kannst du ein paar Beispiele zeigen?

Bach steht an der Schwelle zwischen musikalischem Mittelalter und Neuzeit ... und so findet man seine Kompositionstechniken oft bei früheren Komponisten in "einfacherer" Form ... beschäftige dich mit dem, was Josquin des Prez und seine Zeitgenossen in ihren Motetten umgesetzt haben
Wenn einer der hier genannten an der Schwelle zwischen musikalischem Mittelalter und Neuzeit steht, dann ist es Deprez. Wobei man selbst diesen aufgrund seines Stils schon als Renaissance-Komponisten einordnet. Es ist zwar richtig, dass der Kontrapunkt seit dem Spätmittelalter eine kontinuierliche Entwicklung durchmachte, die in Bach gewissermaßen einen End- und Höhepunkt fand. Aber zwischen Deprez und Bach liegen ca. 2 Jahrhunderte, und es gibt in dieser Zeitspanne etliche Komponisten, die einen sehr viel größeren Einfluss auf Bach hatten als Deprez.

h-Moll auf einem rein gestimmten Tasteninstrument klingt einfach grausam
Es klingt nicht grausam, sondern niemals. Ein rein gestimmtes Tasteninstrument gibt es nämlich nicht. Was du vermutlich meinst, ist eine mitteltönige Stimmung.

Kaum ist diese Exposition des Themas abgeschlossen, übernimmt eine andere Stimme das Thema, während der Tenor dieses Thema begleitet. Oft eben mit einem Kontrapunkt ... obwohl dieser Begriff eigentlich garnicht so leicht einzutüten ist.
Was du meinst, ist nicht ein Kontrapunkt, sondern ein Kontrasubjekt. Und dieser Begriff ist sehr klar einzugrenzen.

Bei Bach nach echten "Motiven" zu suchen, ist müßig
Bachs Musik ist voller Motive. Melodischer Art, rhythmischer Art, harmonischer Art. Müßig ist es allenfalls, wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.

So verrückt es klingt, aber genau die "Techniken", die Bach (und viele Komponisten vor ihm) eingesetzt haben, tachen in der Zwölftonmusik wieder auf ... du könntest spasseshalber also auch mal einen Blick in die "Harmonielehre" eines Arnold Schönberg werfen. Der erklärt zwar nicht unbedingt Bach ... aber er erkärt die (im Grunde mittelalterlichen) Techniken recht anschaulich.
In der Zwölftonmusik taucht alles irgendwie wieder auf, was in früherer Zeit "erfunden" wurde. Und nicht nur dort: schon Bachs unmittelbare Nachfolger haben seine Kompositionstechniken selbstverständlich aufgegriffen und weiterentwickelt. Und das zieht sich durch die gesamte Musikgeschichte bis heute.

fast 200 Jahre lang hat sich nach Bach niemand mehr an eine echte Fuge gewagt
Das ist hanebüchen. Zum einen hat Bach nicht nur Fugen komponiert, sondern war Meister in allen damals bekannten Stilen. Zum anderen wurden auch nach Bach Fugen von allen bedeutenden und unbedeutenden Komponisten geschrieben. Nur drei Beispiele aus der Klassik (es gibt unzählige davon - kaum eine Messe aus der Zeit kommt ohne Fuge aus):







Bach konnte auch Enden in Moll (z.B. die berühmte Toccata in d-Moll) ... aber das war gerade in Kirchenkreisen nicht besondes beliebt ... eine kleine Terz konnte damals durchaus noch als dissonant wahrgenommen werden und hatte daher in einem Schlussakkord nicht viel zu suchen. So ist das "Ende" der Toccata in d-Moll z.B. nicht das Ende des Stückes, denn die Toccata ist lediglich das "Vorspiel" für die folgende Fuge ... und die endet in Dur.
Ich empfehle mal einen Blick in die 2. Partita: 6 Sätze, und alle enden in Moll. *) Oder nimm dir die französische Ouvertüre vor: 8 Sätze, und alle enden in? ... erraten!

Der gravierendste Unterschied zwischen Bach und Mozart ist der zwischen Stufen- und Funktionsharmonik, zwischen "echter Polyphonie" und dem Wechselspiel zwischen "Melodie" und "Begleitung" ... in Reinform findet man letzteres bei Bach nämlich eigentlich nicht.
Auch das ist keineswegs haltbar. Die Funktionstheorie ist ein Modell des späten 19. Jahrhunderts - entstanden fast 100 Jahre nach Mozarts Tod. Mit der Funktionstheorie kann man Bach genauso erklären wie Mozart - man kann damit nämlich alles erklären, was im Dur-/Moll-System erklärbar ist. Mit der Stufentheorie übrigens auch - es gibt nichts von Mozart, was mit der Stufentheorie nicht erklärbar wäre.

Davon abgesehen hat Bach sehr wohl monodisch komponiert, und zwar auch in "Reinform", wie du es nennst. Ein populäres Beispiel ist der Mittelsatz des Italienischen Konzertes, aber auch in vielen Instrumentalkonzerte kultiviert Bach diese Technik. Schöne Beispiele findet man auch in allerlei Tanzsätzen - z.B. in dieser Sarabande:




*) Die Partita ist übrigens auch hinsichtlich der von dir verschmähten Motive interessant - alle Sätze beruhen nämlich auf einem einzigen Kernmotiv: g'-c''-d''-es''
 
Zuletzt bearbeitet:
... fast 200 Jahre lang hat sich nach Bach niemand mehr an eine echte Fuge gewagt ...
Das ist hanebüchen. Zum einen hat Bach nicht nur Fugen komponiert, sondern war Meister in allen damals bekannten Stilen. Zum anderen wurden auch nach Bach Fugen von allen bedeutenden und unbedeutenden Komponisten geschrieben. Nur drei Beispiele aus der Klassik (es gibt unzählige davon - kaum eine Messe aus der Zeit kommt ohne Fuge aus):

Vielleicht das berühmteste Beispiel (ab 11:16), die zweite et-vitam-Fuge ist das "mörderischste", was ich jemals gesungen habe:

 
@mick
Ich verstehe, was du sagen willst.
Ich war an vielen Stellen zumindst für dich nicht exakt genug.
Was du vermutlich meinst, ist eine mitteltönige Stimmung.
Nein ... ich meinte schon die reine Stimmung.

Zeig mir bitte "motivische Arbeit" in einer Invention von Bach ... hier ging es doch um eine Invention?

Und bitte erklär mir mal, was eine "verminderte Quarte" sein soll.
Ich kenne diesen Begriff zwar (und weiß auch, was damit gemeint ist) aber es ist mMn ein rein "schreibtechnischer" Begriff ... in den Noten gibt es verminderte und übermäßige Intervalle ... aber auf einem Klavier wird aus dem Intervall g' - c'' nunmal eine große Terz, wenn man das c'' erniedrigt. Der Ton nennt sich dann "ces" ... aber es ist trotzdem keine andere Taste, als die für das "b" (bzw. "h").
Das ist doch eine reine Kopfgeburt, denn eigentlich gibt es zwischen dem Interwall c'' - fes'' (verminderte Quarte) und dem Intervall c'' - e'' (große Terz) einfach keinen unterschied.
Was an einem Intervall, welches lediglich theoretisch von einer großen Terz zu unterscheiden ist, "unsanglich" sein soll, ist mir so richtig schleierhaft.
Oder gehts dir nur darum, dass Bach an dieser Stelle die strenge Diatonik verlässt?


Der Hinweis auf Desprez war nur als Anregung gedacht, sich mit den Komponisten vor Bach zu beschäftigen ... denn diese Beschäftigng half mir ungemein dabei, Bach zu analysieren ... und dabei ist es eben auch vollkommen egal, ob die betrachteten Komponisten 200, 100 oder 10 Jahre vor Bachs Geburt gestorben sind (eigentlich sollte man sich mit allem befassen, was vor Bach niedergeschrieben wurde)... es sind diese Komponisten, an denen sich Bach orientiert und von denen er sich abgesetzt hat.
Es ist das, was Bach wahrscheinlich bei der Kompositionsarbeit im Kopf hatte. Und mit genau dem sollte man sich beschäftigen, wenn man Bachs Musik verstehen will.
In diese Richtung ging die Bemerkung zu Desprez und seinen Zeitgenossen.

Der Hinweis auf Zwölftontechnik und Schönbergs Harmonielehre erklärt sich nur dadurch, das Schönberg in ziemlich mathematisch-logischer Art und mit Beispielen erklärt hat, was z.B. ein "Krebs" ist und wie man den korrekt aus einer bestehenden Melodie herleitet. Natürlich erklären das auch andere Harmonielehren (und wenn sie das nicht tun, sind sie verdammt schlecht) ... ich habe allerdings viel mit der von Schönberg gearbeitet ... also habe ich sie empfohlen.
Und nein, in der Zwölftontechnik taucht eben nicht alles mögliche wieder auf ... die ständigen Wiederholungen sucht man da vergebens ... gleiches gilt für Quintfallsequenzen, Kadenzen oder klassische Auflösungen von Dissonanzen ... denn die schaffen nunmal die Wahrnehmung eines zentralen Tons ... und genau das ist in der Zwölftontechnik ein absolutes NoGo. Man hat nur seine 12-Ton-Reihen ... und aus denen muss man streng genommen alles andere (inklusive Rhythmik, "Harmonie" und Dynamik) ableiten.

Auch werden die Techniken der alten Meister in der Zwölftonmusik weitaus häufiger und besser erkennbar genutzt, als beispielsweise bei Beethoven, Haydn oder Brahms (oder bei Bach). Einfach weil es dort nicht viele andere Techniken zur Auswahl gibt.
Es bleibt nur die Arbeit mit dem Thema. Aus diesem muss nahezu alles hergeleitet werden ... und genau vor diesem Problem standen die alten Meister eben auch, als sie aus den einstimmigen gregorianischen Chorälen polyphone Musik aufbauten. Das hatte vorher noch niemand in der Art getan. Und es war ein sehr langer Weg, bis aus zaghaften Versuchen mit liegender Diskant- oder Bordunbegleitung das geworden war, was Bach und sehr sicher auch einige seiner weniger bekannten Zeitgenossen dann aufgeschrieben haben.

Natürlich wurden die Techniken auch später weiter genutzt ... und auch die Formen wurden übernommen. Aber das "Gefühl" beim lauf (hörend) durch die 500 Jahre VOR Bach und die 270 Jahre danach. Man nimmt bei Bachs Tod doch schon einen Bruch wahr.
Jedenfalls geht mir das so.
 
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