Liebe Babette,
ich kann dich sehr gut verstehen und möchte dich in jedem Fall dazu ermutigen, Schrittchen, gegebenenfalls auch Schritte und Wege ins Komponieren zu finden. Wenn man das Bedürfnis hat, etwas zu lernen und die Möglichkeit dazu hat, es zu lernen, dann sollte man sich nicht aufhalten lassen, dies zu tun - genauso wie mit einem Musikinstrument, einer Fremdsprache, einem wie auch immer gearteten Hobby.
Du hast dir etwas Schwieriges ausgesucht, da es wie meine Vorredner schon sagten, Inspiration und Handwerk zugleich erfordert - aber was hindert dich daran, wenn du den Drang dazu hast, das Handwerk zu erlernen? Gerade deine Idee, Musiktheoriekurse zu belegen, finde ich sehr gut! So wie die Grammatik das Grundgerüst der Sprache darstellt, so ist die Musiktheorie die Grammatik der Musik. Und genauso wie so mancher Schüler Grammatikstunden hasst, sieht manch einer die Musiktheorie als trockenes, leider notwendiges Übel an (typischerweise diejenigen, die sich damit beschäftigen müssen) - aber wenn du dich für die Bausteine der Musik interessierst, um selbst damit auszuprobieren und deine Ideen formen zu können, dann ist das meiner Meinung nach ein wunderbarer Anreiz, Musiktheorie zu lernen.
Ich denke auch, dass es - wenn du nicht gerade ein Genie unter den Komponisten bist, der sich um das alles nicht schert und alles intuitiv kann - absolut notwendig ist, sich mit Musiktheorie zu beschäftigen, um Strukturen zu verstehen, zu sehen und natürlich erst recht, um sie selbst zu erschaffen. Was daraus wird, ist erstmal zweitrangig: Wenn du es wirklich schaffen solltest, eigene Kompositionen anzufertigen, umso besser; aber mindestens wirst du kleine vierstimmige Sätzchen schreiben lernen, Lieder mehrstimmig aussetzen können, ein bisschen kadenziell improvisieren lernen und Musikstücke in ihrer Struktur viel besser untersuchen und verstehen können.
Letzteres ist mir z.B. bei mir selbst aufgefallen:
Als ich früher gespielt habe, hatte ich nie Musiktheorie-Unterricht. Man hört und gestaltet vieles intuitiv, aber ich wusste z.B. einfach nicht um die ganzen Bezeichnungen, Funktionen usw... Jetzt, wo ich mich im Rahmen meines Studiums auch mit Musiktheorie beschäftige, merke ich, wie ich auch musikalisch besser verstehe. Stellen, die mir früher unangenehm waren, weil ich einfach nicht so recht wusste, wie ich sie gestalten soll - da ist mir heute aufgefallen, dass dies oft Stellen waren, an denen harmonisch gesehen etwas Interessantes geschieht - z.B. dass man einen Akkord entweder als Ende des letzten Abschnitts oder zugleich als Anfang eines neuen Abschitts interpretieren kann - auch musiktheoretisch, funktionell gesehen. Alleine solche Sachen zu erkennen, halft mir in solchen Fällen z.B. diese Doppeldeutigkeit in der Musik besser zu verstehen: Sie lag also damals nicht einfach nur in meinem Unvermögen, diese Stelle "richtig" zu empfinden, sondern sie war ganz explizit kompositorisch so gewollt und ist als solche auch interpretatorisch umzusetzen. Man kann sich auch umgekehrt einmal fragen, warum Stellen oder Akkordfolgen, die einen sehr berühren, denn gerade so berühren. Oder wenn man selbst ein bisschen improvisiert und man etwas spielt, das "nicht klingt", warum klingt es nicht? Dabei wird man auf der Ebene der Musiktheorie immer interessante und wertvolle Dinge herausfinden.
Weißt du, wenn du einmal selbst versuchst, zu komponieren, dann werden deine Augen und Ohren auch viel offener für das, was große und weniger große Komponisten geschrieben haben. Es wird dir einiges klarer - warum Sachen wie geschrieben werden und nicht anders.
Als Schülerin hatte ich einmal die Anwandlung, ein Bühnenstück schreiben zu wollen und habe dabei sehr stark gemerkt, wie wichtig alles dabei ist, z.B. auch die Bühnenanweisungen, die man schreibt. Einmal auf der Seite des Schaffenden zu stehen, öffnet einem die Augen für das, was man als Rezipient (Leser, Musiker, ...) immer als selbstverständlich hinnimmt: Bühnenanweisungen, naja gut, da fliegt man auch schonmal so drüber beim Lesen. Aber wenn man sie selbst schreibt und sich überlegt: Was will ich da wirklich auf der Bühne haben? Was unterstreicht das, was ich in der Szene erzählen möchte, will ich evtl. Kontraste, was ist zu dick aufgetragen, was wird von einem Leser wie verstanden etc..., das hilft enorm, viel bewusster auch beim Lesen zu sein.
Genauso ist es auch mit der Musik. Natürlich braucht ein guter Komponist nicht nur das Handwerk - darüber brauchen wir glaube ich gar nicht zu diskutieren. Was ich sagen möchte ist vielmehr, dass dir dieses Handwerk der Musiktheorie in jedem Fall nutzen wird, egal, was du damit dann anfangen wirst. Wenn du Ideen im Kopf hast und den Drang, Musik selbst zu schreiben, dann auf, ab in die nächste Musikschule zum Musiktheoriekurs oder Privatunterricht nehmen (es gibt auch privaten Kompositionsunterricht!) und erste Schritte unternehmen! Wahrscheinlich wirst du am Anfang vor lauter Motivation und Freude darüber, dich damit zu beschäftigen, mehr wollen, als du in Kürze erreichen kannst - aber erstens sagt niemand, dass du morgen hier eine Sinfonie schreiben musst und zweitens werden dir deine Kompositionsübungen in jedem Fall helfen, und sei es nur, die Musik, die du machst oder hörst, besser zu verstehen.
Lustigerweise ging es mir so ähnlich wie dir - ich hatte immer schon ein paar nette kleine Ideen im Kopf und Lust, diese umzusetzen, habe aber immer gemerkt, dass ich keinerlei Handwerkszeug dazu habe, dies zu tun. Es ist ja mit Musiktheorie auch nicht getan, wenn man größere Sachen schreiben möchte, du brauchst ja viel Ahnung von all den Instrumenten, was möglich ist und was nicht, wie sich Zusammenkklänge verschiedener Instrumente und Instrumentengruppen anhören usw. So habe ich in jungen verwegenen und hochmotivierten Jahren z.B. einmal angefangen, ein Klavierkonzert zu schreiben - Klavierspielen konnte ich, aber dass da noch ein Orchester mitspielt, das auch erstmal gestaltet werden möchte, ist mir dann auch erst aufgegangen, so dass ich das Projekt nach ca. 11 Seiten enttäuscht fallen gelassen habe und diese Seiten (leider...) auch noch weggeworfen habe (aus Enttäuschung und der Einsicht, WIE schlecht das war) :p
Ebenso hatte ich (noch bevor ich überhaupt geplant hatte, nun doch noch Musik zu studieren!) mehrere kleine Ideen für ein Stück für Cello und Klavier, die ich so gerne umsetzen wollte. Als ich auch da sofort bemerkt habe, dass Ideen alleine auch nichts bringen, sondern dass ich absolut nicht in der Lage war, Themen zu verarbeiten, durchzuführen, habe ich in der Tat genau aus dem Grund angefangen, mich mit Musiktheorie zu beschäftigen - es war mir die beste Motivation dafür. Zum Glück habe ich damals den Kurs gemacht, denn ca. 1/2 Jahr später ist mir ja aufgegangen, dass ich noch Musik studieren möchte und da brauche ich ja Grundkenntnisse der Musiktheorie in den Aufnahmeprüfungen.
Leider muss ich dich auch ein bisschen desillusionieren, wenn ich dir erzähle, dass ich mein Stück für Cello und Klavier immer noch nicht geschrieben habe - zum einen aus Zeitmangel, aber zum einen auch immer noch aus Unfähigkeit heraus, zu komponieren. Sowas braucht glaube ich viel, viel Übung und dafür habe ich persönlich leider keine Zeit.
Aber auf, nix wie hin zu Musiktheorie, es wird dir viel Freude bereiten, ebenso wie deine ersten Kompositionsübungen!
Herzliche Grüße,
Partita