Zum Nachdenken

  • Ersteller des Themas partita
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Gerade heute sagte meine Professorin noch: Unmusikalische Leute, die nicht so stark empfinden, haben viel weniger technische Probleme, gerade weil sie die musikalische Spannung nicht fühlen, sondern sich einfach um die richtigen Noten kümmern können. Musikalische Leute haben oft irgendwo die musikalische Spannung als Verspannung sitzen, anstatt sie direkt von innen nach außen über's Instrument zu leiten. Das muss man erst lernen und wenn man das kann, dann ist man wirklich frei und kann wirklich gestalten.

Vielen Dank! Das ist sehr gut formuliert!
 
und davon abgesehen ist höchst zweifelhaft, ob begeisterungsfähiges "Massenpublikum" in Sachen interpretatorischer Qualität einen Rieu von einem Kremer überhaupt unterscheiden kann... :D:D:D:D

picke mal aus dem Massenpublikum jemand raus, und setze ihm zwei Aufnahmen vor, einmal technisch sehr gut und musikalisch gespielt, einmal technisch etwas weniger gut, und etwas weniger musikalisch gespielt. Du wärst vermutlich überrascht, welche Aufnahme nach einiger Zeit des Hörens bevorzugt würde.

Auch wenn die Leute es nicht artikulieren können - sie spüren Musikalität, und nehmen perfekte Technik im Dienste der Musikalität unterschwellig wahr. Allerdings: musikalisch muß auch wirklich "musikalisch" sein.

Und mit


hat das nun überhaupt nichts zu tun. Mainstream ist vielmehr das Gros der technisch-musikalisch weniger entwickelt spielenden (aber ach so bejubelten/wunderbar spielenden/"hinreißenden"/Begeisterungsstürme erzeugenden usf.) gehandelten Standard-Pianisten. Die mich doch eher selten vom Hocker hauen können.

Ansonsten hat rolf schon das wichtigste gesagt:

nichts, absolut gar nichts spricht gegen eine "technisch" möglichst gekonnte Beherrschung, im Gegenteil, sie ist Voraussetzung -- und es ist eine gerade im deutschsprachigen Kulturraum absurde Vorstellung, die andernorts nicht geteilt wird, dass Virtuosität und musikalische Durchdringung Gegensätze seien

wobei mich die kompromißlose Formulierung sogar selbst überrascht hat.

Perfektion, und sie erreichen zu wollen, ist doch kein Makel - sondern im Gegenteil, etwas anzustrebendes. In der Kunst wie in der Technik, in der Technik wie im Design, in der Küche wie in einer Beziehung.
 
Unmusikalische Leute, die nicht so stark empfinden, haben viel weniger technische Probleme, gerade weil sie die musikalische Spannung nicht fühlen, sondern sich einfach um die richtigen Noten kümmern können. Musikalische Leute haben oft irgendwo die musikalische Spannung als Verspannung sitzen, anstatt sie direkt von innen nach außen über's Instrument zu leiten. Das muss man erst lernen und wenn man das kann, dann ist man wirklich frei und kann wirklich gestalten.

Die Technik muß so hoch entwickelt sein (für ein Stück) daß man sich ihrer völlig ungehindert bei der musikalischen Gestaltung bedienen kann. Dann "jibbet" es auch keine Probleme.

An oberster Stelle steht technische Perfektion, danach die Musik. Gerade heute abend war Klassenabend unserer Klasse - da hat eine ganz wunderbare Waldszenen von Schumann gespielt, wunderbar musikalisch und herrlich gestaltet - damit würde sie aber keinen Blumentopf gewinnen auf einem Wettbewerb, das wäre zu einfach, zu wenig effektvoll

Ich hab' die nicht spielen gehört - da können Meinungen auseinander gehen.

Dem gegenüber haben wir ein Chopin Scherzo gehört, welches weitaus mehr her macht technisch, es war fehlerfrei gespielt, aber hat mich nicht annähernd so berührt, wie die wunderbar gespielten Waldszenen.

Mich persönlich interessiert Technik ohne gleichzeitige Musikalität einen [zensiert]

Umgekehrt habe ich CD-Aufnahmen von früher, wo teilweise richtig hörbar falsche Noten drauf sind, die Aufnahmen packen mich aber um Welten mehr als eine "geleckte" Aufnahme von heute, gerade weil der Pianist auf der älteren CD sich getraut hat, die musikalische Energie durchzuziehen

Verspielfehler müssen einfach nicht sein. Nicht in den Musikaufnahmen in meiner Sammlung. Mein Kommentar dazu: da hat jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht.

Diejenigen, die Weltkarriere machen wollen, müssen beides haben, sagte mal meine Prof. und sie hat da glaube ich sehr recht damit. Fakt ist aber, dass das "unglaublich hohe Niveau" vor allem erstmal ein technisches ist.

Lang Lang sagte mal: wenn man es an einem Punkt seiner Entwicklung/Karriere nicht schafft, auf musikalischem Gebiet zu überzeugen, dann geht es nicht weiter. Er sprach glaube ich sogar davon, daß andere noch mehr übten als er, technisch noch besser waren, aber musikalisch den Anschluß nicht geschafft haben.

Aber dann auf der anderen Seite ist irgendwo im Hinterstübchen dann doch jeder total vorsichtig, wenn es z.b. an eine Mozartsonate geht - da kann man sich nämlich nicht verstecken, die muss musikalisch genauso sauber sein wie technisch. Da gibt es anscheinend unter Musikern dann doch noch das Bewusstsein, dass "Schwierigkeit" sich auch und vor allem auch auf Musikalität bezieht und wahres Können sich auch gerade an sowas zeigt.

Man braucht extreme Technik UND extreme Musikalität. Letztere wird offensichtlich sehr oft vernachlässigt bzw. ungenügend gut vermittelt und gelehrt. Das kann gar nicht früh genug anfangen, und sollte genauso wichtig genommen werden, wie die Technik.

Da gibt es meiner Meinung nach noch mächtigen Verbesserungsbedarf...
 
@partita: Vielen Dank für den link und Deinen präzisen Beitrag von letzter Nacht.

Ich bin gespannt zu lesen, was Kremer in seinem Buch schreibt. Ich glaube nicht, dass es ihm um die Differenzierung technischer Brillanz geht.

Was ist Kunst? Dass die zitierten Bonmots das nicht zum Ausdruck bringen, ist jedem klar.
Man muss sich nur anschauen, welche Kunst/Künstler ihre Zeitgenossen "überleben", d.h. in der Zeit überdauern. Es sind im wesentlichen diejenigen, die ihre jeweilige Epoche geprägt haben. Entweder dadurch, dass sie Neues erfunden bzw. weiterentwickelt haben, oder indem sie den Zeitgeist eingefangen haben und quasi in einer "Zeitkapsel" konserviert haben.

Ich denke, große Künstler, wie Kremer sie fordert, sind Pioniere, die Wege gehen, die noch keiner vor ihnen gegangen ist. An dieser Stelle setzt seine Kritik an: Kunst ist weitestgehend kommerzialisiert. Egal ob klassische Musik oder bildende Kunst. Die Kunstindustrie entwickelt Stars, nicht weil sie die großartigste Kunst - nämlich wirklich Neues hervorbringen - sondern weil sich Stars am gewinnbringensten vermarkten lassen. Technik wird vorausgesetzt, ist aber nicht Kunst!

Und es ist ein Irrglaube, dass Youtube oder sonst eine Internetplattform, als demokratisches Forum diese Mechanik durchbrechen könnte. Denn große Kunst ist nicht demokratisch. Sie formuliert neue Räume, die bisher den Menschen verschlossen waren. Es braucht Wissen und Erfahrung, vor allem aber braucht es Zeit, bis Neues überhaupt von den übrigen Menschen verstanden wird. (Beispiel: Wann war Zeitgenossen klar, welche Räume VanGoghs Bilder aufstiessen? Aber merke: nicht jeder der verkannt und unbeachtet bleibt, ist ein Genie !!!)

Dass Kunst in dem hier beschriebenen Sinne und Kommerz sich weitgehend ausschließen, ist das Problem unserer Zeit - die Geldgeber sind eben nicht mehr wenige Erfahrene/Wissende, wie die Medici, die nicht unerhebliche Teile der Entwicklung der Renaissance finanziert haben. Heute wird demokratisch finanziert !

Exkurs: Demokratische Finanzierung -> Crowd funding : z.B. die letzten beiden US-Wahlkämpfe! Und was ist der Erfolg? Ein amerikanischer Präsident, der die ganze Welt bespitzeln lässt! ;)

Die Frage ist doch: Bleiben im durchkommerzialisierten Kunstbetrieb noch Nischen frei, in denen Neues überhaupt noch den Freiraum und die Zeit hat, sich zu entwickeln?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Man muss sich nur anschauen, welche Kunst/Künstler ihre Zeitgenossen "überleben", d.h. in der Zeit überdauern. Es sind im wesentlichen diejenigen, die ihre jeweilige Epoche geprägt haben. Entweder dadurch, dass sie Neues erfunden bzw. weiterentwickelt haben, oder indem sie den Zeitgeist eingefangen haben und quasi in einer "Zeitkapsel" konserviert haben.

Das gefällt mir gut. Man könnte auch sagen: solche Künstler haben zeitlos schönes geschaffen.

Ich denke, große Künstler, wie Kremer sie fordert, sind Pioniere, die Wege gehen, die noch keiner vor ihnen gegangen ist (...) Bleiben im durchkommerzialisierten Kunstbetrieb noch Nischen frei, in denen Neues überhaupt noch den Freiraum und die Zeit hat, sich zu entwickeln?

Was ist "Neues"...? Grundsätzlich Neues (Musikrichtungen), oder neue Arbeiten (neue Songs etc.) ? "Neues" muß einerseits wirklich neu, andererseits aber auch besser als altbekanntes sein, gegen das es ja in Konkurrenz tritt.

Bekannte Sachen werden gern irgendwann langweilig - das ist der Motor, weswegen immer "neue" Songs produziert werden. Ob "neue" Songs, etwa im Pop-Bereich, wirklich innovativ sind, oder der 25ste Aufguß derselben Teebeutel, das steht auf einem anderen Blatt.

Manchmal werden "neue" Dinge auch explizit gebraucht, wie z.B. bei Filmmusik, die im besten Fall "neu" und "originell" ist.
 
"Kunst ist weitestgehend kommerzialisiert."

Aber:
Gab es jemals eine Zeit, in der das nicht so war?

Bitte nicht aus dem Zusammenhang reißen, da im folgenden erläutert: Die Kunstindustrie entwickelt Stars, (...) weil sich Stars am gewinnbringensten vermarkten lassen.

Anders formuliert:
Es geht hier um Macht und Einfluss! Baue ich jemanden zum Star(-Musiker) auf, so hat er entsprechenden Einfluss (gilt für Star-Kritiker z.B. genauso). Je mächtiger (=einflussreicher) ein Star durch entsprechende manipulative Maßnahmen (z.B. Marketing) wird, desto mehr Geld kann man mit ihm verdienen. Der Aufbau einer (Star-)Marke lohnt also außerordentlich.

Ich behaupte mal, dass der Aufbau einer Marke - der mit enormen Kosten verbunden ist - heute lohnender ist als früher, weil weitreichender vermarktbar. Oder anders herum: früher lohnte es kaum, diese Unsummen für Marktbeeinfussung aufzuwenden, da sie nicht wieder eingespielt wurden.

Fazit: Die Durchkommerzialisierung ist heute größer als früher, da lohnender und die Technik zur Marktbeeinflussung - insbesondere in den letzten Jahrzehnten - optimiert wurde.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Die Durchkommerzialisierung ist heute größer als früher
Ich verstehe nur eines immer noch nicht: was ist daran so verdammenswert? (falls das überhaupt so zutrifft?) Wenn ich Musik suche, hör' ich mir eben das an, was zeitgenössische oder sonstige Künstler so gemacht haben, und entscheide für mich.

Ich schaue doch nicht darauf: "Wer wurde zu einem Star aufgebaut?" und akzeptiere deshalb das, was von solchen geboten wird.

Es ist schön [sic!], daß viele "Stars" auch schöne Dinge gemacht haben. Für alle "Stars" und "Starlets" kann man das nicht im gleichem Umfang behaupten.

Jeder, der sich im Business auskennt, weiß: ohne ein gutes Marketing läuft so gut wie gar nichts. Und teuer ist das auch noch.

Ebenso ist mir wurscht, ob beispielsweise Tic Tac Toe eine Retortenband war, die zum größten Teil mit Publicity-Lügen platziert wurde. Was zählt, ist doch, ob eine solche Gruppe ein paar innovative, gute Songs zuwege gebracht hat.

Außerdem ist das trotzdem ein riskantes Spiel: keiner weiß, ob das investierte Geld wirklich "wieder rein kommt", und wer nun wirklich zum Star avanciert. Durch Umfragen, Testvorführungen, und so weiter, versucht man, dieses Risiko zu minimieren.

Ja, und das "Underground"-Argument wurde bisher noch gar nicht genannt: daß so manche Strömungen/Stile in der Musik ihren Anfang im Underground (Kleinkunstbühnen etc.) genommen haben, und erst später "kommerzialisiert" wurden. Und manchmal kamen bei dieser Kommerzialisierung ganz gute Sachen raus.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Die Kunstindustrie entwickelt Stars, (...) weil sich Stars am gewinnbringensten vermarkten lassen.
Das war doch aber schon bei Mozart so. Natürlich haben sich die Möglichkeiten der Vermarktung geändert (auch und insbesondere die Zielgruppen), aber die Vermarktung der Kunst selbst ist geblieben, wie sie immer war....glaube ich.
 
Äh - nicht ganz :D

Mozart wurde im wesentlichen von Fürsten ausgehalten (weitere Einnahmen durch Konzerte waren ihm bei seiner zweiten Anstellung in Salzburg z.B. verboten!)
Da ihm das nicht passte, machte er sich als Komponist selbstständig, war die meiste Zeit in Geldnot und starb verarmt.
(ok, ok - sehr grobe Kurzversion)

Das wäre heute etwas anders...
 

Eben. Was nicht außer Acht gelassen werden darf, ist das Mäzenatentum. Je nach Sichtweise kann man die Auffassung vertreten, daß ein Mäzen einen Platz im Himmel oder im Geschichtsbuch erwerben wollte, indem er herausragende Künstler gefördert hat, oder diejenige, daß er bloß sagen können wollte: Boah, mein Hofopernkomponist ist aber besser als Deiner! Eins wollte der Mäzen jedoch nicht: Mit seinem Künstler Geld verdienen. Und heute mutiert der Künstler eben mehr zur Milchkuh, die tüchtig gemolken werden soll, was halt desto besser funktioniert, je mehr Leute nach ihrer Milch schreien...

Gruß,
Cem.
 
Hallo!

Ich würde mich nicht auf die ach so pöse, pöse Kunstvermarktung samt ihrer tief ausgeschnittenen Cover-Dekolletés einschießen. Solln die doch machen!

Viel entscheidender werte ich das Publikum. Wären die, die da in den Konzerten sitzen, oft nicht so geschmacklos und ein bißl mehr an der Musik interessiert und weniger am Spektakel, dann liefe doch jegliches Blendertum, sei es durch flinke Finger, hübsche Visagen oder viel Haut, eh ins Leere.

Das beste Beispiel ist die Sängerszunft: Oper ist ja sonst nicht unbedingt das, was die breite Masse vom Hocker reißt. Mit Netrebko, Schrott & Co. macht es aber schon mehr Spaß. Das singt ein bißchen Hollywood mit. Am besten dann noch auf einem Open Air Event und halt bitteschön nur die Arien, und hier nur die bekannten. Schöner Mist!!

Aber die Sänger selbst oder die, die es werden wollen, können da nicht zwingend etwas dafür. Eher das belämmerte Publikum, das sich nicht bemühen will. Denn Kunst ist zweifellos vor allem anstrengend.

LG, Sesam
 
...hat irgendwer irgendwo die Lisztsche h-Moll Sonate technisch astrein bei einer Aufnahmeprüfung, also der Beginn des Studiums, gespielt???? ...mon dieu, es ist ein Segen der Götter, wenn man die am Ende des Studiums technisch astrein hinkriegt...

Hab die betreffende Stelle nochmal gelesen in meinem Beitrag und das war z.B. leider eine Stelle, die meinem nächtlichen Unwillen, nochmal durchzulesen, zum Opfer gefallen ist, da sie einen Zusammenhang suggeriert, den ich nicht meinte. Ich meinte zwar auf der einen Seite schon, dass in der Aufnahmeprüfung das Niveau nach oben hin offen ist, auch in Bachelor - z.B. habe ich mir letztes Jahr mit den Fanfaren von Ligeti sagen lassen, das sei so ziemlich am unteren Rand der technischen Anforderungen gewesen (!), die meine Mitbewerber der Finalrunde gespielt haben. Wenn die Fanfaren unterer Rand der technischen Schwierigkeit in der Aufnahmeprüfung für ein grundständiges Studium sind, dann finde ich das schon eine krasse Aussage.
Das mit der h-moll-Sonate habe ich eher auf's Studium selbst bezogen: Da ist es einfach keine Frage, wer das nicht kann, der hat in der Konzertpianistenwelt nichts verloren. Das merkt man hier ziemlich deutlich. Wir haben beileibe keine schlechte Stimmung hier in Köln, aber teilweise eben mega-Granaten hier und wie gesagt, wenn einer anfängt, müssen andere nachziehen, um mithalten zu können. So ist es.
In der AP für Bachelor wurde die h-moll Sonate meines Wissens in der Tat noch nicht gespielt - aber es wäre auch blödsinnig, sie anzugeben, da man eine vollständige klassische Sonate anbieten soll und insgesamt über ich weiß nicht mehr 3 oder 4 Epochen verfügen soll und man spielt höchstens 15 min. im Finale. Also da wäre h-moll wahrscheinlich übertrieben lang vor allem. Aber, ganz ehrlich, es würde mich nicht wundern, wenn das einer machen würde... Und die Jury würde es dann auch sicher sehen wollen.

nichts, absolut gar nichts spricht gegen eine "technisch" möglichst gekonnte Beherrschung, im Gegenteil, sie ist Voraussetzung -- und es ist eine gerade im deutschsprachigen Kulturraum absurde Vorstellung, die andernorts nicht geteilt wird, dass Virtuosität und musikalische Durchdringung Gegensätze seien (und zu diesem altbackenen Thema gibt es auch genügend Literatur mittlerweile)

Falls du damit mich oder meine Lehrerin meintest, dann haben wir das beide nicht behauptet. Ich sehe es so, dass es zwei Begabungen sind, die sich gegenseitig ergänzen und mehr noch, sogar nicht richtig unabhängig voneinander denkbar sind auf folgende Arten:
Zum einen natürlich so, wie du schreibst, das ist offensichtlich: dass man erstmal technisch total drüberstehen muss, um musikalisch dann aus dem vollen schöpfen zu können. Klar.
Aber darüber hinaus merke ich auch immer wieder, wie sehr die richtige musikalische Vorstellung auch bei technischen Problemen hilft. Das benutze ich u.a. an geeigneten Stellen auch bei der Arbeit mit meinen Schülern und es klappt wunderbar, wenn sie sich eine Sache nicht zerdenken, sondern einfach mit dem Ohr kontrollieren und sich dann wundern, dass sie es auf einmal können.

Es gibt allerdings auch den Fall, dass man technisch (noch) nicht in der Lage ist, Dinge umzusetzen, die man musikalisch hört (kenne ich nur zu gut aus eigener Erfahrung...) und auch den umgekehrten Fall, dass Leute Stücke "perfekt" herunterdudeln, ohne sie zu gestalten ("perfekt" habe ich schon in Anführungszeichen gesetzt, da es dann natürlich keinesfalls perfekt ist...)

So, ich hoffe, ich habe ein wenig mehr Klarheit in meinen müden, nächtlichen Beitrag gebracht. :-)

liebe Grüße!
 
. . . .
Ich sage nicht, dass der Kram immer schlecht ist. Aber Popmusik ist was anderes als Musik.
ist allerdings hundertprozentig hirnrissig und zeugt von der sehr unangenehmen Kombination Ahnungslosigkeit & Großkotzigkeit.
. . .

auch hier möchte ich so gerne mehr als ein LIKE vergeben... :D

Aus dem Kremer-Artikel:
Kremer erzählt vom Interview mit einer berühmten Kollegin – „auf die Frage, wie sie zu ihren Interpretationen komme, antwortete sie ungerührt, sie höre sich sämtliche CDs an und nehme das Beste daraus“

Witzig: Genau dies würde ich als (z.B.) ambitionierter Amateur-Pianist auch machen... :mrgreen:

Die obige Aussage ist doch aber für den [gesamten(?)] kommerziellen 'E-Musik'-Betrieb seeehhhr entlarvend (?):

Im Grunde genommen sind das alles nur Cover-Musiker im Quadrat!​

Warum im Quadrat?

1) die Musik ist in etwa 98% aller Fälle von einer anderen Person komponiert (und 50 bis 500 Jahre alt)
2) gecovert wird dabei nicht nur die Komposition, sondern auch die Interpretation!
Im Extremfall (und das Ergebnis muss ja dadurch nicht zwingend schlechter ausfallen) ist es sogar Best-Of von Interpretationen, wenn von verschiedenen 'Vorlagen' kombiniert wird. :D
(Wollte zuerst 'ReMix' statt Best-Of schreiben, aber da würde ja dann eine eigenen schöpferische Leistung drin stecken...) :D

Sol
 
Die Technik muß so hoch entwickelt sein (für ein Stück) daß man sich ihrer völlig ungehindert bei der musikalischen Gestaltung bedienen kann. Dann "jibbet" es auch keine Probleme.

Nicht unbedingt. Sicherlich ist das Grundvoraussetzung, klar, siehe meinen Beitrag von gerade eben und siehe auch Rolfs Beitrag von gestern Nacht. Was ich geschrieben habe und was meine Prof. meinte, geht aber darüber hinaus. Man kann z.B. bei etwas, was man eigentlich technisch problemlos (!!) kann, verkrampfen, weil man die musikalische Spannung, die man innerhalb einer Phrase oder einer Stelle fühlt, so stark fühlt, aber trotzdem gerade in dem Moment - aus welchen Gründen auch immer - nicht richtig kanalisieren kann. Das können in dem Moment winzige Dinge sein, oft rein psychischer Art, die nichts mit dem eigentlichen technischen Können zu tun haben. Das kann bei einem simplen Skalenausschnitt oder ein paar Akkorden passieren, was man sonst problemlos spielen kann seit über 10 Jahren. Ich glaube nicht, dass wir vom selben reden. Ich kann dir nur sagen, dass hier an der Hochschule jeder sofort weiß, was ich damit meine mit dieser fehlgeleiteten Spannung.


Verspielfehler müssen einfach nicht sein. Nicht in den Musikaufnahmen in meiner Sammlung. Mein Kommentar dazu: da hat jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht.

Ei ei ei... Mal langsam... So eine Einstellung macht mir echt Angst... Es geht um Menschen, die Musik machen und nicht um Reproduktionsmaschinen...
Die CD, von der ich sprach, ist ein Live-Mitschnitt und somit unkorrigiert und fällt nicht unter die zusammengesampelten Aufnahmen, die eine in der Realität fast nicht zu erreichende Perfektion vorspielen.

Ich sprach z.B. von einer hervorragenden und absolut inspirierenden CD von Horowitz: Horowitz in Moskau. Da gibt es eine Aufnahme von Scrjabins "Patetico"-Etüde. Da versemmelt er an einer Stelle den Sprung in der lH und haut im fff falsche Noten ins Klavier, aber es ist sowas von egal und es ist sowas von VIEL besser, dass er an dieser Stelle nicht aufgepasst hat, ob er auch ja alle Noten trifft, sondern dass er die musikalische Spannung und Energie durchgezogen hat. Hör dir diese Aufnahme an, das ist ein wahres Feuerwerk, wie er diese Steigerung da hochzieht und um keinen Preis hätte ich dort lieber richtige Noten, aber die Vorsicht walten lassen wollen... Vorsichtig und sauber hört man die Etüde überall. Aber nirgends vorher und nachher habe ich diesen Vulkan gehört...

liebe Grüße!
 
Zitat von Cembalist:
Eins wollte der Mäzen jedoch nicht: Mit seinem Künstler Geld verdienen.
Nee, aber wenn mich nicht Alles täuscht, der Vater des Künstlers, der seine Kids wohl überall vorgeführt hatte. Ich sehe da jedenfalls viele Parallelen zu Garrett, LangLang & Co.
Zitat von Forte:
Mozart wurde im wesentlichen von Fürsten ausgehalten (weitere Einnahmen durch Konzerte waren ihm bei seiner zweiten Anstellung in Salzburg z.B. verboten!)
Da ihm das nicht passte, machte er sich als Komponist selbstständig, war die meiste Zeit in Geldnot und starb verarmt.
...
Das wäre heute etwas anders...
Tausche die Fürsten gegen Plattenverlage, Presse und Medien aus und Du hast heute genau das Gleiche.
 
nochmal kurz zur musikalischen Spannung und der Tatsache, dass man manchmal einfach dicht macht im Körper, weil man so viel gleichzeitig will:
Das ist auch schon rein neurobiologisch zu erklären - Reizüberflutung. Gerade letztens habe ich ein sehr interessantes Gesprächskonzert besucht, in dem es um motorische Intelligenz ging und da war auch ein führender Professor der Neurobiologie vor Ort, der einem erstaunten Publikum erklärte, dass sowieso überaus mehr Impulse, die unser Hirn hin und her schickt, dazu da sind, um Dinge zu hemmen und nicht auszuführen. Genauso kann es zum Overload kommen und das Hirn produziert einen Error, man blockiert oder stockt für eine Sekunde oder man fühlt schlichtweg zuviel gleichzeitig, was man umsetzen möchte und macht einfach dicht.

Wie gesagt kann das an technisch absolut unproblematischen Stellen passieren, an denen man aber einfach musikalisch so viel will. Ich habe an solchen Stellen einen ganz guten Trick, den ich sowohl bei mir als auch bei meinen Schülern erfolgreich anwende: Ich denke mir dann einen Satz aus, der in sich aufgrund der Wortfolge, Betonungen und Schwerpunkten die Energie der Phrase oder Stelle ganz genau nachahmt. Dann denke ich beim Spielen diesen Satz mit und kann somit den Energiefluss ganz natürlich ins Klavier geben, aber spüre diese innere, mentale (<--!) Verkrampfung nicht mehr, die sich dann in Verspannung und unnatürlicher Klanggebung äußert. Das klappt wunderbar. Nachteil: Man muss eben die Feinheiten der Phrase wirklich ganz genau abbilden und man sucht manchmal ne Weile nach so nem Satz ;) Aber wenn man ihn dann hat, is super ;)

Und trotz alldem ist man nicht gefeit. Wenn man dann z.B. aufgeregt ist, dann sind ja alle Empfindungen nochmal stärker und schon kann es sein, dass man auch wieder zuviel Spannung im Körper produziert, die einen dann wieder hemmt. Was übrigens wiederum oft aus der Angst vor falschen Noten kommt. Das Paradoxe ist: Wenn man sich trauen könnte, diese Angst aufzugeben, dann würde man ja ohnehin keine oder fast keine falschen Noten spielen, weil man ja - um Dreiklang zu zitieren - in der Regel schon seine Hausaufgaben gemacht hat und das Stück von vorne bis hinten aufschreiben könnte...

So. Das war das Wort zum Sonntag.
Nein. Zum Bettgang.
Also: Gute Nacht!
 
Ich sprach z.B. von einer hervorragenden und absolut inspirierenden CD von Horowitz: Horowitz in Moskau. Da gibt es eine Aufnahme von Scrjabins "Patetico"-Etüde. Da versemmelt er an einer Stelle den Sprung in der lH und haut im fff falsche Noten ins Klavier, aber es ist sowas von egal und es ist sowas von VIEL besser, dass er an dieser Stelle nicht aufgepasst hat, ob er auch ja alle Noten trifft, sondern dass er die musikalische Spannung und Energie durchgezogen hat. Hör dir diese Aufnahme an, das ist ein wahres Feuerwerk, wie er diese Steigerung da hochzieht und um keinen Preis hätte ich dort lieber richtige Noten, aber die Vorsicht walten lassen wollen... Vorsichtig und sauber hört man die Etüde überall. Aber nirgends vorher und nachher habe ich diesen Vulkan gehört...
du solltest das, was dich völlig zurecht begeistert, allerdings genauer beschreiben: die völlig unerheblichen Fehler dort - bei Horowitz - resultieren nicht aus einem Mangel an technischer Beherrschung, sie sind zufällig (sowas passiert)

auf derselben CD kann man auch hören, dass die eine oder andere Verzierung in KV 330 nicht alle Töne hat, dass mal irgend ein Ton zufällig zu laut kommt usw - und auch das resultiert nicht aus eine Mangel an technischem Können -- Fehler, die sich infolge ungenügenden manuellen Könnens zwangsläufig einstellen, hören sich ganz anders an (und sind dann auch, selbst wenn alle Töne richtig sind, viel deutlicher zu hören) :):)

NEIN, eine musikalisch ansprechende expressive Darstellung trotz mangelnden manuellen Könnens existiert bei schwieriger Literatur nicht
 

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