Zum Nachdenken

  • Ersteller des Themas partita
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Das Entscheidende ist, dass es heute Leute gibt, die KEINESWEGS nur "Klassik" im herkömmlichen Sinne zu spielen scheinen,
sondern auch die "breite Masse" begeistern können, OHNE dass ihre Klassik-Fähigkeiten dadurch schlechter sind.

Nehmen wir Garrett. Genauso gut spielend wie Kremer, kann er auch SEHR GUT Menschen begeistern, die sonst vielleicht nicht so viel "klassische Musik" gehört haben.

Es ist immer das gleiche Problem, und schon Nigel Kennedy, den ich mal als "eine Generation VOR Garrett" einstufen möchte, hatte da mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, siehe Biographie "Spielen ist alles", obwohl er eine ähnliche Ausbildung genoss, wie Garrett, und MINDESTENS so gut wie Kremer war / ist.

Am Vergleich Kennedy / Garrett zeigt sich, dass sich VIELLEICHT was geändert hat ( möglicherweise hat Garrett, da die Masse heute aufgeschlossener ist, - denn auch andersherum könnte es problematisch sein: "wwas, mmmh der Kennedy...ist das nicht son KLASSIK FREAK ? nee das hör ich mir nicht so gern an ... - mehr Möglichkeiten gehabt. )

Jedenfalls sind alle drei mindestens gleich gut ( Kremer, Garrett und Kennedy ), jedoch fehlt Kremer die Einsicht ein wenig, find ich. Und zwar die Einsicht, dass andere genauso gut sind, wie er, wenn nicht besser, und sich TROTZDEM auch "dazu herablassen", nicht oberpenibelkonventionell und konservativ künstlerisch zu sein. Was sie aber AUCH können, und auch bewiesen haben.

Das nervt ihn etwas.

Und darum geht es EIGENTLICH. Es ist unter diesen "jungen wilden" eine MASSIVE Konkurrenz "hochgekommen". Diese als "nicht künstlerisch" zu bezeichnen, halte ich für gewagt.

LG, Olli
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
(...) Dies führt dazu, daß Musiker sich zu viel mit Marketingmaßnahmen beschäftigen, aus Angst, sonst irgendein unbekannter Provinzhansel zu bleiben

Nun ja - die wirklich guten, die trotz dieser Mehrbelastung es auch noch schaffen, sehr gut zu musizieren (weil sie begabter, besser ausgebildet, fleißiger etc. waren als die anderen) werden sich dann durchsetzen.

Der durchs globale Wirtschaftssystem bedingte Finanzdruck auf Veranstalter und Festivals wird immer größer, weswegen man es sich immer weniger leisten kann, nach künstlerischen Erwägungen zu gehen, und aus purem Überlebenswillen heraus gezwungen ist, auf "Big Names" (with probably big tits...), "new sensational kids on the block" und publikumswirksamen Kram zu setzen.

Im Pianistenbereich ist man aber relativ schnell wieder weg von der Bühne, wenn die Leistung nicht stimmt, oder man ewig in einseitigem Repertoire festhängt, mit dem Jet Lag, dem Stress, nicht fertigwird, oder ähnliches... der nächste wartet schon darauf, den Platz einzunehmen...

Außerdem muß man den Durchbruch ja auch erst mal schaffen.

Den "faden Beigeschmack" hat es nur für den "politisch Korrekten", "Anständigen", der gelernt hat, "daß man sich selbst nicht lobt bzw. gegenüber andern erhebt".

Wer sich irgendwo durchsetzen kann, der macht Karriere. Ist in jedem Beruf so. Wer wie ein verschlossenes Buch wirkt, erzeugt weniger Sympathien in der Öffentlichkeit als jemand, der z.B. offen reden, und Interviews geben kann.
 
Das ist aber kein Kriterium für Kunst, sondern eher für das, was Kremer kritisiert: die allgegenwärtige Marketing-Orientierung.

Ich meine damit im Prinzip: ein gut (um nicht zu sagen: perfekt) gespieltes b-Moll-Konzert von Tschaikowski kann ein Welterfolg werden - weil wirklich gut gespielte Musik die Fähigkeit hat, viele Menschen zu bewegen. Die Einspielung von van Cliburn/Kondrashin wurde einer - und diese Aufnahme (und keine andere mir bekannte) ist praktisch perfekt.

Solche Musik tröpfelt selbst in weniger weit entwickelte Ohren, und wirkt.
 
Solche Musik tröpfelt selbst in weniger weit entwickelte Ohren, und wirkt.

Schon möglich. Aber du gehst dauernd davon aus, dass Musik viele Menschen bewegen muss, um "gut" (oder "Kunst"?) zu sein. Das ist ein quantitatives Kriterium, das für die Frage nach künstlerischer Bedeutung irrelevant ist. Dieses "Man erwartet heute von Musik, dass sie viele Menschen bewegen kann" ist ein Marketing-Kriterium, sagt aber erstmal gar nichts aus über die Qualität oder künstlerische Bedeutung.

Das Unselige unserer Zeit ist ja, dass zunehmend in erster Linie auf den massenwirksamen Effekt geachtet wird (weil der nunmal das Geld einbringt), aber nicht mehr darauf, was ich als Künstler eigentlich wirklich wahrnehme und zu sagen habe.

Grüße von
Fips
 
@ schmickus:

:D naja !

kann doch mal sein, dass einer MAL n tick schlechter ist ;) - aber insgesamt gewürfelt hält sich das doch die Waage.

@ Hasenbein @ "mjaaa nee is klar": Warum sollten sich die Genannten maßgeblich in ihren Spielfähigkeiten unterscheiden ? :D

Sie haben doch alle einen relativ ansprechenden beschützenden Ausbildungshort besucht, nicht wahr ? :D

LG, Olli !
 
Ich meine damit im Prinzip: ein gut (um nicht zu sagen: perfekt) gespieltes b-Moll-Konzert von Tschaikowski kann ein Welterfolg werden - weil wirklich gut gespielte Musik die Fähigkeit hat, viele Menschen zu bewegen. Die Einspielung von van Cliburn/Kondrashin wurde einer - und diese Aufnahme (und keine andere mir bekannte) ist praktisch perfekt.

Solche Musik tröpfelt selbst in weniger weit entwickelte Ohren, und wirkt.
Hier wäre die Aufnahme: https://www.youtube.com/watch?v=6qROema2MDI
Neuere Aufnahmen zum Vergleich:
https://www.youtube.com/watch?v=BcPY0SZog7Y
https://www.youtube.com/watch?v=g80VU33jr8Q

Vergleichen lohnt sich,
meint mit LG Rheinkultur
 
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Zitat von Hasi:
"Nehmen wir Garrett. Genauso gut spielend wie Kremer,.."
Mmmmh, ja nee, is klar....

Tsss, kaum dass ein Klassiker sich in Crossover begibt, ist er aber auch gleich verschrien. :D In der Klassik hat man oft das Gefühl, dass sich der Spruch "Erfolg gibt Recht" sich in das Gegenteil verkehrt.

Dabei ist D.G. doch ein gutes Beispiel für freie künstlerische Kreativität. Er hat genau das, was man von ihm erwartete, sein gelassen und sich seinen eigenen Weg gesucht. Dass er damit, was ihm Spaß macht und wo er drin aufgeht, nun aus Versehen auch noch erfolgreich ist...huch...dafür wird er sich wohl noch bei Kremer entschuldigen müssen. ;)

Aber so unterschiedlich sind eben die Künstler. Kremer sagt, die Kunst erkrankt und D.G. bringt sie einfach an den Mann.
 
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Wenn ich so etwas lese, stellen sich bei mir immer zwei Gefühle ein:

1. Der Mann hat ja so Recht, alles versinkt im Kommerz, die klassikgesättigte Welt wird überrollt von tonleiternübenden Chinesen und technikunterbelichteten Deutschen, die alle auf korrupten Wettbewerben die sauberste Lisztetüde und hinreißendste Beethovensonate spielen wollen, um danach zehn Konzerte zu spielen und eine CD zu produzieren, die eh keiner kauft. Wo bleibt bei dieser Hetze Zeit für Kunst, Inspiration, Authentizität, Kreativität und ähnliche Fremdworte?

2. Die Leute haben sich schon immer über den Status und die Position der klassischen Musik beschwert, und noch nie war es eine Musik der Massen bzw. ein Metier, in dem es für "den allgemeinen Musiker" Zeit und Raum für obengenannte Fremdworte gab.
"Am Anfang" gab es keine ordentlichen Instrumente, und die, die es gab, waren für kaum jemanden erreichbar. Konzerte konnte eh niemand besuchen, weil es keine öffentlichen gab - es gab "nur" Kirchenmusik. Die wenigen angestellten Musiker mussten den Launen der Obrigkeit folgen, später waren sie selbstständig, dafür aber arm und oft nicht wertgeschätzt.
Irgendwann wurde dann das öffentliche Konzert erfunden. Und wer hat da die großen Hallen gefüllt? Der Teufelsgeiger Paganini, der eine beinahe geisterhafte Aura pflegte, und der Frauenschwarm Liszt, der möglichst schwierige Stücke komponierte, damit seine Bewunderinnen in Ohnmacht fielen. Da fallen mir doch gleich David Garrett und Lang Lang ein. Achja, und die Frauen konnten sowieso keine Musik ausüben, Clara Wiek war da ja die große Ausnahme.

Und was haben wir heute? Jedem steht es frei, sich an einer Musikhochschule zu bewerben und anschließend Taxifahrer, Physiker, Unternehmensberater, Klavierlehrer oder Pianist zu werden. Natürlich hängt das von vielen äußeren Faktoren ab - gute frühe Förderung, guter Lehrer, gutes Instrument (usw., jeder kennt die Liste).
Und was soll so ein Mensch dann machen, um Kremer gerecht zu werden? Bloß nicht auffallen, außer einzig und allein durch die hervorragende Musizierfähigkeit. Leider wird die nur niemand wahrnehmen, wenn man nirgends in Erscheinung tritt.
Und wenn doch, soll man bloß auf keinen bekannten Festivals spielen und Plattenverträge unterzeichnen und sich vermarkten, sondern lieber unbekannt und arm irgendwo versauern.

-- Ich verstehe voll und ganz, dass die Situation besser sein könnte und es schade ist, dass die Musik oft frühestens an dritter Stelle kommt. Ich kann mir aber kein funktionierendes System vorstellen, in dem das so leicht veränderbar wäre.
Selbst wenn die Klassik so populär wäre wie Popmusik - wie siehts denn in der Popmusik aus? Wird die etwa weniger vermarktet? :D
Eine Welt ohne Geld, Gewalt, Armut und Umweltverschmutzung wäre auch schön, nicht wahr?...

Es ist immer leicht, sich zu beschweren. Viel lieber würde ich von Kremer aber hören, wie man sich denn richtig verhält, seiner Meinung nach, oder wie die Gesellschaft sich verändern müsste.
 
Schon möglich. Aber du gehst dauernd davon aus, dass Musik viele Menschen bewegen muss, um "gut" (oder "Kunst"?) zu sein. Das ist ein quantitatives Kriterium, das für die Frage nach künstlerischer Bedeutung irrelevant ist. Dieses "Man erwartet heute von Musik, dass sie viele Menschen bewegen kann" ist ein Marketing-Kriterium, sagt aber erstmal gar nichts aus über die Qualität oder künstlerische Bedeutung.

Das Unselige unserer Zeit ist ja, dass zunehmend in erster Linie auf den massenwirksamen Effekt geachtet wird (weil der nunmal das Geld einbringt), aber nicht mehr darauf, was ich als Künstler eigentlich wirklich wahrnehme und zu sagen habe.

Kürzen wir das ganze etwas ab. Meine Meinung ist die, daß (insbes. klassische) Musik immer besser und musikalischer gespielt werden wird. Für mich ist da ein Trend erkennbar. Das kann man glauben oder nicht - ist 'ne Glaubenssache.

Schlecht gespielte Musik (etwa eine technisch mittelmäßig und musikalisch unausgewogen präsentierte Aufnahme) wird niemals besonders viele Menschen begeistern können.

Weder stark musikalische, noch wenig musikalische.

Goulds Goldbergvariationen, oder Perlemuters Ondine werden vielleicht eher einem kleineren Kreise von Musikliebhabern vorbehalten bleiben - aber was soll's. Gute Musik muß nicht jedem gefallen - aber prinzipiell könnte sie es wohl.

Mir scheint es gewisse angeborene musikalische Wirkprinzipien für Musikalität zu geben. Siehe Fußballstadien zuweilen etc. Hat jemand die verinnerlicht, kann er Musik machen, die "trifft". Wenn er sorgfältigst darauf achtet, daß die Technik, wenn sie sich weiter entwickelt, immer völlig der Sklave der Musik bleibt, und nie deren König wird. Horo's Erfolge kamen nicht ganz von ungefähr.

Übrigens, auch ein Komponist sollte wissen, wie man Musik richtig "designed", austariert, und so fort.

Belassen wir's mal dabei.
 
Stilblüte: Sehr schön geschrieben, das bringt es auf den Punkt.

Zitat von Moderato:
Ob das wirklich so ist? "Aus Wunderkind wurde Geigenrebell"
Danke für den Link, sehr interessant!
Dass da eine große Marketingbude hinter sitzt, war klar. Was in dem Artikel heraus sticht, ist diese unheimlich große Ablehnung früherer Verehrer.
Immerhin, mit Brahms hat er ausverkaufte Häuser auch ohne Crossover. Ob das nur am Marketing oder auch an seinem Spiel liegt, ob es künstlerische Freiheit oder nur Schwenkers ausgeführter Befehl ist...müssen wir uns eigentlich den Kopf darüber zerbrechen?
Reicht es nicht, wenn wir einfach die Ohren aufmachen und ganz für uns entscheiden, ob das jetzt was Gutes ist oder nicht?
 
Aber warum man da jetzt groß ein Buch drüber schreiben muss, gerade als Pianist, verstehe ich mal gar nicht.
...also wenn die Ex vom zurückgetretenen Bundespräsidenten ein Buch schreiben darf, dann darf das auch jeder Pianist, jeder Busfahrer und jeder Schulversager :)

aber was mir echt neu ist: hat der Kremer Gidon von der Violine zum Klavier gewechselt???
 
aber was mir echt neu ist: hat der Kremer Gidon von der Violine zum Klavier gewechselt???
Das halte ich für ein Gerücht, aber da es Beethovens einziges Violinkonzert op. 61 auch als Klavierkonzert gibt und Brahms eine Bach-Chaconne mit links am Klavier spielen lässt, scheinen Wechsel zwischen Violine und Klavier nichts Neues zu sein. Und mit Paganini-Themen lassen sich nicht nur Geiger, sondern auch Pianisten virtuos auf Trab halten. Bei Instrumentalisten soll es ähnlich sein: Erst Arthur Grumiaux mit in Personalunion als Geiger und Pianist aufgenommenen Mozart-Sonaten, dann die solistische Doppelbegabung von Julia Fischer - und Insider wissen, dass Anne-Sophie Mutter auch sehr gut Klavier spielt...
 
Liebe Leute,

da ich dringend ins Bett muss, nur eine kurze Antwort, verzeiht, wenn nicht alles bis ins Detail ausgeführt ist...

Zitat von hasenbein:
Es geht also nicht darum, ob jemand virtuos, fehlerfrei oder auch mit großer Sachkenntnis spielen kann. Das können in der Tat sehr viele, und Kremer müßte schon extrem vernagelt sein, um das nicht wahrzunehmen.


Zitat von stilblüte:
Der Mann hat ja so Recht, alles versinkt im Kommerz, die klassikgesättigte Welt wird überrollt von tonleiternübenden Chinesen und technikunterbelichteten Deutschen, die alle auf korrupten Wettbewerben die sauberste Lisztetüde und hinreißendste Beethovensonate spielen wollen, um danach zehn Konzerte zu spielen und eine CD zu produzieren, die eh keiner kauft. Wo bleibt bei dieser Hetze Zeit für Kunst, Inspiration, Authentizität, Kreativität und ähnliche Fremdworte?


Ja, ja, ja und ja! Genau das ist ein ganz wesentlicher Punkt! Auf der einen Seite ist es schön, welch eine technische Perfektion erreicht wird, u.a. durch Druck auf die aktuellen Musiker nicht nur untereinander, sondern auch durch die zahlreichen retouchierten und aus 30 Aufnahmen zusammengemischten CD-Aufnahmen, die dem Publikum eben jene Perfektion als Normalität vermitteln. Stücke, die vor 10 Jahren noch als unspielbar galten, sind heute gang und gäbe bei der Aufnahmeprüfung für Bachelor. Klar, war auch dies schon immer so - die Liszt-Etüden, die h-moll-Sonate uvm., nichts, was einen heute abschrecken darf, dann ist man ohnehin schon zu schlecht. Also wird das ganz klar erwartet. Und man bekommt geliefert. Technisch astrein, hauptsache, man hat den Text sicher drauf und kann ihn spielen. Musikalisch aber selten inspirierend und inspiriert gespielt.

Weitere Gedanken dazu:

Schon an der Hochschule überlegt man sich als Student, bevor man eine Prüfung spielt schon, wieviel man wagen kann. Oft spielt man auf Sicherheit, da man auf den ersten Blick erstmal an "Stück klappt oder Stück klappt nicht fehlerfrei" gemessen wird. Die Kunst, das inspirierte Spiel, das Zuhörer berührt und mit in die Musik zieht, kommt erst danach. Da man immer schwerere Stücke spielen muss und diejenigen, die bis vor kurzem noch unspielbar waren, heute Standard sind, muss das jeder bringen, sobald das einer bringt.

Auch, was die Interpretationen angeht: Man wagt selten etwas. Man lebt ungefährlicher, wenn man Mainstream spielt. Ist leider so. Hat man einen inspirierten Moment und macht womöglich einmal ein Ritardando eine Spur zu lange, muss man fürchten, Stiluntreue und unrhythmisches Spiel angekreidet zu kriegen. Da muss man schon aufpassen. Ich spreche hierbei von Hochschulen, Prüfungen, Wettbewerben etc. Wer Mainstream und technisch sauber spielt, kommt weiter. Wer inspiriert spielt, das Stück durch sich hindurch gehen lässt und dann etwas nach außen zaubert, aber ein paar hörbare Fehler spielt, der fliegt raus. Ist leider meist so. An oberster Stelle steht technische Perfektion, danach die Musik. Gerade heute abend war Klassenabend unserer Klasse - da hat eine ganz wunderbare Waldszenen von Schumann gespielt, wunderbar musikalisch und herrlich gestaltet - damit würde sie aber keinen Blumentopf gewinnen auf einem Wettbewerb, das wäre zu einfach, zu wenig effektvoll. Man hat sie nicht mal für die künstlerische Ausbildung genommen. Dem gegenüber haben wir ein Chopin Scherzo gehört, welches weitaus mehr her macht technisch, es war fehlerfrei gespielt, aber hat mich nicht annähernd so berührt, wie die wunderbar gespielten Waldszenen. Aber diese Studentin hat es in die künstlerische Ausbildung geschafft. Nicht das einzige Beispiel...

Eine Bekannte von mir war letztens im Konzert - ihr Kommentar: War alles perfekt - hat mich aber nicht berührt.

Umgekehrt habe ich CD-Aufnahmen von früher, wo teilweise richtig hörbar falsche Noten drauf sind, die Aufnahmen packen mich aber um Welten mehr als eine "geleckte" Aufnahme von heute, gerade weil der Pianist auf der älteren CD sich getraut hat, die musikalische Energie durchzuziehen und diese als oberstes Gebot gesetzt hat, das vermittelt sich und das hört man, und dieser musikalischen Energie opfert er dann lieber einmal eine Note als umgekehrt.

Ähnliche Kategorie: Einmal war ich im Konzert und habe Sokolov eine Zugabe spielen hören, die mir unbekannt war, aber in der er sich sehr oft
hörbar verspielt hat (da waren Läufe nach oben in der rH und er hat fast nie den Zielton getroffen). Aber trotzdem war die ganze Philharmonie hin und weg von dieser Interpretation, weil sich trotz in diesem Fall sogar schon grenzwertig vieler falscher Noten sowas von die musikalische Energie übertragen hat...

Diejenigen, die Weltkarriere machen wollen, müssen beides haben, sagte mal meine Prof. und sie hat da glaube ich sehr recht damit. Fakt ist aber, dass das "unglaublich hohe Niveau" vor allem erstmal ein technisches ist.

Außerdem habe ich grade in einem anderen Konzert wieder erlebt, WIE unfassbar berührend es sein kann, wenn es sich dann doch mal jemand wagt, evtl auf Kosten von Mainstream ein inspiriertes Spiel im Moment zuzulassen. Es war ein wunderbares Konzert, total berührend. Ich muss zugeben, es war eine Professorin unserer Hochschule und ich muss ebenfalls zugeben, dass wir Studenten uns teilweise gefragt haben, ob wir uns das hätten wagen dürfen, soviel Freiheit zu nehmen, hätten wir so in der Prüfung gespielt. Zweifelsohne war es eine wundervolle Interpretation. Aber sie hat Punkte enthalten, bei denen wir uns nicht sicher waren, ob wir sie hätten ebenfalls bringen dürfen, obwohl es jedem klar war an dem Abend, dass genau diese Sachen es waren, die das Ganze so einmalig gemacht haben.

Die Absurdität von hauptsache immer schwerer, schneller, höher wird auch schon bewusst, wenn man sich mal überlegt, dass auf der einen Seite eben sowas Gang und Gäbe ist, dass Stücke, die bis vor kurzem unspielbar waren, heute in der Aufnahmeprüfung für Bachelor locker verlangt werden. Aber dann auf der anderen Seite ist irgendwo im Hinterstübchen dann doch jeder total vorsichtig, wenn es z.b. an eine Mozartsonate geht - da kann man sich nämlich nicht verstecken, die muss musikalisch genauso sauber sein wie technisch. Da gibt es anscheinend unter Musikern dann doch noch das Bewusstsein, dass "Schwierigkeit" sich auch und vor allem auch auf Musikalität bezieht und wahres Können sich auch gerade an sowas zeigt.

Gerade heute sagte meine Professorin noch: Unmusikalische Leute, die nicht so stark empfinden, haben viel weniger technische Probleme, gerade weil sie die musikalische Spannung nicht fühlen, sondern sich einfach um die richtigen Noten kümmern können. Musikalische Leute haben oft irgendwo die musikalische Spannung als Verspannung sitzen, anstatt sie direkt von innen nach außen über's Instrument zu leiten. Das muss man erst lernen und wenn man das kann, dann ist man wirklich frei und kann wirklich gestalten.

Zitat von stilblüte:
Die Leute haben sich schon immer über den Status und die Position der klassischen Musik beschwert, und noch nie war es eine Musik der Massen bzw. ein Metier, in dem es für "den allgemeinen Musiker" Zeit und Raum für obengenannte Fremdworte gab.

Das stimmt sicherlich. Aber aufgrund der zunehmenden "Medialisierung" und Technologisierung unserer Welt, u.a. auch mit der Möglichkeit, aus 30 Aufnahmen eine fast perfekte zusammenzumischen, wird das immer schlimmer. Wenn dann noch das Denken um Schönheit, Alter, Vermarktbarkeit etc. hinzukommt...
Es scheint mir schon immer wichtiger zu werden zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Leute zu treffen und das richtige zu sagen und zu tun...

Liebe Grüße,
Partita

PS: Ich habe jetzt doch mehr geschrieben... Da ich nun totmüde bin, kann ich nicht alles nochmal durchlesen, bevor ich es poste - ich hoffe, ich habe nicht allzu großen Stuss geschrieben. Jedenfalls waren es meine Gedanken zu dem Thema, wenn auch vielleicht nicht in optimaler Form hintereinander ausgeführt und ohne roten Faden...
 
Stücke, die vor 10 Jahren noch als unspielbar galten, sind heute gang und gäbe bei der Aufnahmeprüfung für Bachelor. Klar, war auch dies schon immer so - die Liszt-Etüden, die h-moll-Sonate uvm., nichts, was einen heute abschrecken darf, dann ist man ohnehin schon zu schlecht. Also wird das ganz klar erwartet. Und man bekommt geliefert. Technisch astrein, hauptsache, man hat den Text sicher drauf und kann ihn spielen.
...hat irgendwer irgendwo die Lisztsche h-Moll Sonate technisch astrein bei einer Aufnahmeprüfung, also der Beginn des Studiums, gespielt???? ...mon dieu, es ist ein Segen der Götter, wenn man die am Ende des Studiums technisch astrein hinkriegt...

nichts, absolut gar nichts spricht gegen eine "technisch" möglichst gekonnte Beherrschung, im Gegenteil, sie ist Voraussetzung -- und es ist eine gerade im deutschsprachigen Kulturraum absurde Vorstellung, die andernorts nicht geteilt wird, dass Virtuosität und musikalische Durchdringung Gegensätze seien (und zu diesem altbackenen Thema gibt es auch genügend Literatur mittlerweile)

und davon abgesehen ist höchst zweifelhaft, ob begeisterungsfähiges "Massenpublikum" in Sachen interpretatorischer Qualität einen Rieu von einem Kremer überhaupt unterscheiden kann... :D:D:D:D
 

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