Warum dann Quintenzirkel???

Ich hoffe, es ist normal, dass ich (letztlich habe ich diese Diskussion ja losgetreten) eigentlich gar nichts mehr verstehe. Wenn ich das alles so lese, wird mir ganz mulmig mit meiner Entscheidung, Klavier spielen zu wollen (bin übrigens erst 53, das war ein Tippfehler :002:).

Mir ist/war schon bewusst, dass es neben den Dur-Tonleitern weitere gibt - aber hier wird mit Fachbegriffen gearbeitet, von denen ich noch nicht einmal gehört habe. Wie gesagt, ich hatte auch in der Schule keinen Musikunterricht. Sprechen wir hier noch von Anfängern?

Werde mich jetzt neben dem Klavierunterricht mit dem Ziegenrücker beschäftigen. Mal sehen, wohin und wie weit mich das Thema Ich lerne Klavier spielen bringt. Zum Glück ging ich das Ganze etwas blauäugig an, sonst hätte ich mich nicht einmal starten trauen.
 
Die Schönheit bestimmter mathematischer Erkenntnisse bewegt mich bis heute zutiefst. Aber die moderne Art der Vermittlung, die fast ausschließlich auf abstrakter Axiomatik aufbaut hat mir das Studium vermiest.
Oha, das wäre ein großes Fass, was du da aufmachst, und für ein Musikforum mehr als off-topic. Bei Einstein kennen die meisten wenigstens noch den Namen, aber wer kennt schon David Hilbert, wenn er nicht gerade math und/oder phys ist? Wenigstens hat James Joseph Sylvester einen schönen Zusammenhang hergestellt: "Mathematik ist die Musik der Vernunft."

Ich denke für alle, die über reines praxisorientiertes Rechnen hinaus kommen wollen und müssen wäre gerade in der Schule eine Vermittlung über die Ästhetik im Fach Mathematik inspirierender. Oder gehe ich da zu sehr von mir selbst aus?
Das weiß ich nicht. Meine Lebenserfahrung zeigt mir, dass Abstraktion nicht jedem gegeben ist. Um einen anderen Mathematiker, Bertrand Russel zu zitieren: "Der Mathematiker weiß nicht wovon er spricht, und ob das, was er sagt, wahr ist." Damit haben viele Mühe. Ob man das beheben kann, indem man Ästhetik ins Spiel bringt?

Es ist immer von Vorteil, den Dingen auf den Grund zu gehen. Als ich als Kind erstmals vom "Wohltemperierten Klavier" gehört habe, fand ich das einen ziemlich doofen Namen. Wohltemperierte Räume hätte ich damals auch gerne gehabt (Zentralheizungen waren halt nicht wie heute der Standard). Schlussendlich hat mich das Pythagoreische Komma wieder mit Bach versöhnt
:lol:
.

aber hier wird mit Fachbegriffen gearbeitet, von denen ich noch nicht einmal gehört habe. ... Sprechen wir hier noch von Anfängern?
Das sollte dich nicht verunsichern. Mein Mathe-Prof hat dazu gerne einen Filmtitel von Werner Herzog zitiert: "Auch Zwerge haben klein angefangen." ;-)
 
Zum Glück ging ich das Ganze etwas blauäugig an, sonst hätte ich mich nicht einmal starten trauen.

Daran ist nix falsch! Denke an keine Ziele solang du nicht einschätzen kannst was realistisch ist. Bleib im hier und jetzt und hab eine frohe musikalische Reise. Nur auf den Lehrer solltest du nicht verzichten. Den brauchst du unbedingt. Vergiss was du aus der Schulzeit über Lehrer denkst. Guter 1:1 Unterricht am Instrument ist ein Luxus und eine Erfahrung um die man jeden bemitleiden kann der sie nicht machen durfte.
 
Daran ist nix falsch! Denke an keine Ziele solang du nicht einschätzen kannst was realistisch ist. Bleib im hier und jetzt und hab eine frohe musikalische Reise. Nur auf den Lehrer solltest du nicht verzichten. Den brauchst du unbedingt. Vergiss was du aus der Schulzeit über Lehrer denkst. Guter 1:1 Unterricht am Instrument ist ein Luxus und eine Erfahrung um die man jeden bemitleiden kann der sie nicht machen durfte.
Das unterstreiche ich direkt!!!
 
aber hier wird mit Fachbegriffen gearbeitet, von denen ich noch nicht einmal gehört habe
Ja und? Als ich mit Bowling anfing, war für mich das runde Ding eine Kugel, ein Ölbild ein Gemälde auf Leinwand und eine Leiste hatte ich auch anders verortet als ein Mittel zum Navigieren. Das bissel Nischentheorie kommt nebenbei mit der Praxis.
 
Wenn ich das alles so lese, wird mir ganz mulmig mit meiner Entscheidung, Klavier spielen zu wollen
Dazu gehört halt zweierlei. Das reine Klavierspielen ist praktisch nur die Bedienung des Instruments.

Wenn aber das Klavierlernen deine erste Befassung mit dem Thema Musik ist, kommt für dich noch das Lernen der Sprache der Musik dazu. Für die ist das Klavier ja nur einer der möglichen Ausdrucksformen.
 
Das reine Klavierspielen ist praktisch nur die Bedienung des Instruments.

Wenn aber das Klavierlernen deine erste Befassung mit dem Thema Musik ist, kommt für dich noch das Lernen der Sprache der Musik dazu.
Auf die Idee, das so aufzuspliten, sollte man idealerweises doch erst gar nicht kommen. Das geht in einem Lernprozess doch sowieso immer Hand in Hand. Jemand, der bedientechnisch gut oder von mir aus auch "schön" Klavier spielt, beherrscht diese Sprache und bedient das Instrument in dieser Sprache:-)
 
Auf die Idee, das so aufzuspliten, sollte man idealerweises doch erst gar nicht kommen. Das geht in einem Lernprozess doch sowieso immer Hand in Hand.
Leider nicht.

Hier schlagen zu viele Kandidaten auf, die "ich will doch nur Klavier spielen". Die müssen sich erstmal mit der Idee anfreunden, dass sie in Wirklichkeit in erster Linie "Musik" lernen wollen sollten.

Aber das ist eben die typische extrinsische Motivation. Die sehen sich am Klavier sitzen und toll spielen. Rein äußerlich.

Jemand, der bedientechnisch gut oder von mir aus auch "schön" Klavier spielt, beherrscht diese Sprache und bedient das Instrument in dieser Sprache:-)
Dass dies so sein sollte, ist nicht jedem klar.
 
Zuletzt bearbeitet:
OK, danke für die Erläuterung, wie Du das gemeint hast. Es ist in der Tat auch meiner Wahrnehmung nach so, dass sehr oft das "toll Klavier spielen" ohne - sagen wir mal "musikalischen Gehalt" oft das gleiche an "Wow" -Effekten bei Zuhörern auslöst, wie wenn idealerweise beides zusammenkommt. Weil einfach die Wahrnehmung dafür, woraus dieser "Gehalt" besteht, nicht so weit verbreitet ist.
Bei Gesangsdarbietungen habe ich oft den Eindruck, dass die Leute eher mehr für Qualität sensibilisiert sind, weil es eben auch, neben deutlich mehr Anlässen, wo im öffentlichen Raum gesungen wird (steinigt mich :-)) viele breitenwirksame Casting-Shows auf diesem Gebiet gibt, wo ein direkter Vergleich der Gladiatoren nach Hause in die Wohnzimmer gestrahlt wird.
 

Hier schlagen zu viele Kandidaten auf, die "ich will doch nur Klavier spielen". Die müssen sich erstmal mit der Idee anfreunden, dass sie in Wirklichkeit in erster Linie "Musik" lernen wollen sollten.

Aber das ist eben die typische extrinsische Motivation. Die sehen sich am Klavier sitzen und toll spielen. Rein äußerlich.
Das ist nicht mein Problem - ich bin bereit, ordentlich dafür zu lernen und zu üben, um gut Klavier spielen zu können. Ich mache das auch nur für mich, ich habe nicht vor, irgendwem „toll“ vorspielen zu können.

Mir war nur nicht bewusst, wie viel es da zu lernen gibt. Woher sollte man das auch wissen, wenn man mit Musik machen noch nie konfrontiert war.
 
Wenn ich das alles so lese, wird mir ganz mulmig mit meiner Entscheidung, Klavier spielen zu wollen

Als ich mit 52 angefangen habe wusste ich nichtmal, was ein Bassschlüssel ist. Der Quintenzirkel wurde mir nebenbei im Unterricht vermittelt. Merksätze über Fische und Gesangsverein habe ich nie benutzt. Und immer wieder versuche ich die harmonischen Zusammenhänge zu verstehen. Wenn ich Akkorde analysieren möchte scheitere ich oft an „schrägen“ Klängen und Akkordverbindungen. „Lassen Sie es, das macht bei diesen Komponisten keinen Sinn“, sagt meine (russische) KL dann. "Diese Komponisten" sind Skrjabin, Rachmaninov oder Lyadov.

Dass ich Stücke auch ohne wirkliche Kenntnis der Harmonielehre, ohne das sofortige Erkennen von Strukturen und Intervallen etc. spielen kann, habe ich in meinem leider versandeten Gemeinschaftsprojekt mit Werken von Rachmaninov gezeigt. Aber ich brauche – nicht nur wegen des fehlenden Hintergrundwissens und Erkennens – erheblich länger, um ein Stück zu erarbeiten.

@Carnina wusste bis vor einem halben Jahr nicht was Kadenzen sind. Ich habe diesen Satz zwei oder dreimal gelesen, weil ich meiner Wahrnehmung misstraut hat. Sie spielt so gut Klavier, dass mir diese Aussage noch immer wie ein vorgezogener Aprilscherz erscheint.

Zwischen Deinen Zeilen nehme ich Unsicherheit, Zögern und ein wenig Frust wahr. Aber Deine Entscheidung ist gut und der Weg ist das Ziel. Nimm alles mit, was Du auf diesem Weg erleben wirst und habe Geduld.
 
Ich schwöre bei Gott ich weiß nichts darüber. Und wenn du wüsstest wie oft ich das im Unterricht schon gehört habe dass ich absolut blank bin auf dem Gebiet und was mich das teilweise in tiefste Selbstzweifel gestürzt hat, eben weil das so ist und ich mich selbst als lächerlich empfinde und den Deckel zuklappen will weil mir die gefühlte „Berechtigung“ für das Stück fehlt (meine Ansicht, nicht die meines Lehrers).

Aber ich hab eine andere Erklärung dafür und meine Abneigung entsteht daraus, dass ich mich selbst hätte einschüchtern lassen irgendwas zu versuchen, wenn man mir das so gesagt hätte. Und ich will nicht dass es anderen so ergeht. Ich habe eine sehr nahe Verwandte die das Studium (obwohl sie mit 1 durch die Aufnahme kam!) abgebrochen hat weil man sich nicht „kompetent genug“ gefühlt hat auf theoretischer Ebene mit den Studienkollegen mitzuhalten. Und das ist unendlich schade gewesen. Dieser jemand beschloss mit Ende 20 sich noch Musik zu studieren und konnte spielen aber hatte eben 20 Jahre keine theoretische/praktische Erfahrung.

Ich glaube dass jeder Mensch (mit Ausnahme weniger mit einer Verarbeitungsstörung) musikalisch ist. Absolut jeder. Das ist die Grundlage dass wir in der Sprache den Tonfall erkennen. Musik und Sprache haben sich parallel weiterentwickelt, obwohl es die Sprache bereits gab, die Musik verschwand nie. Jeder musikalische Laie erkennt ob ein Stück fröhlich, traurig, wütend ezc. ist. Das ist in uns drin das zu verstehen. Jeder kann eine Melodie zu Ende singen, wo der letzte Ton fehlt. Die Theorie ist die Erklärung für das was wir intuitiv können und tun. Nicht anders herum.

Niemand musste lernen welcher Tonfall beruhigend wirkt, oder mahnend oder ärgerlich. Wir hören Musik und das Hirn erkennt Muster nach Erwartung und Befriedigung. Ohne dass es diese vorher erlernt haben muss. Dazu gibt es Versuche mit Affen. Aber anders als Affen die dass eher am Rhythmus festmachen, können Menschen das mit Tonhöhen. Was ziemlich einmalig ist weshalb auch manche sagen dass „Musik“ rein menschlich ist.

Ich bin felsenfest überzeugt dass wir nur sensibilisiert werden müssen, es nicht aber nicht grundlegend lernen. Wenn man es praktisch anwenden will braucht man ein anders Wissen. Dann macht es Sinn es zu lernen.

Aber Musik erfühlen, das lernen wir in keinem Buch! Und mit keiner Theorie. Das ist eine uns angeborene Fähigkeit, die sich über die ganze Menschheitsgeschichte erhalten und weiterentwickelt hat weil sie wie die Sprache untrennbar zu uns gehört.
Liebe Carnina,

so sehr ich dir in vielem zustimme, was du hier schreibst, so sehr möchte ich auch widersprechen.

Du schreibst vom intuitiven Zugang zu Musik, zu ihren Emotionen und Strukturen. Dieser intuitive Zugang ist sehr wichtig, das ist keine Frage. Es gibt viele Musiker, die rein intuitiv musizieren. Wir reden hier aber vor allem von der Interpretation klassischer Musik und speziell von Klaviermusik. Klassische Musik besitzt zum Einen generell eine höhere Komplexität. Um sie zu interpretieren, muss man zum Zweiten lernen, einen Notentext zu entschlüsseln. Und zum Dritten ähnelt dieser Notentext, was Klaviermusik betrifft, eher einer Orchesterpartitur mit einer mehr oder weniger Vielzahl an Stimmen u.a.. Sie benötigt ein deutlich größeres Verständnis von musikalischen Entwicklungen und Zusammenhängen als (Achtung Polemik, aus eigener Erfahrung in der Arbeit mit Sängern kreiert :D) eine Melodie einer Opernarie.

Folgende Punkte zeigen auf, warum ich die Beschäftigung mit der sog. "Theorie" nicht nur für wichtig, sondern sogar für unabdingbar halte:

1. Das Gehör wird geschult und verbessert sich um ein Vielfaches!

Durch die Beschäftigung mit den Begrifflichkeiten, die das intuitiv Gehörte sprachlich erfassen, lernt man, über das intuitiv Erfasste zu reflektieren und zu diskutieren. Wie hier schon gesagt wurde, ist "Theorie" nichts anderes als die sprachliche Umsetzung des Gehörten. Tatsächlich ist es sogar so, dass die Beschäftigung mit den Begrifflichkeiten das Gehör in ungeahntem Maße verfeinert und schärft. Das intuitiv Erfasste kann nämlich manchmal ganz schön ungenau sein.

Beispiel:

Intuitiv:
"Oh, ich fühle hier große Leidenschaft, die Musik klingt unglaublich dramatisch und ich stürze mich mit all meiner Energie hinein."

Intuitiv und rational: "Oh, ich fühle hier große Leidenschaft, die Musik klingt unglaublich dramatisch und ich stürze mich mit all meiner Energie hinein. Hm, woran liegt das eigentlich, dass es hier so klingt und ich so fühle? Ah, die Stimmen kulminieren hier zu einem großen fortissimo! Oh, ist ja der Wahnsinn, was hier die Harmonik macht! Ups, was ist denn das hier - ein Vorhalt, hm, den hatte ich ganz übersehen, der drückt ja Schmerz aus! Boah, hier ein vollverminderter, hier ist die Phrase am stärksten, hier ist es megaspannend, ah danach löst es sich gar nicht so auf wie erwartet, äh, tatsächlich bleibt es in der Schwebe......

Mithilfe der Sprache, die das sprachlich ausdrückt, was ich auditiv, lesend und emotional wahrnehme, der sog. "Theorie", kann ich also reflektieren! Ich nehme viel mehr Einzelheiten wahr, mein Gehör schärft sich, mein Spiel wird weitaus tiefer und tiefgründiger. Es stellt sich echtes Verständnis ein und viele Probleme, die einen sonst zur Verzweiflung treiben, lösen sich auf, weil man besser hört und "versteht".

Ich bin sehr davon überzeugt, dass das Spiel großer Pianisten vor allem deshalb so berührt, weil sie viel mehr als wir verstehen, was sie tun und was im Notentext steht. Natürlich haben sie auch besondere Fähigkeiten spieltechnischer Art etc. Aber sie schaffen das, was Horowitz so treffend ausgedrückt hat: „Klavierspiel besteht aus Vernunft, Herz und technischen Mitteln. Alles sollte gleichermaßen entwickelt sein. Ohne Vernunft sind Sie ein Fiasko, ohne Technik ein Amateur, ohne Herz eine Maschine. “

2. Wir begründen unsere Entscheidungen!

Und schon sind wir beim zweiten Punkt: wir treffen bei unserer Interpretation ständig Entscheidungen. Wie will ich das spielen, welche Möglichkeiten gibt es überhaupt, welche nicht, .... . Die Intuition ist als Grundlage für diese Entscheidungen wichtig, aber keineswegs ausreichend. Ein wesentlicher Punkt, der zumindest in meinem Unterricht eine große Rolle spielt, ist die Begründung für diese Entscheidungen. Ein "Ich will das so spielen, weil ich das so fühle" reicht mir nicht. Wenn der Lehrer eine Entscheidung seines Schülers (die manchmal auch gar keine Entscheidung ist, weil der Schüler nicht genau hinhört :D) nicht nachvollziehen kann, sagt er hoffentlich nicht "Das gefällt mir nicht. Ich möchte, dass du das so und so spielst, weil ich das so fühle." :004: Ich hoffe, er kann seine Kritik begründen und das geht nicht ohne sprachliche Reflektion und Darstellung des Gehörten, des Notentextes. Also nicht ohne sog. "Theorie". Es macht mir sehr viel Spaß, dann mit dem Schüler über eine Stelle und ihre Möglichkeiten zu diskutieren, wie auch gerade gestern wieder erlebt :blume::004:. Ich nehme auch gerne dann die Rolle des Anwalts für den Schüler ein. Dabei lernen beide, Schüler und Lehrer etwas: sie lernen die jeweils andere Wahrnehmung besser kennen und vor allem auch das, was der Notentext an Entscheidungen so bietet/bieten könnte. Das ist total spannend.

3. Schlechte Vermittlung der Theorie heißt nicht, dass Theorieunterricht generell schlecht ist!

Das bisher Geschriebene bedeutet, dass Theorie nicht ohne die Verbindung zur Praxis vermittelt werden kann. Deine Sorge der Einschüchterung, liebe Carnina, ist nicht unbegründet bei alldem, was du erlebt hast! Aber das war leider "Theorieunterricht" (ich hasse dieses Wort Theorie wie @Peter ebenso!), wie er nicht sein sollte. Schlechter Theorieunterricht heißt nicht, dass guter Theorieunterricht schlecht ist. :003:

3. "Es braucht Geduld, um die Ungeduld zu ertragen." (Klaus Seibold)

Allerdings dauert es ein bisschen, wenn man gerade erst anfängt. Die Beschäftigung mit der "Grammatik" der Musik steht anfangs möglicherweise dem gewohnten intuitiven Musizieren entgegen, weil man plötzlich gezwungen wird zu denken und sich gegen dieses unangenehme Erlebnis wehrt. :D Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, immer nur ganz kurze Einheiten zu machen und dem Ganzen viel Zeit zu geben. Man lernt sowieso nie aus. Unbedingt muss man die sprachliche Umsetzung des Gehörten als (zumindest einigermaßen) lustvoll erleben und als Erkenntnisgewinn, sonst wird man es nicht machen.

4. Muster zu erkennen, hilft!

Außerdem ist es vielen Menschen nicht gegeben, Muster in Musik und im Notentext rein intuitiv zu erkennen. Du bist ja quasi mit Musik aufgewachsen, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Du hast sicherlich viele Strukturen bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Andere haben das nicht und es ist für sie ungeheuer hilfreich zu erkennen, welche von diesen schwarzen Punkten im Notentext einen Baustein bilden, wo sich weitere Bausteine befinden und wie diese womöglich variiert werden.

5. Und die Komponisten?

Und zum letzten frage ich mich, warum wir Interpreten denken, ohne Wissen in Harmonielehre, Gehörbildung, Formenlehre etc. auszukommen. Komponisten haben immer die alten Meister studiert, haben sich sehr mit "Komposition" und Satztechniken beschäftigt, sich immer weiter vervollkommnet. Warum denken wir, wir können das ohne? Sollten wir nicht nachvollziehen können, wie eine Komposition aufgebaut ist, wie sie sich von anderen unterscheidet, was das Besondere ist? Sollten wir nicht möglichst umfassend erkennen, wenn ein Komponist gegen die Erwartung komponiert, um etwas Besonderes auszudrücken? Sollten wir nicht unser Gehör, unser Wissen, unseren Verstand so genau wie möglich schulen, um so viel wie möglich wahrzunehmen und unser Spiel damit immer weiter zu verbessern?

Liebe Grüße

chiarina
 
Liebe Chiarina,

deinen Ausführungen kann ich wirklich kein „aber“ mehr entgegnen. Sie sind vollkommen nachvollziehbar für mich! Danke für die Mühe.

Ich merke aber, dass ich da vielleicht nicht genau unterschieden habe. Mit Theorie meinte ich in Bezug auf das „Quintenzirkel“ Thema die Harmonielehre.

Da bin ich blank.
Und ich musste schmunzeln als du meintest du verpackst das in kleinen Häppchen, weil mir gerade dämmert dass mir das seit ein paar Monaten in Häppchen untergejubelt wird. Und wenn ich das mal reflektiere ist es eigentlich unglaublich clever, dass ich da erst mal überlegen muss um das retrospektiv zu bemerken.


Was ich aber ganz ganz intensiv lerne ist das Lesen vom Notentext und da sind mir KRONLEUCHTER aufgegangen. Zudem Theorie in Bezug auf „was geht bei Bach/Klassik/ Romantik, versteckte Stimmen, auf was muss man beim Pedalisieren achten etc. Das lerne ich seit 2 Jahren intensiv im Hinblick das selbst zu erkennen, also die Prinzipien dahinter. Das sollte ich differenzieren.

Aber es war nicht so, dass ich als ich dort angefangen habe zu lernen erst mal ein Handbuch in die Hand gedrückt bekommen habe nach dem Motto „nicht mal das weißt du“. Und das war meine größte Angst und hätte mich fast davon abgehalten dort anzufragen. Ich hatte Angst dass man mich nichts mehr spielen lässt was mich musikalisch interessiert, so lange xyz….. was glücklicherweise unbegründet war. Ganz im Gegenteil. Wie du sagst, es ist halt nicht möglich dass man das ex und hopp schnell nachholt, das braucht JAHRE. Nur einmal hab ich mit einem Augenzwinkern gehört „er habe noch nie in seinem Leben eine A-Dur Tonleiter unterrichten müssen“. Naja es gibt für alles ein erstes Mal 😁

Hätte ich die Sorge nicht überwunden (mit einem Arschtritt von jemand anderem) dort aus dem Haus gelacht zu werden, für all das was ich nicht kann, hätte ich das wunderbarste verpasst was mir seit ich weiß nicht wann im Leben passiert ist. Aus dieser Perspektive kommt meine Haltung. Es wird viele geben mit lückenhafter Vorbildung und die geraten vielleicht an weniger gute Pädagogen. Um die täte es mir sehr leid. Dass sie sich völlig ums spielen bringen.

Mir ist auch klar dass man nicht abschätzen kann was man braucht solange man die Kompetenz nicht hat das zu überblicken. Vielleicht lache ich in ein paar Jahren über meine Dummheit die Notwendigkeit nicht erkannt zu haben oder wie umständlich mühsam ich es mir gemacht habe weil ich mich nicht eher damit auseinandergesetzt habe. Dann lese ich diesen Beitrag nochmal und schüttle seufzend den Kopf.

Dein letzter Satz gibt mir sehr zu denken.

Und zum letzten frage ich mich, warum wir Interpreten denken, ohne Wissen in Harmonielehre, Gehörbildung, Formenlehre etc. auszukommen

Aus dieser Perspektive muss ich schon sagen, ja du hast recht. Wie kann ich behaupten wieviel mir an der Musik liegt und dann einzelne Aspekte außen vor lassen.


🤗

Ganz liebe Grüße


P.S.: noch ein Satz den ich oft höre „du wirst schon noch dahinter kommen“.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin auch eher ein Theorie-Muffel und entschuldige es mit Zeitmangel (in der Zeit lieber üben wollen, lieber Unterricht am Stück als Theoriestunde). Wahrscheinlich ist es aber schlichtweg (Denk-)Faulheit… Jedenfalls bin ich heute immer noch beeindruckt von Marie-Ange Nguci, die ich am Mittwoch im Konzert gehört habe. Und siehe da, sie kultiviert das volle Programm:

„Marie-Ange Nguci, eine frühe Pianistin, schloss 2014 im Alter von 16 Jahren ihren Master in Klavier am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris (CNSMDP) einstimmig mit der Note sehr gut ab und erhielt im Juni 2016 das Diplôme d'Artiste Interprète für Klavier.
Da sie sowohl musikalisch als auch intellektuell stets neugierig ist, studiert sie derzeit am CNSMDP und an der Universität Paris-Sorbonne ein Doktorat als Musikinterpretin sowie einen Master in Musikanalyse und Musikwissenschaft. Ein Jahr verbrachte sie an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien, um Dirigieren zu studieren. Sie ist außerdem Inhaberin des Prix d'Ondes Martenot, des Master of Pédagogie-Piano und des Certificat d'Aptitude de Professeur, die vom CNSMDP verliehen werden.“ (Quelle)

„Music was something that came very naturally to me, and I had been surrounded by musical scores all my life. So for me it was natural to get more in-depth, to get to know more scores, more composers, more works, to expand my horizons. And music, really, is like an endless horizon. It's like you're on a boat, and the further you go and the more you discover a horizon beyond what you thought was the line. It is really an endless path that can drive you throughout your life – to still discover, learn, and be curious. It’s really wonderful.”

“I had as thorough as possible a musical education in Paris. We had piano lessons, of course, but also musical analysis and musical history, counterpoint, fugue, harmony. It was very, very diverse. And it opened a lot of musical paths, it opened up my imagination and helped me get more in depth with what you're doing, and in the field of music, which is an endless, incredibly endless field.”

“When we get acquainted to a new piece of music, it is like meeting a new person. It’s a learning process, a challenging process, and a process of adaptation. With new people, as with new music, the most important thing is to have curiosity, open-mindedness and a willingness to discover something new – whether that is something we think we will like, something we think we won’t like, or something we might learn to like.”

(Quelle für alle drei Zitate)
 
Mich würde mal folgendes interessieren. Was denkt sich der gelehrige, aber theoriebefreite Klavierschüler, wenn er erstmals auf folgende Passage stößt:

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  • Häh, wieso plötzlich statt Des ein Cis, warum statt B ein Ais?
  • Was hat der Notist da geraucht?
  • Der Wolferl wird schon wissen, was er da gemacht hat.
  • Oh, das ist mir gar nicht aufgefallen.
  • Ich frag meinen Klavierlehrer !
Und was antwortet der Klavierlehrer zum theorieunwilligen Schüler?
  • "Schnauze, spiel was da steht und gut ist."
Oder wie soll ich mir das vorstellen?
 

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