Ratgeber - Spielverletzungen und Unbequemlichkeiten beim Klavierspielen

Glenn Gould hatte eine Haltung, die ihm Verspannungen im Schulterbereich bescherte; der Klapps auf die Schulter durch den Steinway-Mechaniker brachte das Fass quasi zum Überlaufen. Ob man das jetzt "Verletzungen" nennt oder körperliche Beschwerden, kann m. E. dahin gestellt bleiben. Chronische Verspannungen führen zu frühzeitigem Verschleiß der Gelenke, wobei Gould ja nicht gerade alt geworden ist und das Ausmaß möglicher Spätfolgen daher ungewiss bleibt.

Manchmal ist trotz guter Technik ein ZU VIEL das Übel. Wenn die Termine es verlangen und die Regenerationsphasen zu kurz werden, kann man in den Bereich einer ungesunden Überbelastung kommen. Weiter können bestimmte Krankheiten multikausal sein. Oscar Peterson hatte sicher eine virtuose Technik, wofür er oft genannt wird, aber sein hoher Rotweinkonsum, war für seine Fingergelenke nicht gerade gesund.

Hier noch ein Artikel:

Krankheiten: Wenn jeder Ton zur Qual wird | Wissen | ZEIT ONLINE
 
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Perahia wurde mehrmals - ich glaube - am kleinen Finger operiert. Glenn Gould hatte eine Haltung, die ihm Verspannungen im Schulterbereich bescherte; der Klapps auf die Schulter durch den Steinway-Mechaniker brachte das Fass quasi zum Überlaufen.

Lieber Bassplayer,

Perahia hatte sich mal am Daumen geschnitten und es gab eine schlimme Infektion, die ewig anhielt. Seine Probleme haben nichts mit schlechter Technik zu tun, bei ihm schon gar nicht! Gould saß halt sehr schlecht für seine Schulter- und Rückenmuskeln, aber blockiert war er in seinen Gelenken nicht. Er konnte halt trotzdem so hervorragend spielen.

Viele Orchestermusiker sind aufgrund der Haltung, die sie mit ihrem Instrument einnehmen müssen, schnell überlastet. Da nützt nur Ausgleichssport oder entsprechende Übungen. Wenn Geiger wenigstens stehen könnten. Aber nein, sie müssen mit dieser ungünstigen Haltung auch noch stundenlang sitzen. Da kann man nichts machen - wir Pianisten haben jedenfalls wirklich Glück, weil wir recht natürlich am Klavier sitzen können, ohne eine Seite übermäßig zu belasten.

Liebe Grüße

chiarina
 
Danke Chiarina.
Oh sorry, ich hatte eine Doku von Perahia gesehen, aber die Ursache für sein Fingerleiden falsch in Erinnerung oder falsch darüber spekuliert. Ich habe meinen Beitrag überarbeitet. Allerdings hatte ich in Zusammenhang mit ihm nicht von schlechter Technik gesprochen.

Ich habe nicht gesagt, dass Gould in seinen Gedanken blockiert war. Aber er ist für mich ein klares Beispiel dafür, dass ein hervorragendes Klangbild keine 100% gesunde Technik voraussetzt. Für mich - und so lese ich auch Hasenbeins Beiträge und so beschreiben es auch andere Musiker - gehört beim Klavierspiel der ganze Körper inkl. Haltung und Sitzposition dazu. Goulds Haltung, die ihm im Schulter- und Rückenbereich Probleme bereitete, ist partiell auf die Körperhaltung und Sitzposition bezogen eine schlechte Technik, auch wenn er seine Hände perfekt einzusetzen wusste. Nur weil es sich gut anhört, ist es also nicht ausgeschlossen, dass man Bewegungen macht, die früher oder später zu Beschwerden führen.
 
Hallo Chiarina,

Aus meiner Erfahrung bedeutet ein lebendiger Klang und besonders differenzierte und schön gestaltete Klangabläufe immer einen entsprechenden Bewegungsablauf, der nicht zu Verletzungen führt. Ich habe es nie anders erlebt, bin aber offen für andere Erfahrungen. Welche berühmten Pianisten haben sich denn in solcher Weise verletzt? Brendel ist ja ein Pianist, der recht verkrampft gespielt hat, aber auch nie Verletzungen gehabt hat, soweit ich weiß. Wir wissen aber alle, wie die Stimmer seiner Konzertinstrumente gestöhnt haben ob der extremen Intonation der Hämmer.... .

 Zitat von rolf 
eher wenige... ziemlich wenige...
:D - so sehe ich es auch! Tatsächlich kenne ich keinen, wenn man mal die Dystonie von Fleisher weglässt. :D

Komm mir jetzt keiner mit der Schumann-Kamelle! :p


Brendel hat auf jeden Fall wegen einer Verletzung ein Konzert verschieben müssen, für das ich ein Ticket gekauft hatte.

Nicht jeder spricht gerne darüber, verständlicherweise, aber hier spontan andere bekannte Pianisten, die selbst von Verletzungen berichtet haben (es muss nicht jedes mal gleich Dystonie sein):

Rachmaninoff, Scriabin, Clara Schumann, Prokofiev, I. Padereweski , Artur Schnabel, Glenn Gould , Ivo Pogorelic, Michel Beroff, Gary Grafmann, ...

Man weiß von seinen Tagebücher, dass Glenn Gould lange verletzt war. In der Zeit, nachdem er von der Bühne abgetreten ist, hatte er große Probleme zu spielen. Es wird von dem Neurologen Frank R. Wilson sogar vermutet, dass er jenseits der Schmerzen auch fokale Dystonie hatte (sein Artikel « Glenn Goulds Hand » kannst du googlen). Er war genial, aber seine Technik war leider ungesund, und er hat dafür sehr leiden müssen.

Dass er immer kalte Hände hatte und Handschuhe tragen musste bzw. warmes Wasser, um sie zu wärmen, brauchte, ist übrigens auch ein typisches Symptom für solche Probleme, also das war nicht nur "exzentrisch" bzw. neurotisch.

LG
4minuten33
 
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Nicht jeder spricht gerne darüber, verständlicherweise, aber hier spontan andere bekannte Pianisten, die selbst von Verletzungen berichtet haben (es muss nicht jedes mal gleich Dystonie sein):

Rachmaninoff, Scriabin, Clara Schumann, Prokofiev, I. Padereweski , Artur Schnabel, Glenn Gould , Ivo Pogorelic, Michel Beroff, Gary Grafmann, ...
im Alter hatte Rachmaninov Arthrose (was wohl nicht vom Klavierspielen, ob richtig oder falsch, kommt)
als Student hatte Skrjabin zeitweilig die rechte Hand überlastet, allerdings keinen Schaden davongetragen
über Clara Schumanns Gesundheit oder Krankheit weiß nichts - was war da?
Prokovev, der "stählerne" Pianist, soll Probleme vom klavierspielen gehabt haben? ist mir neu
Paderewski hatte laut Rubinstein technische Probleme
Schnabel spielte in hohem Alter zunehmend ungenauer (was oft vorkommt)
Gould Dystonie? eher etwas hypochondrisch ;)
Pogorelichs Probleme kommen nicht vom klavierspielen
usw.

die Punkte deuten an, es wären noch viel mehr --- und wie viele haben keine Probleme beim spielen?... ......... ;)
 
Nicht jeder spricht gerne darüber, verständlicherweise, aber hier spontan andere bekannte Pianisten, die selbst von Verletzungen berichtet haben

Lieber Rolf

damit die Diskussion sachlich und produktiv bleibt:

Ich würde vorschlagen, dass du in der Zukunft zuerst recherchierst bevor du
widersprichst. Es handelt sich bei keinem genannten Fall, um vage
Vermutungen meinerseits. Es ist ein Thema, das ich gut kenne, da ich damit
auch beruflich zu tun habe. Du könntest auch stattdessen nach der Quelle der
Informationen fragen.

Es fehlt mir die Zeit, folgendes zu übersetzen, aber um als Beispiel nur den
Fall von Rachmaninoff zu nehmen: Es gibt in seinen Briefen mehrere Aussagen
darüber, z.B.

"My concert season has ended, and it is as if my hands have lost feeling."
"The more I get tired, the more pain I have. This means that by the end of
the concert season, the pain is almost constant".
"The blood vessels on my fingertips have begun to burst: bruises are
forming. I don't say much about it at home, but it can happen in any
concert.Then I can't play with that spot for about 2 minutes, i have to
strum the chords."

(piano and Keyboard, november/dezember 1999, "They took pains" s.72)

Das klingt, glaube ich, nicht nach Arthrose. Nichts für Ungut.

Wenn dein Punkt war, dass es auch viele Pianisten gibt, die ohne Schmerzen
spielen, sind wir sowieso einig.


VG

4minuten33
 
Lieber Rolf

damit die Diskussion sachlich und produktiv bleibt:
die vorhandenen Rachmaninov-Biografien erwähnen seine Arthrose, die er aber erst im Alter bekam. Inwiefern die von dir mitgeteilten Zitate mehr als die Folgen von Ermüdung/Überarbeitetsein etc. (Rachmaninov musste zeitweilig sehr viel konzertieren) darstellen, kann ich nicht beurteilen (heilen ist ja nicht mein Fach) - es müsste mehr davon geben.

Aber vermutlich müssen wir hier Rachmaninovs Gesundheitszustand nicht kontrovers betrachten - mich interessiert, da du in Sachen Taubman vom Fach bist, wie du andere Heilungsmethoden oder Heilungsversprechen bzgl. schädlicher Spielgewohnheiten bewertest. Es werden ja Kurse mit Alexandertechnik angeboten, auch die Publikationen von bzw. im Namen von Peter Feuchtwanger befassen sich damit, ungünstige Gewohnheiten am Klavier zu beseitigen.

Was ich oft genug beobachten muss, sind zu angestrengte (zu druckvolle, zu angespannte, zu kraftaufwändige usw.) Spielweisen - das muss nicht bei jedem automatisch zu Überlastungserscheinungen und gar gravierenden Problemen führen, aber ich halte dergleichen nicht für förderlich.
 
Das erfordert aber sehr genaue Arbeit und der Pianist muss einer anderen Herangehensweise gegenüber offen sein als seine gewohnte.

Lieber 4minuten33,

mal abgesehen von der Pianistenfrage interessiert mich wirklich, worin die veränderte oder andere Herangehensweise besteht. Wie gehst du vor, wenn du einen verletzten Pianisten vor dir hast?

Danke und liebe Grüße

chiarina
 
(sorry, ich versuche der Reihe nach zu antworten!)


Hallo Bassplayer,

Danke für deinen Link. Ich weiß nicht, wie die aktuellen Statistiken sind, aber meine Beobachtung ist, dass wir Pianisten statistisch nicht gesunder sind als die Orchestermusiker, der Zeit Artikel deutet das auch nicht anders. Genaue Zahlen müsste man aber bei einem Musikmediziner erfragen.

Jede Musikschule bzw. –hochschule, die groß genug ist, hat meistens einige Pianisten, die unter Sehnenscheidenentzündung oder anderen Beschwerden leiden, manchmal auch bei den Lehrenden. Das ist natürlich nicht die Mehrheit, aber die Lage wird oft unterschätzt.
Die Statistiken, die im Zeit Artikel erwähnt sind (bis 80% der Musiker erleiden irgendwann einmal an einer beruflichen Erkrankung) und
« Nahezu jeder achte Musiker beendet sein Berufsleben aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig - ein Drittel mehr als der Durchschnitt der Arbeitnehmer ») - sind noch höher als andere, die ich kenne. Aber auch wenn es niedriger sein sollte, ist es nicht so, dass es keinen oder kaum Handlungsbedarf gibt.

Dazu muss ich aber sagen, dass ich mit der Aussage:
« Denn wer sich für eine Karriere als - klassischer - Berufsmusiker entscheidet, betreibt bezahlten Raubbau an seinem Körper. »
überhaupt nicht einverstanden bin. Das stimmt, beim Klavierspielen zumindest, nicht, wenn man es richtig macht. Es gibt z.B. genug Pianisten die über 70 und 80 Jahre immer noch Konzerte gegeben haben, um das zu beweisen.

Verletzungen bei Pianisten haben meistens mit der Spieltechnik zu tun und können vermieden bzw. geheilt werden. Eine Karriere sollte dafür nicht vorzeitig beendet werden- u.a. deswegen habe ich den am Anfang verlinkten Artikel geschrieben.

„Zu viel“ üben wird leider allzu oft als Erklärung für eine Verletzung angegeben. Es stimmt natürlich, dass die Beschwerdeerscheinung wahrscheinlicher wird, je mehr und je länger eine schädliche Bewegung wiederholt wird. Ich kenne aber Pianisten, die regelmäßig 6-7 Stunden pro Tag geübt haben ohne Probleme zu kriegen, da sie gesund mit dem Instrument interagieren. Wie ich im Artikel erwähnt habe, gibt es dafür auch Menschen, die beim Spielen schon nach einige Minuten (!) Schmerzen kriegen, auch nach Monaten pausieren.

Es ist nicht so, dass professionelles Klavierspielen genauso wie z.B. Ballettanzen auf die Dauer zu einem abnormalen Verschleiss des Körpers führen muss.

VG

4minuten33
 
(sorry, ich versuche der Reihe nach zu antworten!)
hoffentlich komme ich auch noch dran mit dieser Fragestellung:
- mich interessiert, da du in Sachen Taubman vom Fach bist, wie du andere Heilungsmethoden oder Heilungsversprechen bzgl. schädlicher Spielgewohnheiten bewertest. Es werden ja Kurse mit Alexandertechnik angeboten, auch die Publikationen von bzw. im Namen von Peter Feuchtwanger befassen sich damit, ungünstige Gewohnheiten am Klavier zu beseitigen.
 

Hallo Rolf,

...wie du andere Heilungsmethoden oder Heilungsversprechen bzgl. schädlicher Spielgewohnheiten bewertest.

Ich möchte hier keine Bewertungen abgeben.
Aber eine Person, die unter einer Verletzung/Beschwerde leidet, würde ich immer empfehlen, die Fragen, die ich hier im Artikel aufgelistet habe, zu stellen:
klavierspiel.org #pt5

Jenseits Aussagen von Vertretern einer Methode (bzw. eines Verfahrens), Befürwortungen und Empfehlungen, egal wer sie verantwortet, sind letztendlich nur die Fakten wichtig:

Wie hoch ist die Erfolgsquote? Gibt es Statistiken?
Wenn nicht, wie viele Heilungserfolge sind dokumentiert worden? Gibt es Bestätigungen von den Betroffenen?

Alles anderes ist in diesem Fall zuerst mal sekundär.

Wie hier erwähnt ( klavierspiel.org#pt6 ), finde ich persönlich die Alexander Technik generell empfehlenswert. Die Beziehung von Kopf, Hals und Rumpf wird auf sehr effiziente Weise erklärt und behandelt.
Obwohl das natürlich eine Wirkung auf das Spielen hat, ist sie keine Klaviertechnik. Sie kann in dieser Hinsicht nicht alle Antworten und Werkzeuge liefern, die für das Klavierspielen (oder die Beseitigung von Beschwerden beim Klavierspielen) notwendig sind. (Diesen Anspruch hat sie auch nicht -prinzipiell sind dadurch bessere Bedingungen geschaffen, mit dem man diese Antworten selbst finden soll).

Sie kann, wie Feldenkrais auch, leider mit einer Technik, die nicht unbedingt optimal ist, kombiniert werden. Was ich mit nicht optimal meine ist ein bisschen im Artikel (und auch im Film) erwähnt.

Ich bezweifle nicht, dass Feuchtwanger ein guter Musiker ist. Meine Kenntnisse über seine Methode sind begrenzt. Aber vor einigen seiner Übungen, die auf DVD publiziert worden sind, würde ich einem verletzten Pianist abraten: in gewissen Fällen werden sie Schmerzen akuter machen.

VG

4minuten33
 
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4minuten33,
herzlichen Dank für deine Antwort!

Jenseits Aussagen von Vertretern einer Methode (bzw. eines Verfahrens), Befürwortungen und Empfehlungen, egal wer sie verantwortet, sind letztendlich nur die Fakten wichtig:

Wie hoch ist die Erfolgsquote? Gibt es Statistiken?
Wenn nicht, wie viele Heilungserfolge sind dokumentiert worden? Gibt es Bestätigungen von den Betroffenen?

Alles anderes ist in diesem Fall zuerst mal sekundär.
sehr nüchtern und sehr richtig!

Wie hier erwähnt (Blog | klavierspiel.org | Klavierspiel und Klaviertechnik *** Piano et technique du piano), finde ich persönlich die Alexander Technik generell empfehlenswert. Die Beziehung von Kopf, Hals und Rumpf wird auf sehr effiziente Weise erklärt und behandelt.
Obwohl das natürlich eine Wirkung auf das Spielen hat, ist sie keine Klaviertechnik. Sie kann in dieser Hinsicht nicht alle Antworten und Werkzeuge liefern, die für das Klavierspielen (oder die Beseitigung von Beschwerden beim Klavierspielen) notwendig sind. (Diesen Anspruch hat sie auch nicht -prinzipiell sind dadurch bessere Bedingungen geschaffen, mit dem man diese Antworten selbst finden soll).
da sind wir uns völlig einig!

(1) Sie kann, wie Feldenkrais auch, leider mit einer Technik, die nicht unbedingt optimal ist, kombiniert werden.
(2) Was ich mit nicht optimal meine ist ein bisschen im Artikel (und auch im Film) erwähnt.
(1) das kommt sicher vor
(2) das sehe ich ein wenig anders, d.h. ich halte das, was ich als optimale Spielweise dort gesehen habe, nicht für "die optimale" - mir erscheint das, was u.a. bei Margulis zu lernen war, praxisnäher

Ich bezweifle nicht, dass Feuchtwanger ein guter Musiker ist. Meine Kenntnisse über seine Methode sind begrenzt. Aber vor einigen seiner Übungen, die auf DVD publiziert worden sind, würde ich einem verletzten Pianist abraten: in gewissen Fällen werden sie Schmerzen akuter machen.
könntest du das präzisieren? welche der Übungen meinst du? sie sollen doch dazu dienen, Fehlgewohnheiten zu überschreiben.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo Chiarina, danke für deine Geduld.

mal abgesehen von der Pianistenfrage interessiert mich wirklich, worin die veränderte oder andere Herangehensweise besteht.

Das ist jetzt eine logische Frage. Wenn es sich kurz zusammenfassen ließe (abgesehen von dem was ich im Artikel erklärt habe), hätte ich es auf meinem Blog beschrieben. Das verdient einen Vortrag und ich kann diese Frage hier in diesem Rahmen nicht gerecht beantworten.

Das erste Problem ist, dass sich Klavierspielen mit einem Text allein nur schlecht erklären/beschreiben lässt. Alles was ich in meiner ersten Antwort an Rolf über dieses Thema geschrieben habe, gilt wieder. Deswegen gibt es kein Buch darüber, sondern Vorträge, die auf Video aufgenommen sind, mit Demonstrationen am Instrument.



Trotz der Missverständnisse, die wahrscheinlich dadurch entstehen werden, ein paar generelle Worte dazu. Es tut mir Leid, dass ich die Zeit nicht habe, im Detail das hier zu besprechen:

Physisch beruht die Taubman Approach auf einer Analyse der Physiologie und der Mechanik vom Klavier sowie minimalem Aufwand, d. h. „Maximaleffektprinzip“. Es werden dabei u.a. physiologische Prinzipien und Ausrichtungsgrundsätze beachtet; jedes Körperteil soll z. B. in seiner mechanisch am vorteilhaftesten Stellung verwendet werden. Gegensätzlich wirkende Muskeln sollten soweit es geht nicht gleichzeitig aktiviert werden usw.

Ein Grundprinzip ist auch, dass die Hand, Finger und der Unterarm als Einheit, also nicht isoliert sondern synchronisiert verwendet und bewegt werden (das spielt übrigens u.a. auch eine grosse Rolle in der Kontrolle des Klanges). Das heißt aber natürlich nicht, dass die Rolle von dem Rest des Körpers nicht thematisiert wird… - ohne das könnte keine gut koordinierte Technik entstehen.

Diese Prinzipien sind relativ leicht zu verstehen und einige werden wahrscheinlich damit einverstanden sein. In der Praxis hat das aber viele Konsequenzen. Ihre systematische und effiziente Anwendung kann komplex sein und setzt mehrere Elemente/Bewegungen voraus.
Hinter der Arbeit von Taubman steckt eine äußerst gründliche Analyse und ein Erfahrungsschatz, der Jahrzehnte von Arbeit erfordert hat. Die Pädagogik davon wird immer weiterentwickelt.

Um ein Beispiel zu geben, einer der häufigeren Verletzungsgründe ist z.B. das wiederholte, sogenannte „Twisting“ (eine ungünstige Ausrichtung der Finger, Hand und des Unterarms) wie es im verlinkten Film (Choreography of the Hands) teilweise diskutiert wird. So etwas kann vermieden werden, aber die Frage ist: Wie?
Es bedeutet u.a., dass der Daumen nicht immer über die Tasten gehalten wird, wie bei manchen Traditionen, und auch dass man mit den längeren Fingern den Bereich der schwarzen Tasten nicht immer vermeidet. Eine Kombination von Bewegungen erlaubt dabei frei und effizient zu spielen.
Es gibt Pianisten, die dies instinktiv anwenden, und damit unbewusst « Twisting » vermeiden.
 
Wie gehst du vor, wenn du einen verletzten Pianisten vor dir hast?

Danke und liebe Grüße

chiarina

Es kommt darauf an, was das Problem ist.
Pianisten haben aus verschiedenen Gründen Beschwerden und jede/r hat seine/ ihre eigene Kombination von Gewohnheiten. Als Verfahrensweise ist die Taubman Approach eine Art Diagnostik.


Meistens spielt zuerst die Person und beschreibt, was sie fühlt, und was die von ihr wahrgenommenen Problemen, oder Symptome sind - bzw. wann und wo genau im Körper die Schmerzen auftreten.

Im besten Fall treten die Beschwerden nur bei einer bestimmten Passage oder Situation auf (Oktaven, Arpeggios, laut spielen etc.). Ich untersuche bei dieser Aktivität oder Passage, was die genauen Ursachen des Problems sind.

Wenn es möglich ist, arbeiten wir direkt in dieser Passage oder diese Situation an der Lösung. Wenn man Glück hat, ist die Spielweise vom Pianisten ansonsten effizient und gesund; nachdem die Ursache des Problems vom Pianisten verstanden und die Lösung beherrscht ist (nicht nur geistlich sondern auch körperlich), ist er/sie bei diesen Problemstellen beschwerdefrei (soweit er/sie sie nicht in der alten schädlichen Weise wieder spielt) – das erfordert Arbeit und Aufmerksamkeit, Gewohnheiten verschwinden meistens nicht von heute auf morgen.

Wenn das Problem komplexer ist, bzw. Schmerzen/Beschwerden nicht nur in solchen spezifischen, beschränkten Situationen auftreten bzw. andauernd sind, muss dann meistens eine Umschulung gemacht werden. D.h. der Pianist muss zuerst lernen, Einzelnoten ohne Beschwerden zu spielen, dann eine Tonleiter, Akkorde, usw. und dann komplette Stücke.

Wie lange das dauert, ist unterschiedlich. Dieser Prozess bringt aber nicht nur Schmerzfreiheit mit sich, sondern vermittelt rationelle Werkzeuge, mit denen man körperliche Beschwerden vermeiden sowie insbesondere generelle Probleme beim Klavierspielen lösen kann.

Die Taubman Approach ist in der ersten Stelle eine Klaviertechnik und ursprünglich nicht als Therapie entwickelt worden. Überraschend ist für manche, dass die richtige Bewegung tatsächlich ein Abklingen von den Symptomen mit sich bringen kann (d.h. das « gesunde » Spielen, statt pausieren, erleichtert die Symptome).

VG

4minuten33
 
Es bedeutet u.a., dass der Daumen nicht immer über die Tasten gehalten wird, wie bei manchen Traditionen, und auch dass man mit den längeren Fingern den Bereich der schwarzen Tasten nicht immer vermeidet. Eine Kombination von Bewegungen erlaubt dabei frei und effizient zu spielen.
Es gibt Pianisten, die dies instinktiv anwenden, und damit unbewusst « Twisting » vermeiden.
Jetzt bin ich aber wirklich ratlos, denn was ist daran neu oder innovativ?

Das ist doch altbekannt (oder sollte es sein) und man könnte unschwer noch viel mehr aufzählen (z.B. ist ungünstig bis gefährlich, die Hand selber im zwanghaft so zu biegen, dass sie gerade auf den Tasten liegt)
 

Lieber 4minuten33,

ich danke dir! Du versuchst schließlich, auch uns geduldig deine Methode zu erklären! Ich denke auch, dass es schwierig ist, diese in ein paar Posts zu quetschen. Mir ist wie Rolf immer noch nicht klar, was nun das Einzigartige und Neue ist. Ich stimme dir in vielem zu, aber Klavierunterricht läuft so doch immer ab! Wenn der Daumen immer hochgehalten wird, ist automatisch eine Spannung in der Hand, die da nicht hingehört. Das kann jeder auf einer Tischplatte probieren - hat man alle Finger gemütlich in Spielstellung auf der Platte liegen (Kontakt der Fingerkuppen und Daumenecke mit der Platte) und hebt dann den Daumen hoch, spürt man eine unangenehme Spannung im Unterarm und in der Hand. Wenn der Daumen beim Klavier spielen immer über den Tasten schwebt, ist das aus meiner Sicht ein Zeichen für eine sehr ungesunde Spannung, die meistens aus einer Schwäche des 4. Finger (oder anderer Finger) herrührt. Ich habe noch nie gehört, dass heute empfohlen wird, den Daumen zu heben (?).

Wenn ein Schüler nun so zu mir käme, würde ich mit ihm hoffentlich einig werden, dass daran zu arbeiten ist. Und würde, wie du auch beschreibst, ungünstige Bewegungsmuster durch günstige zu ersetzen suchen. Deshalb weiß ich immer noch nicht, welche neuen Aspekte die Taubmann-Methode lehrt. Kannst du vielleicht noch ein anderes Beispiel bringen?

Ist es deiner Meinung nach wirklich möglich, Dystonie ohne medizinische Hilfe zu heilen. Wie geht ihr da vor?

Entschuldige für die vielen Fragen und danke für deine Mühe!!!

Liebe Grüße

chiarina
 
Interessanter Faden,danke an alle.

Das meiste ist ja schon gesagt,berufsbedingte Probleme mit dem Bewegungsapparat sind ein hochspezifisches Fachgebiet,in dem sich leider nur sehr wenige auskennen,in D gibt es wenigstens Ärzte für Physiotherapie in Ö gibt's so eine Ausbildung gar nicht!

Die Standard Therapien von Bewegungsapparat-Störungen sind für Berufsmusiker mit Sicherheit völlig insuffizient,Taubmann/Feldenkrais/Alexander etc daher herzlich willkommen,das Argument,dass Medizin ja nur Syptome behandelt,trifft für die 0-8-15 Basisversorgung zu,jedoch gibt es einige Mediziner,die sich schon auf solche Sachen spezialisiert haben,sind aber selten.Ich hatte mal einige sehr interessante Feldenkrais Ausbildungssitzungen bei so einem Kollegen,leider sind solche Spezialisten in der Medizin aber rar,in der Gesellschaft ist die Häufigkeit dieser Probleme ja auch überschaubar,im Alltag machen uns die massivsten Überlastung in der Industrie weit mehr zu schaffen und erklär' mal einem 55 jährigen Zementsack-Schlepper wie er seine kaputten Bandscheiben bei so einem Beruf entlasten soll,oder der Fließbandarbeiterin ,wie sie ihren Tennisarm losbekommen soll,da hilft kein Feldenkrais und kein Alexander,DAS ist eben leider unser Hauptklientel im Berufsalltag.

Symptomatische Therapie (primär entzündungshemmend) ist oK für den Beginn ,jedoch völlig sinnlos,wenn die auslösende falsche Bewegung nicht ergründet und konsequent vermieden wird,100% Zustimmung zu jeder Anregung in dieser Richtung.

Golfer/Tennisarm/Beinhautentzündungen also die ganze Gruppe der Epicondylitiden entstehen immer durch eine Über/Fehlbelastung der langen Flexoren,Dehnung ist da oft sinnvoller als Ruhigstellung.
Ein CTS scheint mir durch Klavier-Üben ein wenig schwer erklärlich(schließlich drückt man normalerweise ja nicht mit der Hohlhand auf die Klaviatur) ,da ist die PC Maus viel gefährlicher.
Sehnenscheidenentzündungen sind Klassiker,noch häufiger die Paratendinits am Handrücken,wo bekanntlich keine Sehnenscheiden sind.Da hilft nur Bewegungsanalyse und zwar sofort bei Beginn der Beschwerden und maßvoller Einsatz von NSARs,primär lokal,um Schmerz-Unterdrückung und damit Chronifizierung zu vermeiden.

Unser Axenorgan ist natürlich ein weniger spektakuläres Problem als die Dystonie,aber umso häufigerer Quell von Beschwerden:
Brendel kroch einmal die Stiegen runter und sagte zum Journalisten,"alle Pianisten haben ständig Kreuzschmerzen,nur redet keiner darüber",
T.Berhard läßt den Ich-Erzähler in seinem "Untergeher" sagen,er hätte immer unter quälenden Kreuzschmerzen gelitten bis zum Meisterkurs gemeinsam mit Gould bei Horowitz in Salzburg...das lange Sitzen beim Üben ist die Ursache,jede Hilfe,sei es Feldenkrais,Alexander,Taubmann ist hier goldeswert.Goulds berüchtigte Haltung ist ein genaueres Studium wert:er war völlig entspannt,jedes Gelenk schwingt frei im Raum,lockerer kann man nicht mehr musizieren,ABER man sehe mal auf seine Halswirbelsäule:wegen des Pygmäenstuhls mußte er sie ständig in Hyperextension also zurück gebeugt halten,und das auch ohne Noten am Pult,mit selbigen musste er eine geradezu akrobatische Verrenkung seiner Halswirbel durchführen (übrigens sind Pianinos hier physiologisch günstiger als das hohe Notenpult am Flügel,jeder der mal einen Bandscheibenvofall der HWS hatte, kann davon ein Liedchen singen) , die Folge war seine bekannte und hier ja schon erwähnte Schulter-Geschichte mit Krach bei Steinway etc.

Rachmaninows Beschreibung gibt mir leider ein diagnostisches Rätsel auf,"hands lost feeling/pain/bruises forming (!!?) ",kann mir keinen Reim drauf machen,Kapillarrupturen duch exzessives Üben und Konzertieren vielleicht,dazu passt aber das Taubheitsgefühl nicht,auch sollten die Fingerkuppen bei einem durchtrainierten Pianisten wie ihm eine etwas verdickte Coriumschicht als Schutz gebildet haben, vielleicht doch auch zusätzlich ein CTS (das aber kaum vom Klavierspielen kommen konnte)... ehrlich gesagt,keine Ahnung was er hatte.

Tja,spannendes Kapitel.
 
könntest du das präzisieren? welche der (Feuchtwanger-) Übungen meinst du? sie sollen doch dazu dienen, Fehlgewohnheiten zu überschreiben.

Es tut mir Leid, dass ich nicht früher antworten konnte.

Ich meine die Übungen, in denen das Handgelenk sehr niedrig gehalten wird. Erfahrungsgemäß kann das beim Spielen auf die Dauer eine Ursache von Karpaltunnelsyndrom sein, bzw verursacht das bei Pianisten, die schon unter Karpaltunnelsyndrom leiden oder in vielen Fällen von Sehnenscheidenentzündungen, weitere Schmerzen.

Ohne daraus eine längere Diskussion machen zu wollen: Falls du diese Methode gut kennst, fände ich es interessant, wenn du uns wissen lässt, was die Antworten auf die schon erwähnten Fragen in diesem Fall sind. (Erfolgsquote, Statistiken, Bestätigungen von den Betroffenen usw.)
 
Und würde, wie du auch beschreibst, ungünstige Bewegungsmuster durch günstige zu ersetzen suchen. Deshalb weiß ich immer noch nicht, welche neuen Aspekte die Taubmann-Methode lehrt. Kannst du vielleicht noch ein anderes Beispiel bringen?

1-Du hast Recht, wie du es sagst, beschreiben eigentlich diese Worte was jede/r Klavierlehrer/in im Prinzip machen sollte.

2-Was ich mit "ungünstige Bewegungsmuster" meine ist zum Teil anders als das du (aber nicht nur du) damit meinst, auch wenn das nicht unbedingt 100% unterschiedlich ist (das könnten wir beide klar sehen z.B. als wir über Glenn Gould geschrieben haben).

3-Das lässt sich leider nicht hier, rein schriftlich, zuverlässig beschreiben und klären, auch wenn wir uns alle bemühen, und diese Unterschiede sind sehr wichtig - wir verwenden nicht selten dieselbe Worte, meinen aber etwas Unterschiedliches. Deswegen würde ich eine längere Diskussion darüber hier lieber lassen.

4-Die Details, über die ihr verständlicherweise mehr erfahren wollt, kann ich hier nicht in effizienter Weise liefern. Es hängt zu viel zusammen, das ist vor allem nicht das richtige Medium und es fehlt mir auch die Zeit, die dafür notwendig wäre.

5- Das macht sicherlich keinen zufriendenstellenden Schluss für diese Diskussion, aber ich sehe aus der Ferne keine produktive Lösung dafür, außer auf die erwähnten Videos hinzuweisen – da wir uns nicht live sehen können. Über die Videos sage ich mehr in einem weiteren Post.

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Die Taubman Approach für sich selbst erfolgreich beim Spielen anzuwenden, reicht übrigens nicht unbedingt aus, um die Verletzungen von anderen Spieler zu lösen. Das erfordert oft noch tiefere Kenntnisse - u.a. auch Erfahrungen mit den Problemen von anderen (auch die, die man selbst nie hatte) und deren Lösungen.

Wenn man mit einer Person, die Schmerzen hat, arbeitet, gibt es wenig Raum zu suchen oder zu probieren - sie leidet eben. Die Genauigkeit, die man braucht, um einen Verletzungsfall zu diagnostizieren und zu lösen, kann nur betont werden.

Wie erwähnt, Verletzungsfälle können sehr unterschiedlich und komplex sein. Und es ist nicht so, dass jeder aus denselben Gründen sich verletzt. Symptomefreiheit alleine ist nicht das Endziel - man sollte problemlos gut spielen können und keinen Repertoire ausweichen müssen.
 

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