Sich als Erwachsener unbeschwert und flüssig beim Klavierspielen bewegen.

Steinsgate

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Einen schönen Tag wünsche ich allen Mitlesenden...

Ich bin der klischeehafte Vierziger, der aufgrund zahlreicher Umstände nie in den Genuss einer Klavierausbildung kam und dies jetzt irgendwie versucht nachzuholen. Auch erlauben mir derzeit die Umstände nicht das Anschaffen eines Flügels, ja selbst eines Klaviers. Die Gründe dafür sind vielfältig und ich bin drauf und dran diese Gründe sukzessive und Schritt für Schritt zu negieren, sodass ein Flügel in naher bis mittlerer Zukunft in meinem Lebensplan fest eingeplant ist.
Zum jetzigen Zeitpunkt jedoch muss ich mich mit einem Digitalpianio zufriedengeben. Es hat eine Holztastatur und eine Anschlagdynamik. Die Frage, ob man auf einem Digitalpiano spielen lernen kann stellt sich für mich nicht. Ich bin Realist. Auf einem Digitalpiano lerne ich mehr als auf gar keinem Piano. Weiterhin nehme ich bei einer ganz tollen Klavierlehrerin Unterricht, wobei mein positiver Eindruck daher rührt, dass sie durchaus sehr sensibel und einfühlsam auf einen Mann mit der einen oder anderen Ecke und Kante, eingehen kann. Ich bin totaler Anfänger und habe mit dem Unterricht vor genau einem Monat angefangen.
Als moderner erwachsener Mensch, dem außer Bibliotheken auch das Internet zur Verfügung steht, möchte ich natürlich soviel Wissen in mich aufsaugen, wie es nur geht. Zumindest was mein Gehirn in der Lage ist aufzunehmen. Daher möchte ich nun folgendes Problem schildern und bin auf jede euerer Meinung zutiefst gespannt.

Wenn man Pianistinnen und Pianisten, sowohl live als auch im Fernsehen und im Internet beobachtet, so meine ich zu erkennen, dass jeder seinen eigenen "Bewegung-Stil" und Ausdruck-Stil hat. Darin unterscheiden sich meiner Meinung nach die Pianistinnen und Pianisten erheblich. Selbst wenn man den Ton leise stellt, so empfinde ich deren Bewegungen alleine schon als eine Art Musik. Wenn ich jetzt nun nur das Klavierspielen betrachte, also das Klavier rein als Instrument und die Kreativität eines Künstlers mal ausblende, dann erscheint mir, dass ein guter Pianist nicht einfach nur ausdauernd und passioniert das Herumhacken auf der Tastatur gelernt hat. Vielmehr hat er oder sie gelernt sich zu Bewegen. Wie ein Tänzer. Choreographiert bis in die Fingerspitze. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass nicht das Finden einer Taste für einen Anfänger so schwer ist, sondern die notwendige Bewegung hin zur Taste zu erahnen, zu finden, zu lernen, usw...
Als Erwachsener fehlt mir das Flüssige, das Ungezwungene. Mir geht es nicht einmal so sehr um die Fingertechnik.
Ein Kind, das sich leicht an alles gewöhnen kann, auch viel aufnahmefähiger ist und sich spielerisch sehr schnell in etwas einfinden und verbessern kann, hat es da natürlich viel leichter. Sofern es nicht dazu gezwungen wird. Natürlich. Versteht sich von selbst...
Die Frage, die mich nun beschäftigt und mich mitunter manchmal kaum zur Ruhe kommen lässt ist, wie kann ich meine Bewegungen am Klavier verbessern? Natürlich ist das Üben über einen langen Zeitraum vermutlich die alles beantwortende Frage. Dennoch könnte es ja sein, dass der Eine oder Andere von euch hier spezielle Erkenntnisse oder Erfahrungen hat, die mich oder andere Mitlesende beim Üben weiterbringen könnte. Wenn man das Internet durchforstet, dann trifft man unweigerlich auf Schlagwörter wie Armrotation und Handgelenkskreis. Was auch immer man liest, es dreht sich vornehmlich immer um die Finger, mal das Handgelenk und selten auch mal um den Unterarm. Aber nirgends lese ich etwas über den Körper als Einheit. Wenn ich meiner Fantasie freien lauf lasse, dann sehen die Arme einer Pianistin oder eines Pianisten für mich aus wie Flügel, die aus dem Körper gewachsen über die Tastatur huschen und dabei der gesamte Körper in Bewegung ist. Vielleicht sehe ich das zu verbissen und suche nach etwas, dass es gar nicht gibt. Mich würden aber eure Meinungen sehr interessieren. Ich glaube nämlich, dass die allermeisten Fehler, die ich beim Üben und Spielen mache daher kommen, dass ich mich "hakelig", ja gar manchmal stochernd bewege, anstatt ungezwungen, unbeschwert und flüssig. Unabhängig davon, ob meine Finger den richtigen Ton treffen. Ich empfinde es schon als tiefgreifenden Fehler, wenn ich versuche eine Taste verkrampft und hakelig zu erreichen. Da ist meine Konzentration und Freude am Spielen sofort weg, weil ich mich über meine unbedarfte Bewegungen ärgere.
Natürlich sprach ich dieses Thema, wenn auch nicht derart ausführlich, bei meiner Klavierlehrerin an. Ihre Antwort versteht sich von selbst und so dumm bin ich nicht, als das ich die Antwort eigentlich nicht auch schon vorher wusste. Übung macht den Meister und ich solle ihr vertrauen. Sie wird mich auf den richtigen Weg bringen. Schritt für Schritt. Diesen Weg werde ich vorerst auf jeden Fall so gehen. Trotzdem habe ich mich dazu entschlossen euch auch zu fragen. Man kann ja nie wissen...

Ich wünsche euch eine tolle Zeit und hoffentlich begegnet man sich in diesem Forum noch das eine oder andere Mal. ;)
 
Das Buch Klavierchoreographie von Seymour Bernstein liefert viele - teilweise sehr einfache - (Vor-)Übungen zu einer freien unangestrengten Anschlagsbewegung.
Es ist für Anfänger sehr zu empfehlen, über Fingerbewegungen nicht viel nachzudenken, sondern zunächst die Töne - es sind ja noch nicht so viele in kurzer Zeit - mit dem ganzen Arm portato (also leicht abgesetzt) in die Tastatur einzusetzen. Legato kommt später.
 
Willkommen im Club :003:
Mir haben die Titscher Videos (such nalbauf YouTube Titscher+Finger) geholfen. Ich konzentriere mich aktuell darauf, so entspannt wie möglich zu spielen. Aber wie Du ja selbst merkst/weißt ist das sehr schwer, man man etwas so komplexes Neues macht und sich arg konzentriert. Dann wird man fast automatisch angespannt und bewegungsarm.
Meine KL hat es bei mir mit Kreisbewegungen des Oberkörpers bzw. Atemübungen (jeden 2. Takt ein- bzw. ausatmen) versucht - das hat mich nicht angesprochen. Wenn ich ein Stück gut kann, auswendig und am besten mit geschlossenen Augen, kommt die Körperbewegung von ganz allein und zwar passend zu der Musik, die ich machen will.

Was mir übrigens auch gut getan hat: ein Coaching, um meine eigenen Erwartungen mal auf die "Zuhörer-Bank" zu schicken ;-)
 
Das Buch Klavierchoreographie von Seymour Bernstein liefert viele - teilweise sehr einfache - (Vor-)Übungen zu einer freien unangestrengten Anschlagsbewegung.
Es ist für Anfänger sehr zu empfehlen, über Fingerbewegungen nicht viel nachzudenken, sondern zunächst die Töne - es sind ja noch nicht so viele in kurzer Zeit - mit dem ganzen Arm portato (also leicht abgesetzt) in die Tastatur einzusetzen. Legato kommt später.
Sich mit Seymour Bernstein zu beschäftigen, kann ich auch nur empfehlen.
Schau dir auch mal die Videos an, die er auf Grundlage seines ersten Buches „Mit eigenen Händen“ erstellt hat.



Schriftliche Übetipps (allerdings eher fortgeschrittene) findest du auch hier:


Dass einige große Pianisten teilweise eine eigenwillige Technik haben, sollte einen nicht irritieren. Nicht alles ist für jede anatomischen Gegebenheiten vorteilhaft. Demgegenüber kann man mit dem Ideal eines harmonischen Bewegungsablaufs nichts falsch, sondern viel richtig machen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich darf mich bei euch wirklich bedanken. Dieser Seymour ist ja ein hochgradig sympathischer Mensch. Ihm kann man ja stundenlang zuhören. Grandios. Ich kannte ich wirklich nicht. Danke sehr dafür.
Das Buch werde ich mir mal zur Gemüte führen.

Herrn Titscher kenne ich von Youtube. Ich habe mir auch schon das eine oder andere Video angeschaut. Natürlich schaute ich auch Videos von anderen Pianistinnen und Pianisten an. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich der Frau Annique Göttler ewig beim Spielen zuschauen könnte. Ich empfinde ihre Art zu spielen als Tanz, den sie mit der Musik begleitet. Ich weiß, es hört sich konfus an, gar irrational. Es ist ja auch manchmal schwer in Worte zu fassen, was man fühlt.

Was mir übrigens auch gut getan hat: ein Coaching, um meine eigenen Erwartungen mal auf die "Zuhörer-Bank" zu schicken ;-)
Ich habe damit gerechnet, dass das Thema "hohe Erwartungen" angesprochen wird. :heilig:
Als Erwachsener unterliege ich dem Fluch, erwachsen zu sein. Ich reflektiere, mache mir Gedanken und versuche zu verstehen. Die Zeiten des kleinen Burschen sind vorbei, in denen er instinktiv handelte und unterbewusst wusste, wie etwas zu funktionieren hat. Es reichte ihm oft etwas einmal gezeigt zu bekommen und er war in der Lage es zu imitieren.
Im Hier und Jetzt habe ich gar nicht diese hohe Erwartung an mich selbst. Ich möchte einfach nur beim Üben alles Erdenkliche tun, was mich weiterbringt. Und im Moment ist mein Gemütszustand aufgrund meiner Unsicherheit beim Spielen dermaßen am Tiefpunkt, dass ich etwas Motivierendes benötige. Wie Du siehst Sunshine, ich reflektiere und versuche eine Lösung zu finden. Ein Erwachsener halt. :-D
Dennoch hast Du zu hundert Prozent recht. Die Erwartungen immer dem anpassen, was man zu Leisten imstande ist.
 
@Steinsgate
Was mir bei Deinem ersten Post eingefallen ist: Wie bewegst Du Dich denn normalerweise? Also ohne Klavier? Geschmeidig? Machst Du Pilates oder Yoga oder so etwas? Oder regelmäßige Dehnübungen? Oder bist Du eher steif in Deinen Bewegungen? Das allgemeine eigene Körpergefühl hat damit nämlich auch etwas zu tun. Wenn Du eine Dir eigene Art hast, Dich rund und geschmeidig zu bewegen, wirst Du das auch aufs Klavier übertragen. Wenn Du Dich im Alltag eher steif bewegst, wirst Du das ebenso übertragen. Das Klavierspielen ist ja nicht ganz abgetrennt von Deinen restlichen Bewegungen am Tag. Du überträgst Dein Körpergefühl, und ein Ballett-Tänzer wird das anders aufs Klavier übertragen als sagen wir mal ein Buchhalter, der den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt und keinen Sport macht, vor allem auch keine Gymnastik (Pilates, Yoga, you name it).
 
Jein, ein guter Lehrer überfordert Dich immer wieder exakt in dem Maße, dass Dich die Anstrengung und das - möglicherweise nur teilweise erfolgreiche - Ergebnis weiterbringt!
Aber auch der gute Lehrer wird sich dabei an den Leistungsmöglichkeiten seines Schülers orientieren müssen.
Er wird nur eben versuchen, diese Leistungsmöglichkeiten zu erweitern, und den Schüler dabei regelmäßig an seine Grenzen führen ... und darüber hinaus.

Die eigenen Grenzen zu kennen, ist natürlich ebenfalls wichtig ... aber gerade bei Lernenden ist eben auch fraglich, ob die ihre Leistungsgrenzen überhaupt richtig einschätzen können. Zum Glück gibts ja Lehrer mit diagnostischen Fähigkeiten, die einem da weiter helfen können.

Natürlich hast du recht, wer Lernerfolg triggern möchte, der muss von Zeit zu Zeit auch wohldosiert überfordern ... allerdings kann das ohne entsprechende Diagnostik halt auch in die Hose gehen und gibt dann unmotivierte Schüler oder - mMn noch schlimmer - Schüler die glauben, sie wären halt einfach unbegabt.
 
Jein, ein guter Lehrer überfordert Dich immer wieder exakt in dem Maße, dass Dich die Anstrengung und das - möglicherweise nur teilweise erfolgreiche - Ergebnis weiterbringt!

Nach 47 Jahren ohne Unterricht bin ich ja vor inzwischen schon wieder 4 Jahren an ein spezielles Exemplar der Gattung (K)KL geraten.:puh: Zwar hatte er auch ein Konzertexamen Klavier gemacht, war aber nie als Pianist aufgetreten, sondern hat seine Brötchen bis zum Ruhestand immer als Organist/Cembalist und Hochschullehrer verdient. Von Anfang an hat er mir immer zu schwere Stücke vorgeschlagen.:konfus:
Begonnen haben wir mit BWV 847 (zum Entrosten der Gelenke:geheim:), danach BWV 816, 817 und 971.:puh: Gott sei Dank gibt es ja in den Suiten auch einige leichtere Sätze.
Er ließ sich vor 2 Jahren auch nicht davon beindrucken, daß meine Unterarmmuskeln nach einer mit Ach und Krach überstandenen Pneumonie de facto nur noch anatomische Bezeichnungen waren. Als Reha-Maßnahme hat er mir einige Sachen aus dem WTC I verordnet.:angst: Interessiert hat er dann verfolgt, wie im Laufe der nächsten Monate die verschwundenen Muskeln sich peu a peu wieder aufbauten.
Erschwerend kommt hinzu, daß im Verrichtungszimmer dieses (K)KL nicht nur ein schöner Blüthner6 steht, sondern auch ein zweimanualiges Cembalo (Kopie nach Michael Mietke) und eine dreimanualige Johannus-Digitalorgel. So bleibt es nicht aus, daß der Unterricht regelmäßig auch an diesen Instrumenten stattfindet.:cry:
Gerade haben wir BWV 810 abgeschlossen, als nächstes Stück soll jetzt eine Chromatische Fantasie und Fuge eines mitteldeutschen Barockkomponisten folgen.:angst::cry2::angst:
Also weder auf mein fortgeschrittenes Alter noch auf die nach der Pneumonie resultierende Schwerbehinderung nimmt dieser (K)KL Rücksicht.:-((:-((:-((
(Ich bin wirklich kein Masochist):schweigen:
 
Jein, ein guter Lehrer überfordert Dich immer wieder exakt in dem Maße, dass Dich die Anstrengung und das - möglicherweise nur teilweise erfolgreiche - Ergebnis weiterbringt!
Hier wurde glaube ich etwas missverstanden. Sunshine schrieb davon seine eigenen Erwartungen zurückzuschrauben und darauf bezog ich mich. Ich setze also "meine" Erwartungen dem gleich, was "ich" zu leisten vermag, zumindest soweit ich das beurteilen kann.
Ein Klavierlehrer sollte indessen in der Lage sein, den Stoff wohldosiert dem Schüler nahezubringen. Es ist nicht meine Aufgabe und auch nicht mein Fachgebiet zu beurteilen, in welchem Maße er das zu tun hat. Jedoch gehe ich davon aus, dass es wie so oft im Leben ist, nämlich das einige Personen mehr Druck vertragen als andere.

@Steinsgate
Was mir bei Deinem ersten Post eingefallen ist: Wie bewegst Du Dich denn normalerweise? Also ohne Klavier? Geschmeidig? Machst Du Pilates oder Yoga oder so etwas? Oder regelmäßige Dehnübungen? Oder bist Du eher steif in Deinen Bewegungen? Das allgemeine eigene Körpergefühl hat damit nämlich auch etwas zu tun. Wenn Du eine Dir eigene Art hast, Dich rund und geschmeidig zu bewegen, wirst Du das auch aufs Klavier übertragen. Wenn Du Dich im Alltag eher steif bewegst, wirst Du das ebenso übertragen. Das Klavierspielen ist ja nicht ganz abgetrennt von Deinen restlichen Bewegungen am Tag. Du überträgst Dein Körpergefühl, und ein Ballett-Tänzer wird das anders aufs Klavier übertragen als sagen wir mal ein Buchhalter, der den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt und keinen Sport macht, vor allem auch keine Gymnastik (Pilates, Yoga, you name it).
Ich blende jetzt einfach mal den leichten Coronaspeck aus, den ich mir im Lockdown angefressen hatte. Allerdings war ich immer sportlich und bin es nach wie vor. Auch heute war ich beim Sport. Meine Motorik ist durchaus geschmeidig.
Aber auch hier scheint es ein Missverständnis zu geben. Bisher, sowohl in der Literatur als auch in sämtlichen Youtube-Videos wurden bestimmte Sitzhaltungen, generell Haltungen aller Art, einschließlich Sitzhöhen, gepredigt. Auch meine Klavierlehrerin zeigte mir die Handhaltung mit dem Ball in der Hand. Ich versuche natürlich alles so umzusetzen wie es alle richtig zu machen scheinen. Es ist doch klar, dass ich dahergelaufener Anfänger nie auf die Idee kommen und sagen würde ihr alle macht das falsch. So und jetzt kommt's... Ich hasse diese Vorgaben und fühle mich eigentlich nur noch eingeschränkt in meiner Bewegungsfreiheit. Diese Einschränkung führt dazu, dass ich mich ständig verkrampfe, denn ich soll ja einen Ball gedanklich in meinen Händen halten (...als Beispiel) und meine Finger sollen das tun und sollen dies tun.
Vorhin schaute ich mir eines der Videos von Seymour Bernstein an und er erzählte, dass selbst Franz Liszt keine definierte Haltung hatte. Er passte seine Bewegungen ständig dem Spiel an. Einfach so wie es seine Motorik zuließ. Demnach darf ich also doch behaupten, dass es alle falsch predigen? Nur weil es bei dem Ersten und Zweiten funktioniert, muss es auch beim Dritten funktionieren? Eigentlich hat mich Seymour Bernstein in meinen Gedanken bestätigt. Natürlich behaupte ich nicht, dass alles falsch ist, um Gottes Willen. Im Gegenteil. Allerdings glaube ich trotzdem, dass nicht alles aus dem Lehrbuch auf mich angewendet werden kann. Ich merke einfach zu sehr und zu schnell, welche Bewegungen und Haltungen mir mehr schaden als zum Vorteil gereichen.
 

Die eigenen Grenzen zu kennen, ist natürlich ebenfalls wichtig ... aber gerade bei Lernenden ist eben auch fraglich, ob die ihre Leistungsgrenzen überhaupt richtig einschätzen können. Zum Glück gibts ja Lehrer mit diagnostischen Fähigkeiten, die einem da weiter helfen können.
Sich richtig einzuschätzen, können meiner Erfahrung nach nur die Wenigsten. Ich gehöre sicher auch dazu. Was die Lehrer angeht, muss man einfach sagen dürfen, dass es wie in der Schule früher ist. Es gibt Lehrer die sagen einem zu und dann wiederum gibt es Lehrer die einem nicht zusagen. Als Kind hatte man da wohl nicht wirklich eine Wahl...
 
Vorhin schaute ich mir eines der Videos von Seymour Bernstein an und er erzählte, dass selbst Franz Liszt keine definierte Haltung hatte. Er passte seine Bewegungen ständig dem Spiel an. Einfach so wie es seine Motorik zuließ. Demnach darf ich also doch behaupten, dass es alle falsch predigen?
Das "alle" trifft glaube ich nicht zu. Keiner meiner Klavierlehrer hat mir etwas von einem Ball erzählt, wohl aber von einer anatomisch automatisch vorhandenen Krümmung, mit der man spielen soll und nicht mit flachen Fingern. Eine Krümmung, die sich dann natürlich bei jedem unterscheidet. Wenn Du dastehst und einfach Deine Hände locker an Deinen Seiten herunterhängen lässt, dann sieht die Krümmung Deiner Hände ganz sicher anders aus als die meiner Hände. Weil verschieden große Hände, verschieden lange Finger usw. Diese natürliche Krümmung habe ich eigentlich von Anfang an in meinen Fingern gehabt, und meine allererste Klavierlehrerin sagte in meiner allerersten Klavierstunde deshalb zu mir, ob ich schon mal Klavier gespielt bzw. Unterricht gehabt hätte. Was nicht der Fall war.

Das mit der Höhe der Sitzbank ist genauso. Egal, was mir jemand erzählt, wie man die einstellen muss, es kommt doch darauf an, in welcher Position ich mich wohlfühle. Einer meiner Klavierlehrer hatte mich die viel zu hoch einstellen lassen. Und ich habe mich dann immer gewundert, warum ich nach kurzer Zeit solche Schmerzen beim Spielen bekomme. Jetzt sitze ich sehr niedrig, meine Arme sind parallel zur Tastatur, und ich habe keine Schmerzen mehr. Also auch Klavierlehrer, sogar sonst gute, können sich mal irren. Er saß anscheinend bequem so, ich nicht.

Logischerweise kann es doch keine "definierte Haltung" geben, die für einen 1,90m-Mann genauso gilt wie für eine 1,60m-Frau mit viel kürzeren Armen, als beispielsweise Männer sie üblicherweise haben. Jeder muss für sich die eigene beste Haltung finden. Mit geradem (nicht steifem) Rücken, nicht krummem, damit es keine Rückenschmerzen gibt. Aber auch "gerade" und "krumm" sind sicherlich für den einen oder die andere wieder anders definiert.
 
Auf jeden Fall scheint das, was Seymour Bernstein in seinen Videos erklärt, genau das zu sein, was ich tatsächlich suche. Allein schon die Orientierung der Sitzbank. Da wäre ich niemals im Leben draufgekommen. Danke noch einmal für diesen Tip. Für mich ist der Gold Wert. Ich weiß, ihr habt Säcke voll mit "Dankeschöns" aber mit Geld kann ich gerade nicht dienen, da ich an die Flutopfer gespendet habe. Ein Arbeitskollege von mir ist persönlich betroffen. Seine Eltern werden immer noch vermisst und das Eigenheim ist komplett mit allem drum und dran dem Erdboden gleich. Das sind üble Zeiten...
 
Das Buch Klavierchoreografie von Seymour Bernstein scheint übrigens vergriffen zu sein? Hat jemand ein Exemplar, das er loswerden möchte? Ich würde es gern gebraucht nehmen....
 
Als Reha-Maßnahme hat er mir einige Sachen aus dem WTC I verordnet.:angst: Interessiert hat er dann verfolgt, wie im Laufe der nächsten Monate die verschwundenen Muskeln sich peu a peu wieder aufbauten.
Also hier glaube ich, wusste ich sofort wie der Post zu deuten ist. :-D
Ja, das hat mich auch stutzig gemacht. ;-) Aber in Foren weiß man nie. Deshalb frage ich da lieber.

Das war tatsächlich so! Das Italienische Konzert BWV 971, welches ich vor der Pneumonie gespielt habe, ist erheblich schwieriger als BWV 851, 855, 856, 858, 859, 862, 866 oder 868 aus dem Wohltemperierten Klavier.

Und über Nebenwirkungen einer Therapie mit hochdosierten Prednisolonpräparaten (Muskelschwund, Grauer Star) könnt ihr gerne Tante Google befragen. Die Alternative wäre allerdings mein Ritt in die Ewigen Jagdgründe gewesen.

Ironie kann man sicher an einigen anderen Stellen finden.;-)
 

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