Mogelei bei Übezeit?

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wie viel Stunden pro Tag üben die großen Pianisten wirklich?

Diese Frage stellen sich sicher viele hier, Antworten gibt es "ehrliche"(wie ich meine) wie die von Valentina Lisitsa: 12 Stunden täglich.

Und dann eben die anderen, bei denen ich mal nachfragen möchte, ob die nicht "gemogelt" sind:

Friedrich Gulda sagte von sich, er habe nur bis zum 14.Lebensjahr geübt,danach nie mehr.Seine Lebenpartner sangen da ein ganz anderes Lied:der Fritz hat den ganzen Tag geübt,beinahe Tag und Nacht sei er beim Flügel gesessen,es gab einfach nichts anderes für ihn.

Svjatoslav Richter sagte über sich:einmal habe er viel gearbeitet ,als er die 7.Prokofiev Sonate in einem Tag einstudierte, aber sonst hätte er nie mehr als 3 Stunden täglich geübt.Seine Freunde wiederum sagen,12 Stunden täglich wären es tatsächlich gewesen.

Horowitz sagte, er übe nie, er probe nur manchmal,sein Jugendfreund Piatigorsky beschreibt einen Sommer,den er gemeinsam mit Horowitz am Land verbrachte,in dem Horowitz die ganzen Tage nur übte und übte,jedes Stück,jede Note jedes Werkes mit endloser Geduld bis zur Perfektion bearbeitete,er sei "schwierig" ,verschlossen und nur vom Klavier besessen gewesen.

Was stimmt? -

Auch für Pianisten im Niveau eine Horowitz,Richter,Gould,Gulda gab und gibt es Passagen, die eben mal schwierig und kniflfig bis gemein sind,auch die Größten haben in machem Konzert schon Probleme gehabt, und diese Passagen wollen - nehm ich mal an- sehr wohl geübt sein.
Horowitz hatte in seiner Jugend 40 Konzertprogramme im Repertoire,Richter sogar 80,allein dieses gigantische Repertoire zu pflegen,erfordert IMO einen sehr erheblichen Zeitaufwand,auch für den größten Pianisten.

Warum also diese sonderbaren, von Zeitzeugen widerlegte Angaben?

Soll da vielleicht der Nimbus des Genies gepflegt werden,der ohne üben Gaspard,Liszt Sonate,Liszt und Chopin Etuden etc spielen und im Repertoire halten kann? :confused:
 
Nein, die Zeitzeugen können sich nur nicht vorstellen, daß jemand mit "nur" 3-4 Stunden Üben am Tag so ein Niveau erhalten / ausbauen kann und solch ein Repertoire spielbereit halten kann.

Sie sagen: "Der MUSS 8-12 Stunden am Tag üben, sonst GEHT das gar nicht" - vor ihrem eigenen Erfahrungshintergrund!

Und daraus basteln sie dann Erinnerungen / Berichte, ob bewußt oder unbewußt.

Der Mythos ist also nicht der mit den wenigen Stunden, sondern der Mythos ist der mit den extrem vielen Stunden.

Und es ist kein "Nimbus des Genies", wenn man die Tatsache feststellt, daß ein Pianist auf so hohem Niveau nun mal sehr komplexe Dinge relativ locker auswendig drauf hat und sie eben nicht wie ein (noch) mittelmäßiger Spieler jeden Tag x Stunden "bimsen" muß, damit sie nicht wieder verloren gehen. Sich darüber zu wundern ist so, wie wenn man sich wundert, daß ein Schachspieler so viele Eröffnungen kennt und so viele Züge im Voraus denken kann. Oder daß ein Typ auf dem Drahtseil zwischen den World-Trade-Center-Türmen balanciert und dabei noch Faxen macht. Die sind einfach so fortgeschritten und haben die richtigen Hör-, Bewegungs- und Denkweisen absolut assimiliert, so daß das Schwierige / Komplexe für die (relativ) einfach ist.

Wenn Lisitsa so einen Riesen-Bock hat, 12 Stunden pro Tag zu üben (statt auch anderweitig zu leben, wie es Rubinstein immer handhabte und nahelegte...), soll sie das machen. Ist sie dadurch ganz besonders gut gegenüber anderen Oberklasse-Pianisten? Hat sie dadurch ein besonders breites Repertoire? Und vor allem: Berührt ihr Spiel den Hörer dadurch besonders, so daß der Connaisseur in 50-100 Jahren eine Lisitsa-Platte mit besonderem Genuß auflegen wird? Oder wird es mehr heißen: Das war die, die immer den ganzen Tag geübt hat und sich dabei noch ins Internet gestreamt hat?

Komisch, nach wie vor lege ich 10x lieber eine Platte vom "faulen" Rubinstein auf als mir Lisitsa reinzuziehen... meeeeerkwürdig....

LG,
Hasenbein
 
Angeblich übt sie vor Konzerten die angegebenen 12 Stunden.

Ja, ich glaub's ja! Das ist aber hier nicht das Problem / die Frage!

Die Frage ist: Wird die Musik dadurch besser? Oder ist es in ihrem Fall einfach eine gewisse Besessenheit, ein Workaholic-Tum?

Wir wissen ja, daß im ehemaligen "Ostblock" und in China die Kinder von vornherein so erzogen werden, daß sie immer totaaaaal viel üben sollen, sonst gibt's einen auf den Deckel. Und manche verinnerlichen das völlig, andere mucken vielleicht irgendwann dagegen auf.

LG,
Hasenbein
 
Wir haben ja ohnehin, auch hier im "Westen", heutzutage die Arbeits-Religion.

Wer viele Stunden pro Tag schuftet, dem werden vom Gott der Arbeit die Sünden erlassen, der ist "gut".

Wer nicht so viele Stunden pro Tag schuftet (sondern vielleicht einfach klug vorgeht, so daß er zweckmäßige Dinge bewirkt und vielleicht viel mehr "schafft" als der Viel-Arbeiter), der gilt als "Sünder", der sich "durchmogelt", der "Gemeinschaft auf der Tasche liegt", ein "Faulenzer und Bohemien" ist etc. pp.

Und eine "hart erarbeitete" Leistung gilt mehr als eine "aus dem Ärmel geschüttelte" oder "trickreich erlangte".

Daher ist Rubinstein z.B. "verdächtig", und nur zu gerne suchen Leute beim Hören seiner Musik nach Stellen, wo sie dann sagen: "AAAAAAH-HA!! Da haben wir's doch! Geschludert! Das kommt vom zu wenigen Üben! Pah, so ein ungenauer Pianist interessiert mich nicht!"


Ich denke, diese religiösen Glaubenssätze sind auch der Background, vor dem sich überhaupt Kreisleriana zu einem solchen Thread bewogen sieht.

"Kann einer, der nicht immer schön betet, in die Kirche geht und die 10 Gebote befolgt, in den Himmel kommen?" -> "Kann einer, der nicht sehr hart arbeitet, ein Spitzen-Musiker werden?"

LG,
Hasenbein
 
Ich denke auch, dass 3-4 Stunden realistisch sind.
Natürlich gibt es im Zuge einer Konzertvorbereitung sicher längere Übezeiten, aber das ist dann eben die normale Arbeit und kein direktes Üben. Bei einem Orchester spricht man ja auch nicht von Üben sondern eher von Probe oder Vorbereitung. Selbst ein neues Stück einzustudieren fällt bei mir nicht zwingend unter Üben).
David Garrett sagt von sich, dass er so ziemlich Alles spielen kann (was auch immer unter "Alles" zu verstehen ist). Allein um sein Niveau zu halten, übt er täglich mind. 3 Stunden. Schaut man ihm dabei zu, so vergeht die meiste Zeit in "Trockenübungen", Oktavläufe, Bogenführung usw. Er übt auch nicht am Stück sondern wie es gerade passt, auch mal in einer Pause hinter der Bühne. So stelle ich mir das auch bei Pianisten vor.

Wenn jemand auf so hohem Level 10 Stunden am Tag am Klavier verbringt, dann stufe ich das nicht unter Üben ein sondern unter "Beschäftigung mit der Musik". Ein Freund aus dem Nebenzimmer hält es für Üben ein.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Wenn wir nur über die Zeitstunden an sich sprechen, sind die Grenzen fließend zu einem Phänomen, das in der Arbeitswelt unter dem Stichwort Präsentismus bekannt ist.

Entscheidend ist doch nicht die Verweildauer am Instrument, sondern vielmehr, was in den absolvierten Stunden passiert. Das erklärt auch, weshalb anspruchsvolle Aufgaben mitunter in sehr begrenzter Vorbereitungszeit gelingen können: Gute Pianisten gestalten ihre Arbeitszeit gut organisiert und effizient, indem sie die Muster komplexer Aufgaben erkennen und gezielter die gestellten Anforderungen abarbeiten als andere. Des weiteren gibt es analytische und weitere Arbeiten zum Stück, die nicht nur am Instrument geschehen müssen. Eine ausgedehnte Praxis am Instrument kann auch auf großer Begeisterungsfähigkeit für künstlerische Inhalte beruhen - da kann man stundenlang trainieren, ohne Ermüdungserscheinungen zu verspüren.

Natürlich gibt es auch das Kokettieren des einzelnen mit dem Profil des Überfliegers, das Spitzenleistungen noch sensationeller erscheinen lässt. Nun gut, wer es mag...!

Trotzdem glaube ich, dass der erforderliche Einsatz individuell sehr unterschiedlich ist und dass es keine Zeitvorgabe geben kann, bei derem Erreichen die Karriere ganz von selber kommt. Entscheidend ist nun mal, dass das Resultat überzeugt, gleichgültig, ob die tägliche Übungszeit zwei oder sechzehn Stunden beträgt...

meint Rheinkultur
 
Ganz genau, Rheinkultur.

Damit ist eigentlich alles Wesentliche gesagt, vielen Dank.
 
Wenn Du verstehend lesen würdest, dann hättest Du gemerkt, daß Kölnklaviers und Rheinkulturs Beiträge Entscheidendes zur Beantwortung der Ursprungsfrage sagen.

Stattdessen erwartest Du dumpf eine Simpel-Antwort wie: "Die Pianisten selber hatten die Wahrheit gesagt" oder "nee, die Zeitzeugen hatten Recht".
 
Ist ja alles schön und gut, was Ihr hier verfachsimpelt. Nur wie ich es sehe, hat das nichts mit der ursprünglichen, von Kreisleriana gestellten Frage zu tun, denn die lautete ganz simpel: "was stimmt?"
Das ist ja gerade das Problem, dass in einem Fall die Zeitangaben stimmen und im anderen Falle offensichtlich nicht. Teilweise gibt sich Kreisleriana die Antwort selbst (Stichwort: "Nimbus des Genies"). Ich könnte ergänzend zur Person Guldas nachtragen: Friedrich Gulda hat doch auch komponiert - aber wann, wenn er doch den ganzen Tag am Instrument gesessen haben soll? Achtzehn Stunden am Klavier und acht Stunden komponierend am Schreibtisch - und fertig ist der Sechsundzwanzig-Stunden-Tag...?!

Was stimmt? Vermutlich von den behaupteten Zahlen keine zwanzig Prozent - aber was macht das schon? Frei nach der Aussage des Kanzlers der Deutschen Einheit zählt ohnehin nur, was hinten rauskommt...,

meint Rheinkultur
 

Hi all,

vielleicht ist es mit den Zeitzeugen ja auch deshalb so „ungenau“ oder „zweifelhaft“, weil es von diesen Zeitzeugen ja verschieden geartete gab. Der Kamerad Piatigorsky, als Zeitzeuge von Horowitz (ich meine, die betreffenden Stellen stehen z.B. im Plaskin) hat eben nicht IMMER ;) mit Horowitz zusammengelebt – von daher wäre es evtl. lukrativer, einmal Wanda zu befragen. Es gibt ja das Interview bei ihm zuhause, wo auch Wanda dabei ist.

Aber ob sie da (oder irgendwo anders?) Angaben zu Vladimirs Übungszeiten macht, weiß ich nicht mehr..

Über Rubinstein weiß ich, dass er auf jeden Fall relativ MEHR geübt hatte, nachdem Horowitz als Konkurrent in Erscheinung getreten war. Wieviel das war ? Auch hier fehlt vielleicht ein objektiver Beobachter..

Hmm..

-LMG-
 
Es scheint mir eine Frage der Selbst- und Fremdwahrnehmung zu sein: Der Außenstehende hört den Musiker dan ganzen Tag am Instrument "arbeiten", für den Musiker selbst ist das Feilen an Klanggestaltung, Ausdruck und manueller Technik so selbstverständlich (und vielleicht auch beglückend), daß er es gar nicht mehr als "Arbeit" oder "Üben" im landläufig negativen Sinne empfindet.

ja,so ähnlich hab ich mir das auch gedacht,wenn Guldas Freundin klagte,dass es für ihn nichts anderes als Klavier gab und er eigentlich permanent davor saß,er selber aber sagt,"ich übe nie",so könnte genau das gemeint sein.Dass solche Leute es nicht notwendig haben, die E Dur tonleiter zu üben, ist ja klar,aber die permanente Beschäftigung mit der Materie,den Repertoire Stücken auf sicher hoch-effizientem Niveau empfinden sie eben nicht als "üben".
Der Lebemann Rubinstein war sicher ein eigenes Kapitel,aber auch Leute mit phänomenalem Gedächtnis wie er oder Richter(der sich ja beklagte,zuviel im Gedächtnis zu haben), müssen Treffsicherheit doch wohl mit Training aufrecht erhalten(und dass Rubinstein beim Einführen der Schallplatte ziemlich viel üben musste,um die dafür geforderte Präzision zu erreichen,gibt er sogar selbst zu),wieviel Zeit sie dafür benötigen,ist eine andere Sache.
 
Es gibt (nach Ansicht meines Lehrers) - wie oben eigentlich schon beschrieben aber nicht so klar formuliert - einen Unterschied zwischen reinem Üben (z. B. konzentriert etwas Lernen, was man nicht kann), Spielen (z. B. bei einem Konzert, bei einer Probe Stücke spielen, die man schon hinreichend geübt hat) und sonstiger Beschäftigung mit Musik oder Instrumenten (z. B. Transskribieren, Musik hören, ein Instrument aus Kaufintresse anspielen, Literatur über Instrumente /Musiker/Musik/im Clavio-Forum lesen).

Ich habe z. B. seit etwa zwei Monaten nicht mehr Klavier geübt, jedoch ab und zu gespielt, z. B. morgen wieder eine klein Jam-Session. Eine im Nebenraum befindliche Person, vermag nicht unbedingt zu unterscheiden, ob der Musiker gerade übt oder sich anderweitig mit Musik beschäftigt. Die Frage ist jedoch auch, wie der Begriff Übezeit im Hinblick auf diese Differenzierung durch den TE gemeint ist.

Im Hinblick darauf, was einen Musiker insgesamt weiter bringt sei am Beispiel von Lang Lang erwähnt, dass er für dieses Jahr 120 Auftritte anpeilt, dadurch viel Zeit mit Reisen verbringt und bei den Auftritten viel spielt. Diese reine Konzert-Spielzeit z. B. steht im nicht zum Üben zur Verfügung, er dürfte aber viel Erfahrung zur Auftrittssituation sammeln.
 
Mann muss wohl auch unterscheiden, in welchem Stadium sich ein Künstler befindet. Wenn so ein alter Haudegen mit 60 Jahren+ nur 3h übt, dann kann er sich das auch deshalb erlauben, weil er eben mit 20 Lenzen 12h/Tag vor der Kiste saß. Der Chirurg XY mit 45 Jahren übt gar nicht mehr - seine "täglichen Arbeitsauftritte" sind Übung genug. Aber das geht halt nur, weil er 20 Jahre vorher 18 Stunden/Tag geübt hat.

Letztendlich wird es vor allem auch eine Frage der inneren Sicherheit sein. Ein Bonvivant hat per se genug Selbstvertrauen, sich einer schwierigen Aufgabe locker ohne Übung zu stellen - eine "unsichere" Frau (Sexismus!!!) wie Helene Grimaud MUSS sich vorher Ihre mentale Sicherheit durch Übung erarbeiten. Ich glaube fast, ab einem bestimmten Level ist es tatsächlich nur noch eine rein mentale Frage, somit ein "Glaubens-Ding".

Hasenbein hat somit m.E. nicht unrecht, wenn er hier kulturelle Eigenheiten zur Sprache bringt. Ich sehe diese aber weniger auf Nationen bezogen sondern auf den Charakter, die mentale Stärke und Sicherheit.
 
Hi all,
von daher wäre es evtl. lukrativer, einmal Wanda zu befragen. Es gibt ja das Interview bei ihm zuhause, wo auch Wanda dabei ist.

Aber ob sie da (oder irgendwo anders?) Angaben zu Vladimirs Übungszeiten macht, weiß ich nicht mehr..


-LMG-

hmmm,Vladimir und Wanda,die haben doch in zwei verschiedenen Stockwerken eines Hauses in NY gewohnt, oder?
Horowitz soll gesagt haben,das sei sehr gut so,was ich gut nachvollziehen kann,wenn ich mir Wandas Bild vor Augen halte :D:D:D
 


täglich 5 stunden...aber ihr grinsen verrät dass sie früher wohl oft bis zu 9 stunden am tag geübt hat ;-) ich halte 5 stunden auf dauer für realistisch.
lang lang saß täglich seine 8-9 stunden vor dem klavier. in seiner biografie ist das gut beschrieben. da sind auch stundenpläne zu finden wo er schreibt dass er morgens früh schon vor der schule üben "musste". zu den großen meistern habe ich keine informationen - außer dass rubinstein wohl selbst mehr als seine empfohlenen 3 stunden geübt hat und auch mechanisch!...fingerübungen und nebenbei romane lesen und so scherze.
 

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