Klavierschüler mit Behinderung

"Ausländer" gegen "Migranten", dann "Menschen mit Migrationshintergrund".
Ich erlebe das eher so, dass wir immer noch nicht aussagekräftige Begriffe haben. An meiner Schule sind quasi nur Schüler mit Migrationsgeschichte (so der neue Ausdruck, wenn ich mich nicht irre). Die sind aber keine Migranten und schon gar keine Ausländer, weil sie in der Regel hier geboren und sozialisiert worden sind. Sie selbst finden den Begriff auch doof, haben aber auch keinen besseren gefunden. "Zweisprachig" stimmt immerhin. Sorry, ist mittlerweile off-topic, oder?
 
Macht vielleicht nichts, ich finde es wirklich spannend und interessant, über solche Dinge nachzudenken. Ich habe drei Jahre im Ausland gelebt und hatte dort nichts dagegen, als Ausländer bezeichnet zu werden. Auf Englisch fühlt sich der Begriff "foreigner" allerdings irgendwie neutraler an. Kann mir aber nicht vorstellen, dass diese Konnotationsgeschichte ein deutsches Phänomen ist... Wobei ich bei "immigrants" gleich unwillkürlich an ("illegale") Einwanderer aus Südamerika denke. Das Gehirn ist schon ein komisches Fabelwesen.
 
Das Problem ist ja nicht der Begriff an sich, sondern der Kontext in dem er verwendet wird. Wäre der Begriff "Krüppel" und andere Bezeichnungen für Leute* mit äh, Merkmalen, die sie gegenüber der Mehrheit der Leute in ihrem aktuellen Habitat unterscheiden (und das, liebe Stilblüte, schreibst du jetzt hundertmal! ;-) ), seit Anbeginn wertschätzend gebraucht gewesen, wäre der Begriff heute vollkommen unproblematisch. Ein Wort, wie auch jede Redewendung oder vergleichbare sprachliche Konstruktion, erstmalig im beleidigendem Sinne auch gegenüber Nichtbetroffene verwendet, verdirbt in seiner Konnotation und muss über kurz oder lang ausgewechselt werden wie eine Unterhose.

Würde ich andere Verkehrsteilnehmer anpflaumen mit »Ey, du Mensch mit besonderer Herausforderung, eine Führerscheinprüfung ehrlich zu absolvieren, es ist grün!«, so wäre das nach Übernahme dieser Formulierung durch andere keine wirklich wertschätzende Bezeichnung mehr.


*) schon der Begriff "Mensch" hängt mir zum Halse raus.
 
Es geht doch um den wertschätzenden Umgang miteinander, egal, ob es eine Behinderung, eine Eigenschaft, ein Merkmal, eine Besonderheit betrifft. Man kann auch mit den ausgesuchtesten Begriffen jemanden kränken, leider. Die persönlichen Grenzen sind zudem sehr verschieden - was den einen kränkt, löst beim anderen nur ein Achselzucken aus.

Gleichzeitig zeigt sich die Haltung gegenüber Anderen auch im Sprachgebrauch und deshalb ist es meiner Meinung nach richtig und wichtig, die Wörter. die man bisher vielleicht unbedacht verwendet hat, zu überdenken. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich vor vielen Jahren in diesem Forum mal den Ausdruck "bis zur Vergasung" verwendet hatte. Tatsächlich hatte ich bis dahin nie über diesen Ausdruck, der in meiner Kindheit und Jugend sehr oft verwendet wurde, nachgedacht und war sehr dankbar und sehr erschrocken über mich selbst, als ich im Forum auf die Bedeutung hingewiesen wurde.

Heute wird viel über Integration und Inklusion geredet. In all diesen Diskussionen und Debatten wird das Wort Behinderung gebraucht. Der Schriftsteller Christoph Keller bezeichnet "Behinderter" in diesem Artikel als ein Unwort, ich teile seine Ansicht. Ich finde den Ausdruck "Mensch mit Behinderung" viel besser. @tasteur findet ihn vermutlich ebenso furchtbar. In diesem Merkblatt zum Sprachgebrauch "Behinderung" finden sich interessante Hinweise, wobei ich die Erfahrung gemacht habe, dass Blinde kein Problem mit der Bezeichnung "blind" haben, sehr wohl aber mit vielerlei Arten von Mitleid und Angeboten von Hilfe.

Einig sind wir uns sicherlich, dass die Reduzierung auf ein Merkmal wirklich schlimm ist. Dazu muss man nur aus der Masse herausstechen und z.B. besonders groß, klein, dick, dünn oder sonstwas sein. Das ist nicht wertschätzend! Ich finde allerdings auch die zunehmende Verwischung der Begrifflichkeiten wirklich nervig. Klarheit in der Sprache schließt Wertschätzung nicht aus, meine ich. Heute gibt es Kinder mit besonderem Förderbedarf, ein I-Kind (Inklusionskind) wird durchaus als ein Kind mit Behinderung bezeichnet.

Ein Freund meines Sohnes hatte eine Beinprothese. Seine Behinderung war überhaupt kein Thema in der Klasse. Der eine war schlecht in Mathe, der andere in Deutsch, er konnte halt nicht so schnell laufen. So stelle ich mir einen gelungenen und wertschätzenden Umgang miteinander vor.

Liebe Grüße

chiarina
 
Man kst nicht behindert, man wird behindert.

In dem Moment, wo ich Unterricht anbiete für Menschen mit [alles, was mit Klavierlernbereitschaft nix zu tun hat...] was auch immer, erhöhe ich mich selbst. Es offenbart die eigene Denkweise, dass allem, was anders ist als man selber, irgendwie eine Förderungsnot anhängt. Das hätte ich von jemandem, der in der Welt herumgekommen ist, ehrlich gesagt, nicht erwartet.
 
In dem Moment, wo ich Unterricht anbiete für Menschen mit [alles, was mit Klavierlernbereitschaft nix zu tun hat...] was auch immer, erhöhe ich mich selbst.
ach, jetzt verstehe ich warum manche Ausbilder im Handwerk die Lehrlinge nur die Werkstatt kehren lassen und keine Lerninhalte vermitteln.
Sie möchten sich nicht selbst erhöhen...
 
Eine Behinderung ist eine Behinderung.
Man darf das gerne beim Namen nennen, ist allemal besser als dieses Geplapper drumherum, bei dem man sich dann, wenn man eine Behinderung hat, eher veräppelt fühlt.
Bei Leuten, die nicht richtig wissen, wie sie etwas ansprechen oder ausdrücken sollen, hat man dann eher das Gefühl, sie hätten irgendwie ein "Problem" damit.
Jedenfalls gehts mir so.
Ja, ich habe selbst eine Behinderung.
 
ach, jetzt verstehe ich warum manche Ausbilder im Handwerk die Lehrlinge nur die Werkstatt kehren lassen und keine Lerninhalte vermitteln.
Sie möchten sich nicht selbst erhöhen...
Wieder mal ein Beispiel von selektiver Lesart. Du weißt genau, as ich meine. Man muss nicht alles, was iwi anders erscheint, explizit erwähnen. In die eckigen Klammern gehört:
ungeachtet von Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, Religionszugehörigkeit, körperlicher oder geistiger Behinderung und sonstigen vorstellbaren vermeintlichen Schubladen"
 

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