Geistige Behinderung und Klavierspielen

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14. März 2014
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Ich wollte eigentlich nur kurz reinschauen, bin aber irgendwie im Video hängengeblieben.

Ich fand es wirklich interessant, weil es doch recht unerwartete Extremgegensätze sind.
Es ist ja nicht nur autistisch, sondern bei vielen Dingen mental auf Kleinkindniveau und auch blind.

Dennoch taucht er tief in Musik ein und erbringt teils erstaunliche Leistungen. Der Profi wird evtl. nicht alles so großartig finden, aber man muss auch die Gegensätze sehen.


View: https://www.youtube.com/watch?v=mzDBFCvIvk4
 
Hier kann man Dereks Fingerfertigkeit in Großaufnahme verfolgen:

 
Dieser Film ist eine faszinierende und wunderbare Geschichte über Dereks musikalische Vita.

Rex Rolle und Betrachtung seiner Mimik und das teilweise Einschreiten der Bezugspersonen löste bei mir eher unangenehme Empfindungen aus.
Hier ist eine ehrgeizige Verwandte im Spiel war mein Gedanke.
 
Wo wir dabei sind... Ich hatte als Kind sowohl im (ganz gewöhnlichen) Kindergarten als auch in meiner (ganz gewöhnlichen) Grundschule ein Kind mit Down-Syndrom, in der Grundschule sogar in meiner Klasse. Der Junge war sehr beliebt und wurde von einem Zivi betreut. Einmal hat er mich sogar zum Geburtstag eingeladen.

Bei uns kam niemand auf die Idee zu fragen, warum der eigentlich da ist, er andere Aufgaben bekommt, extra Betreuung hat und irgendwie ein bisschen anders ist. Es war einfach so. Genauso wenig hat man sich gewundert , dass ein türkisches Mädchen ihrer Mutter beim Elternsprechtag übersetzt hat oder ein anderer Junge mal eine Klasse wiederholt hat. Kinder hinterfragen sowas nicht kritisch wie Erwachsene, sondern sehen es, und es ist ganz normal und nicht komischer oder gar schlechter als anderes. Das ist zumindest meine persönliche Erinnerung. Was man zum ersten Mal im Leben erlebt, wird als normal wahrgenommen.

Rückblickend bin ich total dankbar diesen Jungen in der Klasse gehabt zu haben, denn ich habe dadurch wenig Berührungsängste mit Behinderten (glaube ich - habe leider nur selten Gelegenheit, welchen zu begegnen). Ganz im Gegenteil, besonders Down-Syndrom-Leute mag ich sehr gerne, weil sie so fröhlich und direkt sind. Zu schade, dass vielen Kindern diese Erfahrung nicht ermöglicht wird, weil die Downies abgetrieben oder in Sonderschulen versteckt werden.
Letzteres finde ich nur dann sinnvoll, wenn die Behinderung so stark ist, dass man sie in einer normalen Grundschule nicht mehr richtig fördern kann. Das ist aber offensichtlich nicht immer der Fall, der "Grad" der Behinderung ist nämlich bei jedem Menschen unterschiedlich. Wie man im Video oben sieht, können manche später ein unabhängiges Leben führen, das sich kaum von dem anderer Erwachsener unterscheidet. Ich hab sogar von einem gehört, der es geschafft hat, zu studieren.
 
Dann bleibt nur noch zu wünschen, dass Menschen mit Behinderung endlich als gleichwertige Menschen wahrgenommen werden, und nicht in erster Linie als Behinderte, wie leider so oft.

Da zu gehört aber auch die Menschen verstehen zu können, was zum Beispiel sich bei einem Kannerautisten welcher ned redet, sich nicht unbedingt als einfach erweist. Hat man selbst ein Kind mit diesen Besonderheiten, fällt es einem leichter es zu verstehen - ich muß allerdings zugeben, daß ich mich vor 13 Jahren noch vor einem Autisten fürchterlich gegraust hätte.

LG
Henry
 
besonders Down-Syndrom-Leute mag ich sehr gerne, weil sie so fröhlich und direkt sind.
Mitunter sind sie durchaus musikalisch. Einen solchen jungen Mann haben wir hier in unserer Gemeinde wohnen. Er übernimmt Ministrantendienste in der Kirchengemeinde und wird auch sonst gut in die Gemeinschaft integriert. Eine besondere Vorliebe hat er für Blasmusik entwickelt. Das Schützenbrauchtum wird hier ziemlich großgeschrieben und beim Vogelschießen und beim Schützenfest ist ein Platzkonzert mit verschiedenen Kapellen und Spielmannszügen obligatorisch. Bei dieser Gelegenheit pausiert der Dirigent schon mal und drückt dem jungen Mann den Taktstock in die Hand. Dieser dirigiert dann das Orchester durchaus souverän, rhythmisch sicher und mit klarer Zeichengebung - da staunt von den anwesenden Gästen so mancher, wie solide das Zusammenspiel funktioniert. Niemand hat gegen eine solche Einlage etwas einzuwenden und allen gefällt das.

Ich hab sogar von einem gehört, der es geschafft hat, zu studieren.
Es gab Zeiten, zu denen man davon überzeugt davon war, dass bei Vorliegen dieser Diagnose eine nennenswerte Lern- und Ausbildungsfähigkeit nicht zu erwarten sei. Inzwischen gibt es deutlich bessere Förderungsmöglichkeiten - wenn sie wahrgenommen werden, sind beachtliche Ergebnisse möglich. Dazu kommt, dass viele sehr motiviert sind, ihr Potenzial bestmöglich auszuschöpfen - mit Bedauern und Mitleid wollen sich diese keineswegs abspeisen lassen.

Dann bleibt nur noch zu wünschen, dass Menschen mit Behinderung endlich als gleichwertige Menschen wahrgenommen werden, und nicht in erster Linie als Behinderte, wie leider so oft.
Solche Einschätzungen beruhen in der Regel darauf, für sich eine Norm zu definieren, wie man zu sein hat. Entspricht das Gegenüber diesem Bild nicht, wird sofort Ungleichwertigkeit unterstellt - ich bin in Ordnung und der andere eben nicht. Nicht so recht klar ist es, inwieweit die Freud'sche Einschätzung in den Hinterköpfen verankert ist, wonach der Künstler eine Sonderform des Psychopathen sei. Ein typisches Unterscheidungsmerkmal bei der pathologischen/krankhaften Abweichung von der "Norm" ist defizitär geprägt - es fehlt etwas, das sonst üblich ist. Der Künstler hingegen hebt sich durch seine kreative Begabung vom Üblichen ab: Er ist produktiv, während andere nur reproduktiv agieren können. In diesem Falle zeigt sich, dass man die "Norm" auch anders auslegen könnte: Uneingeschränkt leistungsfähig ist nur der kreative Mensch, behindert sind alle diejenigen, die zu schöpferischen Leistungen nicht befähigt sind.

Was die ursprünglich für diesen Faden ausgewählten Beispiele so problematisch macht, wenn es um die Akzeptanz des Fremden/Befremdlichen geht, ist die Vereinigung produktiver und defizitärer Faktoren in einer Person, wenn die Abweichungen im Alltäglichen auffallen und man entsprechenden Lebenslagen kaum oder gar nicht ausweichen kann. Wenn die körperliche Fitness nicht zum täglichen Absolvieren eines Marathonlaufes ausreicht, wird das die Mobilität im Alltag nicht einschränken. Wer hingegen nicht einmal wenige Meter Wegstrecke aus eigener Körperkraft heraus bewältigen kann, bekommt diese gewaltige Einschränkung seiner Mobilität ständig im Alltag zu spüren. Im Falle des Eröffnungsbeitrags ist das Missverhältnis besonders ausprägt: Einerseits musikalisch-künstlerische Leistungen, wie man sie Profis zutrauen würde - andererseits die Alltagskompetenz eines Kleinkindes, die nicht einmal ausreicht, sich selbständig die Schnürsenkel zubinden zu können. Man darf es sich schon eingestehen, dass einem schwer fällt, solche ausgeprägten Gegensätze in einer Person zu begreifen.

Wer weiß schon genau, ob der Begriff der Inselbegabung nicht auch auf Personen wie Wolfgang Amadeus Mozart oder Franz Schubert anwendbar gewesen wäre? Nach zeitgenössischen Quellen spräche einiges dafür. Allerdings ist dieses Phänomen erst viel später benannt und zur gleichen Zeit auch wissenschaftlich reflektiert worden...!

LG von Rheinkultur
 
Dann bleibt nur noch zu wünschen, dass Menschen mit Behinderung endlich als gleichwertige Menschen wahrgenommen werden, und nicht in erster Linie als Behinderte, wie leider so oft.
Kleiner Korrekturwunsch meinerseits: "Gleichwertig" ist eine Vokabel, die den direkten Vergleich zwangsläufig nach sich zieht und dem einzelnen seine Grenzen dann doch aufzeigt. Ich würde eher von Akzeptanz der jeweiligen Eigenheiten sprechen, zu denen man trotz Veränderungen grundsätzlich ja sagt. Freilich verstehe ich schon, was mit dieser Formulierung gemeint ist - dem Gemeinten kann ich uneingeschränkt zustimmen.

Hintergedanke: "Gleichwertigkeit" könnte man als Wunschzustand definieren - erst wenn diese Vorgabe erfüllt ist, erfolgt die Zuerkennung des Prädikats, "gleichwertig" zu sein. Ein Beispiel aus der Schulzeit, in der zwangsläufig viele Lebensinhalte fremdbestimmt sind? Die aktive Teilnahme am Sportunterricht ist im Regelfall verbindlich - auch für diejenigen, bei denen eine schwächere körperliche Konstitution größere Erfolge in diesem Fach praktisch ausschließt. Die Teilnahmeverpflichtung hat einen erzieherischen Hintergedanken: Auch bei aktivem Bemühen kommt mancher über die Note "Ausreichend" kaum hinaus - würde er aber aufgrund geringer Erfolgserwartungen jegliche körperliche Betätigung im Rahmen seiner Möglichkeiten von Anfang an verweigern, täte er sich selbst keinen Gefallen. Irgendwann stellen sich Langzeitfolgen durch ungesunde und bewegungsarme Lebensführung ein, ohne dass das so sein müsste.

LG von Rheinkultur
 

Meine Mutter ist gelernte Heilerziehungspflegerin und arbeitet in einem Wohnheim für geistig und körperlich Behinderte Menschen. Da sind viele Atisten musisch begabt.

LG
 
Ich mag es ned sonderlich wenn Autismus mit geistiger Behinderung gleichgesetzt wird....aber gut, des kann wohl nur jemand nachvollziehen der Autisten persönlich kennt.

LG
Henry
 
Meine Mutter ist gelernte Heilerziehungspflegerin und arbeitet in einem Wohnheim für geistig und körperlich Behinderte Menschen. Da sind viele Atisten musisch begabt.

LG
Hallo Henry,
ich glaube, das Gaya nur vermitteln wollte, das in dem Wohnheim auch Autisten leben.
Ich kann das nachvollziehen, da ich auch in einem Wohnheim für geistig und körplich behinderte Menschen arbeite.
Wir haben hier einige Autisten die seelisch, geistig und körperlich behindert sind.
(Mehrfach Schwerstbehindert)

So wird es bei Gayas Mutter im Wohnheim auch sein.

LG Hanne
 
@Herbstzauber , versteh mich ned falsch - mein "Großer" wurde einem IQ Test unterzogen und als geistig behindert abgestempelt. Der Psychologe zu mir "er kann es nicht", Ich zum Psychologen: "er mag ned".
Das ist das große Problem bei Autisten, es ist nicht so daß sie es ned könnten, nur wo sie keinen Sinn drinnen sehen, tun sie schlichtweg ned.

LG
Henry
 
@Henry ,ich versteh dich jetzt sehr gut .So eine Problematik machen wir gerade mit unserem Enkel durch.:-((

Ich wünsche dir viel Kraft und Durchhaltevermögen.

LG Hanne
 
Das auszuhalten ist bestimmt sehr schwer für dich! :-(

Ja, ist es in der Tat. Aber ich bin auch nicht in der Lage 24 h am Tag aufzupassen, daß ihm nichts passiert - er hat schlichtweg kein Gefahrenbewußtsein, und würd womöglich auch auf der Autobahn spielen - daß er ned redet, macht die Kommunikation auch ned gerade einfach. Und doch wünschte ich er wär dahoam.
2012 hat er diesen Platz im Internat/Heim bekommen, auch wenn sie ihn da gut behandeln.....es war für mich der fürchterlichste Abschied....ich hab auch seit dem kaum noch Klavier gespielt.......................aber was solls, mein rumgeflenne hier bringt niemanden weiter, ich wünschte bloß daß man Autismus, insebsondere Kannerautismus ned als geistige Behinderung deklariert, sondern sich mit dieser Andersarteitkeit auch befaßt.

LG
Henry
 
Ja, ist es in der Tat. Aber ich bin auch nicht in der Lage 24 h am Tag aufzupassen, daß ihm nichts passiert - er hat schlichtweg kein Gefahrenbewußtsein, und würd womöglich auch auf der Autobahn spielen - daß er ned redet, macht die Kommunikation auch ned gerade einfach. Und doch wünschte ich er wär dahoam.
2012 hat er diesen Platz im Internat/Heim bekommen, auch wenn sie ihn da gut behandeln.....es war für mich der fürchterlichste Abschied....ich hab auch seit dem kaum noch Klavier gespielt.......................aber was solls, mein rumgeflenne hier bringt niemanden weiter, ich wünschte bloß daß man Autismus, insebsondere Kannerautismus ned als geistige Behinderung deklariert, sondern sich mit dieser Andersarteitkeit auch befaßt.

LG
Henry

Das ist es ja bestimmt, was dir das Leben so schwer macht. In der Einrichtung wird ihm nichts passieren und die fehlende Kommunikation kann hier besser eingeschätzt und darauf eingegangen werden, da es sich bestimmt Um ein Fachinternat mit speziell ausgebildetem Fachpersonal handelt. ich meine, das habt ihr richtig gemacht !

Du flennst nicht, du bist traurig, dass dein Kind nicht bei dir leben kann. Das können die meisten von uns nachvollziehen.

Vielleicht schreiben die Fachleute von geistiger Behinderung, weil sie keine anderen Namen für Andersein finden. Wer weiß da schon genau?

Liebe Grüße
Marion
 

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