"Für Elise" im Unterricht - ja oder nein?

Den ersten Teil kann ich voll unterschreiben.

Lehrer, die jedem Wunsch ihrer Schüler nachgeben, gibt es sicher auch. Die Frage ist, ob man bei denen viel lernt. Die Antwort lautet: eher nicht.


Dem muss ich teilweise widersprechen. Es kommt natürlich immer auf den Kontext und den Anspruch an. Leute wie Du, mick, oder Stilblüte, hasenbein, etc. haben natürlich ein Niveau, das weit über dem des "durchschnittlichen Hobbypianisten" liegt (zu letzteren würde ich mich zählen). Da sind die Ansprüche und das musikalische Verständnis natürlich anders.
Ich beispielsweise habe Unterricht bei einem Lehrer, der sehr viel von Musik(theorie) versteht und beispielsweise auch an zwei Musikhochschulen unterrichtet.
Der könnte mir so einiges beibringen, was über das bloße Stücke üben hinausgeht. Ich habe aber die Zeit schlichtweg nicht, mich näher mit sehr komplizierten Stücken oder Musiktheorie zu beschäftigen.
Wir gucken immer gemeinsam, wenn ein Stück abgeschlossen ist, was als nächstes anstehen könnte. Er kennt meine Vorlieben und schlägt mir oft auch abseits davon Literatur vor, die neu und interessant für mich ist.
Dennoch kehre ich nach solchen "Exkursionen" immer wieder gern zu Chopin, Schubert oder Mendelssohn zurück, weil es mir eben gefällt, diese Stücke zu spielen und mich mit ihnen in meiner Freizeit (!) zu beschäftigen.

Ich würde sagen, dass ich seit dem Unterricht bei diesem Lehrer sehr viel gelernt habe, auch weil er sich sehr intensiv mit den Stücken beschäftigt und wir sehr viel Detailarbeit betreiben. Da ist das musikalische Niveau des Unterrichts schon sehr hoch, wie ich finde. Nur weil ein Lehrer also überwiegend den Wünschen seines Schülers entgegenkommt, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Schüler da nichts dazulernt...
 
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Das stimmt


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Den Wünschen entgegenkommen und die Wünsche von den Augen ablesen sind zwei völlig verschiedene Dinge. Ein Lehrer sollte den Wünschen seines Schülers immer entgegenkommen. Die Frage ist lediglich, wie kleinschrittig diesen Wünschen entsprochen wird und wie kurz- mittel- oder langfristig die Wünsche angelegt sind.

"Ich möchte Klavier studieren" aus dem Mund eines 14-Jährigen ist ein langfristiger Wunsch.
"Ich möchte Stücke nach Harmoniesymbolen begleiten können" ist ein mittelfristiger Wunsch.
"Ich möchte Stück X jetzt spielen" ist ein kurzfristiger Wunsch.

Wenn man an einem langfristigen Wunsch arbeitet kann es sein, dass kurzfristigen Wünschen nicht immer entsprochen werden sollte, z.B. jedem Impuls nach einem bestimmten Stück nachzugeben. Denn dann muss man klug planen, was wann gelernt und zum ersten Mal erfahren wird. Ein Fünfjähriger würde auch sicher gern mal Autofahren, aber das steht dem längerfristigen Wunsch, das Erwachsenenalter zu erreichen, möglicherweise im Weg.

Wenn man eine Sache neu lernt, ist man auf diesem einen Gebiet wie ein Kind. Man kann (noch) nicht überblicken, was es alles gibt, wie der Weg aussieht, wie lang er ist, was man darauf findet und sehen wollen wird. Man sieht nur bis zum nahen Horizont, der besonders am Anfang nur einen Steinwurf entfernt liegt.
Man kann nun der kurzatmigen Lebensform der Neuzeit nachgeben und die Wünsche des Schülers kurzfristig befriedigen, dann ist das Klavierspielen ein hübsches Hobby. Man kann auch nur manchen Wünschen nachgeben und andere für später aufheben, dann wird das Klavierspielen möglicherweise das eigene Leben in allen Bereichen nachhaltig und positiv beeinflussen.
 
@Stilblüte
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Das sollte ich ausdrucken - so gut formuliert (treffend, bildlich und dennoch knapp!) habe ich es in entsprechenden Situationen noch nicht hinbekommen!
 
Letztlich kommt es auf die Ziele des Klavierschülers an. Wie die am besten zu erreichen sind, liegt in der Expertise des Lehrers. Die Ziele seinem Klavierschüler vorschreiben kann er aber nicht.

Ich lerne seit Jahren nur noch die Stücke, auf die ich Lust habe. Ich bin natürlich jederzeit offen für Anregungen und denen gebe ich auch manchmal nach. Ich habe aber auch kein anderes Ziel als einfach zu spielen, mit der Zeit besser zu werden und neue Stücke zu erarbeiten. Ich glaube, manchmal sind Lehrer (tut mir leid!!) ein wenig engstirnig, weil sie ihre eigenen Prioritäten wie Leistungsfähigkeit, Repertoireerschließung, technische Perfektionierung dem Schüler verschreiben wollen. Andererseits liegt da auch ein ganz realer und in meinen Augen nicht auflösbarer Widerspruch: Ich kenne eigentlich keine Hobbypianisten, die nicht besser werden wollen, aber wie viel man dafür zu investieren bereit ist oder auch einfach, wie viel man investieren kann an Zeit und Hingabe, das ist manchmal einfach nicht genug. Also manchmal gibts die realen Ziele, die man aber für utopisch hält, und die selbstgesteckten Kompromissziele, die den Lehrer langweilen :)

lg marcus
 
Sehr schön geschrieben, .marcus. und Stilblüte. Alles sehr treffend.

Um nochmal zum eigentlichen Thema "Elise". Es gibt sie, diese "ausgenudelten" Stücke. Auch von Chopin, Debussy, etc. Auch ich möchte manchmal einfach so ein Stück spielen, und das "erlaubt" mir mein Lehrer dann auch. Claire de Lune z.B. ist so ein Stück, das in zig Filmen und Serien verwurstet wurde, was ich aber von klein auf schon toll fand mit seiner zauberhaften Melodie und Harmonik.

Ich habe es mir irgendwann selbst mal versucht beizubringen und vor einigen Monaten mit meinem Lehrer nochmal richtig und von Grund auf neu erarbeitet. Es ist noch lange nicht auf dem Niveau, auf dem ich es gerne hätte, aber es macht einfach Spaß. langfristig daran zu arbeiten. Es ist, wenn man es richtig spielen können möchte, wirklich ein sauschweres Stück für einen "Freizeitpianisten". Und das ist "Für Elise" meiner Ansicht nach auch . Die wenigsten spielen es wirklich gut und von daher finde ich es in Zusammenhang mit einem guten und ernst gemeinten Unterricht völlig legitim, es mit einem motivierten Schüler zu erarbeiten.

Klavierlehrer haben - wie alle Berufe übrigens - das Problem, dass sich erzwungenermaßen manches immer und immer wieder wiederholt und man verständlicherweise auch mal irgendwann die Schnauze voll hat von den ganzen "Klassikern". Da muss man dann auch mal durch und kann nicht sagen "Nein, das spielst Du mir nicht, weil ich es einfach nicht mehr hören kann."
Ich muss mit meinen Patienten in der Klinik teilweise auch die immer selben Probleme durch kauen und die gleichen Strategien erarbeiten. Letztlich ist es aber doch immer eine Herausforderung, weil jeder Mensch eben anders ist.
Aber es ist natürlich richtig, dass man seinen Schülern nicht immer alles von den Augen ablesen sollte, wenn man als Lehrer "das große Ganze" im Blick hat.
 
Das Problem ist meistens nicht das Spielen an sich, sondern das Unvermögen, zu spielen. Wenn jemand musikalisch und technisch auf dem Level spielt, das für Stück X erforderlich ist und dann ein Ergebnis herauskommt, dass ich "künstlerisch" genießen kann, steht dem nichts im Wege. Meistens ist dem aber nicht so, und "Elise", "Fantasie-Impromptu", "b-moll Scherzo", "Mondscheinsonate" etc. wollen nach einem halben Jahr gespielt werden.
 
Das Problem ist meistens nicht das Spielen an sich, sondern das Unvermögen, zu spielen.
Das finde ich für Freizeitspieler normal, dennoch kann es ja nicht Ziel sein, auf "Alle meine Entchen Niveau" zu bleiben, weil alles andere nicht schön klingt. Und für den Genuss des Klavierlehrers/in bin ich als Schülerin doch nicht zuständig. Ich denke, es sollte Hand in Hand gehen, im Erwachsenenbereich sowieso. Der Lehrer zeigt den Weg, macht Vorschläge, trägt quasi die Fackel ,und ich gehe los und bringe mich mit meinen Sachen ein und habe auch eigene Vorstellungen, die ich mit Unterstützung der erfahrenen Person umsetzen möchte. Ein Stück nicht spielen zu sollen, weil der Lehrer/in es nicht mehr hören kann, finde ich merkwürdig und verstehe ich ehrlich gesagt auch nicht.
 
Ein Stück nicht spielen zu sollen, weil der Lehrer/in es nicht mehr hören kann, finde ich merkwürdig und verstehe ich ehrlich gesagt auch nicht.

Das ist auch schwachsinnig! Ein Stück einem Schüler zu verbieten, nur weil der Lehrer es nicht mehr hören kann! Da stimme ich Dir zu.

Das gilt allerdings nicht, wenn ein Stück dem Schüler noch zu schwer ist. Dann sollte der Klavierlehrer das Stück dem Schüler auch wirklich nicht spielen lassen. Wird auch kein versierter Klavierlehrer machen. Der Schüler wird dadurch auch nichts lernen. Ich kann auch nicht nach einem halben Jahr Fremdsprachenunterricht gleich Dolmetscher werden!
 

Nun will ich auch mal über mein Elise-Abenteuer berichten. Wie viele schon von Euch wissen, hatte ich als Kind zwei Jahre unerfreulichen Klavierunterricht. Meine ehemalige Schwägerin konnte wunderbar Klavier spielen besonderes die Elise, die ich damals unheimlich gerne hörte. Ich war damal 17 oder 18, mein letzter Klavierunterricht lag mindestens 7 Jahre zurück, ich besorgte mir Noten und schaffte es natürlich nicht alleine außer dem Anfang zu erarbeiten. Als ich mit über 60 dann Klavierunterricht hatte, fragte ich meine Klavierlehrerin nach ca. 1 1/2 Jahren Unterricht, ob sie mir helfen würde das Stück zu erlernen. Nach vielen Übungseinheiten habe ich es geschafft die Elise einigermaßen zum Klingen zu bringen, aber manchmal habe ich auch schlechtere Tage, da hakt es an den schwierigen Stellen immer mal wieder. Aber mein Mann, meine Enkelkinder und meine verstorbene Hündin lieben oder liebten dieses Stück sehr, deshalb spiele ich es auch gerne und danke meiner Klavierlehrerin sehr, dass sie das Projekt mit mir angegangen ist.
 
Tolle Antworten die hier geschrieben wurden. Dennoch möchte ich die Frage mal erweitern: was eigentlich macht etwas schwer? Das Gewicht, das die Taste am Boden hält bleibt ziemlich gleich (ca. 50g) je nach Klavier und Hebel. Laute Töne erfordern eine höhere Beschleunigung, da wird es schon schwerer. Aber wenn ich einen lauten Ton und einen leisen Ton zur gleichen Zeit spielen möchte (Akkorde z.B. oder eben die Mondschein Sonate mit ihrer Kantilene), da gibt es etwas anderes was schwer ist: ein lauter Ton bedeutet einen schnelleren Hammerkopf, respektive eine schnellere Taste. Der Ton ist dann auch früher an der Seite. Das ist nach meiner Auffassung die größte Schwierigkeit. Dadurch wird das Klavierspiel oft unrhythmisch, da die lauten Töne immer früher kommen als sie sollten. Anschließend muß der Dämpfer wieder an die Seite, damit kontrolliere ich zum einen die Dauer des Tones aber zum anderen auch die Klangfarbe. Nun habe ich hier einen Begriff, nämlich „schwer“, der sich aber bedeutungsmäßig unterscheidet. Nämlich einmal schwer, im Sinne von Gewicht, zum anderen im Sinne von wie setzte ich das um. Es ist also eine Frage der Technik. Wenn man weiß, was man machen muß, ist nicht mehr schwer und dann muß ich solange üben, bis es leicht ist. Am Ende ist das Klavier für den Spieler nur ein Mittel zur Kommunikation. Zur Kommunikation der Gefühle.


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"Schwer" wurde hier synonym zu "schwierig" und "anspruchsvoll" gebraucht. Im Übrigen geht es genau darum: Dass man weiß, was man machen muss, und dass man es dann solange übt, bis es leicht ist. Und eben darum, woher man es weiß und wie man es übt.
 
Ehrlich gesagt denke ich mal wieder: "Blaaaaaaa Blaaaaaaa Blaaaaa".

So viel Herumgerede, nur um zu vermeiden, den eigentlichen Knackpunkt ehrlich und offen auszusprechen.

Leute haben in den allermeisten Fällen keinen Bock, zu Hause etwas alleine zu üben. Peng, aus.

Dies ist nicht nur beim Klavierüben so, sondern man kennt das auch von Körperübungen, Krankengymnastik usw. Letztens bestätigte mir eine Physiotherapeutin, dass die ALLERmeisten Leute NICHT zu Hause die Übungen machen, die sie "aufkriegen", unabhängig vom Schweregrad der Beschwerden, und unabhängig davon, wie oft und wie deutlich man erklärt, dass alle paar Tage 20 Minuten in der Physiotherapiepraxis NICHT hinreichend sind.

Sich selber gegenüber zuzugeben, dass man es einfach nicht geschissen kriegt, ist sehr unangenehm. Daher sagt man sich: "Tja, ist ja auch kein Wunder, ich kriege ja auch so uninteressante Sachen auf. Würde ich nur Sachen aufbekommen, die wirklich SPASS machen, würde ich auch üben!"

Unnötig zu sagen, dass auch dies in den seltensten Fällen geschieht, geschweige denn dass so geübt wird, wie der Lehrer gesagt hat.

Schließlich, wenn auch diese Selbstbelügung (und Lehrer-Nervung) scheitert, wird das Trumpf-As aus dem Ärmel gezogen: "Ich bin halt unbegabt / zu alt / habe halt nicht genug Zeit / blablabla". Die ultimative Selbstbelügung.

Die Wahrheit ist: Wäre es so (rein theoretisch), dass das Üben in Gruppen stattfindet und man einen Beitrag zahlt, um dann regelmäßig zur Übegruppe hinzugehen, würden die Leute problemlos üben, und man müsste mit ihnen auch nicht diskutieren, ob denn dieses Stück auch wirklich "Spaß macht". Der Gruppenleiter würde das Stück ansagen, fertig.
 
Wäre es so (rein theoretisch), dass das Üben in Gruppen stattfindet und man einen Beitrag zahlt, um dann regelmäßig zur Übegruppe hinzugehen, würden die Leute problemlos üben, und man müsste mit ihnen auch nicht diskutieren, ob denn dieses Stück auch wirklich "Spaß macht". Der Gruppenleiter würde das Stück ansagen, fertig.
Hast du das schon mal ausprobiert? Klingt nach einer interessanten Idee.
 
Muss man nicht ausprobieren (habe aber schon von z.B. Bläserkollegen gehört, die Derartiges machen). Ist völlig klar, da man genug Beispiele findet, wo es bestens funktioniert (Fitnessstudio, Yogagruppe, Sportverein etc.). Dort werden langweiligste Sachen ohne Murren gemacht und geübt, da man sich per Vertrag und Bezahlung verpflichtet hat sowie andere Leute da sind, die einen "mitziehen" (=schnell mal sagen "och, mir ist irgendwie gerade nicht so danach" geht nicht).
 
Gruppenlernen kann dann eher was für Leute sein mit wenig Eigenantrieb und wenig eigenen Vorstellungen....es braucht dann quasi eine Mutti, die sagt wann, was geübt wird...
 
Die meisten bräuchten eigentlich so eine Mutti.

Interessanterweise war es zu Anfang des 19. Jahrhunderts nicht unüblich, dass man den Schüler keinesfalls alleine üben ließ. Er hatte schlicht mehrmals in der Woche Unterricht und durfte dazwischen nicht alleine üben.
Sehr effektiv - aber halt zu teuer, weswegen im Zuge der Industrialisierung und der allgemeinen Verbreitung des Klavierspiels sich der Irrglaube durchsetzte, ein Klavierunterricht, bei dem man sich 1x die Woche für 45 Minuten trifft und ansonsten der Schüler hoffentlich einigermaßen zweckmäßig alleine dahinwurschtelt, könne effektiv sein.
 
Hallo @hasenbein ,
hast Du eigentlich nur lernunwillige Schüler? In einer Gruppe unterrichten könnte doch eigentlich nur mit kompletten Anfängern klappen.
Ich kann nur von mir ausgehen, ich übe auch ohne Druck nur für mich alleine gerne ein neues Stück, wenn es mich interessiert. Allerdings hat mir meine Klavierlehrerin bestägigt, dass keine ihrer anderen Schüler so fleißig lernt wie ich.
 

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