"Ein Profi muss ohne Noten spielen können" - Warum?

DonMias

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Angeregt durch eine kleine Bemerkung in einem anderen Faden - den ich nicht mit OT stören möchte - stellt sich mir die Frage, warum "heutzutage" von großen Teilen des Publikums erwartet wird, dass professionelle Klavierspieler bei öffentlichen Auftritten ohne Noten spielen. Mir persönlich ist das völlig wurscht, aber vielleicht übersehe ich ja was.

Also: Wer ist der Meinung, dass ein Profi ohne Noten spielen können muss und vor allem, wie begründet ihr diese "Forderung"? Spannend wäre für mich auch, wie die hier anwesenden Profis das selbst sehen.
 
Angeregt durch eine kleine Bemerkung in einem anderen Faden - den ich nicht mit OT stören möchte - stellt sich mir die Frage, warum "heutzutage" von großen Teilen des Publikums erwartet wird, dass professionelle Klavierspieler bei öffentlichen Auftritten ohne Noten spielen. Mir persönlich ist das völlig wurscht, aber vielleicht übersehe ich ja was.

Also: Wer ist der Meinung, dass ein Profi ohne Noten spielen können muss und vor allem, wie begründet ihr diese "Forderung"? Spannend wäre für mich auch, wie die hier anwesenden Profis das selbst sehen.
von Menahem Pressler (siehe Silvesterkonzert) erwartete ich das nicht mehr. Aber bei einem professioniellen Klavierspieler sollte alleine durch die wohl genügende Vorbereitung das so sitzen, dass kein Blick mehr auf irgendeine Note nötig sein sollte, nur noch der Ausdruck sollte zählen, jede millisekunden Zögern stört sichtbar und HÖRBAR. Und bei Menahem Pressler hörte man es teilweise, obwohl der langsame 2. Satz von Mozart 23 traumhaft war. Auch bei anderen hört man es, es fehlt der Fluss.
 
Geht man halt in Jazz-Konzerte. Da wird meistens ohne Noten oder nur nach Lead-Sheet gespielt und das sind auch Profis:-D.
Im Bereich der klassischen Pianisten habe ich eher den Eindruck, dass auch jenseits der Kammermusik mehr Pianisten als früher auch bei Solo-Konzerten die Noten nutzen. Ob mit oder ohne Noten, das ist für mich kein Kriterium von Professionalität, es zählt das Ergebnis.
 
Ich sag mal so, wer auf das "Blatt" angewiesen ist, kann des Stück einfach nicht richtig - ist wie n Klavierstimmer der ned ohne Stimmgerät auskommt ;-)

LG
Henry
 
von Menahem Pressler (siehe Silvesterkonzert) erwartete ich das nicht mehr. Aber bei einem professioniellen Klavierspieler sollte alleine durch die wohl genügende Vorbereitung das so sitzen, dass kein Blick mehr auf irgendeine Note nötig sein sollte, nur noch der Ausdruck sollte zählen, jede millisekunden Zögern stört sichtbar und HÖRBAR. Und bei Menahem Pressler hörte man es teilweise, obwohl der langsame 2. Satz von Mozart 23 traumhaft war. Auch bei anderen hört man es, es fehlt der Fluss.


Das kann man auch durchaus anders sehen. Früher wurde das Spielen mit Noten genau aus diesem Grund bevorzugt, weil man, anders als beim Auswendigspielen, nicht der Gefahr des Vergessens ausgeliefert war. Dadurch, dass dieser Druck bzw. die Anstrengung sich zu erinnern fehlt, konnte man sich noch genauer auf die Interpretation konzentrieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Weiß ich nicht, ob man das so sagen kann. Zu Zeiten von Beethoven war das Vorspielen mit Noten völlig normal.

Ist es doch zum Teil heute auch noch. Nur ein Stück zu können heißt, man hat es im Kopf und kann sich auf die Interpretation konzentrieren. Wenn ich ein Gedicht vortrage, lese ich es ja auch nur ab wenn ich es nicht kann.

LG
Henry
 
Die große Mehrzahl aller Instrumentalmusiker (Orchester, Kammermusiker) spielen mit Noten. Nur die Solisten spielen überwiegend auswendig. Also kann es so schlecht nicht sein, wenn ein Musiker zumindest die Noten vor sich hat. Wieviel er dann doch im Kopf hat, ist eine andere Sache.
 
Ist es doch zum Teil heute auch noch. Nur ein Stück zu können heißt, man hat es im Kopf und kann sich auf die Interpretation konzentrieren. Wenn ich ein Gedicht vortrage, lese ich es ja auch nur ab wenn ich es nicht kann.

LG
Henry


Naja, die Pianisten werden früher ja nicht viel schlechter gewesen sein ;). Die werden es schon auch Auswendig gekonnt haben, aber das Auswendigspielen kostet nun mal zusätzliche Anstrengungen, weil man sich auf das Erinnerte konzentrieren muss. Somit fehlen Ressourcen für die Interpretation.
 
@Henry Das was du schreibst entspricht nicht der Wirklichkeit. Natürlich kann jeder Pianist sein Stück auswendig, wenn er es im Konzert spielt. Die Noten kämen nachträglich und zusätzlich dazu. Sie würden bedeuten, dass die meist vorhandene innere Spannung, die auf den Druck des Auswendigspielens zurückgeht, geringer wird oder entfällt. Viele können ihr eigentliches Potential vermutlich nicht ganz ausschöpfen, weil ein Teil der Konzentration und Leistungsfähigkeit für das Auswendigspielen und das gedankliche Vorausschauen draufgeht. Das kann man auch zum Teil ändern, aber nicht komplett.

Ein Punkt, der völlig in Vergessenheit geraten ist: Wenn man die Noten vor der Nase hat, kann man sich spontan davon inspirieren lassen. Gerade bei Komponisten, die sehr viel hineinschreiben, sieht man dann noch einmal die konkreten Angaben, man hat auch die Töne vor der Nase. Das ist ein externer Reiz der auf einen einwirkt und kein inneres Erinnern. Etwas ganz anderes.

Ich habe in der letzten Zeit mehrere Gespräche über die Unsinnigkeit der Auswendigspiel-Pflicht geführt und gestern in einer Art Musiker-Talkshow darüber gesprochen. Das Kuriose ist, dass es völlig inkonsequent gehandhabt wird. Warum werden Klavierkonzerte auswendig gespielt, Klavierquintette aber nicht? Warum die Goldbergvariationen, aber (nicht notwendigerweise) keine Ligeti-Etüden? Warum Chopin-Nocturnes, aber keine Schubert-Lieder? Warum muss der Pianist auswendig spielen, der Flötist aber nicht? usw.

Mir schwebt ein Klavierwettbewerb vor, der mit den ganzen alten Konventionen aufräumt. Auswendigspiel und Spiel mit Noten werden absolut gleichberechtigt behandelt. Es gibt eine "unvirtuose" Runde. Es gibt eine Runde hinter dem Vorhang. Es gibt eine Jury aus Profis und eine aus Fachfremden, und so weiter. Vielleicht kann ich das irgendwann realisieren.
 
@Stilblüte der letzte Abschnitt - tolle Idee, bloß - was ist eine unvirtuose Runde?

Vorhang müsste in ersten Runden immer sein und kein Jurymitglied, wenn Teilnehmer Schüler
 

Ich muss sagen, mir ist eigentlich die Illusion, die durch das Auswendiglernen hergestellt werden kann, nämlich dass der Pianist das jeweilige Werk so sehr verinnerlicht und zu seinem geistigen Besitz gemacht hat, dass er von den Noten ganz unabhängig geworden ist, eine teure. In der Praxis ist das sicherlich sehr unpraktisch, teilweise wahrscheinlich einfach unmöglich, bei dem ganzen Repertoire, das man spielt. Trotzdem finde ich es schade um die Ablenkung, die durch das Umblättern entsteht und von dem äußeren, visuellen Eindruck, der ein "Abspielen" nahelegt.

lg marcus
 
@Henry

Ein Punkt, der völlig in Vergessenheit geraten ist: Wenn man die Noten vor der Nase hat, kann man sich spontan davon inspirieren lassen. Gerade bei Komponisten, die sehr viel hineinschreiben, sieht man dann noch einmal die konkreten Angaben, man hat auch die Töne vor der Nase. Das ist ein externer Reiz der auf einen einwirkt und kein inneres Erinnern. Etwas ganz anderes.

Den Punkt finde ich besonders spannend, man stelle sich vor, was ein Kissin oder Trifonov mit zusätzlichen Reizen alles anstellen könnten. Da wird einfach noch mal ein riesiges Potenzial verschwendet, einfach nur des ,,Effekts" wegen...
 
Vielleicht wird der Umblätterer als störend empfunden?

Das ist ein wichtiger Punkt. Aus dem Grunde spiele ich alles auswendig, auch Kammermusik. Ich gebe allerdings zu, dass mir das Auswendigspielen sehr leicht fällt, es ist keine zusätzliche Anstrengung für mich. Wenn andere mit Noten spielen, stört mich das überhaupt nicht, das Gesagte gilt wirklich nur für mich.
 
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