Dies irae Thema

  • Ersteller des Themas Pianojayjay
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Da würden mich nähere Einzelheiten interessieren.
bzgl. der Uraufführungen des Stabat Mater 1842 und der petite Messe solenelle 1864 sowie der Reaktion kirchlicher Instanzen genügt sicher ein Blick in die eine oder andere Rossini-Biografie; die kath. Kirche lehnte Rossinis Kirchenmusik als zu weltlich ab (ins selbe Horn tuteten auch etliche deutsche Rezensenten, darunter der junge Wagner) Allerdings änderte das nichts am Erfolg von Rossinis Kirchenmusik:
Die kirchlichen Instanzen zeigten sich ablehnend, doch die Musikfreunde allerorten bejubelten das religiöse Werk wie eine neue Rossini-Oper.
zitiert aus https://www.ku-spiegel.de/beiträge/booklets-k-bis-r/rossini-stabat-mater/

Ablehnung seitens offizieller kirchlicher Würdenträger/Instanzen hatten im 19. Jh. einige Komponisten erfahren, so auch Verdi mit seiner Messa da Requiem und Liszt mit seinen Vorschlägen zur Reform der Kirchenmusik - - das ist aber für das dies irae Thema höchstens ganz am Rande interessant. Und zwar insofern, als die abgelehnten Werke kein dies irae Motiv verwendeten oder gar parodierten (ok, dass die Kirche in Sachen Kirchenmusik mitreden will, sich aber nicht um weltliche Sinfonien schert, ist nachvollziehbar) Erstaunlich ist halt, dass die spektakuläre Verwendung des dies irae Motivs innerhalb des "Hexensabbats / schwarzer Messe" in einer Sinfonie seitens kirchl. Instanzen nicht weiter zur Kenntnis genommen wurde.

Aber zurück zu Berlioz, der mit seiner Sinfonie aus vielerlei Gründen Furore machte. Im Programm zur Sinfonie (Fassung von 1845) heißt es relativ lapidar:
Zitat von Berlioz:
Fünfter Satz
TRAUM EINER SABBATNACHT
Er sieht sich beim Hexensabbat inmitten einer abscheulichen Schar von Geistern, Hexen und Ungeheuern aller Art, die sich zu seiner Totenfeier versammelt haben. Seltsame Geräusche, Stöhnen, schallendes Gelächter, ferne Schreie, auf die andere Schreie zu antworten scheinen. Das Motiv seiner Liebe erscheint noch einmal, doch es hat seinen noblen und schüchternen Charakter verloren; es ist nichts mehr als ein gemeines Tanzlied, trivial und grotesk; sie ist es, die zum Sabbat gekommen ist ... Freudengebrüll begrüßt ihre Ankunft ... Sie mischt sich unter das teuflische Treiben ... Totenglocken, burleske Parodie des Dies irae, Sabbat-Tanz. Der Sabbat-Tanz und das Dies irae zusammen.
im franz. Original:
Cinquième Partie: Songe d'une Nuit de Sabbat
Il se voit au sabbat, au milieu d'une troupe affreuse d'ombres, de sorciers, de monstres de toute espèce, réunis pour ses funerailles. Bruits étranges, gemissements, éclats de rire, cris lontains auxquels d'autres cris semblent répondre. La mélodie-aimée reparaît encore; mais elle a perdu son caractère de noblesse et de timidité; ce n'est plus qu'un air de dans ignoble, trivial et grotesque; c'est elle qui vient au sabbat ... Rugissements de joie à son arrivé ... Elle se mêle à l'orgie diabolique ... Glas funèbre, parodie burlesque du Dies irae. Ronde du sabbat. La ronde du sabbat et le Dies irae ensemble.
bei Heine dazu:
Das Beste darin ist ein Hexensabbath, wo der Teufel die Messe liest und die katholische Kirchenmusik mit der schauerlichsten, blutigsten Possenhaftigkeit parodiert wird. Es ist eine Farce, wobei alle geheimen Schlangen, die wir im Herzen tragen, freudig emporzischen und sich vor Wollust in die Schwänze beißen.
Hexensabbat, schwarze Messe, diabolische Orgien, Totenglocken, dies irae - das alles mag als musikalischer Inhalt von Instrumentalmusik neuartig sein (schwarze Romantik in der Musik), aber literarisch war dergleichen infolge der sehr populären Horrorliteratur des 18. und frühen 19. Jhs. keinesfalls unbekannt. Und immerhin ein frühromantisches Vorbild für diese Sorte Horrormusik lässt sich finden: die Wolfsschluchtszene in Webers Freischütz.

Kurzum hat Berlioz weder Hexensabbate, noch Totenglocken, diabolische Orgien, schwarze Messen und die dies irae Melodie aus der Taufe gehoben, sondern konnte voraussetzen, dass diese nicht ganz unbekannt waren. Man könnte einwenden, dass Berlioz sein poetisches Programm verfasst hatte, damit der Hörer das alles kapiert - die Frage wäre dann, ob Hörer wie Börne, Heine, Schumann womöglich zu dumm oder zu ungebildet waren, weil sie weder Totenglocken noch dies irae erkannt hätten ohne das schriftl. Programm... letzteres erscheint eher unwahrscheinlich.
 
Erstaunlich ist halt, dass die spektakuläre Verwendung des dies-irae-Motivs innerhalb des "Hexensabbats / schwarzer Messe" in einer Sinfonie seitens kirchl. Instanzen nicht weiter zur Kenntnis genommen wurde.

Wie gesagt: Für die Kirchenoberen jener Zeit wäre es schon eine Leistung gewesen, überhaupt so ein Phänomen wie den bürgerlichen Konzertsaal zur Kenntnis zu nehmen, ganz zu schweigen von der (überwiegend) textlosen Musik, die dort zu Gehör kam und deren womöglich antikatholischer, antichristlicher Gehalt nur schwer bestimmen war. Die Glaubenskongregation ist da einer Entwicklung um Jahrzehnte hinterhergehinkt. Sie hätte sachverständige Spitzel haben müssen, strategisch über in die großen Konzertsäle Europas verteilt, die sich als Zuträger für die Indizierung eines Werkes hätten aussprechen müssen.

Die Kirche unter Pius IX. hatte ganz andere Probleme. Sie war dabei sich einzuigeln, nachdem die französische Revolution und der "Liberalismus" gesiegt hatten. Sie begann, sich von der an ihr zunehmend desinteressierten Außenwelt abzuschotten. Sie wollte wenigstens auf dem Papier recht haben, und dieses Papier war der "Syllabus errorum" von 1864, ein Versuch, wenn schon nicht die Welt zu retten war, so doch wenigstens ihren Klerus und ihre Schäfchen vor den dort aufgelisteten 80 "modernistischen Irrtümern" zu bewahren. Ich kann mich nicht erinnern, daß dort ein Gedanke an den bürgerlichen Musizierbetrieb verschwendet wird.

Das erste Mal, daß sich die Kirche seit dem Tridentinum überhaupt wieder mit Musik beschäftigt hat, war 1903 - unter Pius X. - mit dem Sendschreiben "Tra le sollecitudini". Es geht auch da nur um Kirchenmusik; der Text ist ziemlich belanglos: Der Gregorianische Choral soll in der Messe wieder größere Bedeutung haben, sein Gebrauch stärker gepflegt werden; es gibt strenge Regeln für die Vertonungen des Meßordinariums; die Orgel als Begleitinstrument ist erwünscht, Klavier und Perkussionsinstrumente sind verboten, landessprachlicher Gemeindegesang in der Messe ist unerwünscht...

In den "Index Librorum Prohibitorum" - wie der Name schon sagt - fanden keine Partituren Eingang. Ich hab gerade mal die Stichprobe gemacht: 1911 kam es zum Eklat um die Uraufführung von Debussys und D'Annunzios "Martyre de Saint Sébastien". Der Erzbischof von Paris untersagte seinen Schäfchen bei Strafe der Exkommunikation den Besuch dieses Werkes (weil D'Annnunzio Christus und Narziß einander zu ähnlich werden läßt). D'Annunzio ist sicherheitshalber gleich mit seinen Opera omnia dramatica auf dem Index vertreten; von Debussy fehlt jede Spur.

[...] dies irae - das alles mag als musikalischer Inhalt von Instrumentalmusik neuartig sein (schwarze Romantik in der Musik), aber literarisch war dergleichen infolge der sehr populären Horrorliteratur des 18. und frühen 19. Jhs. keinesfalls unbekannt.
Kurzum hat Berlioz weder Hexensabbate, noch Totenglocken, diabolische Orgien, schwarze Messen und die dies irae Melodie aus der Taufe gehoben, sondern konnte voraussetzen, dass diese nicht ganz unbekannt waren.

Immer noch solide am Thema vorbeigedacht. Darum geht und ging es nicht. Es ging um die Frage, ob das 'dies irae'-Thema als musikalische Chiffre für Sterblichkeit/Vergänglichkeit (also ganz unschauerromantisch) auch schon vor Berlioz' in Gebrauch gewesen ist.

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Du Spaßvogel, selbst für einen nur wenig praktizierenden Katholiken war die Sequenz so bekannt wie ein Gassenhauer: als fester Bestandteil der vorkonziliaren 'Missa pro defunctis'. Angesichts der hohen (Kinder-)Sterblichkeit und des engeren großfamiliären und nachbarschaftlichen Zusammenhalts hatte man wohl -zig Mal im Jahr das Vergnügen, sie zu hören.
wie schön, der Berlioz konnte sich also darauf verlassen, dass das Publikum - zumindest dessen katholische Anteile - diese Melodie samt sakral-funebrer Konnotation kannte :-D

Aber die Frage war doch, ob der Text und die Melodie im nichtromanischen/nicht-katholisch-slawischen Kulturraum zum protestantischen Bildungsgut gehörten, vor 1830 - und zwar so, daß ein Komponist auf die Idee kommen konnte, sich ihrer Semantik als eines Verständigungsmittels zu bedienen. Da habe ich begründete Zweifel (siehe oben) und Du bis jetzt keinen Beleg (...) wie konfessionell-eingeigelt die Kirchenmusik im krähwinkligen präcaecilianistischen Deutschland gewesen ist.
Warum sollten die Protestanten dergleichen nicht gewußt haben?
Waren die allesamt so stramm engstirnig in ihrer pietistischen Krähwinkligkeit, dass die z.B. beim shopping angesichts eines Freiburger oder Kölner Münsters sich aus Angst vorm papistischen Antichrist umgehend entleibten? Goethes Faust I, Dom. Amt, Orgel und Gesang. Gretchen unter vielem Volke. Böser Geist hinter Gretchen. Da kommt dann einiger lateinischer Text... das kapierten die Protestanten nicht?

...vor ein paar Beiträgen hast du ausführlich dargelegt, dass Clara & Robert protestantisch waren. Wenn ich deine weitschweifigen Erläuterungen richtig verstehe, attestierst du den Protestanten Krähwinkligkeit, vermutest, dass sie aufgrund konfessioneller Scheuklappen weder Text noch alte Melodie der Totenmesse kannten. Und dann lesen wir beim Protestanten Robert, dass der a) das Zeugs wohl doch kannte und b) kein großes Geschrei deswegen veranstaltet. Stattdessen schreibt der Robert einiges sehr vernünftige über die Berliozsche Sinfonie und demonstriert, dass er keine Mühe hat, diese aus dem Lisztschen Klavierauszug zu verstehen.

Ich weiß immer noch nicht, was ich sonderlich zu beweisen hätte... Es sieht so aus, als hätte das Publikum dort, wo die fantastische Sinfonie gespielt bzw. rezipiert wurde, keine Mühe damit gehabt, im 5.Satz das dies irae Thema samt seiner funeber-sakralen Konnotation wahrzunehmen.

Immer noch solide am Thema vorbeigedacht. Darum geht und ging es nicht. Es ging um die Frage, ob das 'dies irae'-Thema als musikalische Chiffre für Sterblichkeit/Vergänglichkeit (also ganz unschauerromantisch) auch schon vor Berlioz' in Gebrauch gewesen ist.
Wer sagt hier, worum es geht? ... laut Überschrift geht´s hier um das dies irae Thema...
Möglicherweise Haydns 103. Sinfonie (obwohl ich da etwas dran zweifle)
Notabene verharrt die Verwendung des Themas nach Berlioz nicht in der burlesken Parodie, nicht im Umfeld von Hexensabbat und schwarzer Messe, sondern wird oft genug als Chiffre für Sterblichkeit/Vergänglichkeit verwendet, sogar von einem orthodoxen der zu Hollywood ansässig wurde... ;-)
Allerdings scheint der Berlioz diesen Stein so richtig ins rollen gebracht zu haben.

Wie sieht es denn bei diversen Versuchen aus, den Faust zu vertonen? Da taucht der lat. Text auf, sodass sich die Verwendung der Melodie anböte. (Spohrs Faust kenne ich nicht, kann nichts dazu sagen)
 
Wozu müssen Heine und Schumann das thematisieren? Ich habe es thematisiert, um zu erklären, wie konfessionell-eingeigelt die Kirchenmusik im krähwinkligen präcaecilianistischen Deutschland gewesen ist.

Selbst heute kenne ich als Katholik im Wesentlichen (Neu)gregorianik. Die kunstvollen Messen Schuberts etc. spielen in der kirchlichen Praxis jedenfalls bei unserer Gemeinde keine Rolle. Die Orgel wird sparsam eingesetzt, es bestimmt die Schola, der Priester und der Gemeindegesang die Messe, fast aehnlich wie in der orthodoxen Messe (dort gibt es ueberhaupt keine Orgel).
Es gibt zwar Kirchenlieder (es wird immer die oekumenische Variante gewaehlt), aber normalerweise nur "alte", meist nur eines am Schlusz. Als ich das erste Mal in einem protestantischen Gottesdienst war, hat mich die Vielfalt der Kirchenlieder eher verwirrt. Die vielleicht "rueckwaerts gewandt" erscheinende Wahl der Kirchenmusik bei uns hat uebrigens nichts mit der sonstigen Einstellung zu tun, die ich eher als "hypermodern" bezeichnen will, so modern, dasz es staendig Schwierigkeiten mit zentralen Kirchenorganen gab und gibt.
Die Trennung im 19. Jhdt. war sicher erstaunlich streng, siehe auch Bruckner, dessen musikalisches Zentrum sicher nicht Bach war, waehrend der Konvertit Mendelssohn staendig Bach zitierte bzw. fuer den Konzertsaal wiederentdeckte. Ich nehme an, auch aus religioesen Gruenden.
Jannis
 
bzgl. der Uraufführungen des Stabat Mater 1842 und der petite Messe solenelle 1864 sowie der Reaktion kirchlicher Instanzen genügt sicher ein Blick in die eine oder andere Rossini-Biografie; die kath. Kirche lehnte Rossinis Kirchenmusik als zu weltlich ab (ins selbe Horn tuteten auch etliche deutsche Rezensenten, darunter der junge Wagner) Allerdings änderte das nichts am Erfolg von Rossinis Kirchenmusik:
zitiert aus https://www.ku-spiegel.de/beiträge/booklets-k-bis-r/rossini-stabat-mater/

Ablehnung seitens offizieller kirchlicher Würdenträger/Instanzen hatten im 19. Jh. einige Komponisten erfahren, so auch Verdi mit seiner Messa da Requiem und Liszt mit seinen Vorschlägen zur Reform der Kirchenmusik - - das ist aber für das dies irae Thema höchstens ganz am Rande interessant.

Mich hatte ja ganz konkret der Zank mit dem mächtigen Vatikan und das Aufführungsverbot für das Stabat Mater interessiert.
Darüber finde ich in der einen oder anderen Rossini-Biografie leider nichts.

Das Stabat Mater wurde (in seiner Urfassung) für einen Würdenträger der katholischen Kirche komponiert.

Zur Fassung 1842 schreibt Heinrich Heine:

Letzteres, das »Stabat« von Rossini, war die hervorragende Merkwürdigkeit der hingeschiedenen Saison, die Besprechung desselben ist noch immer an der Tagesordnung, und eben die Rügen, die von norddeutschem Standpunkt aus gegen den großen Meister laut werden, beurkunden recht schlagend die Ursprünglichkeit und Tiefe seines Genius. Die Behandlung sei zu weltlich, zu sinnlich, zu spielend für den geistlichen Stoff, sie sei zu leicht, zu angenehm, zu unterhaltend – so stöhnen die Klagen einiger schweren, langweiligen Kritikaster, die, wenn auch nicht absichtlich, eine übertriebene Spiritualität erheucheln, doch jedenfalls von der heiligen Musik sehr beschränkte, sehr irrige Begriffe sich angequält. Wie bei den Malern, so herrscht auch bei den Musikern eine ganz falsche Ansicht über die Behandlung christlicher Stoffe. Jene glauben, das wahrhaft Christliche müsse in subtilen magern Konturen und so abgehärmt und farblos als möglich dargestellt werden; die Zeichnungen von Overbeck sind in dieser Beziehung ihr Ideal. Um dieser Verblendung durch eine Tatsache zu widersprechen, mache ich nur auf die Heiligenbilder der spanischen Schule aufmerksam; hier ist das Volle der Konturen und der Farbe vorherrschend, und es wird doch niemand leugnen, daß diese spanischen Gemälde das ungeschwächteste Christentum atmen und ihre Schöpfer gewiß nicht minder glaubenstrunken waren als die berühmten Meister, die in Rom zum Katholizismus übergegangen sind, um mit unmittelbarer Inbrunst malen zu können. Nicht die äußere Dürre und Blässe ist ein Kennzeichen des wahrhaft Christlichen in der Kunst, sondern eine gewisse innere Überschwenglichkeit, die weder angetauft noch anstudiert werden kann, in der Musik wie in der Malerei, und so finde ich auch das »Stabat« von Rossini wahrhaft christlicher als den »Paulus«, das Oratorium von Felix Mendelssohn-Bartholdy, das von den Gegnern Rossinis als ein Muster der Christentümlichkeit gerühmt wird.

http://www.heinrich-heine-denkmal.de/heine-texte/lutetia43.shtml
 
Der mächtige Vatikan zankte sich mit Rossini und verbot die Aufführung dessen Stabat Mater im Petersdom (oder so ähnlich)
Da würden mich nähere Einzelheiten interessieren.
Wo kann ich mich kundig machen?
bzgl. der Uraufführungen des Stabat Mater 1842 und der petite Messe solenelle 1864 sowie der Reaktion kirchlicher Instanzen genügt sicher ein Blick in die eine oder andere Rossini-Biografie
Mich hatte ja ganz konkret der Zank mit dem mächtigen Vatikan und das Aufführungsverbot für das Stabat Mater interessiert.
Darüber finde ich in der einen oder anderen Rossini-Biografie leider nichts.

Kann nix drüber drinstehen, weil Rolf sich vertut. Das "Stabat Mater" in seiner Erstfassung, also mit dem Tadolini-Anteil, wurde 1831 in San Felipe el Real ohne jede kirchliche Beanstandung uraufgeführt. An der Uraufführung von Rossinis Zweitfassung (von ihm allein komponiert) konnten Kleriker schon deshalb keinen Anstoß nehmen, weil sie im Pariser Théâtre-Italien nichts zu sagen hatten (1842). Ort der erfolgreichen italienischen Erstaufführung 1845 war der Palazzo dell' Archiginnasio in Bologna (unter der Leitung von Donizetti). Die nächste Aufführung war im Teatro La Fenice in Venedig, dann folgte das Teatro Regio di Parma etc.

Ein anhaltender Trend: Rossinis Souveränität, sich beim Vertonen sakraler liturgischer Texte nicht den Beschränkungen des stile ecclesiastico zu unterwerfen, zumindest nicht so, wie sich das ein Kleriker jener Zeit gewünscht hätte, führte wie von selbst zu weltlichen Aufführungsorten seiner Kirchenmusik. Dem entspricht eine Tendenz der bedeutenderen Sakralwerke in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts, die - wenn nicht im Tonfall, so doch von der Instrumentierung her - im Konzertsaal besser aufgehoben sind als in der Kirche (bis hin zu Brahms, dessen Requiem schon durch die Textauswahl nicht für den Liturgiegebrauch geeignet ist).

Abgesehen davon haben Kleriker gern in allen Stimmlagen über die Verweltlichung der Kirchenmusik rumgezetert, aus ihrer Perspektive vielleicht zu Recht, nur daß das die Komponisten begreiflicherweise nie juckt.
 
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Warum sollten die Protestanten dergleichen nicht gewußt haben? [...]

Fahr nach Tübingen in die UB und lies ein gutes Buch über die Geschichte der evang./kath. Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts, wenn Du mir nicht glaubst.

In den konfessionell zerrissenen deutschen Landen herrschte damals zwischen den Glaubensrichtungen kirchenmusikalisch absolute Funkstille. Choralgesang/Gregorianik war kein Bestandteil der Ausbildung zum evangelischen Kirchenmusiker, kein Bestandteil des lutherischen/reformierten/unierten Gottesdienstes. Und die Pflege des Gregorianischen Chorals ließ auch bei den katholischen Glaubensbrüdern zu wünschen übrig; genauer gesagt: Sie war gerade im Dekadenzstadium angekommen (wir befinden uns ungefähr im Jahre 70 vor Solesmes). Die Sequenz wurde zwar in jeder Totenmesse gesungen, wenn nicht als Bestandteil einer mehrstimmigen Requiem-Vertonung, dann in der gregorianischen Gassenhauer-Version, aber das hat offenbar kein Heer einfacher oder intellektuell anspruchsvollerer Gottesdienstbesucher motiviert, diese Melodie in weltlichen Kompositionen zu verwursten - vor 1830.

Wer in Deutschland etwas mit Alter Kirchenmusik am Hut hatte (vorzugsweise mit Palestrina, also Spätrenaissance) und dabei zwischen den Konfessionen vermittelte, war ausgerechnet das Bildungsbürgertum, das dem institutionalisierten Christentum fernstand - ein völlig anderes Soziotop. Zwischen dem einfachen ländlichen (womöglich noch gläubigen) Kirchgänger und dem städtischen Bildungsbürgertum klafften Welten. Der einzige mir bekannte Fall jemandes, der den Sprung über diese Grenze geschafft hat, war Bruckner.

Dem Bildungsbürgertum kannst Du sowohl Berlioz, Heine als auch das Ehepaar Schumann-Wieck zurechnen. Bei Berlioz gab es das perfekte Mischungsverhältnis: Er war mit der Choraltradition vertraut - als von Haus aus katholischer Franzose - und stand der Una Sancta gleichzeitig fern genug, um sie musikalisch zu veräppeln (zu den von Dir sehr schön beschriebenen Zwecken), aber auch das ambivalent: Kurz darauf liebäugelte er schon wieder mit einer Welt unschuldigen Glaubens im zweiten Satz der "Harold"-Symphonie (in dem Berlioz auf seine Rom-Erlebnisse zurückgriff, auf Musik, die er im Petersdom gehört hatte; ich wüßte gern, was er da gehört hat...). Heine steht aus bekannten Gründen abseits. Schumanns Fall ist komplex: halb Bürgerschreck, halb erschrockener Bürger; er wagt es, eher die Marseillaise zu veräppeln als ein Choralthema. Seine merkwürdigen späten Sakralwerke sagen m. E. über seine Religiosität weniger aus als der vierte Satz der "Rheinischen Symphonie", die Reminiszenz an einen Besuch des noch im Bau befindlichen Kölner Doms: Bei ihm ist Religiosität etwas Archaisches, an das Gemüt Rührendes, von der Stimmung her Berlioz' "Marche des pèlerins" gar nicht unähnlich.

Wer sagt hier, worum es geht? ... laut Überschrift geht's hier um das dies irae Thema... [...]

Ich habe eine simple Frage gestellt, an Dich und den Rest der Belegschaft:

Ich lasse mich gern belehren, aber bis zum Beweis des Gegenteils behaupte ich, daß die plötzliche Popularität des 'dies irae'-Themas in nicht katholisch dominierten Ländern (vom Zarenreich ganz zu schweigen) mit Berlioz' Symphonie zusammenhängt.

und präzisiert:

Aber die Frage war doch, ob der Text und die Melodie im nichtromanischen/nicht-katholisch-slawischen Kulturraum zum protestantischen Bildungsgut gehörten, vor 1830 - und zwar so, daß ein Komponist auf die Idee kommen konnte, sich ihrer Semantik als eines Verständigungsmittels zu bedienen.

Es ging um die Frage, ob das 'dies irae'-Thema als musikalische Chiffre für Sterblichkeit/Vergänglichkeit (also ganz unschauerromantisch) auch schon vor Berlioz' in Gebrauch gewesen ist.

Vielleicht können @mick, @Rheinkultur und @Lisztomanie weiterhelfen?
 
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Rossinis Souveränität, sich beim Vertonen sakraler liturgischer Texte nicht den Beschränkungen des stile ecclesiastico zu unterwerfen, zumindest nicht so, wie sich das ein Kleriker jener Zeit gewünscht hätte, führte wie von selbst zu weltlichen Aufführungsorten seiner Kirchenmusik.

Wobei ich mich frage, ob es ob es um 1840 überhaupt Vorschriften für einen "stile ecclesiastico" gab.
Und falls ja, gegen welche Vorschriften er verstoßen haben soll.
Mit Mutmaßungen darüber, was sich "ein Kleriker gewünscht hätte", kann ich nichts anfangen. Menschen haben unterschiedliche Geschmäcker, das gilt auch für Kleriker. 1831 gab es jedenfalls einen Kleriker, der sich ein Stabat mater aus der Feder Rossinis wünschte.


Einen aufführungspraktischen (keinen stilistischen) "Verstoß" erlaubte sich Rossini mit seiner Bemerkung zur Petite Messe solenelle "Dodici cantori di tre sessi, uomini, donne e castrati...", denn Frauen waren in der katholischen Kirche für den Liturgiegesang damals nicht zugelassen.
 
Die Sequenz wurde zwar in jeder Totenmesse gesungen, wenn nicht als Bestandteil einer mehrstimmigen Requiem-Vertonung, dann in der gregorianischen Gassenhauer-Version, aber das hat offenbar kein Heer einfacher oder intellektuell anspruchsvollerer Gottesdienstbesucher motiviert, diese Melodie in weltlichen Kompositionen zu verwursten - vor 1830.
(...)
Vielleicht können @mick, @Rheinkultur und @Lisztomanie weiterhelfen?
Wenn es um das neuerliche Aufgreifen der Sequenz geht, sucht man offensichtlich in der Zeit vor 1830 wirklich vergebens, da in älteren Requiem-Kompositionen (Mozart, Salieri, Cherubini) die Textvorgabe des Dies Irae zwar kompositorisch verarbeitet wurde, aber ohne auch nur annähernd Bezug auf die spätmittelalterliche Sequenz zu nehmen.

Auf spekulativer Ebene könnte man im Kopfsatz von Joseph Haydns Sinfonie Nr. 103 (die mit dem Paukenwirbel) fündig werden - spekulativ deshalb, weil die Umsetzung der historischen Vorgabe einen Zweier- oder Vierertakt als Metrum nahelegen würde. Haydn wählt hingegen das Dreiermetrum. Weil er einen möglichen historischen Bezug durch Betonungsverschiebung verfremden wollte oder weil er doch an etwas anderes gedacht hat? Schwer zu sagen.

LG von Rheinkultur
 
1831 gab es jedenfalls einen Kleriker, der sich ein Stabat mater aus der Feder Rossinis wünschte.
....und an dem Stück auch nichts auszusetzen hatte.
Mit Mutmaßungen darüber, was sich "ein Kleriker gewünscht hätte", kann ich nichts anfangen. Menschen haben unterschiedliche Geschmäcker, das gilt auch für Kleriker.
Es sind keine Mutmaßungen, und ich leide weder unter antikirchlichen noch antichristlichen Affekten. Aber von den innerkirchlichen Schwierigkeiten und Verwerfungen in Fragen der Gottesdienstgestaltung und Kirchenmusik darf man doch reden, oder? Die Gegenreformation hat den Gläubigen nicht mit dem Wort - Luthers Waffe -, sondern mit visueller und akustischer Überwältigung bei Laune zu halten versucht. Aber gegen die prunküberladenen Messen und das zunehmende Eindringen weltlicher Töne in die Sakralmusik (Jagd- und höfische Repräsentationsmusik, opern-artige Verzierungen in den Solo-Gesangspartien, der Gebrauch gewisser Begleitinstrumemente) häuften sich innerkirchliche Proteste, gebündelt in Benedikts-des-14ten Enzyklika "Annus qui" zur Vorbereitung auf das Heilige Jahr 1750. Sie bezog sich vermutlich nur auf die Stadt Rom und den Kirchenstaat, hatte aber weitreichende Folgen nördlich der Alpen, vor allem für die katholische Aufklärung, in Salzburg vertreten durch Mozarts Quälgeist, den legendären Erzbischof Hieronymus von Colloredo.

Ich übergehe die Josephinischen Restrikte und den kirchlichen Widerstand dagegen - das ist mehr kirchen- und liturgiegeschichtlich interessant - und komme direkt zu den nächsten musikalischen Neuerungen: das Eindringen der aus der Symphonie übernommenen motivisch-thematischen Arbeit in die österreichisch-süddeutsche Orchestermesse, die verstärkte Übernahme opernhafter Elemente bei Italienern und Franzosen. Das Einzige, was den kirchlichen Protest dagegen schmälerte, war die Abwanderung solcher ambitionierteren Werke in den Konzertsaal, wofür der symphonische Stil (sprengte den zeitlichen Rahmen einer Missa brevis) und die Instrumentierung (sprengte das akustische Fassungsvermögen einer Kirche) wie von selbst sorgten.

Menschen haben unterschiedliche Geschmäcker, das gilt auch für Kleriker.
Stimmt. Aber so ein nicht ganz geschmackssicherer Kleriker durfte qua Hausrecht den Komponisten schurigeln - das ist das Problem. Was mußte sich Fauré über sein Requiem anhören... oder weißt Du, daß es Messiaen während der Meßfeiern in La Trinité verboten war, in seinem eigenen Stil zu harmonisieren/zu improvisieren? Heute schmückt sich die Kirche gern mit denselben Künstlern, denen sie einmal das Leben schwergemacht hat.

Wobei ich mich frage, ob es ob es um 1840 überhaupt Vorschriften für einen "stile ecclesiastico" gab.
Ein gewisser Kanon läßt sich erschließen, einfach aus den Noten: ein leicht historisierender Tonfall, stärkerer Gebrauch der Molltonarten (äolisches Moll als letztes Relikt der alten Kirchentonarten), verstärkte Imitatorik, d.h. vermehrt kanonische oder fugierte Abschnitte als Reminiszenz an die Palestrina-Zeit (Fux' Gradus ad Parnassum mußte ein katholischer Kirchenmusiker jener Zeit durchgearbeitet haben).
 
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Aber so ein nicht ganz geschmackssicherer Kleriker durfte qua Hausrecht den Komponisten schurigeln - das ist das Problem.
Und das ist nun wieder kein kirchenspezifisches Problem. Wer die Musik zahlt, kann dem Komponisten dreinquatschen - wenn er nur will. Das kann der Stadtrat sein (wie bei Bach), das kann der Serenissimus sein, oder der Kaiser persönlich (Schubert erhielt seine As-Dur-Messe mit der Begründung zurückgeschickt, sie sei nicht "in dem Styl componirt, den der Kaiser liebt“ - peng, aus.), und das konnte auch der zuständige Kleriker sein.

Ein gewisser Kanon läßt sich erschließen, einfach aus den Noten: ein leicht historisierender Tonfall, stärkerer Gebrauch der Molltonarten (äolisches Moll als letztes Relikt der alten Kirchentonarten), verstärkte Imitatorik, d.h. vermehrt kanonische oder fugierte Abschnitte als Reminiszenz an die Palestrina-Zeit (Fux' Gradus ad Parnassum mußte ein katholischer Kirchenmusiker jener Zeit durchgearbeitet haben).
Das mit dem "gewissen Kanon" ist mir klar, es gibt ja auch gewisse Stellen, die bevorzugt fugiert werden, z. B. das "Cum Sancto Spiritu". Das sind so Konventionen, die es in jeder Musikgattung gibt, und z. B. an die "Cum-Sancto-Spiritu-wird-als-Chorfuge-gearbeitet"-Konvention hat sich auch Rossini gehalten.
Aber hat Rossini gegen irgendwelche Vorschriften verstoßen?
 
Einen aufführungspraktischen (keinen stilistischen) "Verstoß" erlaubte sich Rossini mit seiner Bemerkung zur Petite Messe solenelle "Dodici cantori di tre sessi, uomini, donne e castrati...", denn Frauen waren in der katholischen Kirche für den Liturgiegesang damals nicht zugelassen.

Vertust du dich da nicht um ein Jahrhundert? Schon Mozart hat Messen komponiert, deren Solopartien für Knaben nicht singbar (und auch nicht gedacht) waren. Die Sopranpartie der c-Moll-Messe hat er beispielsweise für Constanze geschrieben. Ähnliches gilt für Beethovens Missa solemnis, die zwar in einem weltlichen Saal uraufgeführt wurde, von der aber ab 1830 liturgische Aufführungen belegt sind.

Kastraten gab es 1863 fast nicht mehr (schon gar nicht außerhalb Italiens), deshalb muss man Rossinis "tre sessi" sicher als einen Scherz auffassen. Bei der Uraufführung sangen jedenfalls keine Kastraten mit.
 
Wer die Musik zahlt, kann dem Komponisten dreinquatschen - [...] und das konnte auch der zuständige Kleriker sein.
...nur fällt das stets unangenehmer auf als bei einem weltlichen Potentaten.
Aber hat Rossini gegen irgendwelche Vorschriften verstoßen?
Was heißt Vorschriften? Man kann sich das alles mit dem berühmten Zitat gesundbeten:
Zitat von Heinrich Heine:
Das ungeheure erhabene Martyrium ward hier dargestellt, aber in den naiven Jugendlauten, die furchtbare Klagen der Mater Dolorosa ertönten, aber wie aus unschuldig kleiner Mädchenkehle...
oder feststellen, daß die Tenor-Bravourarie "Cuius animam gementem" für sich genommen zwar feine Musik, aber nach dem Eröffnungssatz ein krasser Stilbruch und unter dem Gesichtspunkt der Textausdeutung mißlungen ist.
 
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Vertust du dich da nicht um ein Jahrhundert?

Hmm, im Motu proprio "Tra le sollecitudini" (Papst Pius X., 1903) heißt es, "daß die Sänger in der Kirche ein echtes liturgisches Amt ausüben und daß daher Frauen, die doch zu einem solchen Amt nicht fähig sind, zur Mitwirkung in der [Choral-]Schola oder im [mehrstimmigen] Chor nicht zugelassen werden dürfen. Will man Sopran- und Altstimmen verwenden, so haben nach uraltem Brauch der Kirche Knaben diese Aufgabe zu erfüllen."

Sicher hat man das außerhalb der Vatikanmauern nicht überall so eng gesehen. Auch päpstliche Lehrschreiben sind interpretierbar...
 
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im Motu proprio "Tra le sollecitudini" (Papst Pius X., 1903) heißt es, "daß die Sänger in der Kirche ein echtes liturgisches Amt ausüben..."
Was immer das heißen soll - im vorkonziliaren Sinne grenzt es an Ketzerei.

Bis zum zweiten Vatikanischen Konzil war die Grundform des lateinischen Meßgottesdienstes die Missa lecta, und das bedeutete: Während der Chor den jeweiligen Meßteil sang, saß der Priester irgendwo seitlich vor dem Altar und murmelte den Ordinariumstext submissa voce vor sich hin. Liturgisch relevant war nur, was der Priester vor sich hinmurmelte, weshalb zum Beispiel die berühmten Textauslassungen bei Schubert überhaupt nicht störten. Im Grunde hätte der Chor vor 1963 auch die 'Internationale' singen können - solange der Priester nur richtig murmelte.
 
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Hmm, im Motu proprio "Tra le sollecitudini" (Papst Pius X., 1903) heißt es, "daß die Sänger in der Kuirche ein echtes liturgisches Amt ausüben und daß daher Frauen, die doch zu einem solchen Amt nicht fähig sind, zur Mitwirkung in der [Choral-]Schola oder im [mehrstimmigen] Chor nicht zugelassen werden dürfen. Will man Sopran- und Altstimmen verwenden, so haben nach uraltem Brauch der Kirche Knaben diese Aufgabe zu erfüllen."
Das hörte sich dann etwa so an:


Gaetano Capocci (1811-1898) schrieb seine Komposition im Jahre 1874.

LG von Rheinkultur
 
Auch päpstliche Lehrschreiben sind interpretierbar...

Je nach Interpretation kann man sogar den Papst zum Ketzer erklären... :teufel:

Was immer das heißen soll - im vorkonziliaren Sinne grenzt es an Ketzerei.

Bis zum zweiten Vatikanischen Konzil war die Grundform des lateinischen Meßgottesdienstes die Missa lecta, und das bedeutete: Während der Chor den jeweiligen Meßteil sang, saß der Priester irgendwo seitlich vor dem Altar und murmelte den Ordinariumstext submissa voce vor sich hin. Liturgisch relevant war nur, was der Priester vor sich hinmurmelte, weshalb zum Beispiel die berühmten Textauslassungen bei Schubert überhaupt nicht störten. Im Grunde hätte der Chor vor 1963 auch die 'Internationale' singen können - solange der Priester nur richtig murmelte.

Dennoch war die Missa lecta in kirchenmusikalischen Fragen nicht das Maß aller Dinge. Die Missa lecta an Sonn- und Festtagen war ja eigentlich nicht im Sinne des Erfinders. In einer ordentlichen, feierlichen Messe sollten die liturgischen Texte auch komplett (und möglichst verständlich) gesungen werden.
Eine entscheidende Neuerung des Zweiten Vatikanischen Konzils war die aktive Beteiligung der Gemeinde am liturgischen Geschehen. Der Gemeindegesang wurde zur liturgischen Musik - was er vorher nicht war.
 
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