Der Reiz des Unspielbaren

Dabei seit
22. Feb. 2007
Beiträge
5.134
Reaktionen
103
"Kunst ist was man nicht kann, alles was man kann is ka Kunst".

(Johann Nestroy)



Warum faszinieren uns ausgerechnet die Stücke, die völlig jenseits des realistisch Erreichbaren liegen? Wie oft bilden wir uns: ja, wenn ich erst dieses oder jenes Stück spielen kann, dann bin ich der wahre Held und dann werde ich mich in einem höheren Stadium des Menschseins befinden... :p

Dann, irgendwann, 5-10 Jahre später, können wir das besagte Stück tatsächlich spielen (nicht perfekt, aber immerhin) und sind enttäuscht: oooch, wenn ich das gewußt hätte,, daß es so einfach ist. Eigentlich ist das ja garnix besonderes.

Und wir suchen nach einem neuen, jetzt aber wirklich unspielbaren Stück.

Ist das nicht irgendwie eine tragische und deprimierende Lebenseinstellung...? :rolleyes:
 
deprimierend?

Hallo,

aus Spaß eine konträre Ansicht in Form eines historischen Beispiels:

Beethoven um 1818/19: "da haben Sie eine Sonate, die den Pianisten 50 Jahre zu schaffen macht" (über op.106)

ein Rezensent um 1821/22 "einen 12/32tel-Takt kann man nicht spielen" (bzgl. op.111)

(sie galt dann auch als unspielbar wie op.111, dito manche der letzten Quartette)

Liszt war nicht deprimiert, als er op.106 in Paris Ende der 30er Jahre spielte, und Berlioz hörte mit den Noten zu, lobte dass alles deutlich realisiert war.

Brendel heute: "für moderne Virtuosenfinger hat die Fuge (op.106) ihren Schrecken verloren"

...oder müsste man dergleichen humorig unter "technische Evolution" einordnen? :) oder positiv denken al la Toyota mit "nichts ist unmögtlich"? :)

aber ok: allein eine vierhändige Komposition zu spielen, mit allen Tönen, das wäre etwas "unspielbares" - aber gewiss wird in so einer Aufgabe niemand einen Reiz erblicken können

Gruß, Rolf

(p.s.: und dass ich die Fuge aus op.106 nicht mit Viertel = 144 spielen kann, macht mich nicht deprimiert - manche Grenzen muss man halt akzeptieren)
 
Warum faszinieren uns ausgerechnet die Stücke, die völlig jenseits des realistisch Erreichbaren liegen? [...]
Dann, irgendwann, 5-10 Jahre später, können wir das besagte Stück tatsächlich spielen [...] Und wir suchen nach einem neuen, jetzt aber wirklich unspielbaren Stück.

Ist das nicht irgendwie eine tragische und deprimierende Lebenseinstellung...?

Im Gegenteil! Ich finde gerade diese Herausforderung das Spannende beim Musizieren - das Austesten der eigenen Grenzen. Das beinhaltet gegebenenfalls auch das Scheitern und Kapitulieren. Es sind "Grenzerfahrungen" ohne Gefahr für das Leben, ohne die Existenz aufs Spiel setzen zu müssen. Andere Menschen sparen ein Jahr lang auf ihren Abenteuerurlaub. Am Klavier habe ich dieses Abenteuer jeden Augenblick. Und das ich einmal etwas gekonnt habe, ist kein Freibrief, daß ich es morgen ebenfalls kann. Es gibt keine Bestandsgarantie. Das macht das Musizieren reizvoll und spannend (und ist letztlich Konzentrat des Lebens).

Ich stelle es mir jedenfalls langweilig vor, wenn es für mich beim Klavier keine Widerstände gäbe.
 
Im Gegenteil! Ich finde gerade diese Herausforderung das Spannende beim Musizieren - das Austesten der eigenen Grenzen. Das beinhaltet gegebenenfalls auch das Scheitern und Kapitulieren. Es sind "Grenzerfahrungen" ohne Gefahr für das Leben, ohne die Existenz aufs Spiel setzen zu müssen. Andere Menschen sparen ein Jahr lang auf ihren Abenteuerurlaub. Am Klavier habe ich dieses Abenteuer jeden Augenblick. Und das ich einmal etwas gekonnt habe, ist kein Freibrief, daß ich es morgen ebenfalls kann. Es gibt keine Bestandsgarantie. Das macht das Musizieren reizvoll und spannend (und ist letztlich Konzentrat des Lebens).

Ich stelle es mir jedenfalls langweilig vor, wenn es für mich beim Klavier keine Widerstände gäbe.
Sehr gut beschrieben, Koelnklavier! Schön finde ich, dass du beide Seiten der Medaille benennst. Nicht nur die Erweiterung der eigenen Grenzen, sondern auch das Scheitern an ihnen. Das gehört dazu, ist zwar frustrierend, aber ich denke, wenn man es annehmen kann, dann verhilft es einem zu einem realistischen Gefühl des (momentan) eigenen Standpunkts. Auch beim Klavierspielen.

Vielleicht ist die Akzeptanz der eigenen Unvollkommenheit auch etwas, was einem beim Vorspielen helfen kann. Man stellt immer so große Anforderungen an sich selbst und an andere Musiker. Nur ja nicht verspielen, nur ja keine Fehler machen, nur ja perfekt sein... Dabei könnte man sich auf ganz andere und viel spannendere Dinge konzentrieren. (...äh, ich sag das jetzt mal absichtlich im Konjunktiv...).

Es ist eigentlich ein ständiges Vortasten, bis man an Widerstände stößt, dann arbeitet man sich an ihnen ab, kommt irgendwann zu einem Ergebnis und spürt, wo man steht. Dann geht dasselbe Spiel an anderer Stelle wieder von vorne los. Auf diese Weise lernt man sich selber immer wieder neu kennen.

Grüße von
Fips
 
Grundsätzlich spiele ich Klavier nur für mich. Ich trete aber auch sehr gerne in den Dialog mit einem Mitspieler bzw. jemand der sich für Musik interessiert und ich kann stundenlang über Musik diskutieren und/oder darüber was hören. Hört aber jemand zufällig meinem Spiel zu, hab ich kein Problem damit. Ich kenne ganz genau meine Defizite am Klavierspiel.

Warum faszinieren uns ausgerechnet die Stücke, die völlig jenseits des realistisch Erreichbaren liegen?
Weil sie so flott daher kommen, in welchem Moment auch immer. Der Musiker spielt auf seinem Instrument das Stück so leicht, daß ich mich angezogen davon fühle. Es bewegt und es ruft etwas wach in mir. Das sind genau die Stücke, die zu mir passen, sie sprechen mich unmittelbar an. Tiefe seelische Impulse oder auch unausgesprochene Gedankengänge, die ich noch nicht in Worte geformt habe oder auch nicht wollte, werden wachgerufen und automatisch inszeniert in dem Bedürfnis, dem Stück selbst eine Gestalt zu verleihen. In der Phase des Erarbeitens bin ich und möchte ich diesem neuen kreativen Moment immer nahe sein. Denn es ist etwas offen in mir! Mit Hilfe der Musik glaube ich, diese offene Stelle bearbeiten zu können.

Der Wille ist aus dieser Situation geboren: Das will ich auch spielen können.
Allmählich verwandelt sich die Begeisterung in Plackerei. Ist man am Ende mit dem Stück irgendwie fertig geworden, ist aus diesem kreativen Vorgang was ganz anderes entstanden: das Stück hat eine persönliche Reifung erfahren, etwas ganz Substantielles. An der offenen Stelle verbergen sich ungeahnte positive Überraschungen, die das fachmännische Wissen erweitern und das persönliche Leben wertvoll machen. Innere Vorgänge, neue Verknüpfungen verbinden sich, machen insgeheim lustvoll froh und ruhig.

Menschen reagieren auf bestimmte Klänge ganz persönlich individuell von Natur aus. Auch wenn ich nicht nach was Neuem streben wollte, höre ich meine Musik irgendwann irgendwo wieder in einer anderen Form. Der Reiz kann aufs Neue geweckt werden.
So kann es passieren, daß ausgerechnet die Stücke zu Gehör kommen, die mich faszinieren, die aber völlig jenseits des realistisch Erreichbaren liegen. Und davon gibt es eine ganze Menge :(

Das Verhältnis - meine Realität : realistischen Unerreichbaren
ist nicht stimmig. Der Reiz, der diese reale Unerreichbarkeit auslöst, ist so punktuell unfassbar, daß ich ihn fassbar machen möchte. Dafür gehe ich durch das Nadelöhr.
 
hmm
also ich gebe zu ich kenne es auch das ich UMBEDINGT stücke spielen wollte und ich dazu gesagt habe WENN ICH DAS KANN dann bin ich glücklich...
nun ist das der Fall und ich hab natürlich lange nicht genug xD...
trotzdem habe ich spaß an ihnen
und ich arbeite mich in den nächsten jahren auch weiterhin ans La Campanelle vor^^...
aber ich würde für mich zumindest nicht sagen, dass der Reiz bei mir darin liegt, dass es mir unerreichbar erscheint sondern einfach viel mehr am Stück an sich...
ich liebe dieses Lied und ich will einfach nichts anderes als es irgendwann einmal selber spielen zu können...
ob ich das irgendwann schaffe oder nicht wird sich zeigen aber ich bin halt wie gesagt nicht nur daran interssiert weil ich es so übergöttlich und unrealistisch finde...
die schwierigsten Stücke sind häufig einfach nur die geilsten!^^
 
Mich faszinieren nicht Stücke, die völlig jenseits des realistisch Erreichbaren liegen. Ich mache keine Musik, um jemanden zu beeindrucken, sondern um denjenigen etwas zu geben. Ein wenig Schönheit, Ordnung oder wie man es sonst nennen will. Wenn es demjenigen hilft aus der Gewohnheit herauszubrechen und den Alltag anders zu sehen, dann nenne ich es Kunst.

Sehr schöne Einstellung, ich denke, gerade für einen (zukünftigen) Musiklehrer ist das die optimale Sichtweise!

Ich stelle es mir jedenfalls langweilig vor, wenn es für mich beim Klavier keine Widerstände gäbe.

Das würde ich mir auch langweilig vorstellen. Diese Widerstände habe ich aber bei jedem Stück 8) Ich halte es heutzutage für produktiver, sich mit Stücken zu befassen, die einem einfach (oder wenigstens spielbar) vorkommen, an denen man aber klanglich und gestalterisch noch eine Menge zu arbeiten hat. Im Gegensatz zu irgendwelchen Knochenbrecherstücken, bei denen man sich aufgrund der schieren Unspielbarkeit überhaupt nicht ums Klingen kümmern kann, sondern froh ist, wenn man die Tasten irgendwie erwischt 8)
 
Im Gegensatz zu irgendwelchen Knochenbrecherstücken, bei denen man sich aufgrund der schieren Unspielbarkeit überhaupt nicht ums Klingen kümmern kann, sondern froh ist, wenn man die Tasten irgendwie erwischt 8)
Ich finde es fatal, wenn der Begriff "Schwierigkeiten" sich immer nur auf "Knochenbrecherisches", Rasantes oder Akrobatik bezieht. in diesem Sinne wollte ich mein Posting jedenfalls nicht verstanden wissen! Eine zweistimmige Bach-Invention oder einen Schubert-Walzer zum Klingen zu bringen, kann auch einen gestandenen Pianisten durchaus ins Schwitzen bringen.
 
Also warum ich persönlich mich für immer schwerere Stücke interessiere hat mehrere Gründe (na ob mir da jetzt alle einfallen... wenigstens mal ein paar):

1. Ich gehe mal davon aus, dass ein normaler Mensch in irgendwelcher Form im Leben sich selbst und seine Grenzen testen, erfahren und erweitern will. Das ist wichtig und gut, und man kann einiges daraus über sich selbst und andere(s) lernen.
Da gibts jetzt verschiedene Möglichkeiten: die gängigsten sind: Sich besaufen, mit 200 über die Autobahn fahren, sich mit anderen prügeln, äh *hust*, oder auch etwas normaler, Sport, Schach, sonstwas.
Ich spiele halt Klavier, und es ist für mich ein unglaubliches Erlebnis, zu sehen, dass ich jetzt eine Etüde spielen kann, an der ich vor einem Jahr noch gescheitert bin. Ich kann mich selbst übertreffen!

2. Hängt mit 1. zusammen: Ich brauche Ziele, egal ob erreichbar, vielleicht erreichbar oder unerreichbar. Das fängt schon im Kleinen an: wer keinen Unterricht oder Konzerte hat, übt einfach zwangsläufig weniger, auch wenn er motiviert und fleißig ist. Oder anders - er übt weniger zielgerichtet, bringt die Sache nicht so auf den Punkt. Ziele sind "Ebenen" die man anstreben kann, Etappen sozusagen. Erfolgserlebnisse.

3. Wo wäre ich denn, wenn ich immer nur Heumannstücke spielen würde? Da käme ja überhaupt nichts voran. An (zu) schweren Stücken lernt und wächst man doch.

4. Viele der schwereren Stücke sind einfach musikalisch interessanter und effektvoller als leichte :mrgreen:. Wenn ich z.B. Chopins kurzen a-moll-Walzer mit der 4. Ballade vergleiche - da kann mir wohl keiner erzählen, dass der Walzer interessanter wäre, auch wenn er durchaus was zu bieten hat.

5. Was spricht dagegen, auch mit seinen Fähigkeiten andere zu beeindrucken? Solange das nicht der einzige ausschlaggebende Grund ist, warum man spielt, ist doch daran überhaupt nichts verwerfliches.

meint Stilblüte
 

5. Was spricht dagegen, auch mit seinen Fähigkeiten andere zu beeindrucken? Solange das nicht der einzige ausschlaggebende Grund ist, warum man spielt, ist doch daran überhaupt nichts verwerfliches.

meint Stilblüte


Von "verwerflich" hatte ich nun wirklich nichts geschrieben :D

Vom moralischen Gesichtspunkt her darf bei mir jeder alles spielen was er will. Sei es Clayderman, Gebet einer Jungfrau, Boulez Sonaten oder Opernparaphrasen.

Mir gehts darum, daß es (aus meiner Sicht) kontraproduktiv ist, Stücke zu üben, die zu schwer sind. Das hatte ich mit dem Wort "unspielbar" denke ich deutlich ausgedrückt. Man kann sich durch das Spielen zu schwerer Stücke sein Klavierspiel ruinieren. Das ist mit anderen Worten das, was ich sagen wollte. Die Motivation, die einen zum Spielen zu schwerer Stücke treibt, kann ich durchaus nachvollziehen - ich war ja selbst mal auf diesem Trip. Mich hatte allerdings niemand gewarnt. Man hätte mir viel Frust ersparen können. 8)

Das andere Extrem "ich spiele nur Stücke, die ich innerhalb einer Woche konzertreif einstudieren kann" wurde hier ja auch schon genannt. Von einer derartigen Einstellung bin ich Lichtjahre entfernt.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
...als klavierneuling kann ich ja kaum mitreden, für mich ist erstmal fast jedes stück unspielbar, und oft hätte ich mir am anfang gewünscht etwas zu bekommen, was mir leichter von der hand geht.

auf der anderen seite war/bin ich immer mächtig stolz, wenn ich dann durch ein stück durchkomme (von "musik" will ich da bei mir noch garnicht reden), was eben vier wochen vorher überhaupt gargargarnicht ging. von meinem "maestro" bekomme ich neben einem schweren stück (über das klavierspielende freundinnen die augen rollen bei meinem stand) immer kleinere, leicht gesetzte popsongs. die mache ich zwar auch, aber ziemlich lustlos, weil sie nicht so richtig den ehrgeiz kitzeln.

mich macht es viel zufriedener, wenn ich mir jeden takt abringen muss, und er dann irgendwann geht (und sich womöglich auch noch schön anhört :cool:). alles andere würde mich nicht so auf dauer fesseln, glaube ich.

lavendel
 
Also wenn ich ein großes Ziel (sooooo große hatte ich aber noch nicht) erreicht habe beim Klavierspielen war ich eigentlich nicht deprimiert. Und wenn es doch nicht so schwierig ist, ist es doch gut, weil man merkt, dass man doch mehr kann, als man sich zugetraut hat. Mein großes Ziel ist es (zumindestens die ersen 2 Minuten) den 3. Satz der Mondscheinsonate von Mozart zu spielen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemals so schnell meine Finger bewegen kann.. Ich finde man sollte erstmal natürlich stolz sein, aber richtig ist es schon, dass ein Stück danach auch den Reiz verlieren kann. Aber damit geht doch warscheinlich jeder anders um. Wenn man totaler Anfänger ist beflügelt es einen doch, wieder ein neues Stück gelernt zu haben.
Martin!
 
wieder missverstanden

.[/B]
Das andere Extrem "ich spiele nur Stücke, die ich innerhalb einer Woche konzertreif einstudieren kann" wurde hier ja auch schon genannt. Von einer derartigen Einstellung bin ich Lichtjahre entfernt.

Ich hoffe doch sehr, dass ich hier nicht gemeint bin, denn das habe ich niemals so geschrieben- bitte nachlesen -

Ich sagte, dass normalerweise ein Stück normaler Länge- also ca. 1 Satz einer Sonate innerhalb einer Woche schon so klingen sollte, dass man es vorspielen kann- z.b. bei einem Meisterkurs oder als Student eines höheren Semesters.

Konzertreif ist was völlig anderes. Da muss ein Stück oft lange einwirken und durch Feuer und Wasser gehen und mehrere Prüfungen hinter sich haben.

Nun aber zum thema:

Die anscheinend so schwer spielbaren Stücke bergen für den, der sie noch nicht beherrscht alle ein Geheimnis. Und wir sind nunmal eine neugierige spezies, die überall dahin will, wo sie noch nicht war.
Wir fantasieren immer darüber, was wohl jenseits des sichtbaren Horizontes sich befinden mag. Wir ersteigen die Berge, um den ständig weiteren blick zu bekommen und wir sind wild auf die Gerüche, Bauten und Menschen in fremden Ländern.

Wir sind fasziniert vom Zauberer auf der bühne und wüssten zu gerne, wei er den Trick bewerkstelligt und wir sehen den Magier am klavier und möchten das Geheimnis wissen, wie er es macht.

Diese Triebfeder gehört zu unserem genetischen code und wir erliegen aller diesem Drang. Der Eine mehr und ein Anderer weniger.
 
Mir gehts darum, daß es (aus meiner Sicht) kontraproduktiv ist, Stücke zu üben, die zu schwer sind. Das hatte ich mit dem Wort "unspielbar" denke ich deutlich ausgedrückt. Man kann sich durch das Spielen zu schwerer Stücke sein Klavierspiel ruinieren. Das ist mit anderen Worten das, was ich sagen wollte. Die Motivation, die einen zum Spielen zu schwerer Stücke treibt, kann ich durchaus nachvollziehen - ich war ja selbst mal auf diesem Trip. Mich hatte allerdings niemand gewarnt. Man hätte mir viel Frust ersparen können. 8)

Das andere Extrem "ich spiele nur Stücke, die ich innerhalb einer Woche konzertreif einstudieren kann" wurde hier ja auch schon genannt. Von einer derartigen Einstellung bin ich Lichtjahre entfernt.

hallo,

was hältst Du von der Idee, dass es evtl nützlich sein könnte, die eigenen Grenzen auszutesten und immer wieder zu prüfen, ob sie sich nicht doch etwas verschoben haben?

und das könnte man doch mit vermeintlich oder wirklich (das gilt es ja herauszufinden) zu schwierigen Stücken tun.

natürlich sollte ein Anfänger nicht direkt nach Heumann (wozu man das braucht, bleibt mir unergründlich) verbissen in der Rigolettoparaphrase herumdreschen, das ist sicher klar. aber wer "fortgeschritten" schon eine der mittleren Chopinetüden passabel hinkriegt, der sollte sich ruhig an la Leggierezza oder la Campanella versuchen - und wer aus dieser "Gruppe" das mentale Durchhaltevermögen für große Stücke hat, der sollte auch gerne eine der Chopinsonaten oder Balakirevs Islamey anfangen. warum nicht?

wenns nach ein paar Wochen oder gar Monaten nicht anfängt, einigermaßen in mittlerem Tempo zu laufen, dann kann man ja quasi "runterschalten" und was anderes üben - mit dem Effekt, dass das "un poco leichtere" nun tatsächlich angenehmer lernbar ist! --- und nach ein paar Monaten probiert man dann wieder, obs nicht jetzt mit Leggierezza oder ähnlichem gehen will.

und nicht zuletzt: wenn man etwas wirklich will, dann ist es einem wichtig und man wird es nicht aus den Augen verlieren - aber man hat etwas in sich, das einen zum durchhalten anspornt. insofern ist der Wunsch oder gar Wille, "unspielbare" bzw. zu schwere Stücke spielen zu wollen, eine kräftige Motivation - und nur motivierte (und interessierte) "Schüler" können wirklich etwas lernen bzw. sich aneigenen oder angewöhnen.

natürlich setze ich voraus, dass man erworben hat, unverkrampft und fließend das bisher erlente spielen zu können - sonst wäre das alle Quatsch.

was mich entsetzt ist, man könnte sein Klavierspiel ruinieren - gibt es da wirklich Fälle, dass jemandem das widerfahren ist? und wenn ja: an welchem "Mörderstück" ist das passiert (sollte man wissen, um es zu vermeiden oder zu umgehen)?

Gruß, Rolf
 
4. Viele der schwereren Stücke sind einfach musikalisch interessanter und effektvoller als leichte :mrgreen:. Wenn ich z.B. Chopins kurzen a-moll-Walzer mit der 4. Ballade vergleiche - da kann mir wohl keiner erzählen, dass der Walzer interessanter wäre, auch wenn er durchaus was zu bieten hat.

Vergleichen wir jetzt Mal nicht unbedingt die Balladen mit dem a-moll Walzer, sondern mit einer langsamen Mazurka, die ebenfalls wie der a-moll Walzer sehr kurz und schlicht ist.

Da bin ich anderer Meinung. Für mich ist eine langsame zweiseitige Mazurka von Chopin musikalisch genauso interessant wie eine lange Ballade. Und ich übe und spiele so eine Mazurka, die sehr viel Sensibilität besitzt, genauso gerne, wie z. B. die erste Ballade von Chopin oder seine Etüden.

Für mich muß ein Klavierstück nicht unspielbar sein, damit ich es liebe, sondern der Komponist muß mit seiner Komposition meine Seele ansprechen können. Mit dem Schwierigkeitsgrad hat das gar nichts zu tun.

Und das ist meine Einstellung zur Musik

Liebe Grüße, Mario
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
was mich entsetzt ist, man könnte sein Klavierspiel ruinieren - gibt es da wirklich Fälle, dass jemandem das widerfahren ist? und wenn ja: an welchem "Mörderstück" ist das passiert (sollte man wissen, um es zu vermeiden oder zu umgehen)?

Gruß, Rolf


:D

Keine Angst - nicht das Mörderstück killt den Pianisten, sondern der Pianist killt das Mörderstück

(Und amoklaufende Pianisten gibt es wie Sand am Meer / wie Fantasie-Impromptus auf youtube)

:D
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
:D

Keine Angst - nicht das Mörderstück killt den Pianisten, sondern der Pianist killt das Mörderstück

(Und amoklaufende Pianisten gibt es wie Sand am Meer / wie Fantasie-Impromptus auf youtube)

:D

uff...puh... (und was in Comics sonst noch an "Erleichterungs-Lautmalerei" zu finden ist) :)

jetzt bin ich beruhigt!!! nur verstehe ich nach wie vor nicht, wie man sich sein Klavierspiel ruinieren kann, wenn die "unspielbaren" "Mörderstücke" eben doch bewältigt werden -- oder schnalle ich hier irgendwas nicht, verwechsle was???

amoklaufende Pianisten: eliminieren die ihr Publikum (so: ätsch, gezahlt haste, nun brauch ich dich nicht mehr) oder richtet sich der Amoklauf gegen diverse Klavierstücke? in letzterem Fall ist zu bedauern, dass ein Stück "im Stil von Konzki und anderen Tieren" (Chopin höchstselbst über sein so genanntes "Fantaisie-Impromptu") immer noch unterwegs ist... aber ok, das ist nun wirklich kein "Mörderstück"

...also wenn die amoklaufenden Klimperer nicht mal das hinkriegen, dann sind die erwähnten youtube-fantaisie-impromptus schon irgendwie konsequent...

mal zurück zum "Reiz des Unspielbaren", wobei sich hier ja abgezeichnet hat, dass da mehr Mystifikation als Sachlichkeit im Spiel ist: wie sähe es denn aus, wenn niemand "wüsste", das schnelle chromatische Terzen "schwierig" sind? Man hätte keine Angst, sondern würde sich unvoreingenommen dran machen und probieren und bestenfalls denken: "ok, da muss ich mich ne Weile dran gewöhnen, was an mir liegt, aber das wird schon" - und das tuts dann auch, egal ob links in "le petite Negroe" oder rechts in der Chopinschen Terzenetüde bzw. Skrjabinschen Terzenetüde oder meinetwegen Rigolettoparaphrase.

viele "Schwierigkeiten" im Umgang mit diversen Stücken resultieren wohl aus der Haltung, die man zu ihnen hat... was mich betrifft, so kann meine "Haltung" zur Fuge aus op.106 ebenso verfehlt sein: ich will die partout mit Viertel = 144 können, aber ich habe sie anders (etwas langsamer und schöner!) im Ohr - folglich spiele ich das irgendwie gegen meine Hörerwartung und das wird halt nix, klingt einfach nur gehetzt (dort, wo ich dieses Tempo hinkriege, ca 70% der Fuge - die fehlenden 30% sind neudeutsch gesagt "ultraheavy"...) -- wer weiss, vielleicht wollte Beethoven den Klavierspielern mal so richtig ihre Grenzen aufzeigen?

...und gekillt hat op.106 noch keiner, wäre auch schade drum :)

Gruß, Rolf
 
uff...puh... (und was in Comics sonst noch an "Erleichterungs-Lautmalerei" zu finden ist) :)

jetzt bin ich beruhigt!!! nur verstehe ich nach wie vor nicht, wie man sich sein Klavierspiel ruinieren kann, wenn die "unspielbaren" "Mörderstücke" eben doch bewältigt werden -- oder schnalle ich hier irgendwas nicht, verwechsle was???

Sie werden eben nicht "bewältigt", sondern sie werden vergewaltigt, wenn man mit der Einstellung "ich will mal so ein richtig unspielbares Stück einpauken" ans Werk geht.



amoklaufende Pianisten: eliminieren die ihr Publikum (so: ätsch, gezahlt haste, nun brauch ich dich nicht mehr) oder richtet sich der Amoklauf gegen diverse Klavierstücke? in letzterem Fall ist zu bedauern, dass ein Stück "im Stil von Konzki und anderen Tieren" (Chopin höchstselbst über sein so genanntes "Fantaisie-Impromptu") immer noch unterwegs ist... aber ok, das ist nun wirklich kein "Mörderstück"

Was ein Mörderstück ist, hängt mehr vom Klavierspieler, seinen Fähigkeiten und Problemen, ab als vom Stück.

...also wenn die amoklaufenden Klimperer nicht mal das hinkriegen, dann sind die erwähnten youtube-fantaisie-impromptus schon irgendwie konsequent...

Sie kriegens ja hin!

(man beachte die Doppeldeutigkeit 8) )

mal zurück zum "Reiz des Unspielbaren", wobei sich hier ja abgezeichnet hat, dass da mehr Mystifikation als Sachlichkeit im Spiel ist: wie sähe es denn aus, wenn niemand "wüsste", das schnelle chromatische Terzen "schwierig" sind? Man hätte keine Angst, sondern würde sich unvoreingenommen dran machen und probieren und bestenfalls denken: "ok, da muss ich mich ne Weile dran gewöhnen, was an mir liegt, aber das wird schon" - und das tuts dann auch, egal ob links in "le petite Negroe" oder rechts in der Chopinschen Terzenetüde bzw. Skrjabinschen Terzenetüde oder meinetwegen Rigolettoparaphrase.

viele "Schwierigkeiten" im Umgang mit diversen Stücken resultieren wohl aus der Haltung, die man zu ihnen hat...

Ja, eben ganz genau, hätte nicht gedacht, daß ich da mal von jemandem so gut verstanden würde.

was mich betrifft, so kann meine "Haltung" zur Fuge aus op.106 ebenso verfehlt sein: ich will die partout mit Viertel = 144 können, aber ich habe sie anders (etwas langsamer und schöner!) im Ohr - folglich spiele ich das irgendwie gegen meine Hörerwartung und das wird halt nix, klingt einfach nur gehetzt (dort, wo ich dieses Tempo hinkriege, ca 70% der Fuge - die fehlenden 30% sind neudeutsch gesagt "ultraheavy"...) -- wer weiss, vielleicht wollte Beethoven den Klavierspielern mal so richtig ihre Grenzen aufzeigen?

Vielleicht war die Metronomangabe auch nur ein Scherz von Beethoven, wie ja auch seine ganzen Stücke ein riesen Scherz sind (aus meiner Sicht).

...und gekillt hat op.106 noch keiner, wäre auch schade drum :)

So gut wie jeder, würde ich sagen

Ich verstehe nicht, wieso man die Hammerklaviersonate nicht spielt wie wenn es richtige Musik wäre (was zugegeben nicht so ganz einfach ist) stattdessen wird in der Regel auf das Klavier eingedroschen und ein Zirkus veranstaltet, der Liszt alle Ehre machen würde... 8)
 

Zurück
Top Bottom