Auf dem Holzweg

Stilblüte

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Liebe Clavioleute,

Ich muss mal was loswerden. Vermutlich wird sich hier auch nicht die ultimative Loesung herauskristalissieren, aber darum gehts auch nicht primaer...

Also es gibt hier in St. Petersburg einen noch-nicht-Klavierstudenten, der mit mir zusammen im Wohnheim wohnt und sich zum 2. Mal auf die Aufnahmepruefung vorbereitet. Es gibt fuer diesen Zustand eine Art Gaststudium, waehrenddessen man ein paar Faecher besuchen kann, u.a. Klavierunterricht bekommt (natuerlich kraeftig zahlt), das macht er gerade. Letztes Jahr ist er durch die Aufnahmepruefung gefallen und will es jetzt unbedingt nochmal versuchen.

Das Problem ist: Je laenger ich ihm dabei zusehe, desto mehr verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass er leider grundsaetzlich ueberhaupt gar nicht, in keinster Weise, fuer das Studium geeignet ist, und schon gar nicht hier.

Er hat einen Lehrer am Konservatorium, mit dem er offenbar nicht klarkommt und den er fuer schlecht haelt. Aber statt sich um einen Lehrerwechsel zu bemuehen - schon allein, um jemanden in dem Laden zu haben, der ihn spaeter befuerwortet - nimmt er lieber heimlich parallel Privatunterricht bei einer angeblich ganz tollen Lehrerin. Wenn ich ihn aber beim Ueben hoere oder ihn frage, stellt sich heraus, dass er nie Fingersaetze aufschreibt (und sicher nicht, weil er so hochgenial wie manche Ausnahmepianisten sind, die das wirklich koennen), fast ausschliesslich langsam uebt und grundsaetzlich keine gute Uebetechnik zu haben scheint. Seit ich hier bin, uebt er dieselben Stuecke - eine Beethovensonate, P+F von Bach und zwei Moszkowski-Etuden, und kann sie immer noch nicht richtig. Obwohl er seinen ganzen Alltag dem Ueben verschreibt und an manchen Tagen sicher doppelt so viel uebt wie ich. Das kann ja schonmal nicht sein!

Wenn ich ihm dann bem Spielen, oder auch beim Gehoebildung ueben zuhoere, stelle ich fest, dass ihm grundlegende technische und musikalische Faehigkeiten fehlen, er sehr schlecht hoert und auf der Tastatur nicht wirklich zu Hause ist. Und das schlimmste ist, er ist nicht selbststaendig, gibt dauernd Saetze von sich wie "meine Lehrerin sagt, dass muss ich so und so machen...", "ich habe sie gefragt, ob ich nicht den 2. Satz bis nach den Ferien auch nur bis zur Haelfte ueben kann". Auf sanfte Hinweise, die inhaltlich aussagen, er soll beim Ueben sein musikalisches Gehirn benutzen, hat er immer irgendwelche Ausfluechte oder keine Zeit etc.

Er merkt selbst, dass es langasm knapp wird und er hier der Schlechteste ist, aber auf die Idee, jemanden ernsthaft zu fragen oder irgendwas zu aendern, kommt er nicht. Er hat sich nicht mal ordentlich ueber das Studium informiert.
Man muss jedes Jahr eine Pruefung spielen, deren Repertoire ihn das ganze Jahr beschaeftigen wuerde - falls er es ueberhaupt schafft. Im 2. Jahr muss man eine romantische Sonate spielen, und mir ist bisher keine eingefallen, die er auch nur annaehernd spielen koennte (Chopin, Brahms, Schumann, Liszt, Mendelssohn, Grieg ...?)

Mittlerweile regt mich das furchtbar auf, weil es einfach grauenhaft ist zu sehen, wie jemand so in sein Verderben rennt. Selbst wenn er besteht, wird er es wahnsinnig schwer haben und womoeglich noch rausfliegen. Ganz davon abgesehen leidet die Reputation der Ausbildungsstaette, wenn so schlechte Studenten hier ihren Abschluss machen koennen.

Ich fuerchte, ihm ist das alles bewusst, er will es nur nicht wahrhaben. Ich moechte aber auch nicht hingehen und ihm sagen, dass ich ihn fuer ungeeignet halte und er lieber Modedesigner werden soll (dafuer ist er der perfekte Kandidat!), denn so tief ist unsere Freundschaft nicht, dass ich das fuer meine Aufgabe halte. Ich gebe ihm schon zu verstehen, dass was falsch laeuft, aber es so direkt zu formulieren, ohne gefragt zu werden, wuerde vermutlich etwas zwischen uns zerstoeren, und da wir uns taeglich dauernd ueber den Weg laufen, waere das ungeschickt.
Alles in allem ist er in einer echt beschissenen Situation - er ist 22, hat noch nichts studiert, wartet seit bald zwei Jahren darauf, hier einen Studienplatz zu kriegen und wird ihn entweder nicht bekommen oder sehr sehr harte, evtl. erfolglose fuenf Jahre vor sich haben.

Am meisten aergere ich mich ueber seine Lehrer, von denen es scheinbar keiner fuer noetig hielt, ihm frueh genug zu sagen, dass er den falschen Weg eingeschlagen hat.
Tja, und ich rege mich jetzt drueber auf und bin genervt, wenn ich ihn sehe, obwohl ich nix dafuer kann und er irgendwie auch nicht, er ist halt wie er ist...

ratlose Gruesse, eure Stilbluete

ps> sorry fuer den Buchstabensalat, mein Computer hat das Lan-Kabel heute nicht fressen wollen
 
Ganz davon abgesehen leidet die Reputation der Ausbildungsstaette, wenn so schlechte Studenten hier ihren Abschluss machen koennen.
Na, mach Dir mal keine Sorgen - wenn da schlechte Studenten einen Abschluss bekämen, wäre die Reputation wohl nicht so gut (ob sie das ist kann ich nicht beurteilen).
Es ist doch so: jeder muss seine Erfahrungen selbst machen. Damit man den Rat von anderen annehmen kann, muss man halt merken, dass man sich einige Schleifen im Leben hätte ersparen können, wenn man auf Eltern/Freunde/etc. gehört hätte. So ist das jedenfalls mir in seinem Alter gegeangen...
 
Hi Stilblüte,

das "Ding" wird die romantische Sonate sein. Die Kollegen, die Du nennst, sind mir als relativ unangenehme Kameraden bekannt..(Chopin, Liszt usw.)

Wie siehts denn bei ihm mit Chopin c-Moll aus ? Oder zählt die nicht ? Weil, manchmal wird die "übersehen" ;) (Weil, ich glaub Rubinstein mal irgendwas komisches dazu gesagt hat) - egal:
so beim ersten draufschauen find ich, sieht sie angenehmer und "knuffiger" aus als die ZWEI anderen..?

Insgesamt hab ich aber irgendwie nicht verstanden, wie Dein Kommilitone dort überhaupt hinkam, nach St. Petersburg. Hat das niemand bemerkt, was ihm - laut Deinen AUssagen - fehlt,
oder / und hat er die MÖGLICHKEIT zur AUfnahmeprüfung nur durch Vitamin B bekommen ?

Fragt - auch etwas ratlos, aber ne Sonate müsste man irgendwie finden ;) - Olli !
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Klitzekleiner Nachtrag: Und wie siehts mit Schubert aus ? Zählt der bei Euch zur Romantik, d.h. also: Sind SEINE Sonaten erlaubt ?

LG, Olli !
 
Wie gesagt, er ist kein Student, sondern Gast-Student. Diesen Status kann jeder annehmen, der einigermaßen (Klavier/...) spielen kann und bezahlt. Es gibt auch Berufsmusiker, die das mal für ein paar Wochen oder Monate machen, um neue Impulse zu bekommen, oder Studenten, die sich das als "erweiterten Meisterkurs" leisten.

Was für Sonaten da genau gelten, weiß ich nicht. An Schubert habe ich auch schon gedacht, möglich, dass es da eine machbare gibt. Aber das ist ja nicht Sinn der Sache. Die romantische Sonate war nur ein Beispiel, ich weiß nicht, was man sonst alles noch können muss.

Wie das mit den Aufnahmeprüfungen und Vitamin B grundsätzlich hier aussieht, weiß ich nicht sicher. Mittel und Wege gibts sicher, aber wie gesagt, er bemüht sich ja nicht mal um einen Lehrer, der ihm zusagt.
 
Was für Sonaten da genau gelten, weiß ich nicht. An Schubert habe ich auch schon gedacht, möglich, dass es da eine machbare gibt. Aber das ist ja nicht Sinn der Sache. Die romantische Sonate war nur ein Beispiel, ich weiß nicht, was man sonst alles noch können muss.

Rehi Stilblüte !

Die Informationen über die GENAUEN Auswahlmöglichkeiten der Sonaten und seiner WEITEREN ANforderungen wären aber echt wichtig, find ich,
genau so, wie der genaue TERMIN, an dem er seine Prüfung numero 2 abliefern muss.

Du erwähnst, dass er immer dasselbe übt: z.B. eine Beethoven-Sonate. Die nimmste ihm schonmal WEG - mit ALLER HÄRTE - es sei denn, er kann vor Dir und ggf. anderen begründen, warum sie zur Romantik zählt.

WENN DANN sich herausstellt, dass Schubert ERLAUBT ist, kann er es SCHAFFEN, glaube ich. (Wie schön wäre ein deutsches oder Engl. pdf mit den genauen Anforderungen ;) ... )

SODANN...ist hier der Schubert-EXPERT PIANOVIRUS im Forum, wie ich meine, entnommen zu haben aus div. Fakten, der - zusätzlich zu DIR, (denn wer f-Moll-Konzert von Chopin so spielt, wie Du, kann auch einordnen, ob irgendeine Schubert-Sonate für Mr. Fauli ;) machbar ist ) - fähig und in der Lage sein sollte, zu beurteilen, WELCHE.

Da ich nur op. 42 kenne, a-Möllchen, würde ich dem Kameraden BEFEHLEN, ab sofort nur noch diese Sonate zu üben (natürlich zusätzlich zu den weiteren EXAKTEN ANforderungs-Stücken),
wenn Schubertsonaten erlaubt sind. Aber das ist nur meine Meinung.

Was ich NOCH wichtig finde: Der Junge braucht SICHERHEIT, und LOB, wenn er was gut macht. Leider bin ich "außerhalb" einer (gewöhnlichen) Lehrer-Schüler-Beziehung,
aber wenn PIANOVIRUS z.B. hier auch "ad armas" stehen würde, wäre Schubert zumindest KLÄRBAR...

Pianovirus ? :) Biste vor Ort ? :)

Liebe Grüße, Olli !!
 
Die Informationen über die GENAUEN Auswahlmöglichkeiten der Sonaten und seiner WEITEREN ANforderungen wären aber echt wichtig, find ich,
genau so, wie der genaue TERMIN, an dem er seine Prüfung numero 2 abliefern muss.
Da frag ich mich doch spontan: warum ist das wichtig?
Stilblüte hat ihn doch angesprochen, wenn er´s unbedingt auf die harte Tour lernen will...
Wenn er das Zeug zum Studium nicht mitbringt, warum dann unbedingt irgendwie durchwursteln?
 
Ich glaube, da wurde ein bisschen was missverstanden:

Diese romantische Sonate braucht er nicht jetzt, sondern er bräuchte sie in zwei Jahren. Jetzt geht es um das Bestehen der Aufahmeprüfung, welche im Sommer stattfindet, dafür braucht man eine klassische Sonate, somit liegt er mit Beethoven also goldrichtig.
Wie gesagt, die romantische Sonate ist nur ein Beispiel dafür, dass er die jetzigen Anforderungen vielleicht noch gerade so schaffen kann, später aber möglicherweise scheitern wird.

Man kann natürlich sagen - zwei Jahre, das ist ewig, da kann sich so viel tun und verändern. Richtig, es kann, muss aber nicht. Und wenn ich wie gesagt sehe, was sich seit September getan hat bzw. eben nicht, wage ich auch zu bezweifeln, dass besagte Sonate mal möglich wäre.

Ich werde mich hüten, mich genauer über die Bedingungen zu informieren. Das ist seine eigene Aufgabe. Zwar verstehe ich, dass so ein Studium auch irgendwie etwas Ominöses, Monströses, Unbekanntes darstellt. Ich wusste, als ich mich mit 18, 19 auf die Aufnahmeprüfung vorbereitete, auch nicht so genau, was mich da erwartet. Aber da war ich eben auch 18 und nicht 22, außerdem hatte ich eine Lehrerin am Ausbildungsinstitut, die mir versicherte, dass ich es schaffen würde.

Faul ist er wie gesagt überhaupt nicht, jedenfalls nicht im Sinne des klassischen faulen Klavierschülers. Er übt oft acht Stunden am Tag und macht dann noch Gehörbildung, geht früh schlafen und tut scheinbar alles, um voran zu kommen (was in meinen Augen schon ein Fehler ist - ich an seiner Stelle würde viel öfter in die hochklassigen Konzerte hier gehen, evtl. im Unterricht von guten Studenten hospitieren u.ä., er dagegen hört fast ausschließlich sein eigenes Klavierspiel).
Mir scheint aber, er ist "denkfaul" oder "realitätsfaul" oder auch "kritikfaul" oder wie man es sonst nennen mag. Natürlich ist es unbequem, sich einzugestehen, dass etwas offenkundig verkehrt läuft, und schön einfach, einfach so weiter zu machen wie bisher und das ungute Gefühl durch noch mehr Zeiteinsatz wegzuüben.

Da gibts auf Russisch nen schönen Ausdruck - Sto dijlat. Was soll man da machen.
 
Lieber Olli,

Blüte hatte die Sonate doch nur als Beispiel erwähnt, um zu demonstrieren, dass ihrer Meinung nach der Gaststudent das Studium nicht schaffen würde, selbst wenn er die Aufnahmeprüfung bestehen würde. Im Moment ist die Sonate doch irrelevant.

Liebe Blüte, du hast aus meiner Sicht drei Möglichkeiten: entweder du sagst ihm behutsam, aber klar deine Ansicht (da kommt es sehr auf die Formulierungen an) oder du machst nur Andeutungen bzw. schweigst (wie bisher), hältst Abstand. Die dritte Möglichkeit ist sicher die schwerste, aber aus meiner Sicht die beste: du akzeptierst (s. megahoschi), dass der Student den Weg durch sein Leben geht, der für ihn der richtige ist. Der muss nicht für dich der richtige sein. :D . Manchmal führt erst ein Irrweg in die richtige Richtung. Ob es ein Irrweg für ihn ist oder nicht, wird sich spätestens bei der Aufnahmeprüfung, die ja bald kommen wird, oder allerspätestens bei der nächsten Prüfung im zweiten Jahr herausstellen. Die Realität wird ihn zwingen, seinen Weg zu überdenken oder eben auch nicht (dann wurschtelt er sich eben so durch oder bekommt doch noch die Kurve - so etwas gibt es nicht eben selten). Daran wird er womöglich mehr lernen als an allem anderen - Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Und so viel Zeit verliert er ja nicht.

Ich verstehe natürlich, dass es dir schwer fällt, so eine Art, der der deinigen völlig konträr ist, zu akzeptieren. Du gehst zielstrebig und offen deinen Weg, setzt dich ein, bist engagiert und fleißig und kommst auch mit widrigen Umständen klar. Wenn ich mich über etwas oder jemanden wirklich aufrege - so habe ich mit meinen fast 50 Jahren festgestellt (Tante Chiarina guckt altomalich und weise nickend mit weißem Spitzenhäubchen bekleidet über ihre Nickelbrille :D ) -, hat es immer auch mit mir zu tun und trifft bei mir einen wunden Punkt. Da hat es mir geholfen, darüber nachzudenken, warum mich gerade das so aufregt und es hat mir immer zu Einsichten über mich selbst verholfen, welcher Qualität auch immer. :p

Liebe Grüße, ich hoffe, es ist o.k., dass ich das gesagt habe! :kuss:

chiarina
 
Ich glaube, da wurde ein bisschen was missverstanden:

Diese romantische Sonate braucht er nicht jetzt, sondern er bräuchte sie in zwei Jahren. Jetzt geht es um das Bestehen der Aufahmeprüfung, welche im Sommer stattfindet, dafür braucht man eine klassische Sonate, somit liegt er mit Beethoven also goldrichtig.
[...]später aber möglicherweise scheitern wird. [...]Ich werde mich hüten, mich genauer über die Bedingungen zu informieren. Das ist seine eigene Aufgabe.
Mir scheint aber, er ist "denkfaul" oder "realitätsfaul" oder auch "kritikfaul" oder wie man es sonst nennen mag.

Achsoo :) ok, das mit der klassischen Sonate, die er zum Bestehen der Aufnahmeprüfung im Sommer braucht, war tatsächlich etwas missverständlich, bzw. war mir beim ersten Lesen Deines Posts entfallen! (Welche übt er doch gleich ?)
Ich dachte nämlich, er übt am Ziel vorbei und braucht JETZT DEMNÄCHST (im Sommer) eine romantische.

Wenn er 8 Stunden am Tag übt, und nichts bei rauskommt, ist es allerdings nicht effektiv, da gebe ich Dir Recht. Und...mit "denkfaul" hättest Du wahrscheinlich das Richtige getroffen.. .

Hmm. Immerhin ist es ja nun auch, wie Du schriebst, eine Geldsache.. . Vielleicht bewegt ihn das, einige Dinge zu überdenken..


Ok.. und: @ chiarina: irgendwann ist sie dran, die Romantische Sonate...

vielleicht...schaut man sie sich schonmal an ? ;) - oder..HÖRT sie sich an...? (wie gesagt müsste man dann wissen, WELCHE man sich anschaut. und..

@megahoschi: SOlche Sachen sind IMMER wichtig - stell Dir mal vor, Du verschläfst einen solchen Termin, wieviele RUBEL das kostet ? :)

Doswedanja, Gospodina Stilblüte ;)

LG @all, Olli !
 

So wie ich das sehe ging es Stilblüte vor Allem darum, sich mal was von der Seele zu reden.

Mit jungen 22 Jahren darf man sich noch verrennen. Ob das nun mit dem Studium klappt oder nicht, ist doch sekundär (sein Leben bricht ja nicht zusammen, wenn´s nicht klappt). Wichtig sind die Erfahrungen, die dabei gesammelt werden. Und die hat man für´s Leben.
Ich finde so eine Kampfeinstellung besser als sich von Selbstzweifeln zermürben zu lassen.
 
Hallo Stilblüte,

solche Fälle wie den beschriebenen habe ich öfter, allerdings in anderem Zusammenhang. Von selbst ansprechen würde ich nichts, einmal, weil es, wie ja schon öfter gesagt wurde, problematisch ist, Schicksal zu spielen, und zum anderen, weil einem mit 22 noch alle Wege offen stehen; kein Grund zu besonderer Eile, meine ich. Wenn er von sich aus fragt, würde ich aber den Unterschied zwischen Ist- und Soll-Zustand schon sehr deutlich klarmachen, natürlich immer mit dem Vorbehalt, dass es sich um Deine Wahrnehmungen/Deine Perspektive handelt. Ich würde nicht direkt abraten, da ich der Meinung bin, dass mir ein solcher Eingriff in das Leben eines halbbekannten Menschen nicht zusteht; eher würde ich nachfragen, ob er selbst die Distanz zwischen "Ist" und "Soll" für überwindbar hält. Nur er selbst kann ja wissen, wieviel ihm wirklich am Klavierspielen liegt, und wenn jemand etwas wirklich will, dann kann er schon einiges erreichen - das ist jedenfalls meine Erfahrung. Evtl. kann man auch mal nachfragen, welche Motivation eigentlich hinter dem Wunsch, zum Studium angenommen zu werden, steckt; vielleicht ist da ja eher der Wille von Eltern, Familie etc. am Werk und nicht der eigene. Das würde jedenfalls erklären, weshalb er trotz Üben nicht vorankommt. Ich würde ihm dann vielleicht auch mal den Tipp geben, direkt beim Lehrer nachzufragen. Denn dass der wiederum nicht von sich aus die Sache anspricht, sondern erwartet, dass die Initiative vom Schüler ausgeht, ist eben auch wieder verständlich. Insgesamt würde ich also eher zur Reflexion anregen als die Entscheidung für denjenigen zu treffen. - Etwas ganz anderes sind demgegenüer praktische Fragen vom Typ "Welche Sonate soll ich spielen?", "Welchen Lehrer soll ich nehmen?". Da kann man, finde ich, ohne Umschweife Lösungsvorschläge machen.

In jedem Fall würde ich mich überhaupt nicht darüber aufregen, schließlich ist es sein Leben.

Liebe Grüße!
 
P.S.: Du müsstest, glaube ich, auch noch bedenken, welche Rolle Du für ihn spielst; bist Du eher der ältere, erfahrene Freund, dessen wohlgemeinten Rat er gerne annimmt, oder eher der Kumpel auf Augenhöhe? Wenn letzteres der Fall ist, wäre ich vorsichtig, denn er könnte Dir Deine Intervention als Mobbing auslegen. Das Ganze könnte dann zur causa belli werden, was ich vermeiden würde. Vor allem dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass Ihr noch mehrere Jahre zusammen im Wohnheim wohnt...
 
trauriges Schicksal,das du hier beschreibst,um die Reputation der St.Petersburger Institution würd ich mir da allerdings am wenigsten Sorge machen.

Klingt nach einem brachialen Verzweiflungsakt einen Beruf auszuüben, der leider besondere Fähigkeiten voraussetzt, deren Fehlen er sich nicht eingestehen will.
Du schreibst nichts über seine Persönlichkeit, ob sensibel,introvertiert oder eher selbstbewußt,prahlerisch....
Danach könnte man die Situation eher einschätzen.

Versetz dich in seine Lage(in Kenntnis seiner Persönlichkeitsstruktur) und versuche dann daraus die Antworten zu finden.
Was bewegt jemanden, bei mangelndem Talent stur einen künstlerischen Beruf ausüben zu wollen?
Möglich wären zwei Antworten, die eng mit den oben beschreibenen zwei groben Charakterzügen korrelieren:

-"ich bin wahnsinnig toll, Geld hab ich auch, da wär es ja gelacht, wenn mir die Welt und das Petersburger Konservatorium nicht zu Füßen liegen würde, denn mein Talent steht dem von Gilels um nichts nach, nur erkennt das von diesen Schnöseln hier noch keiner..."

oder

-"ich weiß, ich bin nicht so gut wie die anderen hier, ich habe aber nur das Klavier und die Musik in meinem Leben und kann mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen,mit 22 bin ich eigentlich verdammt alt und echte Pianistenkarriere werd ich nicht mehr schaffen, aber trotzdem muss ich es irgendwie schaffen, hier ausgebildet zu werden, sonst hat alles keinen Sinn mehr...."

auf ersten Fall braucht man nicht näher eingehen, die Profs sollen utopische Honorare verlangen und sich nachher über ihn lustig machen.Im zweiten Fall ist die Situation wegen mangelnder Flexibilität des Betroffenen verfahren und sollte äußerst behutsam angegangen werden, Adoleszenz Krisen dieser Art können auch mal in eine Katastrophe führen, entscheidend wäre ein Klavierlehrer, der ihm die Möglichkeiten einer musikalischen Erfüllung auch außerhalb des Pianisten/Klavierlehrer Berufes als lohnens- und erstrebenswert nahe bringt.

Ganz nebenbei:Was hat der denn bis 22 gemacht, wovon gelebt?das ist ja nun wirklich klein Teenager Alter mehr! Ich hatte mir diese Gedanken mit 15-16 gemacht (hat geschmerzt, war aber notwendig).
 
auf ersten Fall braucht man nicht näher eingehen, die Profs sollen utopische Honorare verlangen und sich nachher über ihn lustig machen.Im zweiten Fall ist die Situation wegen mangelnder Flexibilität des Betroffenen verfahren und sollte äußerst behutsam angegangen werden, Adoleszenz Krisen dieser Art können auch mal in eine Katastrophe führen, entscheidend wäre ein Klavierlehrer, der ihm die Möglichkeiten einer musikalischen Erfüllung auch außerhalb des Pianisten/Klavierlehrer Berufes als lohnens- und erstrebenswert nahe bringt.

Ganz nebenbei:Was hat der denn bis 22 gemacht, wovon gelebt?das ist ja nun wirklich klein Teenager Alter mehr! Ich hatte mir diese Gedanken mit 15-16 gemacht (hat geschmerzt, war aber notwendig).
Da kommt ein ganz wesentlicher Aspekt zur Sprache: Welche beruflichen Perspektiven hat ein auf Dauer gescheiterter Berufsmusiker eigentlich? Die fällige Antwort lautet vermutlich in St. Petersburg genauso wie hierzulande: In anderen Berufen kann er meist nur den gering oder gar nicht qualifizierten Hilfsarbeiter abgeben. Und mit deutlich jenseits der Zwanzig mit so gut wie leeren Händen dastehen - da muss man sich schon gnadenlos in ein nebelhaftes Ideal verrannt haben und ein Meister im Verdrängen von Realitäten sein.

Es gibt eine ganze Reihe von Musikberufen, bei denen das pianistische Können nicht das Niveau eines Weltklasse-Solisten und nicht weniger erreichen muss. Dafür muss die Spezialisierung auf anderen Gebieten qualitativ hochwertige Leistungen ermöglichen. Wer z.B. vorrangig in der Annahme einen Lehrberuf anstrebt, man müsse dafür auf dem Instrument nicht so viel können, wird dort ebenso jämmerlich scheitern. Das gleiche gilt für Aufgaben wie Liedbegleitung, Korrepetition oder Kammermusik, wo Spezialisten gesucht sind, nicht aber Gescheiterte anderer Fachrichtungen.

Im Falle des in die Jahre gekommenen Kommilitonen müsste man diesen persönlich kennen, um zu erkennen, ob er mit herkömmlichen kommunikativen Mitteln zur Einsicht zu bringen wäre, dass das ersehnte Ziel unrealistisch ist. Diese Orientierungshilfe zu geben, ist aber vorrangig Aufgabe der Lehrkraft und nicht von Mitstudierenden. Einerseits macht es Sinn, ein erstrebtes Berufsziel auch bei Rückschlägen im Auge zu behalten. Andererseits empfiehlt sich aber dann die Bereitschaft zur Selbsterkenntnis, dass man hier schlichtweg fehl am Platz ist. Das schließt ja nicht aus, dass man andernorts richtig wäre - aber die Chancen, auch hier auf einen desorientierten Mitstudenten günstig einzuwirken, sind denkbar gering. Gescheiterte Existenzen mit fehlgeleiteter Selbstwahrnehmung gehören vermutlich in der Peripherie aller Berufsgruppen zur traurigen Realität. Helfen kann man diesen allenfalls, soweit diese es selbst zulassen. Sicherlich sind die von kreisleriana beschriebenen beiden Szenarien die logische Folge - und mein "Like" bezieht sich auf die Fertigkeit, diese Konstellation verbal auf den Punkt zu bringen.

LG von Rheinkultur
 
Liebe Stilblüte

Du verschwendest deine Zeit ! lass ihn ihn doch machen -oder bist Du verliebt?:D:D:D

Cordialement

Destenay
 
Danke fuer die vielen interessanten Kommentare und Meinungen! Es tut immer gut, in solchen Situationen noch andere Stimmen zu hoeren.
Ich weiss selber nicht genau, warum mich das so beschaeftigt - vermutlich eben, weil ich so nah dran bin und es die ganze Zeit vor Augen habe, und weil ich mir auch noch einbilde, dass ich die Situation verbessern koennte, wenn meine Hilfe denn erwuenscht waere. Verliebt bin ich nicht, ich glaube sogar, der Gute mag gar keine Frauen. Ich bin aber ein bisschen mit ihm befreundet, weil er so eine Art Mitbewohner ist und wir uns tagtaeglich sehen und sprechen.

In der Tat weiss ich, dass seine Eltern wollen, dass er in St. Petersburg studiert. Inwieweit ihn das tatsaechlich in seiner Handlungsweise beeinflusst, kann ich nicht sagen, aber eine Rolle spielt es sicher (sie haben aber glaub ich nicht Musik studiert). Natuerlich darf man im Leben auch Umwege gehen. Die Aussage "mit 22 darf man noch" finde ich aber etwas gefaehrlich. Ich weiss, dass er bis 20 Militaerdienst geleistet hat und seitdem hier ist, etwas anderes hat er seit dem Schulabschluss nicht gemacht. Und bei den 22 Jahren wuerde es ja nicht bleiben. Das Klavierstudium hier dauert fuenf Jahre, wenn er fertig wuerde, waere er also 27. Fliegt er vorher, waere er in einem Alter, in dem viele andere bereits ihren Bachelor oder sogar Master gemacht haben. Noch dazu kommt er aus einem kleinen Euroland, welches gerade ganz und gar keine rosigen Aussichten hat.

Der Angebertyp ist er uebrigens nicht. Wie gesagt ist ihm schon bewusst, dass er "hinterher" ist, er aeussert das selbst ab und zu und hat auch Sorge, nicht zu bestehen.
Welche Position ich dabei habe, weiss ich nicht ganz genau. Er ist jemand, der andere schnell gern bewundert und das dann unglaublich Umwerfend findet. Vermutlich bin ich also gleichzeitig ein Subjekt, das er beneidet, bewundert und mit dem er noch befreundet ist. Nicht gar die beste Kombination.

Ich habe ihn schon oefter gefragt, ob ich nicht mal mit in seinen Klavierunterricht gehen kann (am besten sowohl den guten, als auch den schlechten), weil ich herausfinden moechte, ob die Lehrer wirklich beide so "schlecht" sind. Eventuell nimmt er mich demnaechst wirklich mal mit, das wird sicher etwas erhellend sein. Hier ist das anscheinend auch grundsaetzlich ueblicher als an meiner deutschen Hochschule, in meinem eigenen Unterricht sassen schon oeffter Leute, ohne dass ich erfahren haette, wer das ist oder gar gefragt worden waere, ob mir das recht ist.
 
Danke fuer die vielen interessanten Kommentare und Meinungen! Es tut immer gut, in solchen Situationen noch andere Stimmen zu hoeren.
Ich weiss selber nicht genau, warum mich das so beschaeftigt - vermutlich eben, weil ich so nah dran bin und es die ganze Zeit vor Augen habe, und weil ich mir auch noch einbilde, dass ich die Situation verbessern koennte, wenn meine Hilfe denn erwuenscht waere. Verliebt bin ich nicht, ich glaube sogar, der Gute mag gar keine Frauen. Ich bin aber ein bisschen mit ihm befreundet, weil er so eine Art Mitbewohner ist und wir uns tagtaeglich sehen und sprechen.

In der Tat weiss ich, dass seine Eltern wollen, dass er in St. Petersburg studiert. Inwieweit ihn das tatsaechlich in seiner Handlungsweise beeinflusst, kann ich nicht sagen, aber eine Rolle spielt es sicher (sie haben aber glaub ich nicht Musik studiert). Natuerlich darf man im Leben auch Umwege gehen. Die Aussage "mit 22 darf man noch" finde ich aber etwas gefaehrlich. Ich weiss, dass er bis 20 Militaerdienst geleistet hat und seitdem hier ist, etwas anderes hat er seit dem Schulabschluss nicht gemacht. Und bei den 22 Jahren wuerde es ja nicht bleiben. Das Klavierstudium hier dauert fuenf Jahre, wenn er fertig wuerde, waere er also 27. Fliegt er vorher, waere er in einem Alter, in dem viele andere bereits ihren Bachelor oder sogar Master gemacht haben. Noch dazu kommt er aus einem kleinen Euroland, welches gerade ganz und gar keine rosigen Aussichten hat.

Der Angebertyp ist er uebrigens nicht. Wie gesagt ist ihm schon bewusst, dass er "hinterher" ist, er aeussert das selbst ab und zu und hat auch Sorge, nicht zu bestehen.
Welche Position ich dabei habe, weiss ich nicht ganz genau. Er ist jemand, der andere schnell gern bewundert und das dann unglaublich Umwerfend findet. Vermutlich bin ich also gleichzeitig ein Subjekt, das er beneidet, bewundert und mit dem er noch befreundet ist. Nicht gar die beste Kombination.

Ich habe ihn schon oefter gefragt, ob ich nicht mal mit in seinen Klavierunterricht gehen kann (am besten sowohl den guten, als auch den schlechten), weil ich herausfinden moechte, ob die Lehrer wirklich beide so "schlecht" sind. Eventuell nimmt er mich demnaechst wirklich mal mit, das wird sicher etwas erhellend sein. Hier ist das anscheinend auch grundsaetzlich ueblicher als an meiner deutschen Hochschule, in meinem eigenen Unterricht sassen schon oeffter Leute, ohne dass ich erfahren haette, wer das ist oder gar gefragt worden waere, ob mir das recht ist.

O Gott Stilblüte dich hatts erwischt ! Die ersten Anzeichen eines Helfersyndrom.
Pass auf sonst gibt es aus Dir noch eine Pfarrerin oder Ärztin und dieser Typ der Frauen nicht mag wird ein Star-Pianist, alles ist möglich - Alter spielt keine Rolle

Cordialement
Destenay
 
Pfarrerin oder Ärztin ist ja durchaus was ehrenwertes. :)
 

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