Und für pianistische Laien ist es völlig unerheblich, ob sie mit Begriffen wie verminderter Septakkord schwadronieren können oder nicht, wenn auf dem Klavier überhaupt noch mit der Ausführung gekämpft wird. Wenn jemand sich per se für Musiktheorie interessiert, so ist das völlig unabhängig vom Instrumentspiel.
Das halte ich für Bullshit.
Erstens: Wo ist die Grenze zwischen pianistischen Laien und Könnern? Wer legt das fest?
Zweitens: Wieso sollte Musiktheorie völlig unabhängig vom Instrumentspiel sein? Das ist ja genau so unsinnig, wie wenn ich mir die chinesische Grammatik reinziehe, aber überhaupt gar kein Chinesisch lernen möchte. Völliger Nonsens!
Drittens: Ja, wie bereits in anderen Posts von mir teilweise ausführlich beschrieben, geht in meinem Unterricht die Grammatik der Musik mit dem Lernen des Klavierspiels quasi von der ersten Stunde an gemeinsam einher. Weil alles andere meines Erachtens wenig Sinn macht.
Beispiel: Spiel auf schwarzen Tasten (nach Gehör, nach Noten, auch Improvisation). Das mache ich ab der ersten Lektion mit Kindern (wie zB hier kurz angetönt:
https://www.clavio.de/klavierforum/threads/mondschein-sonate-fuer-anfaenger.2887/). Die Schüler lernen bereits hier Intervalle (zB dass Fis-Ais oder Ais-Cis Terzen sind, das tut nicht weh, und sie können sich das genau so gut merken, wie wenn man ihnen in der 1. Klasse eine Leiter aufzeichnet und ihnen erzählt, dass das ein "H" ist). Sie werden, wenn man ihre Aufmerksamkeit darauf lenkt (das nennt man Methodik bzw. Didaktik), herausfinden, dass nicht beide Terzen genau gleich gross sind; die Abstände sind anders (bzw. es hat nicht gleichviele Tasten dazwischen). Und schon kann man mit g3 und k3 arbeiten. Der nächste Schritt ist dann, mit Fis-Ais-Cis einen Dur-Dreiklang, mit Dis-Fis-Ais einen moll-Dreiklang bilden zu können.
Selbstverständlich sind meine Schüler alles Laien, und klar gibt es solche mit mehr und solche mit weniger intellektuellem und kognitivem Rüstzeug. Aber sie sind alle dabei, gleichzeitig mit dem Lernen ihrer ersten Töne und Lieder (und Improvisationen*) gleichzeitig die Grammatik zu verstehen.
Sie schwadronieren nicht, und natürlich ist es
nicht unerheblich, ob sie das können. Der Unterschied ist nämlich, dass bei mir das Gros der Schüler sehr schnell und sehr nachhaltig Fortschritte erziehlt. Egal welche Ziele sie haben, ob sie tatsächlich "River Flows In You" spielen wollen (was bei mir idR die 9-10jährigen nach ca. 2 Jahren Unterricht locker lernen und spielen können) oder ob sie mit 10 oder 11 Jahren schon KV 545 spielen, sie alle verstehen und beherrschen ihre Musik intrinsisch. Einige meiner Besten spielen jedes Jahr an regionalen und nationalen Wettbewerben und sind idR auf den Podestplätzen anzutreffen.
Was soll das bringen?
Nun, es bringt erst mal gar nichts. Die Welt kommt auch ohne Klaviermusik aus, das hat sie bereits bis vor ca. 400 Jahren super gut hingekriegt. Und kein Mensch muss Klavierspielen. Das ist kein Grundbedürfnis wie Atmen, Essen, Trinken, Schlafen und nicht frieren. Aber wenn man Klavier lernen und spielen
will, dann hat man das Anrecht, dies so gut, nachhaltig, befriedigend und kompetent wie nur irgend möglich zu tun.
Es geht nämlich darum, dass die Schüler selbständig werden, Musik denken und verstehen können und zumindest das Rüstzeug vermittelt bekommen, um Komponist, Improvisator, Hobbypianist, Arrangeur oder was auch immer sein zu können. Ob sie an Weihnachten „O du fröhliche“ toll spielen wollen oder die Aufnahmeprüfung an die Musikhochschule, ist völlig egal. Meine Arbeit ist dieselbe.
Da ich sehr gut Geld verdiene mit dem, was ich mache, mache ich das gut und ich will es besser machen als die meisten anderen (und die Leute rennen mir damit die Bude ein; ich hatte noch nie zu wenige Schüler, im Gegenteil...). Und wenn Eltern zu mir kommen und staunen, was ihre Kids nach 2-3 Jahren drauf haben und mir sagen "Also Sie, ich hab auch mal 10 Jahre lang Unterricht gehabt, kann aber kaum Noten lesen und konnte solch schwierigen Stücke, wie sie mein Kind spielt, gar nie wirklich", ja dann finde ich selber, dass das recht gut gelingt (und dass damals entweder der Lehrer oder die Eltern oder beide eher nicht die hellsten Kerzen auf dem Kuchen waren).
Ich habe kein Problem damit, wenn es Leute gibt, die monatelang an "Comptine" oder an "Für Elise" arbeiten, weil sie keine Ahnung haben was darin abgeht, und schon gar nicht auch nur eine der Figuren vorher schon mal gelernt hatten. Jeder darf Freude haben an dem, was er macht und wie er es macht. Es geht aber darum, dass solche Leute bei jedem Stück quasi wieder von vorne beginnen, weil sie keinerlei handwerklichen und theoretischen Grundaufbau haben und folglich auch nicht darauf zurückgreifen können. Wer im F-Dur Teil der Elise die Harmonien (F-B-C7-F) nicht schnallt, wird sie auch in einem anderen Stück nicht wiedererkennen (Analogien erkennen ist das A und O des Fortschritts!) und sie wieder von Null lernen müssen. Spätestens wenn ihre Kollegen, die anders lernen und innert kürzester Zeit deutlich grössere Fortschritte und bessere Resultate erzielen, müssten sie sich mal Gedanken machen (es sei denn, siehe Kerzen auf dem Kuchen...).
Und klassisch ausgebildete Hobbypianisten brauchen nicht improvisieren wollen, wenn sie es wollten, würden sie es machen.
Pianisten, Instrumentalisten, die gleichzeitig Komponisten sind, oder zumindest improvisieren können waren auch in der Vergangenheit rar. Wer gekonnt improvisieren will, muss zuallererst ein ausgezeichneter Instrumentalist sein - und Otto Normalo ist in der Regel kein ausgezeichneter Pianist.
* Doch. Mit der richtigen Einstellung wird es dazu kommen. Weisst du, das von dir hier klingt nach "Wer nicht schwimmen kann, muss auch nicht ins Wasser gehen". Das ist Mist. Auch klassisch ausgebildete ** Hobbypianisten improvisieren bei mir sehr gern. Bereits mit 7 oder 8 Jahren, später wirds natürlich immer komplexer. Wir machen das oft, sie lieben das sehr.
Die Kleinen spielen sehr gern zu Patterns, die ich spiele (zB Gb maj7 / Ebm7 / Abm7 / Db7/9); später werden sie die Griffe auch selber lernen, um wiederum neue Kleine zu begleiten. Dann wirds eben auch für diese Laien durchaus sehr relevant, zu wissen, was der Unterschied zwischen Dur und moll sowie zwischen 7 und Major 7 ist. Ich habe auch diverse Kinder, die selber Komponieren, mir ihre Stücke vorspielen und dies dann nach einer gewissen Zeit (auch mit Tipps von mir, wenn zB gewisse Regeln etwas nebulös verletzt wurden wie zB die 4-Takt-Regel oder wenn das Metrum merkbar unlogisch ist) auch an Klassenvorspielen tun dürfen. Manche beginnen von alleine auch, ihre Stücke in ihr Notenheft zu schreiben. Das verlange ich nicht explizit, fördere es aber, sie versuchen das von alleine. Anfänglich ist das natürlich noch sehr holprig, aber wenn sie das wollen, dann unterstütze ich sie, indem ich ihre Aufmerksamkeit auf ihre Fehler oder Versäumnisse lenke (klassischer Fall: Schlüssel, Taktzeichen oder Vorzeichen vergessen oder falsch, Notenwerte stimmen nicht etc.).
Ich verbessere Fehler nie direkt; ich lenke sie darauf, bis sie sie selber sehen.
** Letzte Anmerkung: Ich halte die Unterscheidung bzw. die immer wieder gemachte Trennung zwischen Klassik und Jazz/moderne Musik für Unsinn. Es geht um Klaviermusik. Punkt. Ich mische dies alles immer generell. Sie können gleichzeitig Bach (Klavierbüchlein, kleine Präludien etc.), Chick Corea (Children's Songs), Oscar Peterson (dessen Jazz Exercises sind was vom Besten, was es auf dieser Stufe gibt) oder Christopher Norton, Manfred Schmitz sowie alles aus der TYE Fraktion lernen. Ich halte übrigens die TYE Stücke (zumindest die meisten) nicht per se für Schrott! Natürlich gibt es auch einen Raum für sowas; wenn eine 9 oder 10jährige nach 2 Jahren Unterricht „Comptine“ richtig schön spielt, finde ich das recht stark! Wenn ein 18jähriger nach 8 oder 9 Jahren das hinklimpert, dann grenzt das für mich eher an Körperverletzung.
Es ist immer eine Frage der Verhältnismässigkeit.