Wie bringe ich das Klavier zum "singen"

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Franz

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Im Thread Terzenübungen ergab sich die Frage:

Wie bringe ich das Klavier zum "singen"?

Das ist wirklich eine Herausforderung für Lehrer und Schüler.
Deshalb meine Frage an Haydnspaß und natürlich auch an die anderen Kollegen: Wie vermittelt Ihr das?
Wie gestaltet man eine Melodie so, dass diese am Klavier, einem Schlaginstrument, gesanglich klingt?
 
Eine Möglichkeit wäre natürlich einfach mitzusingen, um sich eine Vorstellung zu machen, wie die Melodie klingen soll. Wenn man anders denkt, spielt man auch anders. Später kann man die Melodie innerlich mitsingen, also ohne den Mund aufzumachen.

Die andere Möglichkeit wäre sich mit jeder einzelnen Note auseinanderzusetzen. Wie steht diese Note im Gesamtkontext? Soll ich sie leise, laut, mäßig spielen? Ist die nachfolgende Note ein entspannender oder ein anspannender Ton? Welche Note ist in der Melodie besonders wichtig? Wo ist das Ziel, auf das die Melodie hinsteuert?

Das Problem bei der zweiten Möglichkeit ist, dass man als Anfänger nicht weiß, wie man Töne formen kann, das bildet sich erst nach Jahren aus. Ich selbst habe damit auch ein großes Problem, aber ich versuche trotzdem das beste draus zu machen. Für Anfänger würde ich die erste Methode vorschlagen, weil sie einfach simpler ist und nicht so eine ungeheure Konzentration braucht.

Wenn die Technik aber nicht stimmt, hilft sowieso alles nichts. Deswegen ist es wichtig, dass man bei jedem Ton, den man spielt, sehr entspannt ist. Diese Entspannung hört man auch in der Melodie.
 
Hallo Franz,

gute Idee, zu diesem schönen und interessanten Thema einen eigenen Thread zu eröffnen!

Übertriebene Hoffungen auf ein Geheimrezept für gesangliches Klavierspiel sollte man sich aber nicht machen. Zuerst ist man als Klavierlehrer ja froh, wenn die richtigen Noten im richtigen Rhythmus mit einem praktikablen Fingersatz gespielt werden. Wenn dabei auch noch Artikulationszeichen und Dynamik beachtet werden, ist schon ein Gemütszustand gesteigerten Wohlbefindens zu verspüren.

An diesem Punkt hätten wir dann eine Basis, um uns der Musik zuzuwenden :)

Ich glaube, daß sich das Wesen der Musik in erster Linie darin ausdrückt, was hier mit "gesanglich" gemeint ist. Und es geht da nicht nur um legato, Gesang umfaßt ja alle Ausdrucksbereiche, ob es sich um Freude, Scherz, ruhige Zufriedenheit, Hysterie, Apathie, Ängstlichkeit oder was weiß ich noch alles handelt. Statt gesangliches Spiel könnte man also allgemeiner ausdrucksvolles Spiel sagen. Ein Spiel, das über reines Notenabspielen hinausgeht. Wir fragen uns dann nicht mehr "wie spiele ich diesen Ton/diese Phrase" sondern "was wird hier in der Musik ausgedrückt"?

Und wenn man mal ganz intensiv in die Musik hineinhört, gibt es eine ganze Menge, was in einigen wenigen Noten ausgedrückt sein kann. Manchmal ändert sich der Ausdruck durch einen einzigen unerwarteten Ton völlig. Und manchmal ändert sich der Ausdruck während der Ton klingt. Die Musik entschwindet oder im anderen Fall explodiert aus einem Ton heraus.

So, ich glaub, jetzt hab ich das Thema vollständig verfehlt. Eigentlich wollte ich nur sagen: Musik lebt! Und jeder einzelne Ton lebt! Und aus dem Zusammenwirken (manchmal auch Gegeneinanderwirken) der Töne entwickelt sich das Drama, das sich in und durch die Musik mitteilt.

Ich hätte vielleicht doch Priester werden sollen... :p
 
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Ich versuche mal, das Singen auf dem Klavier auf nachvollziehbare technische Fertigkeiten herunterzubrechen.

Für mich ist Singen einer Phrase auf dem Klavier eine Nachahmung einer menschlichen Stimme als Melodiebogen auf dem Klavier (natürlich kann man auch andere singbare Instrumente nachahmen, aber die menschliche Stimme halte ich für das wichtigste hierbei). Das bedeutet folgendes:

a) die Stimme der zu singende Phrase setzt sich deutlich ab von den Begleitstimmen. Oft handelt es sich ja um die Oberstimme der rechten Hand, um einen Cantus Firmus auf dem Klavier. Dies bedeutet vor allem, dass erstmal die anderen Stimmen leiser spielen, damit die zu singende Hauptstimme in den Vordergrund rücken kann. Das hört sich leicht an, ist es aber nicht.

b) die zu singende Stimme fängt wie eine menschliche Stimme leise und ggfs. auch etwas verzögert an, wird im Melodiebogen stärker, also lauter, hört wieder leise auf (ggfs. ebenfalls etwas verzögert). Wer Cortot-Aufnahmen hört, weiss wie der Effekt des stimmengetrennnten Rubatos wirkt.

c) um der zu singenden Phrase wirklich Schmelz geben zu können, ist es bei lyrischen Passagen sinnvoll, die Finger gestreckt zu lassen und beim Spielen langsam, aber sehr druckvoll die Tasten regelrecht zu massieren. Diese Technik erlaubt sehr differenziertes Dynamikspiel unter Beibehaltung von Legatotechnik, genau dass, was wir zum Singen brauchen. Man sollte mal bewußt etwas übertreiben - die Begleitstimmen sehr leise, und die "Singstimme" sehr dynamisch angepasst weich starten/enden und im Phrasenhöhepunkt stark glänzen.

d) der Fingersatz ist genau ausgerechnet in Bezug auf die zu singende Phrase. Wenn z.B. eine Phrase leise anfangen und leise enden soll, ist es u.U. einfacher, nicht mit Daumen anzufangen oder aufzuhören. Weil der Daumen der kräftigste Finger ist und man die Finger möglichst natürlich einsetzen soll (siehe Fragment der Anleitung zum Klavierspiel von Chopin).

e) natürlich muss eine Phrase nicht in der dargestellten Form ablaufen, es gibt ja verschiedene Arten z.B. des menschlichen Singens. Dies muss dann entsprechend angepasst werden - habe mich nur bemüht, die Hauptform einer Singphrase darzustellen.

f) auf manchen schlechten Klavieren und Flügeln ist "Singen" sehr schwer. Wenn die Hämmer total abgedroschen sind, ist es irrsinnig schwer, einen warmen weichen Ton hinzubekommen, der dann im Höhepunkt der Phrase einen silbrigen Glanz bekommen soll (was ich als das Ziel ansehe für eine "Standardsingphrase"). Auch wenn der Ton auf dem Klavier sehr schnell verschwindet, und es fast nur plautzig oder dumpf klingt, ist es sehr schwer. Also ein gutes Instrument hilft erheblich.
 
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Ich möchte hier noch einen weiteren Punkt zum Thema gesangliches Spiel ansprechen, und zwar das gesangliche non-legato oder gar staccato. Auch das kommt vor, und zwar garnicht so selten. Die Kunst eine Verbindung von Noten über Pausen hinweg herzustellen. Natürlich nicht dadurch, daß man das Pedal drückt :D sondern indem man die (melodische) Spannung innerlich weiterführt. Eine gute Übung dafür wäre z.B. Beethoven op.14 Nr.2 zweiter Satz. Gut ich seh's ein, niemand will sowas spielen. Aber man könnte z.B. mal versuchen, eine langsame Melodie, die normalerweise legato gespielt wird, nur mit einem einzigen Finger - bewußt ohne Pedal, somit zwangsläufig non legato - aber trotzdem so gesanglich wie möglich zu spielen. Da wird man sehr viel darüber erfahren, was das Wesen des gesanglichen Spiels ist.
 
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Sehr schönes Thema.
Ich geb mal meinen Senf dazu :p

Ich habe ja kürzlich den Lehrer gewechselt, bin jetzt bei jemandem, der bestimmt viel von Musik versteht, und gleich in den ersten Stunden hatte der Unterricht sehr viel mit eben diesem gesanglichen Spiel zu tun.
Es ging um den Mittelteil des Fantasie-Impromptus, der ja wirklich sehr lyrisch und "gesanglich" gespielt werden sollte, und dessen Charakter ich ein wenig verfehlt hatte. Ich schreibe mal an diesem Beispiel, wie ich das gesangliche Spiel umsetzen sollte bzw. es auch getan habe (hoffe ich):

Was Mindenblues schon sagte, sagte auch meine Lehrerin und es ist ja eigentlich klar: Die Begleitstimme muss total zurückgenommen werden. Im vorliegenden Stück sind die Griffe recht weit, und ein zartes, klares, aber gebundenes Spiel lässt sich durch relativ flache Handhaltung erreichen, außerdem dadurch, dass man die Hand (wenn genügend Zeit ist) zu den Tasten hinbewegt und nicht nur "drüberspielt" sondern in die Taste hineinspielt. Man kann dann auch die Lautstärke und den Klangcharakter sehr genau kontrollieren.
Wenn es physisch möglich ist, kann man im F.I. sowohl im A als auch im B-Teil den ersten Ton jedes gebrochenen Akkordes links länger halten; so bleibt die Harmoniegrundlage bestehen, man muss aber weniger Pedal verwenden => die Melodie klingt nicht so unsauber.

Was das gesangliche Spiel in der Melodie angeht:
Ich habe vorgespielt. Ihr hat eine Betonung, Phrasierung usw. nicht gefallen. Sie singt mir die Stelle vor, und mir wird klar, so wie ich das gespielt habe, würde man das niemals singen, denn beim singen phrasiert und artikuliert man meistens automatisch recht logisch und "richtig", der Melodie und den Bögen entsprechend.

Außerdem habe ich sehr enges Legato gespielt, d.h. die Finger nah an die Taste, genauestens kontrollieren, die Töne überlappen sich fast.

Unabhängig vom Fantasie-Impromptu finde ich außerdem, dass man sowohl durchs Sehen als auch durchs Hören sehr viel lernen kann.
Ich habe zwar noch keine Klavierschüler. Würde ihnen aber zwei Versionen vorspielen: Eine "gehämmerte", eine "gesungene" (die klanglichen Unterschiede erst deutlich, dann immer weniger stark unterscheidbar machen) und fragen, was besser gefällt bzw. welcher Unterschied besteht.
Außerdem dem Schüler vorsingen (er muss ja nicht selbst singen, wenn er nicht möchte).
Und ich persönlich lerne auch dadurch, dass ich mir Videos von spielenden Pianisten ansehe, habe ich festgestellt. Man hat da den direkten Zusammenhang von Handhaltung, technischer Umsetzung und Klangergebnis.
Die Hand sieht einfach viel entspannter und die Bewegung geschmeidiger aus, wenn man gesanglich spielt;
Umgekehrt spielt man automatisch lyrischer, wenn die Hand locker ist.

So, ich hoffe, ich hab das einigermaßen verständlich erklärt, manche Themen lassen sich ohne praktisches Zeigen so schlecht in Worte fassen.

liebe Grüße
Stilblüte
 
Ich möchte hier noch einen weiteren Punkt zum Thema gesangliches Spiel ansprechen, und zwar das gesangliche non-legato oder gar staccato. Auch das kommt vor, und zwar garnicht so selten. Die Kunst eine Verbindung von Noten über Pausen hinweg herzustellen. Natürlich nicht dadurch, daß man das Pedal drückt :D sondern indem man die (melodische) Spannung innerlich weiterführt. Eine gute Übung dafür wäre z.B. Beethoven op.14 Nr.2 zweiter Satz. Gut ich seh's ein, niemand will sowas spielen. Aber man könnte z.B. mal versuchen, eine langsame Melodie, die normalerweise legato gespielt wird, nur mit einem einzigen Finger - bewußt ohne Pedal, somit zwangsläufig non legato - aber trotzdem so gesanglich wie möglich zu spielen. Da wird man sehr viel darüber erfahren, was das Wesen des gesanglichen Spiels ist.

Dem würde ich das Prädikat "sauschwer" geben. ;)

Beethoven op.14 Nr.2 habe ich mit Sokolov im Konzert gehört. Der macht das traumhaft.

Man könnte ja den neuen "Workshop" unter dem Thema "das Klavier zum "singen" bringen" ausschreiben. Es wäre dann wurscht, welche Stücke man nimmt. Die vorgeschlagenen sind alle wunderbar dafür geeignet.

Heute vormittag habe ich mit mir einen kleinen Privatworkshop durchgeführt. Hier ein paar Beispiele:

"technisches Legato"
http://www.franz-titscher.de/P1010230.MOV

Und hier meine Versuche, dem Pling - pling ... Herr zu werden:

http://www.franz-titscher.de/P1010233.MOV (mit linkem Pedal)

http://www.franz-titscher.de/P1010234.MOV
 
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@ Franz:

Schönes Video. Bzgl. Handhaltung möchte ich dazu was sagen. Du hast eine schöne Handhaltung, eine, die ich beim "normalen" Spiel auch anstrebe - keine flache Hand, sondern es sieht entspannt aus. Mit dieser Handhaltung kam ich auch zu meiner Klavierlehrerin. Ich bin aber fast vom Glauben abgefallen, als sie mir für lyrische, gesangliche Passagen eine völlig andere Art vorschlug, nämlich stattdessen die Finger flach halten, und wie Stilblüte auch schrieb, "in die Tasten hineinspielen".

Meine Lehrerin ging noch weiter, die Taste soll regelrecht massiert werden, der Ton wird quasi rausgequetscht.
Sie hat dazu mit ihren Fingern auf meinem Arm gedrückt, wie sie die Tasten berührt. Ich habe es nicht glauben können - sie hat gedrückt, dass es fast weh tat!

Wenn man mal Profis zusieht, wie Stilblüte auch schrieb, erkennt man diese Art auch, wie die Töne rausgequetscht werden.
Der Trick ist, dass dadurch die Taste langsam runtergedrückt wird, aber in voller Kontrolle. Damit sind die Klangnuancen möglich, die einen guten Dynamikbogen ausmachen. Probier's doch mal aus, mir hat dieser Tip sehr geholfen (der Melodiebogen wie im Video gezeigt wird damit deutlicher ausfallen, bin mir ziemlich sicher).

Vielleicht hilft auch mal, die genau entgegengesetzte Handhaltung einzusetzen: stark gekrümmte Finger, und ganz leicht nur die Taste berühren (darüberspielen nannte es Stilblüte). Das ist etwas, was man sehr gut für schnelle Passagen, die man non-legato spielen möchte, einsetzen kann. Es hilft aber, den Klanggegensatz mal zu erfahren.
 
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Eigentlich ist das Gegenteil von Legato nicht Staccato, sondern Leggiero.
Zumindest, was den Technischen Ansatz betrifft.
Das eine wird sehr eng an der Taste gespielt, "gequetscht", das andere ist eher ein kontrolliertes "drüberspielen".
Aber Haydnspaß sagte ja schon, dass gesanglich nicht unbedingt legato bedeutet...
 
Ich würde ein Stück von Bach vorschlagen. Bachs Musik ist nämlich grundsätzlich gesanglich.

Au ja, mein Lieblingsstück, das Es - Moll Präludium aus dem ersten Band.
Für mich eins der schönsten gesanglichsten Klavierstücke, die je geschrieben worden sind.

Meine Technik:
Ich schlage die Tasten nicht an, sondern mein Arm hat keine Muskeln, ist schwer, wie ein Kartoffelsack und die Töne entstehen durch Gewichtsverlagerung. Ich bewege also nicht Finger nach unten, sondern, die Hand ist bereits unten ganz tief im Klavier liegend, wird von den Tönen (Tasten, Saiten) gehalten und die Finger, die nicht spielen, werden angehoben.
Natürlich etwas überspitzt, aber die Vorstellung dessen hilft...

Gruss Till
 

In bezug auf meine "Idee" eines gesanglichen Staccato-Spiels schrieb Franz

Dem würde ich das Prädikat "sauschwer" geben. ;)

Naja, für viele wahrscheinlich ungewohnt, und ungewohnte Dinge scheinen erstmal schwer zu sein. Wenn man ein bißchen damit herumexperimentiert, gewöhnt man sich daran und es ist dann nur noch normal schwer :)


Beethoven op.14 Nr.2 habe ich mit Sokolov im Konzert gehört. Der macht das traumhaft.

Das kann ich mir gut vorstellen. Ich hatte während meiner Studienzeit eine Platte von ihm mit op.10 Nr.3 und Strawinskys Petruschka - das war eine meiner Lieblingsplatten damals. Ist es wahrscheinlich immer noch, hab sie aber schon lange nicht mehr gehört.

Man könnte ja den neuen "Workshop" unter dem Thema "das Klavier zum "singen" bringen" ausschreiben. Es wäre dann wurscht, welche Stücke man nimmt. Die vorgeschlagenen sind alle wunderbar dafür geeignet.

Och, eigentlich finde ich das Regentropfen-Prelude, das offensichtlich das Rennen macht, garnicht schlecht. Werde mal
versuchen, es mit 1 Finger zu spielen, allerdings mit Pedal :p

Heute vormittag habe ich mit mir einen kleinen Privatworkshop durchgeführt. Hier ein paar Beispiele:

"technisches Legato"
http://www.franz-titscher.de/P1010230.MOV

Das abschreckende Beispiel ist dir aber nicht so ganz überzeugend gelungen. So schlimm fand ich das garnicht.



Deutlich besser, und mir scheint, der wesentliche Unterschied zum formellen Legato ist das freiere Tempo und der softere Anschlag.

Das Stück ist aber ein bißchen zu schnell (oder aber zu wenig expressiv), um ein richtig gutes Legato zu demonstrieren.

Der Ausdruck liegt natürlich zu einem großen Teil in der Musik selbst. Was die Komposition von sich aus nicht hergibt, kann auch der beste Pianist nicht ausdrücken, ohne das Stück völlig überzuinterpretieren.

Jedenfalls ein sehr interessantes, gut gemachtes Experiment!
 
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das Klavier zum Singen bringen

Gute Idee Franz, diesen Thread über gesangliches Spiel für uns anzufangen.
Du hast Deine Fragen an die Klavierlehrerkollegen gestellt, aber da Du im allgemeinen Forum und nicht im Klavierlehrerabteil angefangen hast, gebe ich (als nicht-mehr-Klavierunterricht-gebender) halt auch noch meinen Senf dazu.

Physiker erklären manche Sachverhalte am besten an Extremfällen.

Klavierschüler haben im Allgemeinen nicht den Überblick über die Ausdrucksmöglichkeiten des Klaviers. Um ihnen diesen Reichtum deutlich und zugänglich zu machen, sind die Ränder des Spektrums für sie interessant.

Gegensatzpaare wie die folgenden lassen sich fast für jedes Niveau finden:

Links wird gehämmert und geholzt rechts wird gesungen, klingen lassen

Wilder Reiter……………...........Schumann ……………………........Trällerliedchen
Study for the left hand ……..Bartok, für Kinder I ……….........Round dance
Bauer auf der Harmonika......Tschaikowski Kinderalbum ………in der Kirche
Toccatina, Etüe…Kabalewksi, Easy Piano Compositions . ….Dance on the Lawn
Toccata von Chatchaturjan ………………............................Nocturne von Field

Sogar innerhalb der kürzeren Übungen Czernys können solche Gegensatzpaare gefunden werden.

Die meiste Klaviermusik liegt zwischen diesen Grenzen und ist in dieser Hinsicht weder Fisch noch Fleisch. Ein Anfänger muss sich in diesem Spektrum erst mal orientieren.

In der linken Spalte ist gesangliches Spiel nicht gefordert, besonders Jungs werden sich dort eher wieder finden, nach meiner Erfahrung brauchen die immer was, was sie runterhämmern können. – Ein Schülerin (damals ca. 10) war ganz verliebt in Dance on the Lawn, sie ist förmlich in das Klavier geschlüpft um den Klängen nachzuhorchen.

Der Vergleich des gesanglichen Klavierspiels mit der menschlichen Stimme hat da seine Grenzen, wo der Klavierton viel länger trägt als die Singstimme.

Warum aber nicht richtige Lieder in einer einfachen Klavierübertragung spielen? Schubert?
Selber vorsingen oder singen und dann nachspielen lassen wie Stilblüte schon bemerkte – auch Dirigenten tun das mit ihren Orchestern.
Wie klingt das Lied trocken, wie schnulzig, wie lustig, wie traurig …. ?

Jetzt reicht es aber, Walter!! (wollte ja nur mal Anregungen geben ….)
 
Der Pianist Alan Fraser hat in seinem Buch "The Craft of Piano Playing" (als DVD: "Die Kunst , Klavier zu spielen. Ein neuer Zugang zur Technik des Klavierspiels") recht anschaulich dargelegt, wie man es erreicht, daß Töne nicht nur "legato" klingen, sondern zu einer melodischen Einheit verschmelzen. Die Klänge müssen sich den Bruchteil eines Augenblicks überlappen (welch grauenhafte Vorstellung für einen Klavierlehrer :confused:) und in der Klangbalance so nuanciert werden, daß allzu krasse Lautsärkepegel vermieden werden.

Das Überlappen der Klange ist ja noch der leichtere Teil der Übung. Was die Pegelspitzen anbelangt, sollt man sich immer darüber im Klaren sein, daß der Klang im Augenblick des Anschlags einen vergleichsweise hohen Lautstärkepegel hat, der allerdings sehr rasch abfällt und ab einem bestimmten Punkt dann eher gleichmäßig verlöscht. Es gilt, derartige Pegelspitzen möglichst zu vermeiden und den Klang von vornherein in dem "gleichmäßig verlöschenden" Bereich anzusiedeln. Bei einer melodischen Linie mit abfallender Intensität ("Endungscharakter") läßt sich dies ganz gut realisieren. Problematisch wird dies jedoch, wenn ich im melodischen Verlauf die Ausdrucksintensität steigern will. Und genau hier hilft das Überlappen der Klänge, die Lautstärke-Brüche zu vermeiden (oder zumindest abzumildern).

:confused: Habe ich mich verständlich genug ausgedrückt?
 
Naja, für viele wahrscheinlich ungewohnt, und ungewohnte Dinge scheinen erstmal schwer zu sein. Wenn man ein bißchen damit herumexperimentiert, gewöhnt man sich daran und es ist dann nur noch normal schwer :)

Letztes Jahr habe ich an der G-Dur Sonate gearbeitet. Genau das von dir beschriebene Problem - die Kunst eine Verbindung von Noten über Pausen hinweg herzustellen ... indem man die (melodische) Spannung innerlich weiterführt - konnte ich nicht zu meiner Zufriedenheit lösen, mit Sokolov im Ohr ist das als gewöhnlicher "Oberlehrer" auch nicht ganz so einfach. :wink:

Hab' gerade für das "Andante" gestimmt, wär' eine Herausforderung für die Pfingstferien.

Och, eigentlich finde ich das Regentropfen-Prelude, das offensichtlich das Rennen macht, garnicht schlecht. Werde mal
versuchen, es mit 1 Finger zu spielen, allerdings mit Pedal :p

Ehrlich gesagt finde ich das genauso "sauschwer". Hab' dummer Weise wieder Sokolov im Ohr. Er hat dieses Jahr die Preludes im Herkulessaal gespielt. Das Regentropfen-Prelude war absolut fantastisch, ungewöhnlich, sehr langsam, sehr wenig Pedal, also fast "trocken" :) Die Mittelstimme (parallele Sexten) war viel leiser als die Oberstimme, das gab einen interessanten Raumeffekt, wie in einem Gemälde, Vordergrund - Hintergrund, es klang als ob sie von einem anderen Instrument in 10 m Entfernung gespielt wurde und trotzdem war jeder Ton deutlich präsent und die Linien gesanglich.

mir scheint, der wesentliche Unterschied zum formellen Legato ist das freiere Tempo und der softere Anschlag.

Gesangliches Spiel erreicht man auch durch feine Intonierung. Jeder Ton muss dynamisch zum nächsten in der richtigen Beziehung stehen. Bei Glenn Gould kann man das auch gut bei "non legato" hören. Hier "singt" die Musik nicht nur, ich habe den Eindruck, sie "spricht".

http://www.youtube.com/watch?v=wyOf_L4cNHc&feature=related

http://www.youtube.com/watch?v=AVODxskoHFQ&feature=related

Das Stück ist aber ein bißchen zu schnell (oder aber zu wenig expressiv), um ein richtig gutes Legato zu demonstrieren.

Der Ausdruck liegt natürlich zu einem großen Teil in der Musik selbst. Was die Komposition von sich aus nicht hergibt, kann auch der beste Pianist nicht ausdrücken, ohne das Stück völlig überzuinterpretieren.

Ja, so ist das bei den "einfachen" Schumann "Stückchen", je weniger Noten man hat, umso schwieriger ist es. Man hat nicht so viel Spielraum, sonst wird es gleich kitschig. Es soll einfach natürlich klingen und das zu erreichen ist eben nicht so einfach.

Jedenfalls ein sehr interessantes, gut gemachtes Experiment!

Vielen Dank für das Lob.
 
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Problematisch wird dies jedoch, wenn ich im melodischen Verlauf die Ausdrucksintensität steigern will. Und genau hier hilft das Überlappen der Klänge, die Lautstärke-Brüche zu vermeiden (oder zumindest abzumildern).

:confused: Habe ich mich verständlich genug ausgedrückt?

Ich denke, ich verstehe was du sagst, aber es bleiben viele Fragen bei mir offen. Gerade das crescendo auf einem Ton ist das, was man dauernd braucht, z.B. bei ganz vielen Auftakten. Physikalisch kann man so ein crescendo auf einem Klavier genausowenig erzeugen wie auf einer Gitarre, einem Xylophon oder einer Orgel. Trotzdem gelingt es guten Musikern, die Wirkung eines solchen cresendos hervorzurufen. Es klingt wie crescendo, weil die Verbindung vom leisen Auftakt zum lauten schweren Taktteil unter bestimmten Voraussetzungen im Gehirn des Hörers dahingehend zurechtgehört wird. Eine Art akustischer Täuschung. Was sind nun diese bestimmten Voraussetzungen? Ich habe da so eine vage Theorie :) Nämlich daß der Ton auf der 1 verspätet gespielt wird. Der Hörer erwartet den Ton bereits, und indem die Spannung, die durch die Verspätung entsteht, immer größer wird, je länger der Ton auf sich warten läßt, wird der Ton im Gehirn(!) des Hörers lauter - bis er dann tatsächlich auch akustisch erklingt. Offensichtlich funktioniert das aber nicht bei allen Hörern :p

Zusatz;

Mir fällt gerade noch ein Vergleich mit dem Tennisspielen ein. Der Ball fliegt in Kurven, die Spieler haben lediglich in Sekundenbruchteilen wirklichen Einfluß auf seine Steuerung - der Weg und die Zeit die der Tennisschläger (mit dem daranhängenden Tennisspieler) zurücklegt kann trotz allem enorm sein.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ich finde das 1-Finger Legato sehr schön gemacht. Bis auf einige wenige Stellen ist der Unterschied zu einem "richtigen" Legato kaum zu hören. Bei den etwas schnelleren Stellen ist das naturgemäß etwas schwierig zu spielen, aber ich finde das Experiment trotzdem sehr schön, denn es zeigt, wie man mit dem gezielten und kontrollierten Einsatz des Pedals gute klangliche Ergebnisse erzielen kann.

Allerdings muss ich zugeben, dass das Klavier in meinen Ohren nicht wirklich singt - es sind Ansätze da, aber wirklich zum Singen bekommt man das Klavier wohl nur mit der ganzen Hand.
 
Einfinger-Pedal-Legato

Hallo Haydnspaß,

probier doch mal das Einfinger-Legato mit dem Daumen, ist viel öfter gefordert als mit dem 2. Finger! Legato-Oktaven hast Du ja schon selber erwähnt!
Grüßle

Walter
 
weitere Aspekte, das Klavier zum Singen zu kriegen?

Bzgl. der vorgestellten Videos von Franz und Haydnspass möchte ich noch was loswerden.

Ich finde es total klasse von euch, und es zeigt grossen Einsatz, Videos zu drehen und reinzustellen, bzgl. Zeigen von Aspekten des Singens auf dem Klavier. Jedoch muss ich gestehen, dass sowohl die Videos von Franz als auch von Haydnspass mich nicht sehr viel weiter gebracht haben beim Erkenntnisgewinn, wie man das Klavier zum Singen bringt. Dies liegt vor allem daran, dass (vielleicht auch durch die Tonqualität - Videotoneingänge haben oft automatische Aufnahmeaussteuerung, was zu einer Gleichmacherei von Dynamik führt, leider) ich kein deutliches Singen bei den Videos gehört habe. Vielleicht ist es auch so, dass man Singen deutlicher wahrnimmt, wenn man nicht nur die Melodie spielt, sondern eine Begleitung dazu, damit man den Unterschied wahrnimmt, wie sich die Melodie abhebt. Mit Melodie alleine ist Singen wahrscheinlich schwieriger zu demonstrieren (bzgl. der Videos von Franz).

Auch das Video von Hayndspass - es ist zwar originell, die Regentropfenmelodie mit einem Finger zu spielen, und ich höre auch einen Melodiebogen raus. Allein, weder finde ich, dass das Klavier deutlich singt, noch finde ich diese Einfingertechnik geeignet zur Interpretation dieses Stückes. Aber originell ist es allemal.

Das Thema dieses Fadens finde ich auch sehr spannend. Wie schön wäre es, wenn wir neben den bereits zusammengetragenen Aspekten, die zu einem Singen auf dem Klavier verhelfen, noch weitere finden könnten.

Beim Anschauen und hören eurer Videos ist mir noch ein weiterer Aspekt eingefallen, der ein wenig provokativ klingen mag, aber ernst gemeint ist:

Nämlich, beim Spielen bzw. Ausdrücken der zu singenden Phrase (Ausdrücken im doppelten Sinn gemeint!!!) etwas zu übertreiben. Weil ich glaube, dass beim Zuhörer in diesem Punkt weniger ankommt, als man als Spieler annimmt. Damit eine Melodie im Höhepunkt einen silbrigen Glanz bekommt, muss man schon ziemlich "Ausdrücken". Vielleicht ist es wie mit vielen anderen Dingen so: man muss selber brennen, um andere zu erwärmen.
 

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