Widerstände gegen Bach

fisherman

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In einem anderen Forum schildert Viola, welche Widerstände (jugendliche) Schüler gegen Bach haben. Da es sich an unserer Musikschule genauso verhält (auch meine Tochter mag ihn nicht), ich aber beim Erarbeiten meiner ersten Inventio (#4) ungeahnte Glücksmomente erleben durfte, frage ich mich nach den Gründen. Gerne sind hier auch diejenigen gefordert, die z.B. Bach gerne hören, ihn aber nicht spielen mögen/können/wollen. (Bei mir ist es umgekehrt - erst das eigene Spiel bringt den Genuss).

Legt los!
 
Hallo Fisherman,

ich wollte länger nichts von Bach spielen, weil mir einfach noch die musikalischen Ideen fehlten (und zum Großteil auch noch fehlen).
Man hat keine Phrasierungsbögen, keine Vortragsbezeichnungen.. (außer vielleicht bei bearbeiteten Ausgaben wie die von Busoni, nicht aber im Urtext.)

Fugen oder auch Inventionen bzw. Sinfonien versteht man ja nicht gleich beim ersten Mal Anhören. Der Aufbau ist bei diesen polyphonen Stücken meist sehr komplex, besonders dann, wenn Fugen 4- oder gar 5-stimmig sind.

Ich denke junge Klavierspieler/innen spielen nicht so gerne Bach, da ihnen die Musik zu trocken wirkt. Es werden eher romantische Stücke mit rubato, mit fff Pasagen, mit "fetten" Oktaven, vollgriffigen Akkorden etc. bevorzugt.

Außerdem ist der Bekanntheitsgrad bei Bach-Stücken, die auf dem Klavier gespielt werden, auch nicht so hoch wie bei Stücken von Chopin (der ja vorwiegend für Klavier komponiert hat).

Liebe Grüße, Janik.
 
Das Wunderbare an Bach erschließt sich nicht immer sofort. Es gibt, wenn man mit Bachs Musik nicht vertraut ist, keine oder weniger überwältigende Glücksmomente, wie sie manchen vielleicht beim Fantasie-Impromptu oder der Mondscheinsonate überfallen.
(Ähnlich verhält es sich mMn übrigens mit Mozart)

Mir ging es so - um Bach oder ein Stück von ihm schätzen zu lernen, muss ich es spielen. Dann erst erfahre ich, was die Musik bedeutet. Dummerweise ist es furchtbar anstrengend, eine Bach-Fuge zu erarbeiten... Viel anstrengender, als z.B. eine Chopinetüde (sic!), mental, versteht sich. Wenn man nicht weiß, was man am Ende davon hat und sich in der Musik noch schwer zurechtfindet, macht das keinen Spaß.

Außerdem ist Bach ziemlich schwer zu spielen. Es hört sich zwar selten wirklich schwer oder virtuos an, aber dieser Eindruck ist meiner Ansicht nach falsch. Viele Stücke haben es wirklich in sich und stehen virtuosen Romantik-Stücken am Anspruch in nichts nach.
Vermutlich ist Bach, was das Anfänger-Niveau angeht, sogar schwieriger, weil die meisten Romantikstücke da noch nicht so großen Anspruch an die linke Hand erheben (begleitet in einfacheren Figuren oder ist langsamer als die rechte). Aber schon im Notenbüchlein für A.M.Bach hat die linke ziemlich viel zu tun und steht der Rechten in nichts nach. Die geforderte Linke und die unabhängigkeit der Hände ist noch eine zusätzliche Schwierigkeit.

Was auch noch ein Grund sein könnte, ist, dass einiges von Bach nicht auf den ersten Blick melodisch ist. Es handelt sich oft nicht um Melodie und Begleitung, sondern vielleicht um ein bestimmtes Motiv, das "motorisch" wiederholt und harmonisch gewandelt wird.

Und mal ganz davon abgesehen ist die Musik ansich sehr anders als die anderer Komponisten.
Sie ist einerseits sehr komplex, vielleicht kompliziert - Frage und Antwort, wiederkehrende Motive, Sequenzen, Kontrapunkt, Kanon, Mehrstimmigkeit, manchmal komplizierte Rhythmen und Punktierungen.
Gleichzeitig hat die Musik aber oft einen "durchlaufenden" Puls und schwingt die ganze Zeit in einer gewissen Gleichmäßigkeit.
Wenn man nur mit einem Ohr zuhört, klingt es wie ein undurchsichtiges Gedudel.
Diese beiden Aspekte zusammenzubringen, erscheint mir für ein ungeübtes Ohr auch nicht so leicht...

Das wären so meine spontanen Einfälle.

Ansonsten - Lieben, hören, spielen, verehren, und Maul halten!:D
 
Man hat keine Phrasierungsbögen, keine Vortragsbezeichnungen..
Ganz provokant: Dann mach sie Dir doch selbst. Ich finde dieses "Freiheit" herrlich!

da ihnen die Musik zu trocken wirkt. Es werden eher romantische Stücke mit rubato, mit fff Pasagen, (...) etc. bevorzugt.
Auch provokant: Dann spiel den Bach eben mit rubato, mit fff und ppp - spiel ihn romantisch! Oder verhindert die penible Spielanweisung der KL das? Meine KL ist für derlei Experimente mittlerweile recht aufgeschlossen, weil sie merkt, dass dies den "Weg ebnet". Solche Spielereien helfen mir sehr, ein Stück technisch besser zu spielen (auch besser: auswendig zu lernen) und ihm - quasi aus verschiedenen Ecken - näher zu kommen.

Jannik, danke für Deinen Beitrag. Meine "Provokationen" sind nicht gegen Dich gerichtet, sondern ich "schieße" auf die Argumente, in der Hoffnung, dass sich hieraus ein lehrreicher Disput entwickelt.
 
Danke, Stilblüte.

Die geforderte Linke und die unabhängigkeit der Hände ist noch eine zusätzliche Schwierigkeit.
Richtig. Aber ist es nicht viel besser, das mit Bach zu üben als mit irgendwelchen Etüden? Ich bin ja wirklich blutigster Bach-Neuling, aber die fließende Übergabe der "Führung" von RH zu LH und umgekehrt - kann man das woanders besser üben?

dass einiges von Bach nicht auf den ersten Blick melodisch ist
Für mich ein ganz großer ZUSÄTZLICHER Reiz. Dann müssten aber die mehrzahl der Jazzer Bach lieben.

Und mal ganz davon abgesehen ist die Musik ansich sehr anders als die anderer Komponisten.
Sie ist einerseits sehr komplex, vielleicht kompliziert - Frage und Antwort, wiederkehrende Motive, Sequenzen, Kontrapunkt, Kanon, Mehrstimmigkeit, manchmal komplizierte Rhythmen und Punktierungen.
Gleichzeitig hat die Musik aber oft einen "durchlaufenden" Puls und schwingt die ganze Zeit in einer gewissen Gleichmäßigkeit.
Wenn man nur mit einem Ohr zuhört, klingt es wie ein undurchsichtiges Gedudel.
Diese beiden Aspekte zusammenzubringen, erscheint mir für ein ungeübtes Ohr auch nicht so leicht...
Aber sind das nicht alles unschlagbare Argumente "Pro Bach"? Heißt das nicht, das Bach Schüler schneller weiter bringt als XYZ?

Wenn man nicht weiß, was man am Ende davon hat und sich in der Musik noch schwer zurechtfindet, macht das keinen Spaß.
Nun ja, nicht jeder mag Puzzles. Aber ich schrieb schon an anderer Stelle, welche Glücksgefühle man haben kann, wenn sich nach langem Üben eines zum anderen fügt. DAS ist bei Bach viel ausgeprägter als bei allem anderen, was ich bislang :D gespielt habe.

Und was das Metrum und die "Trockenheit" angeht - da plädiere ich für "Freiheit" - siehe Post an Jannik.

Könnte es also sein, dass gerade die harrsche Lehrmeinung das spielerische Erkunden von Bach verwehrt?
 
Schöner Faden!

Als Kind "musste" ich Bach spielen, ich wurde dazu verdonnert. Ich konnte diesem Rauf und Runter absolut GAR NICHTS abgewinnen, fand es überaus schwierig, es entzog sich meinem Denken. Erst Prof. Franz Peter Goebels brachte mich in einem Klavierkursus auf den Geschmack indem er mir eine neue Art des Denkens, also eine "Denkschulung", eröffnete.

Beispiel warum Bach so schwierig ist:

Kanon singen ist für viele Laien erst einmal unfassbar und nicht zu realisieren, auch wenn das Singen der Melodie an sich zunächst einmal nicht problematisch ist und man sagen könnte: Dieser Mensch KANN "Bruder Jakob" singen!! Doch dann der kanonische Einsatz und plötzlich rutscht die Stimme weg. Manche stopfen sich die Finger in die Ohren um das "Problem" vieleicht auf diese Art und Weise zu lösen. Doch schnell wird klar: Tempo, Rhythmik und Intonation leiden und es wird NIE funktionieren mit den Fingern in den Ohren! Mit viel Übung allerdings schaffen es dann die meisten, in "ihrer" Stimme zu bleiben (erst einmal natürlich mit starker Stimmunterstützung seitens geschulteren Sängern).

Übertragen auf Bach bedeutet das, dass man sehr viel Hörschulung, Kanon-Erfahrung und und und benötigt!

Heute liiiieeeebe ich Bach und spiele kaum noch etwas anderes priva für mich. Doch ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, wo es mir nicht gelang eine zweistimmige Invention anders als mechanisch zu spielen. Unfähig, beide Stimmen gleichzeitig zu denken musste ich mir die Noten mühsehlig in das motorische Gedächtnis rein prügeln. Da fragte ich mich: wozu?!? Gelernt habe ich dabei: nichts! Worum es eigentlich ging erfasste ich dann erst so mit 16 Jahren und da ging für mich eine Welt auf!

Bedeutet für mich heute, dass ich sehr genau schaue, ob jemand auch geisig dazu in der Lage ist, einen Bach zu spielen. Wie gesagt, selbst das G-Dur Menuett (egal welches von beiden) aus dem Notenbüchlein für AMB ist unserer heutigen Hörgewohnheit so was von weit entfernt, dass es einige einfach nicht in ihren Denkapperat rein kriegen und immer wieder vor dem Nirwana stehen.

Also bin ich sehr vorsichtig im Einsatz im Unterricht mit dieser Art von Stücken geworden. Auch J.Ph. Rameau, das berühmte Menuett (siehe Anhang), kann Leute schon zum Scheitern bringen. Und nicht nur die Unbegabten im übrigen!

Wie gesagt, Polyphonie und Anverwandtes (zB die Menuette von Krieger usw) sind eine Art Denken, was nur einen ganz kleinen Teil der aktuellen Hörlandschaft ausmacht! Gebe ich dagegen einen Tiersen auf, so brauche ich mich um das Musikverständnis überhaupt nicht zu kümmern, weil: vorhanden!

Ich finde es gut, dass bei Jugend musiziert uvm. Bach (bzw ein Polyphones Werk) als ein Element des Programmes gefordert wird! Hier werden ja auch nur Leute angesprochen, die mit einem gewissen Anspruch an das Klavierspiel heran gehen. Diesen Anspruch allerdings auf ALLE Lernenden zu übertragen halte ich für nicht machbar.

Man sollte den richtigen Zeitpunkt erwischen!

Kommt Zeit, kommt Bach.

Bei manchen eben: nie. Sind sie (oder ihre KL) deswegen schlechte Menschen? Nein.

Alles hat seine Zeit.
 

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Sie ist einerseits sehr komplex, vielleicht kompliziert - Frage und Antwort, wiederkehrende Motive, Sequenzen, Kontrapunkt, Kanon, Mehrstimmigkeit, manchmal komplizierte Rhythmen und Punktierungen.

Ich glaube auch, dass es hauptsächlich an der Komplexität von Bachs Musik liegt. Dieses komplizierte und vielschichtige Geflecht zu durchdringen, braucht einiges an abstrakter Denkfähigkeit. Und Kinder denken nun mal eher wenig abstrakt bzw. lernen das erst nach und nach. Das ist meiner Meinung nach der Hauptgrund für die Bach-Skepsis, die ich übrigens von mir selber auch bestätigen kann.

Ich mochte als Kind und Jugendlicher Bachs Musik nicht besonders (abgesehen von bestimmten Stücken, z.B. dem C-Dur-Präludium). Erst viel später, als junger Erwachsener, habe ich einen Zugang dazu gefunden und konnte plötzlich gar nicht mehr verstehen, warum ich diese Musik früher nicht gemocht hatte. Meine ebenfalls Klavier spielende kleine Schwester meinte auf meine Bemühungen, ihr Bach näher zu bringen, nur: "Nee, mag ich nicht. Das klingt morsch!" :D

Es gibt, wenn man mit Bachs Musik nicht vertraut ist, keine oder weniger überwältigende Glücksmomente, wie sie manchen vielleicht beim Fantasie-Impromptu oder der Mondscheinsonate überfallen.
(Ähnlich verhält es sich mMn übrigens mit Mozart)

Das kann ich nun aber gar nicht bestätigen. :) Ich hatte als kleines Kind ungeheure Glücksgefühle bei Mozart, mehr als bei jeder anderen klassischen Musik. Vielleicht ist Mozarts Musik eine Art Gegenpol zu Bach, nämlich dergestalt, dass sie sich völlig konkret und "unschuldig" ausdrückt. Bachs Musik ist ein kompliziertes Geflecht mit vielen Linien, bei Mozart hingegen gibt es nur wenige Linien und darum herum auch nur das allernötigste. Deshalb ist dafür viel weniger abstrakte Denkfähigkeit nötig als für Bach.

Grüße von
Fips
 
Abgesehen vom C-Dur-Präludium, das ich auch heute noch gerne spiele, gilt für mich, wie an anderer Stelle schon einmal gesagt: Bach ist immer wesentlich schwieriger, als es zunächst aussieht - und die Stücke klingen oft zunächst (solange man sie eben noch nicht gut kann) fad (oder "morsch", wie von FIPS gepostet:)). Daher ist schon einiger Durchhaltewille angesagt.

Doch ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, wo es mir nicht gelang eine zweistimmige Invention anders als mechanisch zu spielen. Unfähig, beide Stimmen gleichzeitig zu denken musste ich mir die Noten mühsehlig in das motorische Gedächtnis rein prügeln. Da fragte ich mich: wozu?!? Gelernt habe ich dabei: nichts!

Das kann ich auch so bestätigen. Solange man sich auf diesem Level befindet, fragt man sich dauernd, ob nicht auch ein Schimpanse dieses Stück genauso gut spielen könnte, wenn er die Fingerbewegungen lange genug trainiert:).

Wem es ähnlich geht, und wer daher zunächst die Lust an Bach verloren hat, dem kann ich z.B. die Klavierbearbeitung (von Dinu Lipatti) der Pastorale empfehlen - vermeidet die o.g. Probleme, ist trotzdem Bach, und ist einfach schön. Vielleicht ist das ja auch ein Weg, der letztlich für den einen oder anderen zu Bach führt.

Gruß
Rubato
 
Mag sein das ich ein Einzelfall bin, aber ich habe Bachmusik früher immer mit Kirche assoziiert, da ich aber glücklich konfessionslos bin hat mich Bach durch diese Assoziation eher weggestoßen statt angezogen.
Erst jetzt, wo ich mit Klavier angefangen habe und zwei drei Stücke aus dem Clavierbüchlein spiele, fange ich an, diese Musik zu mögen.

Allerdings - noch mag ich die ganze Verziererei dieser Stücke nicht.
Ein "nackter" Bach ist mir (momentan noch) lieber und erst da vermag ich die Schönheit des Stückes zu realisieren.
Vielleicht ist das auch ein Problem für die kids - Barock mit seinen Verzierungen kommt den heutigen Hörgewohnheiten wahrscheinlich nicht so nahe wie z.B. Stücke aus der Romantik.

Viele Grüße,
Manha
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:

Wen es interessiert, kann sich mit diesem Buch beschäftigen; allerdings sollte man dazu keine Widerstände gegen Musik aus dem Barockzeitalter hegen - oder vielleicht verhilft es zur Auflösung derselben:

Paul Heuser, Das Clavierspiel der Bachzeit, 2004 (2. Auflage)

Ist wirklich sehr lesenswert für Bachliebhaber und solche, die es werden wollen :p

LG, Sesam
 
Danke, Sesam, das eröffnet bestimmt vielen den Zugang zu Bach!
*grins*

Habs mir trotzdem bestellt, auch wenn ich keinen Zugang mehr brauche, aber dafür geht das Buch bei mir in den Verleih.
Leider ist der Clavio-Shop in solchen Musik-Buch-Dingen nicht besonders sortiert... scheint mir.
 
Für das Lernen des musikalischen Denkens, darunter eben auch das polyphone Denken, sind Notenbüchlein und anschließend zwei- und dreistimmige Inventionen so ziemlich das Beste und Lehrreichste, womit man sich beschäftigen kann und auch - soll! Wenn es weiter voran geht, wird die Beschäftigung mit dem WTK unumgänglich.

Das schließt allerdings nicht ein, dass man automatisch freudestrahlend und begeistert immer wieder Bach auch spielt ;) - das kann passieren, wenn man´s mag, das muss aber nicht passieren (z.B. weil man´s nicht mag)

Sehr schön ist
Zitat von Viola:
und falls diese Zeit aber nicht kommt, so ist das WTK auf jeden Fall im positiven Sinne eine Art Super-Hanon des differenzierten polyphonen Spielens :D

Bach allein als strengste kontrapunktische Arbeit zu sehen wäre eine Reduktion: es gibt etliche Werke von ihm, die sich in Richtung des eher "gefälligeren" italienischen Stils bewegen. Es gibt kantable und motorische Werke, letztere sind manchmal Scarlatti sehr ähnlich.

Bzgl. der Schwierigkeit: da gibt es bei Bach alles von leicht bis sehr schwer - wo kontrapunktische Struktur und komplizierte Motorik zusammentreffen, da hat man dann halt viel zu tun.

...ketzerisch gesagt ist es mit WTK wie mit den Lisztschen Paganini-Etüden: man muss sie nicht mögen, aber es rentiert sich, sie zu üben und an ihnen sehr viel zu lernen :):)
 
Wie ich in dem anderen Faden schon schrieb, finde ich einfach keinen rechten Zugang zu Bach, was aber nicht heißt, daß ich mich dem gegenüber verschließen will. Einiges, was ich hier gelesen habe, trifft auch auf mich zu. Ich finde Bach-Klavierstücke "dröge". Trotzdem möchte ich es gerne versuchen, vielleicht kommt ja auch bei mir das "Aha-Erlebnis", vielleicht aber auch nicht. Ich weiß nur nicht so recht, womit ich anfangen soll. Etwas aus dem Notenbüchlein? Oder wäre eine Invention schon was für mich ? (spiele 1 1/2 Jahre, allerdings ohne Unterricht). Womit habt ihr den Einstieg gewagt?
 
In einem anderen Forum schildert Viola, welche Widerstände (jugendliche) Schüler gegen Bach haben. Da es sich an unserer Musikschule genauso verhält (auch meine Tochter mag ihn nicht), ich aber beim Erarbeiten meiner ersten Inventio (#4) ungeahnte Glücksmomente erleben durfte, frage ich mich nach den Gründen.



Zu meinen lebendigsten Kindsheitserinnerungen zählt, wie fad ich Bach
fand, als er mir das erste Mal im Klavierunterricht aufgetischt wurde.
Und das blieb eigentlich so, bis er mir auf der Orgel begegnete - eine
Begegnung, die dort ja, anders als auf dem Klavier, völlig
unvermeidlich ist. Zuerst war es nur der Reiz der technischen
Knobelei, ähnlich wie bei der Übersetzung eines komplexen
Cicero-Satzes: man wird das Ding doch irgendwie mal "herauskriegen".
Irgendwann kam dazu das Empfinden für die ungeheuere, niemals
abbrechende Dynamik in vielen Bachstücken, im Vergleich mit denen
seinen Vorgänger, Buxtehude, Bruhns, V. Lübeck und wie die
Gesellen alle hießen, nach zwei, drei Seiten regelmäßig der Dampf
ausging und sie immer ein paar Minuten Auszeit mit Düdelum
verbrauchten, bis sie wieder ausholen konnten. Schließlich
stellte sich auch sachte sache eine gewisse Einsicht in die
Architektonik ein - wie da aus simplen Elementen wahren
musikalische Hochhäuser aufgetürmt werden -; das erste Mal bei der
Fuge D-Dur BWV 532, wo aus ein bissl anfänglichem dideldudel
dideldudel dadeldidel dum eine gigantische Geschichte entsteht.
Seitdem ist Bach aus meinem Leben nicht wegzudenken.

Also, das alles dauert aber; wie Viola sagt: "kommt Zeit, kommt Bach". Wenn
dein Töchterlein mal technisch einigermaßen fortgeschritten ist, kannst Du
ihr ja Dinge vorsetzen (lassen), die einigen attraktiven "drive" draufhaben, z.B. die
D-Dur-Toccata BWV 912 (zunächst mal nur den ersten Teil; wenn sie den
kann, will sie sicher von alleine auch den hakeligen Mittelteil
packen), oder den 3. Satz des italienischen Konzerts. Inzwischen laß sie
vorderhand einfach in Ruhe damit; nur verpaß nicht die rechte Zeit zur
"Wiedervorlage".
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Bach allein als strengste kontrapunktische Arbeit zu sehen wäre eine Reduktion: es gibt etliche Werke von ihm, die sich in Richtung des eher "gefälligeren" italienischen Stils bewegen. Es gibt kantable und motorische Werke, letztere sind manchmal Scarlatti sehr ähnlich.

Dem kann ich nur zustimmen!

Interessant finde ich, dass meine Schüler immer ganz gern Bach spielen, es kommt bloß drauf an, welchen :D .

Gerade hat ein Fünfzehnjähriger wieder dringend nach Bach verlangt :p .

Inventionen, Sinfonien und Fugen sind wegen ihrer Polyphonie für Kinder und Jugendliche oft nicht leicht zugänglich. Anders sieht es nach meiner Erfahrung bei motorischen Werken aus, z.B. den Präludien aus "Präludien und Fughetten aus, sowie den Präludien aus dem WK. Die Kinder lieben Stücke, die spritzig, tänzerisch und voller Spielfreude sind - ein leichtes Beispiel ist z.B. die allseits bekannte Musette.

Ich habe leider manchmal den Eindruck, dass solche Stücke ab und zu merkwürdig und langweilig unterrichtet werden. Das soll aber bitte nicht arrogant und belehrend rüberkommen!!! Nur habe ich manchmal Schüler von anderen Lehrern übernommen und die haben einen Bach gespielt, dass ich mir dabei im Gehen die Schuhe besohlen könnte. Ein ehrliches *würg*, tut mir leid! Das war ein Aufleuchten in den Augen, als ich vorschlug, es ganz anders zu spielen. Für mich ist ein Charakteristikum von mancher Musik von Bach eben die Spielfreude, die Leichtigkeit, der Puls ...... .

Wenn man etwas polyphonere Musik von Bach so rüberbringt, dass man sich Zeit nimmt, dass also z.B. schon Motive daraus, während ein anderes Stück geübt wird, erlernt und damit experimentiert werden, wenn man das Ganze als (durchaus witzigen) Dialog aufzieht, also eine Geschichte mit Unterhaltungswert draus macht, kann man den Einstieg erleichtern.

Ich selber habe Bachsche Klaviermusik allerdings auch erst später schätzen gelernt. Kommt Zeit, kommt Bach ist also sehr wahr, Viola!!!

Liebe Grüße

chiarina
 
Hallo,

mein Instrumentenwunsch brachte naturgemäß die Beschäftigung mit Bach mit sich, denn er ist nunmal DER Komponist für das "Clavier" schlechthin. Anhören mochte ich seine Musik auch als Kind schon, aber das Spielen ist doch was ganz anderes! Diese Polyphonie macht einen wahnsinnig, man kommt sich vor wie der letzte Depp, zumal die Harmonien tatsächlich gerade dann, wenn man mühsam Ton für Ton zusammenklaubt, mitunter gar nicht passen wollen: "Spiel' ich jetzt falsch oder gehört das so... *nachles* ... das steht tatsächlich so da... " Weil ich ja nach langer Zeit wieder angefangen habe, mühe ich mich ziemlich anfängerhaft teils mit den "leichten Stücken und Tänzen", teils mit den Inventionen 1, 4 und 8 ab. Recht entspannt geht es mit WTK 1, 1. Präludium zu, das ist ja auch nicht wirklich kompliziert. Bei der Fuge BWV 952 (ICH WILL IRGENDWANNMAL EINE ECHTE FUGE SPIELEN VERDAMMT!!!) scheitere ich regelmäßig kläglich. Zuwenig Rechenleistung im Gehirn. Insofern kommt mir weniger die Musik Bachs, als vielmehr mein Denkapparat "morsch" vor. Aber ich hoffe, daß die regelmäßige Beschäftigung mit anderen polyphonen Stücken wie den Inventionen diesen Mangel dereinst beheben hilft. Jedenfalls empfinde auch ich bei aller Überforderung im Detail ein ungeheuer beglückendes Moment, wenn es mal "klick" gemacht hat und man fühlt, was das für großartige Musik ist, die man da mehr oder weniger von sich gibt. Sowas gibts halt nicht mal eben schnell, zumindest für Normalsterbliche. Ob man nach anderthalb Jahren Selbststudium die Inventionen für den Einstieg nehmen soll? Das hängt halt von den persönlichen Fähigkeiten ab. Probiers doch mal. Ein geniales Stück ist auch die Clavierbearbeitung der Bourreé aus der Lautensuite BWV 996, die ja wohl Eingang in die Popmusik gefunden hat und insofern auch den "Kids" imponieren können sollte. Ein "leichter" Tanz, mit dem ich seit Wochen kämpfe, aber es macht einfach Spaß...

Bach, mehr brauch' ich nicht.

Gruß,
Cembalist
 
Eine interessante Frage an den (noch nicht infizierten) Klaverschüler wäre, was er denn von Bach kenne. Ich vermute, die häufigste Antwort sind das Notenbüchlein für AMB, die Inventionen, vielleicht das WTK. Diese Werke tauchen anders als die Monscheinsonate oder das Fantasie-Impromptu nicht gerade häufig in Konzertprogrammen auf. Damit scheint diese Musik Bachs eher fürs Unterrichten geeignet zu sein. Da wundert es mich nicht, dass die Schüler etwas widerwillig sind.
Vielleicht müssen ihnen einfach mal die Präludien der englischen Suiten vorgespielt werden, das sind so richtige konzertante Stücke mit dem unnachahmlichen Bach'schen Drive voller Energie. Ähnliches gilt natürlich für das Italienische Konzert, die Klaviertoccaten, und, wie Friedrich zu recht anmerkt, für etliche Orgelwerke (ergänzend zum bereits genannten D-Dur Präludium&Fuge BWV 532 noch g-moll Fuge BWV 542, dorische und C-Dur Toccata).
 
Kommt Zeit - kommt Bach...

Das wäre schön, aber selbst bei mir ist es nach nun insgesamt 7 Jahren Unterricht (mit laaanger Pause) noch nicht so weit - dass ich wirklich Zugang dazu finde. Klar haben mich frühere Lehrer schonmal mit dem ein oder anderen Präludium erfreut, aber diverse Inventionen und eine englische Suite haben es mir nur wenig bis gar keine Freude gemacht. übrig geblieben ist dabei ein Spiel was aus einer bloßen Aneinanderreihung von korrekten Tönen besteht. Irgendwie trocken und rein motorisch in der Abfolge. Bisweilen fühlte ich mich wie eine "Nähmaschine" :-|
Wie dem auch sei, es gibt durchaus Werke von Bach, die ich mir gerne anhöre, doch darunter sind nicht allzuviele Klavierwerke. Bis dahin verbleibe ich lieber bei meinen Beethovensonaten und Chopinwerken :D
 

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