"Spielstatus" des Stückes im Gefühl

Stilblüte

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Wenn ich Stücke einmal konnte und dann Tage, Wochen oder Monate nicht spiele, habe ich im Gefühl, wie gut ich es noch kann, ohne es auszuprobieren. Meistens liege ich richtig damit, was ich merke, wenn ich es zum ersten Mal wieder spiele. Natürlich ist das eine Art Erfahrungswert, klar. Ich meine aber, dass es auch ein Gefühl für das Stück selber ist, das für jedes Stück individuell ist. Ist das bei euch auch so?
 
Bei mir nicht. Ich bin immer wieder überrascht wegen meines falschen Gefühls.
 
Ja, man täuscht sich leicht, mal denkt man, dass das Werk eigentlich noch vollständig da sein müsste, und stellt fest, doch noch einige Übeeinheiten reinstecken zu müssen, aber auch umgekehrt, wo man überrascht ist, das so gut wie alles noch da ist, und sich auf Üben eingestellt hatte. Im übrigen bewährt sich auch das mentale Üben, z.B. in Urlaubswochen, wo man sich hochkonzentriert in den Notentext vertieft, ihn innerlich zum Klingen bringt, und sich das Spielgefühl möglichst präzise vorstellt. Das senkt die Verlustrate signifikant meiner Erfahrung nach.
 
Ich bin immer wieder überrascht, wie gut Stücke in meinem Gedächtnis überleben. Besonders auffallend bei Fehlern, Wacklern, Unsicherheiten etc. Immer wunderbar konserviert (aber zum Glück auch weitgehend die Sachen, die gut gingen).

Ich habe auch bemerkt, dass es einen großen Unterschied macht, ob ich ein Stück mal irgendwo vorgespielt habe. Das ist dann grundsätzlich tiefer im System drin und leichter reaktivierbar. Als ich letztens das Scherzo Nr. 2 von Chopin zur Seite legte, nachdem der Stand, der mir im Moment erreichbar ist, erreicht war, da habe ich meinen KL gefragt, wie jetzt weiter damit zu verfahren sei. Sollte ich einzelne Stellen weiterhin langsam durchprobieren? Weglegen und nicht mehr anschauen? Seine Antwort: Das Stück verlierst du jetzt nicht mehr so schnell. Das hat sich jetzt so tief eingegraben, das wird auch in Monaten noch da sein. Nach meiner bisherigen Erfahrung ist das absolut richtig.

lg marcus
 
"verdammt, der Scheiß ist anstrengend" - ich weiß nicht, ob das ein edles, ein spezielles oder überhaupt ein Gefühl ist, aber das ist das einzige, was ich bemerke, wenn ich was durchspielen will, was ich monate- oder jahrelang nicht komplett durchgespielt habe. Diverse einzelne Stellen, auch die schlimmen, funktionieren jederzeit mühelos (bei Sachen, die ich mal gründlich erlernt hatte) - aber ein komplettes Ding erweist sich nach langer Zeit gerne als anstrengend. Dann ist eine Weile Ausdauertraining nötig. Das bewirkt dann allerdings ein Gefühl: Verärgerung. Nach paar Stunden bis paar Tagen ist das dann vorüber.
 
Anstrengend für welchen Teil des Körpers? :002: Physisch oder kognitiv?
 
Eine typische Situation ist das Zurückkommen aus dem Urlaub! 2 Wochen keine Taste gedrückt und dann voller Enthusiasmus ans Klavier.
Nie spiele ich subjektiv besser, als in diesen Momenten. Wenn dann das Ohr wieder gelernt hat kritisch zu hören, dann wird es frustig, weil dann das Gepfusche der ersten Versuche offenbar wird.
Die Verluste liegen weniger im allgemein technischen, da ist sogar eine gewisse Entspannung zu konstatieren, sondern in der Qualität und dem Zusammenwirken von Gehör und Feinmotorik.
Inzwischen dauert die Wiederherstellung des Levels von vor den Ferien weniger lang. 2 Tage und gut is'!
 
Bei Stücken, die ich länger (zwischen etwa einem Vierteljahr und 20 Jahren) nicht geübt habe, hängt alles davon ab, wie ich das Stück heute sehe. Wenn ich im Großen und Ganzen meine alte Konzeption (technisch und musikalisch) beibehalten habe (eher selten!), dann geht das Wiederaufarbeiten recht schnell. Wenn ich aber einen neuen Blick auf das Stück gewonnen habe, dann hilft nur dumm stellen und möglichst alles vergessen, was war.
Trotzdem lernt es sich wesentlich schneller als etwas ganz Neues.
Es spielt eine erhebliche Rolle, wie ich das Stück verlassen hatte. Deshalb habe ich mir angewöhnt Stücke, die ich weglegen möchte ganz bewusst nach dem letzten Konzert nochmals durchzuüben um zufällige Verluste, die es in jedem Konzert gibt, aufzuarbeiten und das Stück sozusagen gut gereinigt, gebügelt und sorgsam zusammengelegt zu verstauen!
 

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