Schumanns "Träumerei" traditionell zu langsam?

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Lieber Ludwig69,
die "Traeumerei" aus den Kinderszenen wird meist tatsaechlich viel zu langsam gespielt, MM=100 musz man natuerlich nicht sklavisch einhalten, aber bei der Traeumerei schlaeft das Kind noch keineswegs ein: Es handelt sich eher um Tagtraeumereien. In den Kinderszenen gibt es viel spaeter noch, als vorletztes Stueck des Zyklus ein "Kind im Einschlummern", danach als Kommentar "Der Dichter spricht". Traditionell zu schnell wird uebrigens "Glueckes genug" gespielt, aber es sollte etwas langsamer (!) als "Bittendes Kind" sein. Das bittende Kind quengelt ein wenig und ist recht ungeduldig zu bekommen, was es haben will. Die Metronomzahlen stammen zwar nicht von Schumann, aber aus seinem Umfeld und sind nicht einfach zu ignorieren, vor allem weil die poetisierenden Titel a priori ja nichts ueber ein Tempo aussagen wie Allegro oder Adagio und so weiter.
Viele Gruesze,
Jannis
 
die "Traeumerei" aus den Kinderszenen wird meist tatsaechlich viel zu langsam gespielt, MM=100 musz man natuerlich nicht sklavisch einhalten, aber bei der Traeumerei schlaeft das Kind noch keineswegs ein: Es handelt sich eher um Tagtraeumereien.
Aus der Henle-Quelle möchte ich nochmals eine Empfehlung ins Blickfeld rücken: Die vorgegebene Metronomzahl ist es durchaus wert, zunächst mal praktisch ausprobiert zu werden. Entscheidet man sich daraufhin gegen die vorgegebenen MM=100, da der daraus resultierende Spannungsbogen mit den gut überlegten gestalterischen Intentionen kollidiert, dann tut man dies aus Erkenntnis und Einsicht und nicht aus Unkenntnis und Unverständnis.

Dann vermag auch eine davon abweichende Tempowahl überzeugenden Interpretationen nicht im Weg zu stehen. Es ist nämlich keineswegs unmöglich, sogar sehr langsame Tempi mit Innenspannung und klarer Schwerpunktsetzung zu füllen - allerdings eher schwieriger als mit relativ flüssigen Tempi, da vordergründig einfach weniger passiert.

LG von Rheinkultur
 
Die Metronomzahlen stammen zwar nicht von Schumann, aber aus seinem Umfeld und sind nicht einfach zu ignorieren, vor allem weil die poetisierenden Titel a priori ja nichts ueber ein Tempo aussagen wie Allegro oder Adagio und so weiter.
wie bitte?
sämtliche Metronomangaben in Schumanns Werken stammen nicht vom Komponisten, sondern aus seinem Umfeld??
...guck das noch mal nach, empfehle ich dringend... sehr dringend ;-) (dazu hat doch @Rheinkultur einen sehr lesenswerten, weil weiterführenden Link mitgeteilt)
@jannis weiter unten werden sich ein paar krasse und höhnische Formulierungen finden (mir war grad danach), diese sind aber nicht gegen dich gerichtet!

die Tempoangabe Viertel = 100 in der Träumerei ist von Schumann, nicht von irgendeinem "Umfeld"; die Tempoangabe in der Träumerei Viertel = 82 stammt von Clara Schumann (und möglicherweise auch von Brahms - beide hatten nach Schumanns Tod einige seiner Klavierwerke neu redigiert)
((es gibt Ausgaben der Kinderszenen, die interessanterweise beides enthalten: Schumanns Metronomangaben und die Metronomangaben der redigierten Version (Clara & Brahms) - es gibt auch interessantes über die Unterschiede der originalen und der redigierten Tempoangaben zu lesen, und zwar von Alfred Brendel))

natürlich bedeutet Viertel = 100 nicht, dass man das sklavisch exakt immer und überall einhalten müsse - aber man sollte tunlichst, um Verfälschungen zu vermeiden, einigermaßen in der Nähe dieses Tempos bleiben - vereinfacht gesagt die relative Bandbreite Viertel = 86/90-108/112 ist vertretbar, alles was langsamer als 86 oder schneller als 112 ist, verzerrt.

daran ändern auch liebgewonnene Kitsch-Traditionen nichts! es ist nämlich kein Argument gegen die Tempovorschrift des Komponisten, wenn es eine stark abweichende bzw. verfälschende Tradition oder Hörgewohnheit gibt: man zähle mal all die historischen Gewohnheiten und Traditionen, die sich als falsch und inhuman erwiesen haben... na, schnackelt´s jetzt im Denkgehäuse? :-D:-D

und noch was zu den oft geschmähten bis verhassten Metronomangaben der Komponisten: bevor man eher kenntnis- und verständnisarm daher labert, könnte man sich kundig machen über verschiedene interessante Fakten:
1. ab wann wurde das Metronom zur Tempoorientierung eingesetzt?
2. wie sieht es denn aus bei den Komponisten des 19. Jhs.? haben die restlos alles metronomisiert? ....boah.... waaaas? die ham nicht alles metronomisiert? ja warum denn??
3. oh oh... das artet ja in Arbeit aus... aber bevor man labert, könnte man nachschauen und nachlesen, was z.B. Schumann metronomisiert hat und was nicht und daraus ein paar vernünftige Schlüsse ziehen!!! (kleiner Tipp: aha, oft hielt der Robert einen Fingerzeig zum Tempo für nötig, öfter aber hielt er so einen Fingerzeig nicht für nötig - woran könnte das liegen?)

erst wenn das alles absolviert ist, hat man die Chance, sich halbwegs vernünftig über Tempovorgaben kritisch zu äussern

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und jetzt noch was zu den 69er Kapriolen in diesem Faden:
es gehört genuin zum hündischen Verhalten, die Nase voller Wonne in restlos jeden Scheißehaufen zu tunken, der am Wege rumliegt und würzig mieft :lol::lol::lol: und natürlich muss auch irgendwer die Scheißehaufen absondern, die den Wegesrand verunzieren...:lol::lol::lol: so trifft sich dann, was gleiche Neigungen hat...
:lol::lol::teufel::lol::lol:
 
Jepp. Man sollte sich so an die Tempoangaben halten, dass der Charakter des Stückes nicht "verfälscht" wird.
Man könnte von mir genannte Mondscheinsonate 1. Satz so schnell und gar non legato spielen (habe ich schon getan - war lustig), dass man Pferde auf der Galopprennbahn bei Mondenschein vor sich hat. Ob das aber im Sinne des Komponisten wäre?
:-D

Man kann aber die Träumerei interpretatorisch so arrangieren und verzuckern, dass dem Hörer davon schlecht wird, und er Alpträume bekommt:

:schweigen:
 
wie bitte?
sämtliche Metronomangaben in Schumanns Werken stammen nicht vom Komponisten, sondern aus seinem Umfeld??

Erstens habe ich mich ja nur auf die Kinderszenen und keineswegs auf das Gesamtwerk Schumanns bezogen.
Zweitens, soweit ich mich erinnere, aber das mag falsch sein, da ich die Ausgabe leider nicht selbst besitze, gibt es eine Wiener-Urtext-Ausgabe mit Kommentar. Die von "Henle" ueberlieferten Metronomangaben sind dabei, wenn ich mich richtig erinnere, als "aus dem Umfeld von Schumann stammend" bezeichnet. Es gibt wohl auch Angaben von Schumann selbst, die dort auch drinnen stehen. Die Traeumerei hat allerdings dann noch hoehere Werte, ich glaube, es gab eine Angabe mit Viertel=MM120. Leider ist es schon ein paar Jahre her, dasz ich die verschiedenen Metronomzahlen und deren Herkunft angeschaut habe, meine Erinnerung ist leider etwas verblaszt. Die langsamste historische Schlagzahl fuer die Traeumerei, die dort berichtet war, ist, glaube ich, bei MM=80. Diese koennte von Clara stammen.
Dies sagt natuerlich nichts ueber andere Metronomzahlen Roberts aus und sein Metronom war sicherlich "nicht einfach kaputt", sonst waere ja bei "Glueckes genug", das gewoehnlich zu schnell (!) gespielt wird, das Metronom ploetzlich in die andere Richtung "kaputt gegangen" :-D.
Dein Ausbruch, Rolf, der ja wohl auch nicht gegen mich gerichtet war, ist nur durch langes Leiden an diesen historisch falschen Tempi zu erklaeren, und da kann ich Dich voll verstehen.
Ich fand die Diskussion in der Wiener-Urtext-Ausgabe jedenfalls interessant, da sie zeigt, dasz fuer die Traeumerei anscheinend schon sehr frueh ein relativ groszes Tempo-Spektrum moeglich war, von etwa MM=80 bis MM=132, wenn ich mich recht erinnere. Das ist allerdings alles "Lichtjahre" schneller als die heute ueblichen "Einschlaforgien".
Die vielen von unten aufsteigenden Melodielinien interpretiere ich als bei Tagtraeumereien aufsteigende Gedanken, die sich ineinander verschlingen und verschwimmen. Mir ist ein Raetsel, wieso das nur bei MM=50 moeglich sein soll. Wie vorher schon von anderen geschrieben bleibt dann der Auftakt und der Hoehepunkt der Linie meist auf der Strecke, da alles zerfaellt.
Ich versuche jedenfalls die Metronomangaben aus dem 19 Jhdt. in etwa zu beruecksichtigen, v.a. was die Relationen zwischen den Stuecken betrifft. Das hat insgesamt ungewohnt rasche Tempi zur Folge, fuer ein Stueck (Glueckes genug) auch ungewohnt langsames Tempo. Leider bringe ich das nicht immer so hin, wie ich will, d.h. manches mag etwas "grob gezimmert" wirken.
Viele Gruesze,
Jannis
 
Ich mache mir mal die Mühe, die Worte von Naoyuki Taneda zum Thema Tempo für euch abzutippen:

"Die Metronomzahlen in Klammern zu Beginn eines jeden Stückes entsprechen der EA. Allerdings sind die Tempi bei Einhaltung dieser Metronomzahlen für unsere Vorstellung meist zu schnell, wie dies auch bei Etüden von Czerny, Clementi und vielen anderen 'didaktischen' Werken des 19. Jahrhunderts der Fall ist. Das Grundsätzliche Problem der Metronomangaben im frühen 19. Jahrhundert wurde vielfach untersucht, konnte aber trotz intensiver Nachforschungen bisher nicht schlüssig geklärt werden.

Das Tempo sollte grundsätzlich dem Charakter des Stückes und den Fähigkeiten des Schülers entsprechen."

Aus meiner instruktiven Ausgabe der Burgmüller Etüden op. 100

Ich schätze, daß sich das Problem nicht auf didaktische Werke beschränkt. Das legt zumindest meine Recherche im Neuland nach einer abschließenden Klärung der Tempofrage nahe.
 
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Reaktionen: Wil
Vielen Dank für die zum Teil doch sehr ausführlichen Anmerkungen. :super:
Was ich nicht wollte war, einen Streit vom Zaun zu brechen. Aber wahrscheinlich ist das für einige ein emotionales Thema.
Die "Träumerei" habe ich hauptsächlich deshalb angeführt, weil dieses Stück eben sehr oft öffentlich vorgetragen wird. Wie hier schon erwähnt wurde, zeigt sich das Phänomen der unterschiedlichen Vortragsweisen ja auch bei anderen Stücken aus diesem Zyklus. So spiele ich etwa "Kind im Einschlummern" auch flüssiger als z.B. mein alter Herr, der immerhin, im Gegensatz zu mir, Profi war. So scheint es doch stark vom eigenen Empfinden abzuhängen, mit welchem Tempo man für sich selbst dem jeweiligen Stück die nötige Aussagekraft verleiht.

Ich bin 69 geboren, ihr Ferkelchen.
 
Man könnte von mir genannte Mondscheinsonate 1. Satz so schnell ... spielen ... Ob das aber im Sinne des Komponisten wäre?
Jedenfalls hatte der Komponist keinen "Mondschein" im Sinn. Ebenso hat Grieg keine "Morgenstimmung" vertont und bei der Beethoven 5th klopft kein "Schiksal" an die Tür. Gerade, wenn man Letztere in anständigem Tempo spielt, die Auftakte als Auftakte nimmt und die Fermaten sauber abschlägt, klingt sie längst nicht mehr nach Kloß mit Soße. Besonders kleine Interpreten wollen offenbar einem Stück durch Auswalzung und Schwerfälligkeit eine gewisse "Bedeutungstiefe" einhauchen, dabei ist es doch nur Mundgeruch. Das nennt sich dann auch gern "philosophisches Klavierspiel". In Wirklichkeit handelt es dabei meist um rhythmische Laien.

Ich vermute, daß diese o.g. Titel den Stücken nach mißglückten "Interpretationen" aufgedrückt wurden.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Jedenfalls hatte der Komponist keinen "Mondschein" im Sinn. Ebenso hat Grieg keine "Morgenstimmung" vertont und bei der Beethoven 5th klopft kein "Schiksal" an die Tür. Gerade, wenn man Letztere in anständigem Tempo spielt und die Fermaten sauber abschlägt, klingt sie längst nicht mehr nach Kloß mit Soße. Besonders kleine Interpreten wollen offenbar einem Stück durch Auswalzung und Schwerfälligkeit eine gewisse "Bedeutungstiefe" einhauchen, dabei ist es doch nur Mundgeruch. Das nennt sich dann auch gern "philosophisches Klavierspiel". In Wirklichkeit handelt es dabei meist um rhythmische Laien.
Ich vermute, daß diese o.g. Titel den Stücken nach mißglückten "Interpretationen" aufgedrückt wurden.

Ja, und das Regentropfenprelude hat mit Regen gar nichts zu tun, usw.usf.
Müßig, sich am Namen eines Werkes aufzuhängen. Manche Titel wurden nach dem Tod eines Komponisten vergeben, und der konnte sich dann nicht mehr wehren. Manche posthum vergebene Titel sind durchaus passend...
Woher weißt Du, dass Grieg keine "Morgenstimmung" vertont hat? Er hat die Suiten für ein Bühnen-Werk von Ibsen geschrieben (ursprünglich ein Gedicht), und genau dieses Musikstück vertont die aufgehende Sonne in einem bestimmten Akt, weiß jetzt nicht mehr, welcher.
 
Es ist Peer Gynt.
Und immerhin heißt die Morgenstimmung auch auf norwegisch so, aber um zu recherchieren, ob das von Grieg selbst so genannt wurde oder später kam, reicht mein norwegisch nicht. Das ist dann eher eine Aufgabe für @PianoAlf ;-)
 

Müßig, sich am Namen eines Werkes aufzuhängen.
nein, gar nicht. Denn diese Etiketten - die ja eben nicht die Namen der Stücke sind - dienen als Rechtfertigung für Schlafzimmerinterpretationen. Der erste Satz von Beethoven 5th ist "Allegro con brio" überschrieben. Also "heiter mit Schwung" oder "rasch mit Feuer" o.ä., aber ganz sicher nicht "schicksalsschwer". Nun bin ich rein gar nicht von der "Werktreue"-Fraktion, aber man könnte m.E. zumindest mal versuchen, einfach das zu spielen, was da steht. Da geht einem manchmal ein Licht auf...

Woher weißt Du, dass Grieg keine "Morgenstimmung" vertont hat?
Habe ich mich da vertan? Kann sein.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ich fasse @rolfs Beitrag zusammen:

Alles, was ein Komponist tut, macht er mit Absicht. Wenn er ein Tempo notiert, dann sollte man es auch in diesem Bereich spielen. Oder kämet ihr auf die Idee, einfach Töne in einem Akkord zu vermindern? Peng Aus. :teufel:
 
Ich fasse @rolfs Beitrag zusammen:

Alles, was ein Komponist tut, macht er mit Absicht. Wenn er ein Tempo notiert, dann sollte man es auch in diesem Bereich spielen. Oder kämet ihr auf die Idee, einfach Töne in einem Akkord zu vermindern? Peng Aus. :teufel:

Hmmn, das Orchester die Beethovens vorgeschriebenen Tempi spielt, muss noch erfunden werden! Ja, Ja die Komponisten sind einfach unfehlbar, ich dachte sowas ist nur den Päpsten zugestanden.
 
Es ist Peer Gynt.
Und immerhin heißt die Morgenstimmung auch auf norwegisch so, aber um zu recherchieren, ob das von Grieg selbst so genannt wurde oder später kam, reicht mein norwegisch nicht. Das ist dann eher eine Aufgabe für @PianoAlf ;-)
Ich gebe zu, ich weiß es nicht. Ich wüsste gerade nicht mal, wie man "Morgenstimmung" auf norwegisch ausdrücken sollte. Wenn ich mal Zeit habe, recherchiere ich das ggf. mal.
 
nein, gar nicht. Denn diese Etiketten - die ja eben nicht die Namen der Stücke sind - dienen als Rechtfertigung für Schlafzimmerinterpretationen. Der erste Satz von Beethoven 5th ist "Allegro con brio" überschrieben. Also "heiter mit Schwung" oder "rasch mit Feuer" o.ä., aber ganz sicher nicht "schicksalsschwer". Nun bin ich rein gar nicht von der "Werktreue"-Fraktion, aber man könnte m.E. zumindest mal versuchen, einfach das zu spielen, was da steht. .

Naja, dass sich ein Pianist/Dirigent/... bei der Interpretation eines Werkes eher an die Dynamikvorgaben des Komponisten halten sollte als an den Namen des Stückes, ist eigentlich eine Binsenweisheit...
 
Gerade, wenn man Letztere in anständigem Tempo spielt, die Auftakte als Auftakte nimmt und die Fermaten sauber abschlägt, klingt sie längst nicht mehr nach Kloß mit Soße. Besonders kleine Interpreten wollen offenbar einem Stück durch Auswalzung und Schwerfälligkeit eine gewisse "Bedeutungstiefe" einhauchen, dabei ist es doch nur Mundgeruch. Das nennt sich dann auch gern "philosophisches Klavierspiel". In Wirklichkeit handelt es dabei meist um rhythmische Laien.

Was meinst du mit "die Fermaten sauber abschlägt"? Wenn Beethoven das rhythmisch exakt durchgezählt haben wollte, dann hätte er das sicher so notiert - es wäre ja einfach gewesen, statt der Fermaten eine exakte Dauer in Form einer (beispielsweise) über 4 Takte verlängerten halben Note anzugeben. Auffällig ist außerdem, dass Beethoven beim 2. Einsatz (f-f-f-d------------------) einen Takt mehr vor der Fermate notiert. Das sieht schon optisch sehr danach aus, das hier tatsächlich ein deutlicheres Anhalten gemeint ist als beim ersten Mal. Und ein ritardando vor einer Fermate war zu Beethovens Zeiten nichts Ungewöhnliches, schon in der Klavierschule von Türk kann man nachlesen, dass es sowohl die überraschende Fermate gibt als auch die durch ein ritardando vorbereitete Fermate. Was davon Beethoven vorgeschwebt hat, wissen wir nicht. Für mich ist jedenfalls das verlängerte d beim zweiten Mal ein Indiz dafür, dass zumindest hier ein leichtes ritardando naheliegend ist. Auftaktig kann man das dennoch spielen, wenn man will. Ob man es so klar auftaktig spielen muss, ist eine andere Frage. Denn Beethoven lässt uns in den ersten Takten auch über die Tonart im Unklaren (es könnte genauso der Anfang einer Es-Dur-Sinfonie sein), wieso bist du so sicher, dass er den Rhythmus nicht auch verschleiern wollte? Ich halte beides für möglich.

Der erste Satz von Beethoven 5th ist "Allegro con brio" überschrieben. Also "heiter mit Schwung" oder "rasch mit Feuer" o.ä., aber ganz sicher nicht "schicksalsschwer". Nun bin ich rein gar nicht von der "Werktreue"-Fraktion, aber man könnte m.E. zumindest mal versuchen, einfach das zu spielen, was da steht. Da geht einem manchmal ein Licht auf...

Auffallend ist aber, dass Beethoven einen schnellen Satz im sehr selten vorkommenden 2/4-Takt notiert. Das bedeutet, dass jede Halbe eine schwere Zeit ist, nicht jede zweite Halbe wie im Allabreve. Wenn man den Satz zu schnell nimmt, entsteht fast zwangsläufig ein Allabreve und die Musik wirkt dann sogar ruhiger, weil die rhythmischen Schwerpunkte weiter auseinander liegen. Genau das hat Beethoven offenbar aber nicht gewollt.
 

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