Klavier vs. Flügel

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SingSangSung

SingSangSung

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13. Mai 2010
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Hallo,

ich habe diesen Faden hier mal bei "verwandte Themen" vorgeschlagen bekommen und gelesen:

https://www.clavio.de/forum/forum-f...cht-ausreichend-muss-es-ein-fluegel-sein.html

Ich habe mich etwas gewundert, dass so einhellig "lieber ein gutes Klavier als ein schlechter Flügel" gepostet wurde, denn ich frage mich mittlerweile, ob man sich an einem Klavier nicht schon auf mittlerem Niveau eine schlechte (schlechtere) Technik angewöhnt.

Dies hat folgenden Hintergrund: Ich habe mir vor 3 Monaten einen Flügel gekauft (ein einfacher Kawai-Flügel), besitze ein Klavier (ein kleines Grotrian-Steinweg mit Renner-Mechanik), habe mal Schulmusik studiert und da natürlich auf einem Flügel Unterricht gehabt und auch ca. 70% meiner Übezeit auf Flügeln geübt.

Ich wiederhole derzeit einige Stücke, die ich im Studium mal gespielt habe, und ganz oft findet sich der Hinweis meiner Lehrerin "mehr in der Taste" und "an der Taste". Sie gebrauchte auch oft Ausdrücke wie "an den Tasten kleben" usw.

Damit gemeint war: Die Finger berühren die ganze Zeit die Tasten, bei leisen, aber schnellen Stellen ist die Taste schon vor dem Anschlag etwas niedergedrückt, wodurch sich der Anschlagsweg verkürzt. Dies auch bei Tremoli, bei schnellen Begleitfiguren usw.

Auf meinem Klavier hat all dies überhaupt nicht funktioniert. Wenn ich zu sehr an der Taste, oder gar in der Taste, gespielt habe, dann kam der Ton kaum noch oder gar nicht.

Jetzt übe ich diese Dinge, die ich mir gezwungenermaßen abgewöhnt hatte, wieder ein, und beobachte schnelle, tiefgehende Fortschritte trotz nicht gerade übermäßiger Übezeit. Dies bezieht sich auf:
- bessere Dynamik, vor allem im Piano / Pianissimo
- schnelleres Spiel
- sichereres Spiel (wer an der Taste spielt, haut nicht so leicht daneben, eigentlich logisch)
- kraftsparenderes Spiel

Daher die ketzerische Frage: Ist es nicht doch so, dass ein Klavier ab einem bestimmten Niveau, das aber bereits deutlich unter Konzert-Niveau liegt, die Entwicklung einer guten Technik behindert? Also doch ab "Sonata Facile" bereits, oder Bach-Inventionen, oder leichtere Beethoven-Sonaten?

Sollte man dem ambitionierten Schüler nicht doch lieber einen einfachen Flügel statt eines hochwertigeren (und klanglich fast sicher besseren) Klaviers empfehlen?

Ich bin gespannt auf Eure Meinungen,

SingSangSung
 
Ich gebe Dir völlig Recht mit Deinem Eindruck. Allerdings ercheint mir der Tenor des erwähnten Fadens doch eher so, als dass ein gutes Klavier besser ist als ein schlechter Flügel. Ansonsten hat der Flügel natürlich immer die Nase vorn, und das gilt sicher auch für Anfänger. Irgendwer schrieb doch dort: Flügel besser als Klavier, Klavier besser als Digi aber trotzdem kommt man auch auf letzteren schon ein gutes Stück weit. Sprich: neben dem Flügel ist alles andere nur eine mehr oder weniger gute "Notlösung".
Du hast zuhause ein gutes Klavier und einen guten Flügel, also: Alles klar?
Cheers,

Wolf
 
Hallo SingSangSung,

als Urheber des Threads oben wollte ich mich rühren, ich finde es schön dass Du das Thema nochmal aufgreifst. Ich habe inzwischen seit Dezember einen Flügel (einen gebrauchten W. Hoffmann, auch Budget-Modell). Bevor ich erzähle, warum ich mich trotz meiner zur damaligen Zeit noch recht kritischen Position gegenüber eines Flügelkaufs zu einem solchigen entschieden habe, bin ich jedoch gespannt auf die Diskussion zwischen den erfahren(er)en Forumsmitgliedern :-)

Viele Grüße

KrautundRueben
 
Klanglich ist ein Klavier, zumal ein etwas höheres, einem Flügel (i.e. einem //zu// kleinen Flügel) oft überlegen, wegen der größeren Resonanzbodenfläche i.V. zu Flügeln unter 180/170/160: ein Klavier hat keinen Hammerschacht, und hat sehr oft i.v. zu kleineren Flügeln auch eine größere Saitenlänge im Bass für den runderen Klang.

Erst Flügel ab zwei Metern hängen auch klanglich dann Klaviere ab.

= = = =

Spieltechnisch, vom Spielgefühl her ist ein vernünftig eingestellter Flügel mit ordentlicher Hammerausrüstung einem Klavier nahezu immer überlegen.

Insbesondere was die Befähigung anlangt, mit der doppeltenglischen Stößelmechnik die Hämmer "direkt am/unterm Finger" zu haben. Etwas, das ein Klavier schlicht niemals kann, weil die Hämmergewichte i.w. in der Waagerechten bewegt werden.

Und jetzt kommt's drauf an: ist jemand "taktil" sehr empfindsam, also spielgefühlstechnisch feinst drauf? Dann wird er recht früh am Flügel die Chancen entdecken, die eine saubere Erardmechanik hat. Und er wird ab dann vice versa an Klavieren unglücklich sein.

Ist jemand aber taktil robust, weniger empfindsam, wenige filigran, oder auch "zweigleisig" (d.h. kann sich profihalber ca. auf alles einstellen), dann ist es ihm zwar nicht egal, aber dann "geht" auch Klavier.

Die besseren Spiel-Ergebnisse sind (fast) immer am Flügel zu finden.

Das "fast": es gibt Flügel, die zu dicke Hämmer tragen. Dann ist das auch arg subopti. Oder Flügel, deren Mechaniken klemmen, zuviel reibung haben, oder falsch ausgewogen sind, oder deren Achsen schlockern, oder deren Tastenführung ausgeschlagen ist (was allerdings auch beim Klavier sein kann), oder oder...

Eine Flügelmechanik ist ein feinmechanisches Wunderwerk. Von den berühmten 12.500 Einzelteilen eines Steinway finden sich 11.000 in der "Schublade" der Spielmechanik, jedes kleine Drähtchen und Filzröhrchen: alles einzeln gezählt. Da gibt es also haufenweise Möglichkeiten, dass das Zeugs darin bockig wird. Es muss schon fitgehalten werden, sonst funzt das nicht gut.

Bockige Flügel-Mech? Dann ist oft ein Klavier anspruchsärmer, einfacher. Klavier hab ich fast 30 Jahre gespielt, und an der Mechnaik nie einen Handschlag zu tun gehabt. Beim Flügel? Alle "naselang" (Halbjahrestakt) muss ein wenig Hand angelegt werden.

Der Appetit kommt allerdings auch beim Essen. D.h. einmal Flügel, immer Flügel. Man gewöhnt sich dran, und ich hab seit dem "Café Honigmond" zu Berlin am Duysen im Frühjahr 2010 kein Klavier mehr angefasst, ist fast vier Jahre nun her. (So arrogant bin ich...)

Einmal Cabrio, immer Cabrio oder so. Wenn ich Porsche oder Lamborghini fahren will, sollte ich auch nicht an Wartung oder am Öl sparen.

Wenn hier immer so flotti zu einem Flügel geraten wird, sollte man im Sinne objektiven Rates diesen Punkt hinzu benennen. Nicht dass jemand, der 30 Jahre lang ungeniert und wartungsfrei (bis aufs Stimmen) Klavier spielte, auf einmal böse überrascht würde, dass einen Flügel zu unterhalten mit etwas mehr Aufwand, Kosten verbunden ist...

Das, was gut tut unter den Fingern, macht auch etwas Arbeit.

Isso. Kaaanze maache nixxx, musse kucke zu.
 

Wie sehen sie es denn?

"Anders", jaa - aber wie?

Dass kleine Klaviere, 112, 120er im Klang an einen Semikonzerter Siebenfuß rankämen oder ihn überträfen?

Mal abgesehen davon: Klang ist eh eine sehr subjektive Kiste, kaum objektivierbar. Es gibt Pianisten, die auf ihr Clavichord schwören, weil sie damit die "Bebung" machen können, ein leichtes Vibrato, das dem Klavier und dem Flügel verschlossen ist. Andere wieder finden den Klang von uralten Tafelklavieren entzückend. (Ich auch.)

Alles individuell.

Also, Butter bei die Fische: In welcher Beziehung sehen viele, siehst DU das anders?

Bzw. konkret gefragt, welches tolle Klavier kann für dich, subjektiv, im Klang mit einem 200er Bechstein mit oder überträfe den? Oder mit einem Yamaha C7?

(NB Dass es Mistflügel von Onkel Wu der Marke Lang Fing Fang Wao Wao gibt, die sogar neun Fuß lang sein können und trotzdem miese klingen, sei da mal außen vor. Reden wir von Guten Dingen.)

= = =

Gerade fällt mir auf, dass es im Thread gar nicht um Klang ging...,sondern ums Spielgefühl.

So far. so sorry. Mea culpa, auf dieses (verminte?) Gelände geschlichen zu sein.
 
weas, das mit der den längeren Saiten von Klavieren ist im Datensammlungs-Faden von dasch85 widerlegt worden - selbst große Klaviere liegen da nicht über kleinen Flügeln (müsste jetzt nachlesen, aber ich meine, bei 160er Flügeln und bei 125er Klavieren war jeweils die längste Bass-Saite um die 120 cm). Diese Messergebnisse ändern nichts daran, dass die meisten Flügel unter 160cm erhebliche Defizite im Klang haben.

Allerdings sind die meisten Flügel unter 160 auch Einsteigermodelle (Ritmüller 148, Kawai GE-10, ...), während Klaviere > 120 cm in der Regel schon sehr hochwertig sind. Klar klingen die Flügel dann sch...lecht.

Mich fasziniert am Flügel insbesonder die angenehmere Klangentfaltung im Raum.
 
wegen der größeren Resonanzbodenfläche i.V. zu Flügeln unter 180/170/160: ein Klavier hat keinen Hammerschacht, und hat sehr oft i.v. zu kleineren Flügeln auch eine größere Saitenlänge im Bass für den runderen Klang.
das wurde sehr, sehr stark relativiert, wenn nicht gar widerlegt. Vgl. Messungen von Clavioten in einem anderen Faden.

Ingesamt sollte man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen - sondern immer ein gutes Klavier vs. gutem Flügel. Taktill, spieltechnisch ist dann der Flügel kaum zu schlagen. Klanglich kann (!) das anders aussehen. Letztendlich spielt aber auch das Repertoire eine Rolle und - wie WEAS richtig anmerkt - die "Ausrichtung" des Spielers. Ragtimes z.B. erscheinen mir am Klavier "richtiger" - funky Grooves dito. Die Pop-Ballade wiederum ist Flügel natürlich viel hübscher. Von 90% der Klassik ganz zu schweigen.
 
Klanglich ist ein Klavier, zumal ein etwas höheres, einem Flügel (i.e. einem //zu// kleinen Flügel) oft überlegen, ........... Erst Flügel ab zwei Metern hängen auch klanglich dann Klaviere ab.

Ich kann jeden Tag beliebig oft ein Yamaha U1 (122 cm) und einen C3 (186 cm) quasi nebeneinander testen. Das U1 kommt noch nicht mal ungefähr an das Klangvolumen des 186-Flügels heran, weder im Bass noch im Diskant. Das mag mit einem vergleichbaren S&S- oder Bechstein-Klavier anders aussehen. Tja, was wären hier die Äpfel und was die Birnen?
 
Grützi miteinander,
in meiner Studienzeit konnte ich mir damals auch nur ein Piano leisten. Es erwies mir recht gute Dienste doch ein Problem hatte ich immer und immer wieder: Das Spielgefühl der Mechanik ist einfach anders und auch die Funktion des Verschiebungspedals. Da kam es dann im Unterricht schon mal zu einer Überraschung.
Deswegen würde ich selbst den kleinsten Flügel einem Piano vorziehen. Vom Klang ganz zu schweigen.
Tastenmiki
 
Erst Flügel ab zwei Metern hängen auch klanglich dann Klaviere ab.
Immer diese Allgemeinplätze (die ich früher auch von mir gegeben habe ;-))... Ich würde jüngst live davon überzeugt, dass es auch im 160er Bereich wunderbare Flügel gibt und für den 170er von Steingraeber würde ich fast alle anderen Flügel unter 200 eintauschen. Fakt dürfte sein, dass die meisten kleinen Flügel eben im preissensitven Segment angesiedelt sind. Da sind dann natürlich keine Wunder zu erwarten.
 

Ragtimes z.B. erscheinen mir am Klavier "richtiger" .

Stimmt! Gehört am besten, authentischsten auf einem Oberdämpfer-Klavier ("birdcage action") mit leichtem Nachhall performt. Der Honky Tonk Sound ...

Klingt allerdings auch auf einem Flügel mit langen Basssaiten und richtig viel Resofläche prachtvoll.
:D :D

Zumal dann, wenn sich die Musik und das Instrument auch noch das Herkunftsland und ca. die Zeit ihrer Herstellung teilen.

So hat Tom Brier, einer der weltweit ersten Ragtime-Pianisten, daheim einen Flügel stehen - und die Saitenchöre "leicht daneben" gestimmt... um des Authentischen Soundes willen.
 
Fakt dürfte sein, dass die meisten kleinen Flügel eben im preissensitven Segment angesiedelt sind.
Ha, fishi, wir sind mal wieder 100% einer Meinung :D

Ich muss jetzt endlich mal zu Goecke & Fahrenholz gehen - die sollten den neuen kleinen 155er Bösi stehen haben. Der ist mit ca. 60 kEuro mit Sicherheit nicht mehr im preissensitiven Segment zu verorten.

Boah, jetzt habe ich tatsächlich "verorten" geschrieben, ich dachte, dieses Wort sei Künstler- und Sozialwissenschaftler-Slang ...
 
Ich kann jeden Tag beliebig oft ein Yamaha U1 (122 cm) und einen C3 (186 cm) quasi nebeneinander testen. ...
Ich hatte 1,5 Jahre ein 125er Steinway Klavier und einen 183er Ibach-Flügel nebeneinander. Das Klavier war dem Flügel klanglich nicht unbedingt überlegen. Allderdings hat man als Spieler am Flügel einen wesentlich angenehmeren Klangeindruck durch die andere Abstrahlung. Die Saiten des Flügels waren etwas länger, der Reso vom Flügel etwas größer, nicht die Welt. Da müßte es wohl schon ein 130er Klavier sein, wenn die Maße gleich sein sollen.
Über das Spielgefühl muß man nicht diskutieren, das war der eigentliche Grund für meinen Wechsel nach 25 Jahren mit einem Klavier. Ich nehme an, der Umstieg von Klavier auf Flügel ist deutlich einfacher, als vom Flügel zum Klavier. Einiges geht am Flügel einfacher. Gleichmäßig dynamisch spielen kann aber am Klavier leichter sein, so war mein Eindruck.

Gruß
Manfred
 
Stimmt. Die Steingräber sind wirklich klanggewaltige Instrumente. Leider sind sie bei uns in der Schweiz nicht wirklich gut vertrieben weil alle Musikschulen und Universitäten viel lieber Yamaha, Kawai und bestenfalls Instrumente von Steinway oder Fazioli kaufen.
Auch die neuen Bechstein sind nicht zu verachten.
Aber Steingräber ist ein echter "Geheimtipp"
 
Ich muss jetzt endlich mal zu Goecke & Fahrenholz gehen - die sollten den neuen kleinen 155er Bösi stehen haben. Der ist mit ca. 60 kEuro mit Sicherheit nicht mehr im preissensitiven Segment zu verorten.
...dann gib mal Rückmeldung wie er Dir gefallen hat, würde mich interessieren. Den neuen kleinen habe ich mal angespielt und war enttäuscht, obwohl ich Bösendorfer meistens sehr gerne mag. Das Spielgefühl fand ich billig, der Klang wirkte kümmerlich und eingesperrt. Bösi-Sound braucht Platz!
 
Wie schön, schon so viele Beiträge!

Ich würde es jetzt gerne noch etwas mehr auf den Klavierpädagogischen Aspekt zuspitzen: Versaut man sich mit einem Klavier die Technik? Hat ein Jugendlicher, der die ersten 10 Jahre seiner Übetätigkeit auf einem Klavier ableistet, überhaupt noch eine Chance, zu einem Virtuosen zu werden?

Wie gesagt: Ich habe mir die ganz feinen, kleinen Bewegungen, die ich an der Hochschule gelernt habe (also auch schon reichlich spät, bei mir hat´s zum Virtuosen ja auch nicht gereicht), mangels Flügel ja erst mal wieder abgewöhnt.

Und technisch nochmal nachgefragt: Ich verstehe WEAS so, dass das, was ich vom Spielerischen Her als "an der Taste spielen" bezeichne, wohl das "direkt mit dem Hammer in Verbindung stehen" ist. Kann man das so sagen?

Danke für die vielen Rückmeldungen

SingSangSung
 
Weas,

du bist ja ein Duysen-Freund! Wie schön!

Hmm, nuu jaaa, nee... nicht wirklich. ;) Nicht jedenfals per dem Klavier, das im Hinterzimmer des "Honigmond" steht.

Nein, generell, Klaviere von Jes Leve Duysen sind schon sehr OK, prächtiger Bechstein-Schüler, dann Vorarbeiter, später selbständig.

Bei dem Honigmond-Ding war etwas SEHR eigenartig: Hochklavier, und du hast dich - im Cafétrubel -selber irgendwie gar nicht richtig spielen gehört, der Klang war erst gut vernehmbar ca. einen guten Meter seitlich. Das hatte ich vorher noch nie, und hinterher auch noch nicht. U.U. hätte das Duysen mal, gemäß dem Klaviermacher-Trick, etwas schräg von der Wand weggewinkelt werden sollen. Das war schon sehr eigenartig, dort quasi im schalltoten Loche zu pianistern..
 

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