Kammermusik und Empathie

  • Ersteller des Themas Samira Spiegel
  • Erstellungsdatum

@rolf
Spätestens ab Schubert ist das Klavier kein begleitender Diener der Singstimme mehr, sondern spielt eine eigenständige Rolle: unterstützend, paraphrasierend, kommentierend, in Frage stellend …
 
Jo, das ist wie mit "klassischer" Musik. Die Terminologie in der Musik ist nicht besonders logisch und konsequent, leider.
 
konsequenterweise muss dann die Gattung Kunstlied ausgeschlossen werden ;-)
Es gibt gute Gründe, das dazugehörige Fach "Liedgestaltung" zu nennen. Denn eigentlich ist der Begriff "Liedbegleiter" eine Verkürzung seiner realen künstlerischen Aufgaben. Ein "Begleiter" ist ja einer "führenden" Instanz untergeordnet, aber so funktioniert "Liedgestaltung" in der Praxis nicht. Im Regelfall sind Kunstlied-Spezialisten an der Tastatur pianistisch erstklassig ausgebildet und könnten sonst auch gar nicht künstlerisch überzeugen. Aber damit erzähle ich Dir ja nichts Neues.

LG von Rheinkultur
 
Spätestens ab Schubert ist das Klavier kein begleitender Diener der Singstimme mehr,
hochinteressant ;-):-D:-D
du kennst dich da aus, darum @Demian eine Frage: was macht das Klavier (als Cembaloersatz) in Scarlattis herrlichem Rugiadose, odorose Violette graziose, voi vi state vergognose, mezzo ascose? (das sollte man sich mit dem dienernden "Begleiter" Gerald Moore und einer Diva namens Victoria de los Ángeles López García anhören)
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ganz allgemein: braucht man viel oder wenig oder gar keine Empathie, um den Terminus technicus "Begleitung" für den Klavierpart eines Kunstlieds als das zu begreifen, was er bedeutet? Oder muss man diesen Begriff partout missverständlich verwenden?
 
Um nochmal auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Inwiefern bringt mich die Fragestellung hinsichtlich der Empathie eigentlich weiter? Was habe ich davon?
Und noch etwas: Empathie lässt sich zumindest nach meiner Einschätzung nicht messen. Falls doch: Die Empathiefähigkeit meiner Mitmusiker habe ich allerdings noch nie getestet.
Alle Antworten auf die obige Fragestellung beziehen sich somit auf unsere Wahrnehmungen oder Meinungen. Was ich damit sagen möchte: Spannendes Thema aber das Forum ist als Informationsbeschaffung sicherlich nicht der richtige Ort. Außer es kommen Literaturempfehlungen oder wir machen mal ein Experiment...
 
was macht das Klavier (als Cembaloersatz) in Scarlattis herrlichem Rugiadose, odorose Violette graziose, voi vi state vergognose, mezzo ascose?
Das Klavier ist hier Dialogpartner. Es spielt kleine echoartige Antwortphrasen.

Was deine Frage mit meiner Aussage zur Rolle des Klaviers
zu tun hat, erschließt sich mir allerdings nicht.
 
[...]was macht das Klavier (als Cembaloersatz) in Scarlattis herrlichem Rugiadose, odorose Violette graziose, voi vi state vergognose, mezzo ascose? (das sollte man sich mit dem dienernden "Begleiter" Gerald Moore und einer Diva namens Victoria de los Ángeles López García anhören)[...]

Kurze Nebenbemerkung: Das ist ja von ALESSANDRO Scarlatti...und ich such bei Domenico...ich Volldepp :005:
:005:
,weiß ich doch, das der Letztere eigtl. nur "Iffy auf Tauris" und so religiöse, wie Stabat Mater und andere, sowie säkulare Sachen geschrieben hat, dazu ein paar Sonaten :super:...

Lied aus A. Scarlattis Oper gefällt aber, es ist u.a. von Moore und de los Angeles auf YT zu hören. Bin wieder raus!

LG, Olli!
 
Es gibt gute Gründe, das dazugehörige Fach "Liedgestaltung" zu nennen.
Tatsächlich haben auch Hochschulen schon begriffen, dass der Begriff "Liedbegleitung" als Unterrichtsfach für Liedspiel unpassend ist. Dort heißt es dann auch "Liedgestaltung", was es viel besser trifft.
Wenn man überlegt, dass in der Regel der Pianist das Vorspiel spielt, dann weiß das geneigte Leserlein sofort, dass er die Fäden in der Hand hält. Der Pianist trägt, führt, ist auch schonmal begleitend wie jedes Instrument in der Kammermusik auch mal passiv ist (Beispiel Frühlingssonate von Ludwig van: Hat der Pianist das Thema, verhält sich die Geige mit ihren Akkordmustern hoffentlich begleitend).
Was ich also sagen wollte, @Marlén : Der Pianist hat nicht die Funktion des Begleiters. Die Musik kann es in Stellen haben.
Ein begleitender Pianist ist strunxlangweilig für den Anderen, weil er keine Impulse setzt.
 
...angesichts der pyramidalen*) Menge an Unsinn, der hier über die Gattung Kunstlied und ihre interpretatorische Gestaltung verzapft wird, fällt es schwer, mit Empathie und Geduld zu reagieren...

selbstverständlich begleitet der Klavierpart im Lied oft genug, steht auch zumeist im Zusammenspiel mit der Singstimme nicht im Vordergrund - wehe, der Sänger / die Sängerin wird übertönt! - und je nach Geschick oder Absicht der Komposition untermalt, kommentiert, kontrapunktiert oder einfach nur stützt der Klavierpart. Für all das finden sich Beispiele in allerbesten Kunstliedern. In der schönen Müllerin finden sich Abschnitte mit banalster Bass-Akk.-Begleitung (hum-ta hum-ta), dito im Poveretto, ja noch banaler "begleitend" nur ellenlange Akkordwiederholungen in den Träumen - und ebendort finden sich natürlich auch Beispiele sehr komplexer Klangstrukturen, die von Gesang und Klavier alles fordern.

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*) dieses schöne Adjektiv hat ein berühmter Komponist exzessiv verwendet; übrigens hatte dieser nebenher einige erstklassige Kunstlieder verfasst (ätsch nein, Wagner war's nicht)
 

Wunderbar! Vielen Dank für eure zahlreichen Kommentare! Ich sammele das alles; es ist sehr hilfreich zu lesen, was ihr erlebt.

@Klafina alle Erfahrungen sind willkommen, mit oder ohne Klavier, Amateure dürfen gern auch ihre Erlebnisse schildern.
Es ist für mich sinnvoll, dass Thema von allen Seiten zu beleuchten. :)
 
Ich habe natürlich auch meine Gedanken und Erfahrungen dazu aber mir geht es in erster Linie darum, so viele Meinungen und Erlebnisse außerhalb meines Erfahrungshorizont es zu sammeln wie möglich ;)
 
Der Begriff ''Dialog'' trifft es wohl am ehesten. Die Anpassung an die individuelle Stimme und das aufeinander Einlassen sind nach meiner Auffassung und Erfahrung Empathieleistungen und Erfahrungsleistungen. Hat man beispielsweise einen kräftigen dramatischen Sopran oder Tenor (glücklich, wer das begleiten darf), muss es anders klingen als bei einem lyrischen etc.

Ist ''Begleitung'' nicht ein extrem dehnbarer Begriff? Auch im Soloklavier. Man kann Stimmen verbal abwürgen, wenn man sie als Begleitung deklassiert. Da gibt es monotone Albertibässe oder aber mehr: Z.B. die linke Hand im ersten Satz der Mondscheinsonate. Das ist viel doch viel mehr als nur ''Begleitung''.
 
Alberti gibts bei Mondschein nur im dritten Lied. Der steinerne Gast ist nur gebrochene Akkorde in der rechten Hand.

Dass die linke Hand keine Begleitung ist, muss nicht so erwähnt werden, dass es verwirrend zu lesen wird: Liegetöne und offensichtlich thematische Viertel (und am Ende dieser...dieser Rhythmus) sind eh' keine Begleitung...
 
Jimmy Digels unglaubliche Reise durch den Untergrund
 
Spätestens ab Schubert ist das Klavier kein begleitender Diener der Singstimme mehr, sondern spielt eine eigenständige Rolle: unterstützend, paraphrasierend, kommentierend, in Frage stellend …
Das ist nicht ab Schubert oder sonst wem der Fall, sondern grundsätzlich und immer.
Ein Generalbass, der einem Solisten oder Sänger nur hinterherspielt, ist furchtbar. Heraus kommt dann Musik "ohne Knochen", der jede rhythmische Spannung fehlt.

Die Kunst des "Begleitens" besteht darin, den Solisten zu führen und ihm trotzdem das Gefühl zu geben, dass er sich frei entfalten kann. Sehr anspruchsvoll ist diese Aufgabe, wenn man das nicht als Pianist, sondern als Dirigent vor einem Orchester tun muss. Da ist es kaum mehr möglich, auf den Solisten zu reagieren - man muss stattdessen seine Interpretation antizipieren und mitempfinden. Daran scheitern viele, aber ich bin nicht sicher, ob das mit Empathiefähigkeit zusammenhängt. Vermutlich nur zu einem geringen Teil.
 

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