Interpretationsfreie Werkdarstellung

Hey, das wird ja eine richtig interessante Diskussion. Hätt ich so garnicht erwartet.


was Du als "unbewußte" Komponente der Interpretation bezeichnest, könnte man doch auch das "erlernte" verstehen - man lernt allerlei und befindet sich da in "Tradition(en)", von denen man mehr oder weniger individuell abweicht. Also "unbewußt" klingt mir etwas zu negativ, fast als wüssten die nicht, was sie tun...

Unbewußt ist für mich kein negativer Begriff. Und mein Lehrer an der Musikhochschule hat dieses unbewußte Spiel auch bewußt ;) gefördert.
Ob jemand weiß, was er tut, oder ob er es nicht weiß, ist im Endeffekt nicht so wichtig. Es ist eben nur wichtig in Hinsicht auf die Beurteilung anderer Musiker und aufs Unterrichten. Man sollte eben im Detail erklären können, wie jeder Ton, jede Phrase, jede Entwicklung gespielt wird - ohne daß man ins Nebulöse flüchten muß - oder ins Mechanistische *duck*

die Differenz zwischen Theorie und Praxis - hat wirklich jeder irgendwelche dogmatischen Theorien?

Nein, natürlich nicht jeder ;)

sagen wir mal so: ich stimme Dir in vielen wirklich zu, aber es ist wie beim Pizza belegen - der eine will Peperoni drauftun, der andere lieber Salami :) - - Pizza isses aber trotzdem, egal was draufgelegt wird (fast egal: essbar sollte es schon sein, gerne auch wohlschmeckend)

Darum gehts mir ja: daß man erkennt, wie sehr man selbst von seinen eigenen, subjektiven Vorlieben beeinflußt wird. Und daß man das auch anderen viel leichter zugestehen kann, nachdem man das erkannt hat.


Neulich war im englisch/amerikanischen Klavierforum die Frage, was "espressivo" eigentlich bedeutet. Klar, es kam sofort die Antwort: "mit Ausdruck". Aber was BEDEUTET das? Wessen Ausdruck, was für ein Ausdruck, schneller, langsamer, lauter, leiser, mehr oder weniger rubato?

...

Insofern meine Gegenfrage an Haydnspaß: Wie kann da von "interpretationsfrei" überhaupt die Rede sein?

Ciao,
Mark

Geht ja garnicht. Sehe ich auch so. Und zwar nicht nur bei "espressivo", sondern auch bei der Stelle im Großen Tor wo es heißt "senza espressione" :D Bei der Stelle krieg ich immer Gänsehaut



Im Allgemeinen sind der Interpretationsfreiheit ja mehr oder weniger enge Grenzen gesetzt.

Die Grenzen sind genau so eng gesetzt, wie man sie sich selber setzt.
95% der Ausdrucksmittel, die der Pianist hat, sind im Notentext nicht notiert.

Bei Beethoven z.B. steht ja, bis auf die seltenen Pedalanweisungen, schon alles exakt in den Noten.

alles???

Bei Bach ist auch klar wie artikuliert/phrasiert werden muss (siehe z.B. Harnoncourt: Musik als Klangrede - Bärenreiter; auch wenn ich nicht grundsätzlich ein Harnoncourt-Fan bin, das Werk ist beachtlich).

Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich dieses Buch noch nicht gelesen habe. Ich bin aber ein großer Fan von Harnoncourt.
Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, daß in dem Buch nicht steht, wie man konkrete Stellen im Wohltemperierten Clavier artikulieren, phrasieren muss. Also die Einzelentscheidungen kann einem niemand abnehmen.



Letztlich ist Spielen immer Interpretation - ist ja 'ne Binsenweisheit.
Aber man sollte als Zuhörer den Eindruck haben, dass der Interpret sich auch als solcher versteht und nicht versucht die Rolle des Komponisten oder Pizzabäckers einzunehmen - das steht ihm nun wirklich nicht zu.

Pizzabäcker sollte er nicht spielen.

Aber er muß sich in die Rolle des Komponisten hineinversetzen und die Musik so lebendig werden lassen, wie der Komponist es gewollt hat. Das geht aber himmelweit über das Notierte hinaus.
 
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Ich hatte ja gehofft, daß jemand mit entsprechendem theoretischen Hintergrund mal aufzeigt, was tatsächlich von der reinen Musik vorgegeben ist und deswegen auch nicht notiert wird. Daß es keinen Fahrplan geben kann, nach dem man gestalten muß, ist ja nun geklärt aber wo liegen die Grenzen?

Vielleicht könnte man einfach mal exemplarisch ein bekanntes Stück nehmen und überlegen, welche Gestaltungsmöglichkeiten sich aufdrängen. Ich würde ein einfacheres Stück bevorzugen, z.B. Für Elise oder Alla Turca, weil dann mehr Leser das am eigenen Klavier nachvollziehen können.
 
Kein Problem. Aber ich werde die Antwort, die ich erwarte, nicht aufschreiben. Dann wärs ja witzlos ^_^

Wollte nur ein bißchen zum Nachdenken anregen...

das wäre wie bei den typischen "wer wird millionär" situationen, bei denen die leute ihren Tipp breitschlagen bevor sie das publikum befragen, und dann ratet mal was bei der statistik rauskommt :rolleyes:
 
Sehr interessante Diskussion! Ich hoffe, das geht rege so weiter....

Wenn man sich eine Urtextausgabe von Bach, Haydn oder Mozart anschaut, sieht man gleich, dass die Komponisten frueherer Zeiten recht sparsam mit Anweisungen umgegangen sind.

Wenn man als Interpret ganz hinter das Werk zuruecktreten moechte, um es nur fuer sich selbst sprechen zu lassen, heisst das aber nicht, dass man nur das machen darf, was notiert ist. Wenn z.B. (Beispiel von haydnspass) am Anfang einer Seite p steht und dann lange nichts mehr, heisst das nicht, "stumpf" eine Lautstaerke zu spielen. Denn es gibt ja gewisse Konventionen, wie das Prinzip von Spannung und Entspannung, also z.B. das man in einer Phrase immer ein wenig auf den Hoehepunkt der Phrase hinspielt. Und dieses Gefuehl des "Hinspielens" in Richtung auf ein Ziel wird ja oft (unter anderem) durch ein (manchmal nur minimal angedeutetes) crescendo erreicht. Also kurz gesagt: auch eine Seite mit "p" am Anfang will von uns lebendig gestaltet sein, und wir koennen sicher sein, dass Mozart und andere das genau so sahen und so selbstverstaendlich fanden, dass sie nicht ueberall crescendo und decrescendo usw hinschrieben.

Also, selbst eine "textgetreue" Darbietung wird immer nicht notierte Zusaetze enthalten. Aber diese Zusaetze sind Konventionen, die entweder universell oder zumindest in einer bestimmten Zeitspanne mehr oder weniger allgemein akzeptiert bzw. fuer notwendig befunden werden. Wie schon von tapirnase und anderen angedeutet ist es allerdings alles andere als leicht, einen Text in seiner klassischen Reinheit darzustellen.

Ich spiele z.B. gerade Haydn's h-Moll-Sonate, die einen kurzen aber wunderschoenen 2. Satz hat. Mein Lehrer hat meine erste Interpretation im Scherz mit dem Bild beschrieben, dass das Gesicht einer wunderschoenen Frau durch zuviel Schminke eher verunstaltet wird. Dabei hatte ich beim Spiel eigentlich darauf geachtet, nicht dick aufzutragen, aber es kommt hierbei eben schon auf die kleinsten Nuancen an. Selbst ein winziges Rubato oder ein zu offensives sforzando kann den Gesamteindruck voellig veraendern, und es sind eben diese Dinge, die ueber die "interpretationsfreie" Werkdarstellung hinausgehen.

Oh, was war nochmal die Frage? Ach so:

Also - was haltet ihr von einer Musikdarstellung, die sich ausschließlich auf das vom Komponisten notierte beschränkt. Wenn alsp zum Beispiel am Anfang der Seite p steht, und danach überhaupt keine Dynamikbezeichnung mehr. Oder wenn hie und da Ped. notiert ist und größtenteils eben nichts. Wenn keine Tempoabweichungen notiert sind - darf man dann keine machen?

Ich finde beide Zugaenge (also der "interpretationsfreie" bzw. der stark individualisierte) koennen gleichberechtigt nebeneinander stehen, und ich moechte auch selbst ueben, auf verschiedene Arten zu spielen (was wiederum auch die Wahrnehmung schaerft). Wer z.B. extrem individuelle (aber meines Erachtens wunderbare) Mozart-Sonaten hoeren moechte, kann ja mal bei Pogorelich reinhoeren (z.B. K. 283 - teils exzessivste Rubati) oder - etwas gemaessigter - natuerlich auch bei Horowitz.

Aber wie gesagt, bedeutet selbst eine "interpretationsfreie"/textgetreue Darstellung nicht, dass "p" am Anfang einer Seite heisst, dass man eine Seite immer gleichlaut spielt. Es bedeutet vielmehr, dass man den kulturellen Kontext mitspielt, und der wuerde eben bei einer Haydn-Sonate bedeuten, dass z.B. Tempoabweichungen besser ganz sparsam gesetzt werden (insbesondere in einer Phrase; Pausen vertragen sicher auch immer textgetreuen Modus auch mal etwas mehr Atmen)
 
Fast bin ich versucht, diesen Thread für Unfug zu halten.

Es ist ulkig; wir haben zur selben Zeit geschrieben, und stimmen in mehreren Punkten 100% ueberein, nur dass ich die Diskussion sehr interessant fand und nicht Unfug! :p

Zu fragen wäre erst einmal: Was heißt überhaupt Interpretation? Bach, Mozart oder Beethoven kannten diesen Begriff noch gar nicht. Er taucht erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf mit der Trennung von komponierendem und wiedergebendem Künstler.

Hier wuerde ich entschieden widersprechen. Ob man es nun "Interpretation" oder wie auch immer nennt --- klar ist, dass all diese Komponisten eine sehr bestimmte Vorstellung davon hatten, was aus ihrer Sicht gutes und was schlechtes Tastenspiel ist. Mozart schreibt z.B. mehrfach von Faehigkeiten seiner Schueler, und anhand der positiven und negativen Urteile kann man sich sicher ein recht gutes Bild von seiner Aesthetik machen. Damit ist nicht gesagt, dass Mozart nur eine einzige Art zu spielen fuer gutgeheissen haette, aber er haette sicher heftig protestiert, wenn er Pogorelich seine Werke spielen gehoert haette. Trotzdem gefaellt mir wie gesagt Pogorelichs Mozart auch. Bei Gould ist das eine andere Sache -- da gefaellt naemlich auch mir vieles nicht.
 
Notation: Sie war jahrhundertelang nichts anderes als eine grobe Handlungsanweisung. Notiert, erwähnt wurde, was sich nicht von selber verstand. Wir sind mittlerweile gewohnt, daß auf Bechern mit Heißgetränken der Warnhinweis prangt, daß man sich den Mund verbrennen kann. Früher verstand sich offensichtlich vieles von selber. Auf die Musik übertragen: Wir vermissen in der Musik Bachs und Mozarts dynamische Hinweise und Angaben zur Artikulation, weil musikalische Selbstverständlichkeiten für uns nicht mehr selbstverständlich sind. (Das erinnert mich an Autofahrer, die ihr Gefährt sehenden Auges im Fluß versenken, weil sie ihrem Navigationsgerät mehr vertrauen als ihrem gesunden Menschenverstand.) Ist es anzunehmen, daß Bach und Mozart artikulationslos musiziert haben?
Man baut einen Popanz auf, den es gar nicht gibt, diskutiert fleißig darauf los und verliert sich darüber in Spiegelfechtereien, als ob es nicht wichtigeres auf der Welt gebe. ich befürchte fast, daß dieser Popanz "interpretationsfreie Werkdarstellung" (als eine Art Golem) tatsächlich zum Leben erwacht, wenn wir ihn weiterhin so beschwören - sei es mit negativen oder positiven Beschwörungsformeln.

:D

volle Zustimmung!

...ich hatte ja leise gehofft, den Popanz (oder die unmusikantische Vogelscheuche - so würde ich das lieber nennen) mittels freundlicher Pizza-Analogien in Schranken zu halten... hat nicht geklappt.

aber der Popanz ist ja schon sprachlich indiskutabel: gemeint ist wohl eher eine neutrale, sachliche, gleichsam deutungslose Spielweise - und dergleichen kommt sogar vor: wenn man anfängt, ein Stück zu erarbeiten...

belustige Grüße, Rolf
 
Zu fragen wäre erst einmal: Was heißt überhaupt Interpretation? Bach, Mozart oder Beethoven kannten diesen Begriff noch gar nicht. Er taucht erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf mit der Trennung von komponierendem und wiedergebendem Künstler.

Wolfgang, du weißt es besser - warum schreibst du sowas?

Oder hast du die ganzen Texte über den richtigen musikalischen Vortrag, die auf deiner Website dankenswerterweise jedermann und -frau zugänglich sind, selber garnicht gelesen?
Daß es den Begriff "Interpretation" erst in der zweiten Hälfte des 19.Jahrh. gibt, kann durchaus sein. Die Sache, von der hier die Rede ist: "wie gestalte ich ein Musikstück so, daß es verstanden wird und die Empfindungen der Zuhörer angesprochen werden?", diese Sache gibt es, seit es Komposition überhaupt gibt.


Die Vorstellung, daß die Notation das Maß aller Dinge sei, stammt aus dem späten 19. Jahrhundert (man schaue sich mal die Reger'schen Spielanweisungen an) und wurde dann von dem Kreis um Schönberg auf die Spitze getrieben. (Ich hege übrigens die Vermutung, daß die damaligen "fundamentalistischen" Vertreter einer vermeintlich objektiven historischen Aufführungspraxis von den Neutönern "infiziert" worden sind.)

Also von einer "objektiven historischen Aufführungspraxis" hab ich bisher noch nie etwas gehört oder gelesen. Was die Leute machen, die sich um historisch "richtige" Aufführung bemühen, ist: sie lesen die Bücher und andere Schriften der Musiker aus jener Zeit und nehmen die Anregungen daraus auf.

Das war tatsächlich auch noch Mitte des 20.Jahrhunderts ziemlich ungewöhnlich.

Es ist schon hübsch (mein Kompliment an Haydnspaß): Man baut einen Popanz auf, den es gar nicht gibt, diskutiert fleißig darauf los und verliert sich darüber in Spiegelfechtereien, als ob es nicht wichtigeres auf der Welt gebe.

Wenn ich dich so reden höre - bzw. schreiben lese - dann kann ich kaum glauben, daß du etwas mit der Website koelnklavier.de zu tun hast.

Aber vielleicht ist ja auch alles ein kolossales Mißverständnis... :rolleyes:
 
Interpretation.....für mich ein vorbelastetes Wort. Wenn ich früher in einer Deutscharbeit etwas anders interpretiert habe als andere, bekam ich eine schlechtere Note, obwohl ich oder weil cih mehr Phantasie hatte.....oder um die Ecke denke. Musik ist für mich erst einmal Gefühl....Interpretationen sind jeden Tag etwas anders..ich kann Bach mal gefühlvoll, mit unterschiedlichen Lautstärken und Geschwindigkeiten spielen, ich kann ihn aber auch runterspielen.....je nach Laune und je nach Tagesstimmung.....natürlich bleibt das Grundgrüst......ich will sagen: ich interpretiere jeden Tag anders...je nach Gefühl, weil Musik für mich eben ganz viel Gefühl bedeutet....eine ganz individuelle Sache. :-)
 
Ich hatte ja gehofft, daß jemand mit entsprechendem theoretischen Hintergrund mal aufzeigt, was tatsächlich von der reinen Musik vorgegeben ist und deswegen auch nicht notiert wird.

Fände ich auch interessant. Es geht aber weniger um den theoretischen Hintergrund, als um den praktischen Gestaltungsspielraum - und der ist riesig.

Wenn man ein Stück spielt, muß man ständig Entscheidungen treffen. Es sind aber nur selten Entscheidungen, die mit ja oder nein beantwortet werden können. Meist geht es um "wie viel" oder "wie wenig". Und jede Entscheidung hat Konsequenzen auf alles Folgende.

Die Ausdrucksmittel betreffen:

die Lautstärke

da gehts erstmal um die absolute Lautstärke, dann aber auch um die horizontale (melodische) und vertikale (harmonische) Abstufung, bezogen auf jeden einzelnen Ton!

das Tempo

ebenso: das absolute Tempo, die Änderungen im Tempo, bezogen auf jeden einzelnen Ton.

die Tondauer

der ganze Bereich zwischen legatissimo und staccatissimo

das Pedal

als Hilfe zum Halten von Tönen und als Mittel zur Erzeugung eines volleren, weicheren Klangs (auch bei Einzeltönen)


Daß es keinen Fahrplan geben kann, nach dem man gestalten muß, ist ja nun geklärt aber wo liegen die Grenzen?

Immer die Furcht vor den Grenzen 8)

Die Grenzen liegen dort, wo man sich nicht mehr weitertraut.


Vielleicht könnte man einfach mal exemplarisch ein bekanntes Stück nehmen und überlegen, welche Gestaltungsmöglichkeiten sich aufdrängen. Ich würde ein einfacheres Stück bevorzugen, z.B. Für Elise oder Alla Turca, weil dann mehr Leser das am eigenen Klavier nachvollziehen können.

Also über alla turca existiert ja schon ein ausführlicher Thread, in dem ich sehr untergebuttert wurde, weil ich gefordert hatte, daß man die Dissonanzen als Dissonanzen hören müsse. Und ich weiß auch ganz genau, daß es mir in einem Für-Elise Thread nicht viel anders ergehen würde.

Es gibt einfach eine Mauer des "Nein, das wollen wir nicht!"
 
Außerdem Haydnspaß, ich bleibe dabei, die meisten deiner aufgelisteten Ausdrucksmöglichkeiten sind bei Beethoven festgelegt. In der Umsetzung ergeben sich natürlich von Spieler zu Spieler Unterschiede - sonst wärs ja auch langweilig.

Wie würdest du die Zeile im Anhang spielen?

Hier gibts auch noch eine Aufnahme von Annie Fischer von diesem Stück

http://www.youtube.com/watch?v=I66Oh1uhicM

Ist es okay, wie sie es spielt?
 

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Ob es ok ist, weiß ich nicht. Mir gefällt die Aufnahme aber seehr gut!
 

Immer noch besser als dem Stück eine künstliche Pseudodeutung aufzudrücken. Das ist nämlich v.a. eines, lächerlich.

ich verstehe nicht so recht den Anlaß, auf diese Weise aus dem Zusammenhang gerissen zu zitieren... welche Windmühlen willst Du damit ritterlich anrennen?

äußerst wunderlich... passt nämlich nicht zu Deinen sonstigen Überlegungen zur "interpretationslosen" (wie soll man´s nennen?) Spielweise.

Gruß, Rolf
 
Was steht in den Noten ?

Die bemerkenswerteste Aussage war die von Flip,, der doch behauptet, dass gerade in Beethoven fast alles in den Noten steht was Interpretation angeht.

Dies scheint mir eine Art Generalirrtum zu sein oder wiederum ein totales Missverständnis.

In den Noten steht tatsächlich alles Notwendige aber das gilt auch für einen Text aus Buchstaben.

Der Schriftsteller schreibt einen Roman oder Ähnliches und wir haben dann ein Buch mit vielen Buchstaben. Jeder Leser wird zum Interpreten, wobei es keine zwei Gleichen gibt. Das ist ja gerade der Vorteil des Textes, dass er so viele- nämlich unendliche viele Deutungen nicht nur zuklässt sondern veranlasst. Jeder Mensch wird aufgrund seiner persönlichen Geschichte einen Text anders deuten als ein Zweiter.

Ebenso ist es bei einem Notentext. Keine zwei Menschen hören wirklich gleich und können- selbst wenn sie es wollten- garnicht gleich spielen. Und auch hier spielen die persönlichen Erlebnisse, Erfahrungen, eben die eigene Geschichte zur Ausdeutung des Notentextes. Und wie wir bei einer Textstelle:" Da sahen sie einen Baum auf einer Wiese", sofort unsere Fantasie ankurbeln, wie der Baum wohl ausssehen mag und wie die Wiese beschaffen ist usw. so ist auch unsere Fantasie sofort zu Werke, wenn wir nur ein paar Töne hören.

Nun gibt es ja die zwei Ebenen, auf denen sich die Verwirklichung vollzieht. Den Buchstabentext können wir lesen oder vorlesen lassen. Das ist die eine Seite der Interpretation- Man höre mal Klaus Kinskis mit Schiller Balladen !
Wenn wir still uns selbst vorlesen sind wir noch freier- da kann alles vorgestellt werden und trotzdem wird der eigentliche Text immer die grundlage bleiben. Hören wir den Vorleser, also bereits einen Übersetzer werden wir schon in eine Richtung gelenkt, haben aber immer noch die Freiheit , wie wir das verstehen sollen. Voraussetzung für ein wirkliches Verständnis eines Textes ist die Beherrschung der Sprache. In einem chinesischen Text würde alles stumm bleiben und nichts funktionieren (nur nicht für die Chinesen)

Ich wage jetzt die Behauptung, dass die Beherrschung und genaue Kenntnis der Sprache der Musik noch erheblich schwieriger ist als z.b. die chinesische Sprache für uns.
Man mache doch mal eine aufzählung, was für das Verständnis und die Beherrschung einer Sprache alles gelernt werden muss und dann eine Aufzählung, was notwendig ist, die Sprache der Musik zu erlernen.

Deshalb wird ein Mensch ohne Kenntnis der Sprache der Musik einer Beethoven Sonate genauso nichts abgewinnen können wie auch wir einer chinesischen Märchenerzählerin.
Und die Vortragsbezeichnungen in den Werken sind einfach Wegweiser- wie ein Hinweis eines Schildes: Nach Tupfingen noch 5 km ! Den Weg müssen wir dann selbst gehen und staunen, was alles zu sehen ist.

Noten sind ein Gerüst, ein Stenogramm. Darin wird festgelegt, wie der Ablauf ist. Das ist dann auch alles.
 
Da Du Bezug nimmst auf meine Quellensammlung - hier nur zur Klarstellung: Es ging in den ästhetischen und aufführungspraktischen Schriften des 18. und frühen 19. Jahrhunderts nicht um individuelle Interpretation, sondern (wie Du ja auch selber schreibst) um die Frage des allgemein akzeptierten "guten Geschmacks".

Über allgemein akzeptierten Geschmack hab ich nirgends nichts geschrieben 8)

Um die Verständlichkeit geht es, und darum, die Empfindungen der Hörer zu erreichen.

Und an deiner Behauptung, es gehe nicht um individuelle Interpretation, möchte ich auch gerne etwas kratzen. Möchtest du das Barock-Püppchen-Klischee wiederaufleben lassen? Man kann Musik ernst nehmen oder nicht ernst nehmen. Je nachdem wird sie sich dann auch anhören.

Der große Unterschied bei "alter Musik" ist, daß die Komponisten ihre Stücke meist selbst gespielt oder zumindest dirigiert haben. Da gab es dann das Problem der Interpretation natürlich nicht. Der Komponist wußte ja, wie es sich anhören soll.

Und außerdem gab es die freie Improvisation. Gibt es denn etwas individuelleres als eine freie Improvisation? Wir können uns durchaus vorstellen, wie das damals geklungen hat, fast alle Komponisten haben auch solche "Stücke im Improvisationsstil" aufgeschrieben.

Solche aufgeschriebenen Improvisationen heute nachzuspielen, kann durchaus unfreiwillig komisch wirken. Dasselbe Problem gibts auch mit improvisationsartigen Stellen in Klaviersonaten. Aber wenn man diesem "Problem" aus dem Weg gehen will, dann darf man solche Stücke eben nicht spielen. Das angeblich so strenge Barock und die Klassik waren alles andere als streng - die Strenge wurde ihnen erst nachträglich im 20.Jahrhundert angedichtet. Aber es bröckelt. Ich habe Hoffnung.
 
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Über allgemein akzeptierten Geschmack hab ich nirgends nichts geschrieben 8)

kann man so nicht sagen, denn indirekt hast Du das durchaus - um die Chimäre (oder mit Wolfgangs Worten: den Popanz) einer "interpretationslosen Darstellung" zu bewerkstelligen, muss man zuvorderst alles an angesammeltem musikalischen Geschmack über Bord werfen... ;)

abgesehen davon frage ich mich nachtragälich auch, was die Darstellung eines Musikstücks sein mag - abmalen? fotografieren?

Gruß, Rolf
 
Fände ich auch interessant. Es geht aber weniger um den theoretischen Hintergrund, als um den praktischen Gestaltungsspielraum - und der ist riesig.
Deswegen ja der Vorschlag, die Grenzen zu finden, was vielleicht etwas unglücklich ausgedrückt war. Klavigen hat Vortragsanweisungen mit Hinweisschildern verglichen, was schon nicht schlecht ist. Aber solche Hinweise stehen auch direkt im Ablauf der Noten, eine Melodie, ein Thema, sogar ein Motiv streben auf etwas hin und das erfordert die Gestaltung durch den Interpreten. Es gibt ja simple Regeln, die nicht gerade allgemeingültig sind aber immerhin deutlich machen, daß ein Musikvortrag keine reine Angelegenheit der Intuition ist. Zum Beispiel die Vorstellung, daß man auf einen Ton hinspielt, daß eine Dissonanz mehr Gewicht hat als ihre Auflösung, daß man bei Mehrstimmigkeit die Führungsstimme erkennen und nicht vertikal spielen soll, die Grundbetonungen im Taktschema, die Tatsache, daß eine Melodie nicht umbedingt nach dem Taktschema betont werden muß... und so weiter und so fort. Das sind natürlich keine Grundregeln auf deren Ausführung man bestehen kann sondern Stilmittel, um zu verdeutlichen, was in der Musik passiert - wenn es paßt. Allen gemeinsam ist aber die Idee, daß in der gesamten abendländischen Musik ein gemeinsamer Nenner in Form einer eindeutigen Sprache besteht, die im Prinzip jeder verstehen kann, wenn er sich genug Mühe gibt. Und so, wie drei durchaus sorgfältige wahrheitsliebende Journalisten selbst über ein banales Ereignis drei unterschiedliche Artikel verfassen, entstehen in der Musik halt unterschiedliche Interpretationen. Die "ursprüngliche" Musik entspräche einer objektive Zusammenfassung eines Ereignisses. Rein theoretisch müßte man sich auf eine solche Fassung eines Stückes einigen können, es würde aber vermutlich enorm viel Zeit brauchen und, wenn des Projekt nicht vorzeitig blutig endet, das Ergebnis vermutlich recht langweilig ausfallen. Das hatte ich eigentlich im vorigen Beitrag im Hinterkopf, als ich "Grenzen" schrieb, zugegebenermaßen sehr unglücklich formuliert.

Flip, wenn du der Meinung bist, daß in Beethovens Pathetique im ersten Satz Takt 35 bis 48 ein stetiges Crescendo zu spielen ist - die Sforzatos mal ausgenommen, begreife ich deinen Einwand, kann ihm aber dennoch nicht zustimmen.
(Namen in Flip geändert, sorry für die Verwechslung :) )
 
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