Interpretationsfreie Werkdarstellung

Klavigen hat Vortragsanweisungen mit Hinweisschildern verglichen, was schon nicht schlecht ist.

Ich fand sehr gut, was klavigen geschrieben hat, auch das über den Unterschied zwischen den Worten als solchen und dem Sinn eines Texts.

Vortragsanweisungen sind halt oft sehr pauschal und sagen nicht sehr viel darüber aus, wie man das nun im konkreten Einzelfall machen soll. Ein berühmter Mann hat einmal gesagt: "Das ganze Leben ist ein Quiz".

Aber solche Hinweise stehen auch direkt im Ablauf der Noten, eine Melodie, ein Thema, sogar ein Motiv streben auf etwas hin und das erfordert die Gestaltung durch den Interpreten. Es gibt ja simple Regeln, die nicht gerade allgemeingültig sind aber immerhin deutlich machen, daß ein Musikvortrag keine reine Angelegenheit der Intuition ist. Zum Beispiel die Vorstellung, daß man auf einen Ton hinspielt,

Ja, ganz wichtig. Aber es ist oft garnicht klar, auf welchen Ton man hinspielt, von welchem Ton aus, und ob das "Hinspielen" mit einer Änderung der Lautstärke und/oder des Tempos einhergeht.

Die schöne Regel: wenn's hoch geht, wird's lauter - wenn's runtergeht wirds leiser, stimmt ja in vielen Fällen garnicht. Und der höchste Ton ist auch selten der lauteste. Es klingt zwar so, aber meist liegt der Lautstärkehöhepunkt einige Noten vor dem "Zielton". Und es ist auch eigentlich kein Höhepunkt sondern eine ganze Gruppe von lauteren Noten.

daß eine Dissonanz mehr Gewicht hat als ihre Auflösung,

Auch richtig. Je nach den Umständen kann "mehr Gewicht" aber unterschiedliches bedeuten: lauter, langsamer, rhythmisch verzerrt.

daß man bei Mehrstimmigkeit die Führungsstimme erkennen und nicht vertikal spielen soll,

Man darf aber auch die Nebenstimmen nicht vernachlässigen. Eine Melodie, die eh schon völlig klar hervorsticht, wie z.B. bei der Träumerei, muß man nicht noch künstlich herausknallen. Da schafft man mehr Klarheit, wenn man sich um die Balance der Begleitstimmen (die nicht immer leiser sind als die Melodie!) kümmert.


Das ist die Grundlage. Interessant wirds dann, wenn dieses "Grundschema" durchbrochen wird - und das ist aus dem Notentext oft garnicht ersichtlich. Das ergibt sich oft aus melodischen oder harmonischen Gründen.

die Tatsache, daß eine Melodie nicht umbedingt nach dem Taktschema betont werden muß...

Vielleicht sollte ich deine Sätze erstmal zu Ende lesen :)

und so weiter und so fort. Das sind natürlich keine Grundregeln auf deren Ausführung man bestehen kann sondern Stilmittel, um zu verdeutlichen, was in der Musik passiert - wenn es paßt. Allen gemeinsam ist aber die Idee, daß in der gesamten abendländischen Musik ein gemeinsamer Nenner in Form einer eindeutigen Sprache besteht, die im Prinzip jeder verstehen kann, wenn er sich genug Mühe gibt.


Mit solchen Aussagen wäre ich vorsichtig. Wäre es so, dann gäbe es ja nur gute Berufsmusiker. Musik kann im Prinzip jeder hörend verstehen, wenn sie gut gespielt ist. Aber das Gut-Spielen-Können ist etwas, was über ein lernbares faktisches Wissen weit hinausgeht. Man braucht eine Seelenverwandtschaft mit dem Komponisten ^_^


Und so, wie drei durchaus sorgfältige wahrheitsliebende Journalisten selbst über ein banales Ereignis drei unterschiedliche Artikel verfassen, entstehen in der Musik halt unterschiedliche Interpretationen. Die "ursprüngliche" Musik entspräche einer objektive Zusammenfassung eines Ereignisses. Rein theoretisch müßte man sich auf eine solche Fassung eines Stückes einigen können, es würde aber vermutlich enorm viel Zeit brauchen und, wenn des Projekt nicht vorzeitig blutig endet, das Ergebnis vermutlich recht langweilig ausfallen. Das hatte ich eigentlich im vorigen Beitrag im Hinterkopf, als ich "Grenzen" schrieb, zugegebenermaßen sehr unglücklich formuliert.

Ach so, ja dann verstehe ich das. Quasi der kleinste gemeinsame Nenner. Die "ursprüngliche Musik" wäre für mich etwas anderes - nämlich das, was der Komponist im Kopf hatte, als er das Stück aufschrieb. Und das ist etwas anderes als die Notenkürzel auf dem Papier. Ganz weit weg davon.
 
Hallo,

Ich finde, der Vergleich von Klavigen, mit dem Vorlesen oder stillen Lesen eines Textes, hinkt.

Das Spielen eines Musikstückes ist immer ein lautes (gemeint ist nicht fortissimo, sondern "laut" im Gegensatz zu "lautlos") "Vorlesen" des Notentextes.

Und das Beherrschen der jeweiligen Sprache ist sicher eine notwendige, aber keineswegs eine ausreichende Bedingung dafür, dass der Text auf eine ergreifende Weise beim Zuhörer ankommt - das weiß jeder, der kleinen Kindern mal eine Geschichte vorgelesen hat oder ihnen ein Lied vorgesungen hat.

In diesem Zusammenhang finde ich auch den Ausdruck "künstliche Pseudodeutung" etwas fehl am Platz, weil er voraussetzt, in den Text sei von vornherein (die) eine "korrekte" Deutung eingebaut.

Sind etwa die Filme zum "Herr der Ringe" eine künstliche Pseudodeutung der Fantasiewelt, die Tolkien in seiner Trilogie geschaffen hat? (Zugegeben, Grundlage des Films ist ein Drehbuch, aber dieses basiert unmittelbar auf der Trilogie.)

Ob nun Chimäre oder Golem (ich Depp vom Außendienst (Achtung, Selbstironie ;) ) musste beide Begriffe erstmal nachschlagen), der Gedanke einer interpretationslosen Darstellung ist für mich ziemlich banal - genauer: realitätsfremd - denn entweder er bezieht sich, wie Guendola schon anfangs schrieb, lediglich auf den Notentext, oder auf einen mühsam zu erarbeitenden, aber letztlich langweiligen mechanistischen Durchschnitt der mehr oder weniger bekannten Stilmittel in der abendländischen Musik. Beides entspricht nicht der Realität: Musik wird von einem Individuum gemacht und von einem (ggf. anderen) Individuum gehört. Und beide Individuen haben dabei individuelle Empfindungen.

Meine bescheidene Meinung, mit Gruß aus Afrika,
Mark
 
Warum kommt man bloß auf das Offensichtliche häufig erst zuletzt? Es geht um den Vergleich von Noten mit Geschichten etc.: Beim Vorlesen schafft man mit der Stimme Spannung und Atmosphäre, also die Dramatik. Viel anders sieht es ja auch beim Musikmachen nach Noten nicht aus. Hinzufügen oder Weglassen von Text ist in beiden Fällen nicht erlaubt und man versucht, der "Geschichte" gerecht zu werden, und geht dabei davon aus, wie man sie selbst versteht. Faust II zum Beispiel ist ja sehr kompliziert und Goethe hat so ziemlich alles an Mythologie hineingelegt, was im in den Sinn kam, da muß man sich auch mal informieren um den richtigen Ton zu treffen, und sowas kann einem bei der Musik auch passieren. Und sowohl bei Literatur wie auch bei Musik steht man gelegentlich vor einem Rätsel, weil einem einfach die Erkenntnis fehlt, um Sinn in den Vortrag des Textes zu bringen. Dieses aber erfordert nicht umbedingt zusätzliches Wissen sondern kann auch durch aufmerksames Studium des Textes lösbar sein. Und damit sollte deutlich sein, daß dieser Gedanke eigentlich nur eine Ergänzung meines vorherigen Beitrags ist.
 
Haydnspaß, wie findest du denn das Spiel von Annie Fischer? Was mir z.B. auffiel, ist dass sie die ersten paar Takte sehr deutlich voneinander absetzt - nach meinem (!) Empfinden eigentlich schon zu stark. Ich vermute, sie will damit die Phrasierung hervorheben, aber ich höre dort schon fast eine Unterbrechung, einen Bruch zwischen den Takten.

Auch meine ich, das pianissimo in Takt 8 [EDIT: gerade gesehen, in Takt 5 ist ja auch eins] ist im Vergleich zum piano des Eingangs nicht wirklich leiser? (Musikalisch stören tut mich das nicht, aber es geht hier schließlich um die Umsetzung des Notentextes, und da steht nun mal pianissimo.)

Oder darf ich das alles gar nicht schreiben, weil ich nur (ein) Klimperer bin? ;)
 
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Hallo,

Ich finde, der Vergleich von Klavigen, mit dem Vorlesen oder stillen Lesen eines Textes, hinkt.

Das Spielen eines Musikstückes ist immer ein lautes (gemeint ist nicht fortissimo, sondern "laut" im Gegensatz zu "lautlos") "Vorlesen" des Notentextes.


Meine bescheidene Meinung, mit Gruß aus Afrika,
Mark

So sehr hinkt das nicht. Wenn ich ein Buch lese, erschaffe ich mir beim Lesen eine Welt.

Und wenn ich ein Musikstück lese erschaffe ich mir beim Lesen eine Klangwelt.
Beides ist absolut lautlos und von daher direkt vergleichbar.

Guendola hat in ihrem Folgeposting meine Gedanken etwas genauer ausgeführt und Haydnspaß hat etwas sehr Wichtiges gesagt, dass nämlich der Notentext zwischen Komponist und Interpret steht.

Er ist quasi ein verschlüsseltes Substrat des Komponistenwillens, welches dann wieder durch den Interpreten entschlüsselt werden muss.
 
Haydnspaß, wie findest du denn das Spiel von Annie Fischer? Was mir z.B. auffiel, ist dass sie die ersten paar Takte sehr deutlich voneinander absetzt - nach meinem (!) Empfinden eigentlich schon zu stark. Ich vermute, sie will damit die Phrasierung hervorheben, aber ich höre dort schon fast eine Unterbrechung, einen Bruch zwischen den Takten.

Wie gesagt: vieles ist Auffassungssache. AF interpretiert (sic) Beethovens Bögen als Phrasierungsbögen und macht eine agogische Zäsur zwischen den Takten. Jemand anderes könnte auch sagen, es handelt sich bei den Bögen um eine allgemeine Bezeichnung für legato und er zieht das legato über die Takte hinweg durch (die Komponisten haben sich lange gescheut, Bögen über Taktstriche hinweg zu setzen). Ich würde auch eher zur agogischen Zäsur neigen bei diesem Stück.

Auch meine ich, das pianissimo in Takt 8 [EDIT: gerade gesehen, in Takt 5 ist ja auch eins] ist im Vergleich zum piano des Eingangs nicht wirklich leiser?

Und wieder so ein Problem mit der Lautstärke:

ist ein akzentuierter Ton im pp leiser als ein unbetonter im piano...? :rolleyes:

Man darf sich Lautstärkeangaben nicht als dezibel-Angaben vorstellen.
Es gibt immer eine große Bandbreite von Lautstärkeschattierungen bei vorgegebener Dynamik. Und die Bandbreiten überlappen sich sehr stark. Es gibt ein sehr, sehr lautes piano und ein sehr, sehr weiches (also leises) forte! Deshalb gibt es ja diese Streitigkeiten alla "er spielt ja garnicht, was in den Noten steht!" Also das Problem liegt in der Sache. Und egal wie man es macht: es gibt immer jemanden, der sagt: so ist es aber nicht richtig!


Oder darf ich das alles gar nicht schreiben, weil ich nur (ein) Klimperer bin? ;)

Das sind doch gerade die interessanten Fragen. Deshalb hab ich den Thread ja angefangen! :)
 
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Ich habe den Eindruck, dass hier im Prinzip aus der einfachen Tatsache, dass man fürs Musik machen unweigerlich Gefühl braucht und dies leider (??) nicht vollständig rational erklärt werden kann, ein riesen Problem heraufbeschworen wird. So als müsste man es doch auch ohne Gefühl hinkriegen :p

lg marcus
 
Wie gesagt: vieles ist Auffassungssache. AF interpretiert (sic) Beethovens Bögen als Phrasierungsbögen und macht eine agogische Zäsur zwischen den Takten. Jemand anderes könnte auch sagen, es handelt sich bei den Bögen um eine allgemeine Bezeichnung für legato und er zieht das legato über die Takte hinweg durch (die Komponisten haben sich lange gescheut, Bögen über Taktstriche hinweg zu setzen). Ich würde auch eher zur agogischen Zäsur neigen bei diesem Stück.

Immerhin ergeben die Bögen ja eine schlüssige Phrasierung und auf die läuft es sogar dann hinaus, wenn man sie als Artikulationsbögen betrachtet.

ist ein akzentuierter Ton im pp leiser als ein unbetonter im piano...?
Darf ein Turmspringer auf dem Achtmeterbrett nur so hoch springen, daß er mit keinem Körperteil die Zehnmetermarke erreicht? Ich würde sagen, ein akzentuierter Ton im pp ist halt so laut, daß er akzentuiert wird, und das hat nicht die Qualität eines Pistolenschusses sondern eben die eines Akzentes (hmmm, nicht besonders hilfreich :confused: ). Annie Fischer spielt einige Akzente allerdings ziemlich dezent, man könnte aber auch sagen, die Dynamik ist bei ihr zu Anfang ziemlich komprimiert.

Was ich weniger klar finde ist, wie bzw. ob sie die Stakkatos überhaupt interpretiert.

50 auf punktierte Viertel wäre in der Tat ziemlich rasant :D

Flip, bleib einfach dabei und versuche mal, auf die Einwände einzugehen. Du hast sicherlich genau so gute Gründe für deine Behauptungen, wie diejenigen, die dir widersprechen. Wenn du dir die Mühe machst (und es ist Mühe!), die darzustellen, bringt das die Diskussion vielleicht weiter und du brauchst nicht mehr zu schmollen :) (wie du schon erwähntest, ist das Thema hier nicht gerade leichte Kost und ich bin sicher, auch routinierte Pianisten können nicht aus dem Stegreif sagen, wie sie zu einer Interpretation kommen).
 
Ich habe den Eindruck, dass hier im Prinzip aus der einfachen Tatsache, dass man fürs Musik machen unweigerlich Gefühl braucht und dies leider (??) nicht vollständig rational erklärt werden kann, ein riesen Problem heraufbeschworen wird. So als müsste man es doch auch ohne Gefühl hinkriegen

Ich habe eher den Eindruck, daß es jetzt darum geht, wie man den Intellekt einsetzt, bevor man dem Gefühl den Rest überläßt. Darüber, daß man in der Gestaltung große Freiräume hat und die wohl auch nach Gefühl nutzt, besteht glaube ich kein Zweifel.

Das bringt mich aber auf eine theoretische Formel für die "Interpretationsfreie Werkdarstellung" in dem Sinne, daß Freiheiten ignoriert werden und nichts hinzugedichtet werden soll:

Intellektuelle Analyse der Noten + Durchschnitt der maximalen interpretatorischen Freiheiten * musikalische Konstante

Man stellt also erstmal empirisch fest, was aus dem Notentext heraus eindeutig hervorgeht und hat dann immer noch eine große Bandbreite an Möglichkeiten. Aus dieser Bandbreite wählt man sich einen "Mittelwert" und korrigiert den so, daß noch Musik entstehen kann.

Bei der Anwendung dieser Formel steht man allerdings erstmal vor ein paar Problemen: Welche Informationen in dem Notentext sind eindeutig zu verstehen? Kann man die Bandbreiten aller gestalterischen Freiheiten überhaupt mit Sicherheit bestimmen? Und die musikalische Konstante wäre vermutlich eine mehrdimensionale Zahl, die auf jede Freiheit einen anderen Einfluß hat. In der Praxis würde es also zu lange dauern, diese Formel präzise anzuwenden und es bliebe eh nicht viel Zeit zum Musizieren, weil man erstmal die ganzen Unbekannten bestimmen muß, was vielleicht ein oder zwei Leben dauern könnte. Grundsätzlich glaube ich aber, daß jeder näherungsweise nach diese Formel arbeitet.

PS: Ich habe mir noch ein paar weitere Aufnahmen von Annie Fischer auf youtube angehört und ich frage mich, ob ein Teil der Dynamik nicht irgendwo bei der einen oder anderen technischen Umwandlung des Originals flöten gegangen ist. Beihttp://www.youtube.com/watch?v=cH1iy5Sjsqw&feature=related bin ich mir da ziemlich sicher, die ist aber auch extrem entrauscht worden, was man daran erkennt, daß im Hintergrund ein außerirdisches Orchester zu spielen scheint.
 
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Ich bin davon überzeugt, daß Verstand und Gefühl durchaus koopeieren können. Man muß also weder den Verstand ausschalten noch muß man das Gefühl unterdrücken.

Es gibt aber sowas wie eine Angst vor Kontrollverlust, die ziemlich mächtig sein kann. Ich hatte sowas früher auch beim Klavierspielen. Und wie man diese Angst reduzieren oder besser noch ganz ablegen kann... das ist das eigentliche Problem.
 
Das bringt mich aber auf eine theoretische Formel für die "Interpretationsfreie Werkdarstellung" in dem Sinne, daß Freiheiten ignoriert werden und nichts hinzugedichtet werden soll:

Intellektuelle Analyse der Noten + Durchschnitt der maximalen interpretatorischen Freiheiten * musikalische Konstante

Man stellt also erstmal empirisch fest, was aus dem Notentext heraus eindeutig hervorgeht und hat dann immer noch eine große Bandbreite an Möglichkeiten. Aus dieser Bandbreite wählt man sich einen "Mittelwert" und korrigiert den so, daß noch Musik entstehen kann.

hallo,

möglicherweise hast Du damit eine Art "Weltformel" für die "interpretationsfreie Werkdarstellung" entdeckt - was ich mich dabei frage, was mag eine "musikalische Konstante" sein?

ansonsten:

"interpretationsfrei" ist zunächst mal der Notentext selber, sofern man ihn in Ruhe lässt. am allerbesten sogar in Form des Manuskriptes.

will man diesen nun "interpretationsfrei" "darstellen", so wäre die optimale Lösung hierfür, ihn möglichst fehlerfrei abzudrucken oder zu kopieren. das kann man dann als "Darstellung" ohne jegliche störende individuell gefärbte Realisierung vorzeigen.

freilich hört man dann nichts, aber das hat ja den Vorteil, dass man von keinerlei Sorte "Interpretation" verstört oder behelligt wird.

man verzeihe mir, aber ich halte die Fragestellung bzw. die Titelgebung dieser Diskussion hier für zumindest wunderlich...

dass man sich über jeden Ton und seine Wirkung, seinen Zusammenhang usw. durchaus Gedanken macht, ist ja nichts ungewöhnliches, sondern auf hohem Niveau durchaus die gängige Praxis. Im Durchschnitt hat diese Praxis auch recht ansehnliche Ergebnisse erbracht - manche davon sind sogar recht langlebig.

Mit einer nur scheinbaren, tatsächlich lediglich sophistischen Pose - nämlich pseudonaturwissenschaftlich Musik zu skellettieren und jeglicher Individualität zu entkleiden - wird man weder die vorhandene Musik neu erfinden, noch sie besser erklären oder aufführen, als es bisher ohne solche abstruse Bemühungen der Fall war.

für den Fall, dass diese Überlegungen noch nicht überzeugen, denke man an eine Partitur für Gesang: hier wird allein schon die individuelle unverwechselbare Stimme des/der Sängers/Sängerin verdeutlichen, dass hier von einer Chimäre (oder einem Popanz, wie kölnklavier es formuliert hat) gehandelt wird... Stimmen sind nun mal nicht "objektiv", was auch immer man sich unter "objektiv" oder "interpretationsfrei" - mit anderen Worten ohne subjektive Zutat - vorstellen mag. Aber nicht eben wenig Musik ist für Stimmen geschrieben worden!

selbstredend hat es eine Richtung gegeben, welche versucht hat, sämtliche Parameter vorab festzulegen: Tonhöhe, Tondauer usw. (u.a. Boulez hat in diese Richtung experimentiert) - was auch immer man davon halten mag: diese Experimente haben die Komponisten an ihren eigenen eigens dafür geschaffenen Werken ausprobiert - auf Mozart oder Bach haben die sich nicht damit gestürzt. Und gerade Boulez ist - als Dirigent - ein bestens geeignetes Beispiel gegen die abstrusen Überlegungen: seine berühmte Analyse der Partitur von le Sacre du Printemps (Strawinski) ist exakt und objektiv in höchstmöglichem Maß, sein nicht minder berühmtes Dirigat des Sacre ist eine brillante Interpretation (und ganz und gar nicht "interpretationsfrei"!)

Gruß, Rolf

@ Guendola:
mit Sicherheit will ich Dir mit diesen Überlegungen nicht auf die Füße treten - mich hat lediglich die "Formel" sozusagen inspiriert. ich glaube, Du bist da ein wenig auf den Titel dieser wunderlichen Diskussion gutgläubig hereingefallen. Meine Ablehnung dieser Fragestellung betrifft in disem Sinn nicht Deinen Beitrag, sondern die abstruse Fragestellung selber.
 
"interpretationsfrei" ist zunächst mal der Notentext selber,

interpretationsfrei würde ich das nicht nennen, eher interpretationsbedürftig - er schreit geradezu nach einer Interpretation ;)

insofern man ihn in Ruhe lässt. am allerbesten sogar in Form des Manuskriptes.

Das stimmt: die Manuskripte sollten eigentlich für eine Interpretation als erstes herangezogen werden, mit allen Schnörkeln, Klecksen, Korrekturen...

Dann wäre einem nämlich sofort bewußt, daß es nicht um etwas in Stein (oder von mir aus auch Kupfer oder Zinn) gemeißeltes geht, sondern um ein Werk, das aus dem Moment heraus entstanden ist und in dem Herzblut steckt.

will man diesen nun "interpretationsfrei" "darstellen", so wäre die optimale Lösung hierfür, ihn möglichst fehlerfrei abzudrucken oder zu kopieren. das kann man dann als "Darstellung" ohne jegliche störende individuell gefärbte Realisierung vorzeigen.

Vorzeigen :D Sehr schön :)



man verzeihe mir, aber ich halte die Fragestellung bzw. die Titelgebung dieser Diskussion hier für zumindest wunderlich...

Das halte ich jetzt wiederum für garnicht verwunderlich - das war ja bei allen Threads so, die ich erstellt habe 8)


Mit einer nur scheinbaren, tatsächlich lediglich sophistischen Pose - nämlich pseudonaturwissenschaftlich Musik zu skellettieren und jeglicher Individualität zu entkleiden - wird man weder die vorhandene Musik neu erfinden, noch sie besser erklären oder aufführen, als es bisher ohne solche abstruse Bemühungen der Fall war.

Das geht jetzt aber weit über das hinaus hinaus, was ich jemals unter "interpretationsfrei" verstanden hätte. Ich überlegte mir nur, ob es möglich wäre, Musik so zu spielen wie sie aufgeschrieben ist - also einfach 1 zu 1 die Notenwerte und Vortragszeichen aufs Klavier zu übertragen. Und das geht meiner Meinung nach nicht. Zumindest mit einem Ergebnis, das man dann irgendwie mit dem Begriff "Musik" in Verbindung bringen könnte.
 
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Ich finde diesen thread lustig, aber auch irgendwie interessant :D

Interpretationsfreie Werkdarstellungen sind für mich
a) nur Kompositionen, die der Komponist selbst erstmalig spielt und
b) Improvisationen jeglicher Art.

Alles andere ist Interpretation, mal mehr und mal weniger dem ursprünglichen Stück/Vortrag nahe.

Eine völlig originalgetreue Wiedergabe eines Stückes wird es wohl kaum geben, außer a) und b) wurden aufgenommen und nicht einmal da wird uU beim Abspielen der Klang gleich sein.
 
möglicherweise hast Du damit eine Art "Weltformel" für die "interpretationsfreie Werkdarstellung" entdeckt - was ich mich dabei frage, was mag eine "musikalische Konstante" sein?

Ich habe lediglich die Angelegenheit auf den Punkt gebracht, mit einer Formel, die zu nichts anderem taugt, als sich vor Augen zu führen, was man weglassen muß, um zu einer interpretationsfreien Interpretation (man sollte unterschiedlichen Bedeutungen wirklich mal konsequent unterschiedliche Begriffe gönnen) zu kommen. Die "musikalische Konstante" verdeutlicht, daß das ziemlich unmöglich ist, denn es kann nichts werkstreu sein (was immer man darunter nun verstehen will), was nicht nach Musik klingt und der Mittelwert aller musikalischen Gestaltungsmittel garantiert keine Musik, muß also korrigiert werden. Das ist natürlich sehr abstrakt, wenn man aber die Konsequenzen betrachtet, kommt man zu interessanten Schlüssen. Davon abgesehen erklärt eine interpretationsfreie Werkdarstellung mit Sicherheit nicht die Welt, was nicht nur daran liegt, daß eine solche Darstellung nicht möglich ist.

Das Thema dieser Diskussion ist übrigens nur ein Ansatzpunkt, sich über Interpretation auseinanderzusetzen, und zwar unter dem Blickwinkel der Möglichkeit, sie weglassen zu müssen.
 
(1)
interpretationsfrei würde ich das nicht nennen, eher interpretationsbedürftig - er schreit geradezu nach einer Interpretation ;)
(...)
(2)
Das halte ich jetzt wiederum für garnicht verwunderlich - das war ja bei allen Threads so, die ich erstellt habe 8)
(...)
(3)
Das geht jetzt aber weit über das hinaus hinaus, was ich jemals unter "interpretationsfrei" verstanden hätte. Ich überlegte mir nur, ob es möglich wäre, Musik so zu spielen wie sie aufgeschrieben ist - also einfach 1 zu 1 die Notenwerte und Vortragszeichen aufs Klavier zu übertragen. Und das geht meiner Meinung nach nicht. Zumindest mit einem Ergebnis, das man dann irgendwie mit dem Begriff "Musik" in Verbindung bringen könnte.

hallo,

der Reihe nach:
(1)
geschickter wäre gewesen, gleich davon zu handeln, dass Noten interpretationsbedürftig sind, statt wunderlich zu fragen, ob man sie "interpretationsfrei" "darstellen" könne... ;)
(2)
aber mit einem Schuß Selbstironie wird das alles sogleich bekömmlicher :)
(3)
genau das zu tun, nehmen die meisten für sich in Anspruch - und haben dabei auch noch gar nicht mal unrecht; das schöne daran ist, dass diese Ergebnisse allesamt ein wenig differeieren - das zeigt den Reichtum der Musik.
da zudem jede Notation von Bach bis Schoenberg eine Art Stenografie ist, versteht sich von selbst, dass die Kürzel gleichsam ausgefüllt werden wollen (man liest ja durchaus "Doktor Müller, Halsnasenohrenarzt", auch wenn am Türschild "Dr. Müller HNO" steht)

Gruß, Rolf

erleichtert, dass sich die Chimäre (die ihren Ursprung mißverständlichem Sprachgebrauch verdankt) in Luft aufgelöst hat
 
Nachdem das geklärt wäre, sollten wir wieder zum eigentlichen Thema zurückkehren ;)
 
Nachdem das geklärt wäre, sollten wir wieder zum eigentlichen Thema zurückkehren ;)

Ähm, das Thema hat sich im Verlauf der Diskussion etwas pulverisiert.
Wenn man es ein kleines bißchen modifiziert, ist es aber vielleicht noch nicht ganz tot:

soll man beim Interpretieren des Notentexts die Abweichung zu ihm so klein wie möglich halten - oder soll man die Möglichkeiten so weit wie möglich auskosten? Oder den "goldenen Mittelweg" suchen?
 

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