Interpretation

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Jonathan89

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29. Okt. 2013
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Die Geigerin Julia Fischer sagte in einem Interview, dass eine Interpretation immer auch eigene Akzente setzt und man nicht nur die Noten streng wiedergibt. Machen das Pianisten auch, wenn sie z.B. eine Sonate spielen? Ich befinde mich gerade Sonatinen Niveau. Sollte ich beim Spielen einer Sonatine eigene Noten einbauen und vom Notentext leicht abweichen?
 
Was konkret meinst du mit der Formulierung „vom Notentext leicht abweichen“? Noten verändern? Musizieranweisungen ignorieren? Das wäre nicht als Interpretation zu verstehen. Interpretation bedeutet, den gegebenen Notentext als gegeben zu respektieren und gleichzeitig im Rahmen der Möglichkeiten etwas Eigenes hineinzubringen - genau das meinte Julia Fischer vermutlich.

Das Eigene hineinzubringen ist das Schwierigste beim klassischen Instrumentalspiel:
Man muss den Notentext ernst nehmen (Alfred Brendel z.B. betrachtete sich als Testamentsvollstrecker), fakultativ auch die bereits bestehenden Interpretationen kennen, man muss sich im Klaren darüber sein, was man selbst in Kooperation mit dem Komponisten ausdrücken möchte, und man muss wissen, wie sich genau dies technisch und musikalisch umsetzen lässt.

Die gute Nachricht: Für jeden interessierten, begeisterten und ambitionierten Musiker ist das erlernbar!
 
Die Freiheit der Interpretation schließt im allgemeinen die Freiheit der Tonwahl nicht mit ein. Eigene Noten in einer Sonatine will keiner hören. Die üblichen Verspieler reichen da schon voll aus.

Was heißt denn "leicht" abweichen? Ein halber Ton daneben ist eine leichte Abweichung, fünf Töne daneben ist dann eine gravierende Abweichung? Und eine komplette Oktave daneben ist dann aber schon eine schwere Sünde?

Am besten spielt man die Töne, die da stehen. Diese Methode hat sich bewährt.

CW
 
Die Geigerin Julia Fischer sagte in einem Interview, dass eine Interpretation immer auch eigene Akzente setzt und man nicht nur die Noten streng wiedergibt. Machen das Pianisten auch, wenn sie z.B. eine Sonate spielen? Ich befinde mich gerade Sonatinen Niveau. Sollte ich beim Spielen einer Sonatine eigene Noten einbauen und vom Notentext leicht abweichen?
Man kann lediglich die Tonhöhen und den groben (!) Rhythmus genau wie in den Noten wiedergeben. Und das sollte man auch unbedingt tun. Nix also mit eigenen Tönen.

Schon jedoch beim Rhythmus bzw. "Timing" der Noten bzw. dabei, wie lange man jede Note aushält, treten gewollt oder auch ungewollt unweigerlich Abweichungen auf. Noch mehr bei Tempo, Phrasierung, Artikulation und Dynamik, die ja meist auch überhaupt nicht genau notiert sind, manchmal gar nicht. Hier, und das meint Fischer mit ihren Aussagen, kommt der Spieler ins Spiel, der auf der Grundlage von Wissen und Können (also welche Gestaltungsansätze in bezug auf diese Parameter stilistisch und geschmacklich angemessen sind) sowie seiner emotional-körperlichen Disposition im Moment des Spiels und akustischen Erwägungen (auf was für einem Instrument in was für einem Raum spiele ich für wen?) diese Parameter gestaltet. Und zwar stets spontan und (unweigerlich) in jeder Performance des Stückes ein bisschen anders, jedoch in einem durch langjährige Übung stark eingegrenzten (auf die wie gesagt stilistisch-geschmacklich akzeptablen Bereiche) Bereich - die Abweichungen sind also keineswegs beliebig.
 
Finde ich nicht. Im Gegenteil: Es ist das einzig Intuitive an einer Interpretation.
Den eigenen Ausdruck gekonnt und überzeugend in eine Interpretation hineinzubringen ist leicht? Glücklich, wer das vom eigenen Klavierspiel sagen kann. Tatsächlich ist es das Schwierigste, wenn es nicht willkürlich sein und dem Zufall überlassen bleiben soll.

Intuition ist gut. Allerdings sollte das Ziel sein, es nicht beim rein Intuitiven zu belassen, sondern sich das Was, Warum und Wie einer Interpretation auch bewusst zu machen.
Wie sollen die bei einer eigenen Interpretation helfen?
Das Hören anderer Interpretationen erweitert den Horizont der Möglichkeiten und kann in einem fortgeschrittenen Stadium des Übens dabei helfen, Klarheit über den eigenen Gestaltungswillen zu erlangen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich hatte vermutet, ein Musiker spielt bei seinen Interpretationen auch Noten, die nicht im Notentext stehen. Danke für eure Antworten. Vielmehr spielt er also z.B. mit der Phrasierung.
 
Den eigenen Ausdruck gekonnt und überzeugend in eine Interpretation hineinzubringen ist leicht?
Nö, davon habe ich auch nix geschrieben. Siehe @hasenbein s Beitrag. Es ging darum, wie die Aussage von Julia Fischer zu verstehen ist und nicht um Amateurgeklimper, das, wie Du richtig bemerkst, noch gar keinen ausgebildeten Klangwillen besitzt geschweige denn die Fähigkeit, den umzusetzen.
sowie seiner emotional-körperlichen Disposition im Moment des Spiels und akustischen Erwägungen (auf was für einem Instrument in was für einem Raum spiele ich für wen?) diese Parameter gestaltet. Und zwar stets spontan und (unweigerlich) in jeder Performance des Stückes ein bisschen anders
 

Übrigens hat sich Beethoven über dieses ganze Abwandeln von Werken geärgert - er fand, dass es viele Musiker einfach nicht gut bzw. nicht in seinem Sinne machten.

Daher fing er an, seine Werke mit für damalige Verhältnisse sehr ausführlichen Spielanweisungen zu versehen, und verlangte, dass sie unverändert gespielt werden.

Dies war tatsächlich die Initialzündung zu dem, was man heute für "normal in der Klassik" hält: Notengetreues Spiel, "Werktreue", Abkehr von Improvisation oder spontaner Verzierung. Dabei kam das erst im Laufe des 19. Jahrhunderts auf (genauso wie übrigens dieses Total-Ruhig-Sitzen des Publikums im Konzert).

So verständlich Beethovens Schritt war, so bedauerlich ist die Entwicklung, die dann folgte. Erst heute, unter dem Einfluss u.a. des Jazz, "wagen" wieder immer mehr Leute, im Klassikbereich auch zu improvisieren und frei abzuwandeln.
 
Interessant ist das Phänomen, dass Werktreue in der Musikinterpretation sehr eng gesehen wird, aber die Regieanweisungen der Komponisten im Bereich Musiktheater häufig ignoriert werden, ohne dass man das ankreidet.

Es gibt auch Ausnahmen, wo die Herausgeber Alternativen vorschlagen, die definitiv nicht vom Komponisten sind oder sein können. Z. B. die Ausdehnung einer Figur einer Chopinetude im Diskant mit dem Hinweis, ''hätte Chopin den Tonumfang eines modernen Klaviers zur Verfügung gehabt''... oder bei meiner Ravel ''Jeux d'eaux'' -Ausgabe betreffend die letzte Note im Bass, die sehr lange gehalten wird, mit dem Hinweis ''der Herausgeber empfiehlt, diese Note noch einmal anzuschlagen.''
Auch soll - wie man liest (habe ich nicht überprüft) - Saint-Saens bei seiner Rameau-Herausgabe originale Verzierungen gestrichen haben. Fairerweise sollte dann im Booklet einer Produktion auf den Herausgeber hingewiesen werden. Letztlich ist der Interpret frei (Noten sind keine militärischen Befehle), er muss sich aber, je nach Sachlage, dann Kritik gefallen lassen, wenn er erwischt wird.
 
Wie sieht es eigentlich mit den veränderten Reprisen aus? Ich war der Meinung, dass ich bei Wiederholungen auch Noten hinzufügen/ Entfernen darf, so lange der Charakter erhalten bleibt und es eindeutig als Wiederholung und nicht als etwas neues wahrgenommen wird?
 
Wie sieht es eigentlich mit den veränderten Reprisen aus? Ich war der Meinung, dass ich bei Wiederholungen auch Noten hinzufügen/ Entfernen darf, so lange der Charakter erhalten bleibt und es eindeutig als Wiederholung und nicht als etwas neues wahrgenommen wird?

Die Reprise als Teil der Sonatenhauptsatzform ist streng genommen keine Wiederholung, auch wenn die Themen der Exposition erneut auftauchen. Der Komponist hat sich ja auch etwas bei der Ausgestaltung gedacht (wie gesagt, keine Wiederholung). Meiner Meinung nach gilt also für die Reprise nichts anderes als für Exposition und Durchführung.

Sofern du eine tatsächliche Wiederholung (zB bei einem Teil eines Menuetts) meinst: da kann schon ein wenig variiert werden, wobei "Noten hinzufügen" in Form von Verzierungen ist gut und unproblematisch sind. Noten wegzulassen verstehe ich jetzt nicht.
 
sieht es eigentlich mit den veränderten Reprisen aus? Ich war der Meinung, dass ich bei Wiederholungen auch Noten hinzufügen/ Entfernen darf, so lange der Charakter erhalten bleibt und es eindeutig als Wiederholung und nicht als etwas neues wahrgenommen wird?
Musik bis in die Frühklassik kann oft - stilgerecht! - bei Wiederholungen variiert und reichhaltig (?) verziert werden. Das gilt aber vor allem bei den Liedformen der Tänze der Suite. Aber selbst in Fugen können bestimmte Verzierungen weggelassen oder ergänzt werden, wie die verschiedenen Abschriften Bachscher Fugen zeigen. Die Sonatinrn der (Früh-)Klassik sind aber eher nicht für diese Art von Veränderungen komponiert, die einiges an Erfahrung und Vertrautheit mit dem Stil der Musik voraussetzen.
Interessant in diesem Zusammenhang von CPE Bach die Sonaten mit veränderten Reprisen und die Klavierschule von Türck, in der einige Beispiele SEHR großzügig verziert sind.
Die Reprise als Teil der Sonatenhauptsatzform ist streng genommen keine Wiederholung, auch wenn die Themen der Exposition erneut auftauchen. Der Komponist hat sich ja auch etwas bei der Ausgestaltung gedacht (wie gesagt, keine Wiederholung). Meiner Meinung nach gilt also für die Reprise nichts anderes als für Exposition und Durchführung.
CPE Bach meint mit Reprisen Wiederholungen, nicht den Formteil in der Sonatenhauptsatzform.
 
@Muck @Alter Tastendrücker

Danke euch beiden! Mir war nicht bewusst, dass die Reprise auch Teil der Sonatenhauptsatzform ist. (Bei Sonaten bin ich noch lange nicht und meine musikalische Bildung ist ...ausbaufähig..)
Mein KL lässt mich gerne Veränderungen von einigen Stücken aus der RKS spielen, die ich mir selber ausdenken soll. Noten weglassen darf ich theoretisch auch, so lange Stil und Thema erkennbar das gleiche sind. (Z.B. mit Air von Telemann oder den Etüden von Schytte aus dem ersten Band der RKS machen wir das öfter)
Er hat mir das als veränderte Reprisen verkauft, kann aber auch einfach nur eine Schülerübung für was auch immer sein.
 
Die Reprise als Teil der Sonatenhauptsatzform ist streng genommen keine Wiederholung, auch wenn die Themen der Exposition erneut auftauchen.
...Ich möchte soweit gehen, zu sagen, dass eine Reprise überhaupt keine Wiederholung ist.
Wir stellen uns zwei Themen - also Charaktere - in einem Drama vor. Die erleben in der Durchführung etwas. In der Reprise tauchen sie zwar auf, aber mit dem Erlebten im Herzen. Das ist ein Unterschied.
Die Themen werden nicht wiederholt. Sie finden sich neu.
Das soll keine Spitzfindigkeit sein, aber ich erlebe es oft, dass die Sonatensatzform von vielen Spielern als etwas Theoretisches, Strukturelles angesehen wird. Sie ist viel mehr als das.
Aber das gehört in einen anderen Faden.

@Jonathan89 : Wenn Du in Deiner Sonatine am Anfang ein piano notiert siehst und acht Takte später ein forte. Was passiert dazwischen? Spielst Du einfach nur leise, leise, leise? Oder überlegst Du Dir ein crescendo zu dem forte, das vielleicht nicht zwischen den Zeilen steht, aber aufgrund einer aufsteigenden Linie Dir vielleicht in den Sinn käme?
Das ist Interpretation.
Wie ein Schauspieler, der einen Satz hat, wie z.B.:
"Wo hattest Du eigentlich mein Lieblingsbuch hingelegt? Wie, Du hast es weggeworfen?! Ich hasse Dich!!"
Wie würdest Du das sprechen?
Auch das ist Interpretation. Kann man es eins zu eins auf die Musik übertragen.
So einfach ist das. ;-)
 

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