Interpretation

Das Werk kann schlauer sein, als sein Schöpfer!
Auch möglich: der Schöpfer kann sein eigenes Werk oder dessen Potenzial nicht vollständig verstanden haben... oder nicht perfekt ausgestaltet haben (Verbesserungs- oder zumindest Variationspotenzial kann vorhanden sein).

Künstler sind doch keine unfehlbaren Götter, nicht wahr? Auch, wenn sie (richtig) gut sind...
 
(aber im Grunde sehe ich die nun möglichen folgenden Argumente auch schon wieder voraus)
 
Dem muss ich aber wirklich widersprechen! Das Werk steht für sich und was das Werk aussagt, kann etwas ganz anderes sein, als der Autor aussagen wollte. Das Werk kann schlauer sein, als sein Schöpfer!
Es ist zwar richtig, dass sich ein Werk im Laufe seiner Rezeptionsgeschichte bis zu einem gewissen Grad von seinem Schöpfer emanzipiert. Auch eine Umdeutung seitens des Interpreten will ich nicht komplett ausschließen - im Musiktheater ist das inzwischen eher die Regel als die Ausnahme. (Was allerdings auch an einer gewissen Zeitgebundenheit der Stoffe liegt.)

Dennoch ist es erforderlich, die ursprüngliche Idee des Autors bzw. Komponisten gründlich zu hinterfragen und zu versuchen, sie bestmöglich zu verstehen. Tut man das nicht, kommt keine nachschöpfende Interpretation dabei heraus, sondern ein Akt der Willkür. Jedenfalls nichts, dem ich meine Aufmerksamkeit freiwillig schenken würde.
 
Dennoch ist es erforderlich, die ursprüngliche Idee des Autors bzw. Komponisten gründlich zu hinterfragen und zu versuchen, sie bestmöglich zu verstehen. Tut man das nicht, kommt keine nachschöpfende Interpretation dabei heraus, sondern ein Akt der Willkür. Jedenfalls nichts, dem ich meine Aufmerksamkeit freiwillig schenken würde.
Es kann! natürlich sehr gewinnbringend sein, die Idee des Autors zu kennen und das vielleicht auch bei der Interpretation zu berücksichtigen. Aber was ist denn mit Werken von Autoren, die lange tot sind und bei denen man keine Anhaltspunkte (außer das Werk selbst) über die Intention hat?
 
Du kannst kein Gedicht interpretieren, wenn Du die Absicht des Dichters ignorierst, Du kannst keinen Text übersetzen, wenn Du nicht verstehst, was der Autor damit sagen wollte...

Dem muss ich aber wirklich widersprechen! Das Werk steht für sich und was das Werk aussagt, kann etwas ganz anderes sein, als der Autor aussagen wollte.

Da fällt mir eine wirklich herrliche "Übersetzung" ein (ich bin allerdings überzeugt, daß Ernst Jandl trotzdem genau gewußt hat, was der Dichter eigentlich sagen wollte...)

oberflächenübersetzung

mai hart lieb zapfen eibe hold
er renn bohr in sees kai
so was sieht wenn mai läuft begehen
so es sieht nahe emma mähen
so biet wenn ärschel grollt
ohr leck mit ei!
seht steil dies fader rosse mähen
in teig kurt wisch mai desto bier
baum deutsche deutsch bajonett schur alp eiertier


(surface translation – after william wordsworth)


my heart leaps up when i behold
a rainbow in the sky
so was it when my life began
so is it now i am a man
so be it when i shall grow old
or let me die!
the child is father of the man
and i could wish my days to be
bound each to each by natural piety
 
Dennoch ist es erforderlich, die ursprüngliche Idee des Autors bzw. Komponisten gründlich zu hinterfragen und zu versuchen, sie bestmöglich zu verstehen. Tut man das nicht, kommt keine nachschöpfende Interpretation dabei heraus, sondern ein Akt der Willkür. Jedenfalls nichts, dem ich meine Aufmerksamkeit freiwillig schenken würde.
Frage: woher weisst Du, dass das wirklich geschah (oder eben auch nicht?). Dem endgültigen Werk kannst Du es ja nicht ansehen, ob "die ursprüngliche Idee des Autors gründlich hinterfragt wurde und versucht wurde, sie bestmöglich zu verstehen", und noch dazu müßte man die Gedanken desjenigen kennen, der das Werk interpretiert hat, und das wird dann alles schwierig bis unmöglich...

Darüberhinaus: Du widmest einem Werk erst dann (wenn das geschah) Deine Aufmerksamkeit...?

Ich bin da um einiges offener. Jeder hat prinzipiell die Chance, an mich "heranzutreten" sei es über Youtube, eine Foreneinspielung oder sonstwie. Wielange ich mich nach einigen Minuten (oder Sekunden) der Beschäftigung danach allerdings dem Werk noch widme, das ist dann noch eine andere Frage.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dennoch ist es erforderlich, die ursprüngliche Idee des Autors bzw. Komponisten gründlich zu hinterfragen und zu versuchen, sie bestmöglich zu verstehen. Tut man das nicht, kommt keine nachschöpfende Interpretation dabei heraus, sondern ein Akt der Willkür.
Wir gehen jetzt stillschweigend davon aus, dass mehr als die Autorintention notwendig ist, z.B. Zeit- und Genrefragen, Aufführungspraxis, sozialer Kontext etc.

Meine Frage ist aber diese: als Literaturwissenschaftsstudent bin ich mit dem "Tod des Autors" (vgl. ganz gut Wikipedia) aufgewachsen. Da haben wir relativ radikal die ästhetische Autonomie des Textes gesetzt und alle hermeneutischen Versuche, den "Autor" zu finden, als eine der Funktionen separater Paratexte "dekonstruiert".

Musik rezipiere und mache ich als Amateur. Die Tendenzen, historische Aufführungspraxis zu rekonstruieren, lese ich als Versuche, die Geschichtlichkeit der Musik zu rekonstruieren. Das Verhältnis Komponist:in <=> Werk bleibt für mich ein spannendes Rätsel. Scheint jedenfalls anders zu liegen wie bei Text und Schrift. Hat wahrscheinlich sowohl mit der "nichtsprachlichen und nichtverbalen Semantik"(?) der Musik, als auch mit den "Aufschreibesystemen" (= Notation) zu tun.
 
Meine Frage ist aber diese: als Literaturwissenschaftsstudent bin ich mit dem "Tod des Autors" (vgl. ganz gut Wikipedia) aufgewachsen. Da haben wir relativ radikal die ästhetische Autonomie des Textes gesetzt und alle hermeneutischen Versuche, den "Autor" zu finden, als eine der Funktionen separater Paratexte "dekonstruiert".
Es geht ja nicht darum, in der Musik irgendwelche biografischen Ereignisse des Komponisten wiederzufinden - mit diesem Ansatz, den Musikwissenschaftler wie Constantin Floros verfolgen, kann ich auch nicht viel anfangen.

Ein literarischer Text erklärt sich viel weitgehender aus sich selbst als ein Werk der (absoluten) Musik. Natürlich muss man auch in der Literatur die äußeren Umstände der Entstehung berücksichtigen – eine barocke Todessehnsucht von Picander ist nunmal gänzlich anders zu verstehen als die Suizidgedanken eines Werther oder die schwärmerischen Nachtgedanken eines Novalis. Aber in der Exegese eines literarischen Werkes wird man vielleicht (?) von alleine darauf kommen.

Vieles in der Musik ist allerdings ohne Kenntnis der zugrundeliegenden Symbolik - sei es die barocke Figurenlehre, die Tonartensymbolik, Rückbezüge auf fremde Werke, formale oder harmonische Zitate, standardisierte Kadenzen und Progressionen nicht zu verstehen. Man muss nicht zwingend jede biografische Einzelheit des Komponisten kennen, aber die Kenntnis des Umfeldes, in dem er seine Werke erschaffen hat, ist zum Verständnis unabdingbar notwendig. Es fängt schon im ganz Kleinen an. Was bedeutet ein 2/2 im französischen Spätbarock, wie wird dort artikuliert, welches Tempo ist zu wählen, wie sind Verzierungen anzubringen etc.pp.?

In vielen Fällen geben die Komponisten darüber selbst Auskunft, manchmal ihre Schüler oder auch Kollegen, die in ähnlichem Stil komponierten. Diese Informationen lassen sich aber aus dem reinen Notentext in aller Regel nicht extrahieren. Das erfordert viel Wissen, das man mehr oder weniger mühsam erwerben muss.
 

So verständlich Beethovens Schritt war, so bedauerlich ist die Entwicklung, die dann folgte.
Wie wahr.

Google-Übersetzung aus -->


Übersetzungsergebnisse

J. S. Bach war zu seinen Lebzeiten als Komponist wenig bekannt, und seine Werke wurden als dicht und altmodisch kritisiert – aber er galt als der größte Improvisator auf der Orgel in Europa. Ein berühmter französischer Organist kam einmal in die Stadt, um gegen ihn anzutreten, und verließ die Stadt, als er ihn beim Aufwärmen improvisieren hörte. Bach stellte die Improvisationsfähigkeiten in den Mittelpunkt seines Unterrichts. Die meisten seiner Anleitungen sind Anleitungsbücher für Improvisation. Er schrieb oft mehrere verschiedene Versionen seiner beliebtesten Stücke, wie zum Beispiel die Erfindungen, um zu zeigen, wie ein Schüler an der Struktur improvisieren könnte. Händel schrieb eine Abhandlung über Performance – und die Hälfte davon widmete sich der Improvisation von Tänzen und Fugen. Mozart war laut Gelehrten zu seiner Zeit am berühmtesten, „zuerst als Improvisator, dann als Komponist, dann als Pianist“. Bei einem berühmten Klavierwettbewerb vor dem Papst mussten Mozart und Clementi in der Endrunde nicht nur improvisieren, sondern gemeinsam Stücke improvisieren.Beethoven wurde in Wien nicht als Komponist, sondern als „erstaunlicher“ Improvisator berühmt. Ganze zehn Jahre war er als Improvisator in Wien berühmt, bevor er mit seinen Kompositionen bekannt wurde und er bis an sein Lebensende öffentlich improvisierte sich insgesamt einmal auf einer Party kennengelernt. Dies war Beethovens einzige Chance, Mozart zu beeindrucken, alles zu zeigen, was er wusste – und dazu bat Beethoven Mozart, ihm Themen zum Improvisieren zu geben. Als er fertig war, wandte sich Mozart an seinen Kollegen Attwood und sagte: „Eines Tages wird er Ihnen etwas zu erzählen geben.“ Schubert war zu seiner Zeit als Komponist fast völlig unbekannt – aber er war bekannt als Improvisator, der die ganze Nacht in Tavernen spielte und Walzer, Tänze, Charakterstücke und Trinklieder improvisierte. Das gesamte kompositorische Material für seine Stücke hat Chopin improvisiert. Obwohl er öffentlich auftrat, ließ er sich nur von einem kleinen Kreis ausgewählter Freunde improvisieren, darunter sein enger Freund, der Schriftsteller George Sand, der Chopins Kompositionen als „nur ein blasser Schatten seiner Improvisationen“ empfand, eine Bemerkung, die von anderen wiederholt wurde hörte ihn. Als Liszt in die Städte kam, um einen bahnbrechenden Solo-Klavierabend zu geben, den er erfand, ging er sofort ins Opernhaus der Stadt, um zu sehen, welche Werke von Oper und Ballett aufgeführt wurden. Seine Konzerte schloss er stets mit virtuosen Improvisationen zu den Themen der aktuellen lokalen Opern und Ballette. Brahms verdiente als kind mit dem klavierklavieren, improvisieren und spielen nach dem Gehör Walzer und Tänze nach Wiener Art. Bekannt wurde er durch Schumanns Aufführung einer Beethoven-Sonate für Violine – das Klavier war so verstimmt, dass es zum Geiger passte, Brahms musste das Stück nach Gehör in einer anderen Tonart spielen. Schumann suchte ihn sofort auf. Debussy betrachtete die Improvisation als seine wichtigste kreative Quelle und behauptete, dass seine harmonischen Innovationen darauf zurückzuführen seien, „dem Gesetz der Freude des Ohrs zu folgen“. Vor allem Debussy liebte es, mit seiner Vorliebe für exotische Klänge auf verstimmten Klavieren zu improvisieren und sich von den besonderen Klängen auf innovative Weise bewegen zu lassen.
Ich denke, diese Faktenliste spricht für sich. Musik wurde früher anders gedacht. Die Improvisation stand im Zentrum der Konzeption dessen, was es bedeutete, Musiker zu sein. Die Improvisation hinterlässt jedoch nicht die starken archäologischen Aufzeichnungen, die das Komponieren macht, so dass die Vitalität der Improvisation für den modernen Geist aus unserer historischen Vorstellung davon, was Musik war, entzogen wurde. Unsere Vorstellung davon, wie Komponisten dachten und arbeiteten, wurde auf den Kopf gestellt. Unser Verständnis der Evolution der westlichen Musik ist endgültig verzerrt. Ich hoffe, dass zukünftige Musikwissenschaftler der Möglichkeit einer funktional-improvisationszentrierten Musikkultur Aufmerksamkeit schenken werden. Es könnte zu einer Revolution in Bezug auf unsere Wahrnehmung unserer musikalischen Vergangenheit und Zukunft führen.
 
Ebenso wahr ist allerdings auch, dass der überwiegende Teil der aufgeführten Musik auch in früheren Zeiten von Komponisten durchgestaltet wurde. Weder in der Kirchenmusik noch in der instrumentalen Ensemblemusik noch in der Oper wurde nennenswert improvisiert, von ein paar Verzierungen, Diminutionen, Fiorituren und Kadenzen mal abgesehen. Improvisation wurde nach recht strengen Regeln (Partimento-Spiel) erlernt und galt als Vorstufe zum Komponieren.

Öffentliche Improvisation auf hohem künstlerischen Niveau war auch damals eher Ausnahme als Regel.
 
Wir gehen jetzt stillschweigend davon aus, dass mehr als die Autorintention notwendig ist, z.B. Zeit- und Genrefragen, Aufführungspraxis, sozialer Kontext etc.
Dass Zeit- und Genrefragen, Aufführungspraxis, sozialer Kontext etc. wichtig sind möchte ich nicht leugnen. Das finde ich für ziemlich wichtig. Nur was der Autor/Komponist/"Schöpfer" sich tatsächlich dachte halte ich für vollkommen irrelevant.
 
Dass Zeit- und Genrefragen, Aufführungspraxis, sozialer Kontext etc. wichtig sind möchte ich nicht leugnen. Das finde ich für ziemlich wichtig. Nur was der Autor/Komponist/"Schöpfer" sich tatsächlich dachte halte ich für vollkommen irrelevant.
Das lässt sich aber nicht voneinander trennen. Ein Komponist wählt seine Mittel nicht willkürlich.
 
Nur was der Autor/Komponist/"Schöpfer" sich tatsächlich dachte halte ich für vollkommen irrelevant.
Ich im Prinzip auch, aber das ist immer Ermessensfrage für jeden Einzelnen... es gibt da kein wirkliches "Richtig oder Falsch", weil jeder für sich selbst entscheidet, was einem bei solchen Dingen wichtig ist, und auf was er Wert legt.
 
... und ausserdem werde ich den Knoten im Kopf nicht los, dass wir nicht entscheiden können, was irgendein "Schöpfer" der klassischen Musik wohl heute, über seine Arbeiten, denken würde, oder über heutige Interpretationen seiner Arbeiten. Positiv, negativ, wohlwollend, ablehnend...?

Alles was wir (halbwegs, mit nicht unwesentlichen Lücken) vielleicht rekonstruieren können, ist, was er vielleicht damals zu seinen Lebzeiten "gewollt" hat.
 
Wer sagt das?
Gould sagte lediglich, Mozart sei eher zu spät als zu früh gestorben. Das ist ein Unterschied.
In einer Kritik zu Volume IV von Goulds Mozarteinspielungen (mit den Sonaten KV 331, 545, 533/494 und der d-Moll-Fantasie KV 397) schreibt Peter G. Davis:
"Es ist sehr schwer einzusehen, was Gould beweisen will - es sei denn, das Gerücht, er hasse diese Musik eigentlich, träfe zu. Die Tempi sind quälend langsam, die holpernde Détaché-Artikulation vergewaltigt die Struktur der Themen (und viele von Mozarts ausdrücklichen Anweisungen). [...] Das Ganze erweckt den Eindruck eines erschreckend frühreifen, aber höchst böswilligen kleinen Jungen, der versucht, seinem Klavierlehrer eins auszuwischen."

Du hast ja selbst darauf hingewiesen, dass er sich ausgiebig mit den Sonaten und Konzerten beschäftigt hat und eingespielt hat. Das spricht für sich.
Dies wohl in erster Linie im Hinblick auf die Verkaufszahlen dieser Einspielungen.
 
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