Gehörbildung für Absoluthörer

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Hallo,

es ist ja Land auf, Land ab bekannt dass das absolute Gehör auch viele Nachteile mit sich bringt.

Meines Erachtens nach überwiegen im alltäglichen Musik"gebrauch" diese Unzulänglichkeiten.

Ich möchte kurz meine Erfahrungen grob skizzieren um die Problematik anzureißen und begrenzen.

Punktuelles Hören ( sehr eingeschränkter Wahrnehmungsbereich )

resuktiereden Nachteile:

- Schlechtes Junking,
- Überlauf an Informationen,
(einzelne Informationen werden nur mit großem Aufwand, ( und gegen den Druck des ständigen "Neu-Erfassen-Müssen" von Einzeltönen ), zu größeren Sinnzusammenhängen gerafft.)

Das hat eklatante Auswirkungen:

- Akkorde werden nur eingeschränkt als Gesamtklang erlebt.
- Sinnzusammenhänge werden nicht natürlich wahrgenommen.
- Musik wird "seziert" (zerfleddert) zu einer Summe einzelner Töne, größere, konsistene Wirkkomplexe, werden nur theoretisch als solche erfasst.
- Man wird denkfaul und verlässt sich zu sehr auf sein "Gefühl"
- Theoretische Denkstrukturen werden unzureichend ausgeprägt und schlecht, wenn überhaupt gepflegt
- Einmal erlangtes Wissen wird ( wahrscheinlich durch mangelnde Anwendung ) schnell vergessen und muss immer wieder neu hergeleitet werden.

Es scheint mir als sei mit dem Absoluten Gehör eine Art Arbeitsspeicher oder Cache vorhanden zu sein der sich mitunter sehr seltsam gebährt.
Auf der einen Seite ist seine Bandbreite hinsichtlich Simultanität klanglicher Ereignisse bewußt eingeschränkt.
Auf der anderen Seite gibt es ein absolutes Potential ein Klangbild unbewußt wahrzunehmen.

Irgendwie scheint mir das widersprüchlich zu sein und hat bestimmt auch etwas mit der "Denkträgheit" und der (damit) "ausgehebelten Theorie" zu tun.

Gibt es irgendwelche unter euch die sich damit auskennen?(Ich weiß es gibt viele die gleich gegen "Absoluthörer" schießen, ( auch F. Sikora´s Äußerung bezüglich des Absoluten Gehörs in seiner Harmonielehre hat einen jovialen Beigeschmack ))

Also bitte keinen Progrom hier sondern konstruktive Kritik.

Gibt es Mittel und Wege als Absoluthörer das relative Gehör zu schulen? ( ohne gleich wieder alles über den "universellen Spickzettel" Absolutes Gehör laufen zu lassen, und sich damit selbst zu betrügen. )

Vielleicht gibt es hier Absoluthörer die aus eigener Erfahrung sprechen können.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich kann Dir nicht sagen wie ein Absoluthörer Gehörbildung übt. Aber nur mal so, es ist fast immer ein klarer Vorteil das absolute gehör zu haben :-D:-D:-D:-D
 
Ich bin Absoluthörer und Synästhetiker und habe das noch nie als Nachteil empfunden. Ich höre gewöhnliche Akkorde oder Akkordverbindungen keineswegs als Einzeltöne, sondern kann ohne weiteres Nachdenken einen gehörten Akkord benennen und auch in einen funktionalen Zusammenhang einordnen (sofern es um tonale Musik handelt). Frei tonale oder auch atonale Akkorde, die häufiger vorkommen (z.B. Prometheus-Akkord, diverse Akkordbildungen aus Messiaens Modi etc.) erkenne ich auch als Gesamtklang. Nur weit auseinanderliegende, mir unbekannte atonale Gebilde muss ich mir aus den gehörten Einzeltönen zusammensuchen.
 
@mick ... schön ... dann bitte hol mich auf dem halben Weg zu dir ab ;)

Wahrscheinlich hab ich einfach nie bis zum nächsten Lernplateau / Speicherpunkt weiter gelernt / lernen müssen und könnte das noch wesentlich ausdiffernezieren.

Im übrigen war meine Darstellung auch recht angespitzt. Das "Einzeltöne hören" funktioniert anscheinend so schnell dass ich nicht allzu Komplexe Akkorde auch direkt erkennen kann.
Aber es ist dennoch eine andere Musikwahrnehmung, denke ich. Ich meine, während einem jene Beispielmelodie einer Sinfonie in "benannten Tönen" vorschwebt, was ich nicht gut ausgestellt bekomme, und überall wo ich genauer hin höre, eben das passiert, verhindert dieser Fokus die Gesamtbetrachtung.
 
Ich bin Absoluthörer und Synästhetiker und habe das noch nie als Nachteil empfunden.
Als Absoluthörer würde ich mich ebenfalls einordnen - und könnte doch einen Nachteil benennen: Es kommt zu Komplikationen, sobald es Abweichungen zwischen Hören und Sehen gibt. Das ist der Fall, wenn ich Noten vor mir habe und sich das Gehörte von dem Gelesenen unterscheidet, indem beispielsweise ein in F-Dur notierter Chorsatz eine große Sekunde tiefer, also in diesem Falle in Es-Dur, angestimmt wird. Die Komplikation, jetzt alles als falsch wahrzunehmen, beseitige ich für mich, indem ich sofort alles in die Tonart Es-Dur transponiere und den Notentext als transponierend notiert begreife. Nach langjähriger Musizierpraxis mit transponierend notierten Instrumenten stören mich inzwischen sogar in C notierte Partituren mehr als dass ich sie als Erleichterung empfinde. Anderen Absoluthörern könnte das in stärkerem Maße zu schaffen machen, wenn einem das ständige Notenlesen in C-Schlüsseln und von transponierend notierten Stimmen weniger vertraut ist.

Eine besondere Variante sind durch Alterung und Krankheit bedingte degenerative Veränderungen des Gehörs bei einstigen Absoluthörern. Ich erinnere mich an einen bekannten Komponisten und Hochschullehrer, dessen neunzigster Geburtstag mit diversen Portraitkonzerten gefeiert wurde. Als mitwirkender Pianist hatte ich Gelegenheit, mich mit ihm zu unterhalten. Nach eigener Aussage besuche er nur noch höchst ungern öffentliche Konzerte. Warum? Weil er als Absoluthörer seit etlichen Jahren degenerative Veränderungen seines Gehörs erlebe, die ihn alles einen Ganzton höher wahrnehmen lasse - da erklinge für ihn Beethovens Fünfte demnach in D-Moll statt in C-Moll, was er dann sogar als körperlich schmerzhaft und peinigend erlebe. Ein anderes Beispiel aus der Chorpraxis: Ein früher in einem meiner Männerchöre mitsingender erster Bass hatte einst eine solistische Gesangsausbildung erhalten und als sehr gut geschulter Vizedirigent viele Auftritte mit gutem Erfolg absolviert. Nun stellten sich starke Schwerhörigkeit und beginnende Demenz bei ihm ein - und seine Frau wurde zum Pflegefall. Sie verstarb, als man sich zur Aufgabe des Eigenheims und zum Umzug ins Seniorenheim durchgerungen hatte. Inzwischen ist er im persönlichen Umgang wieder angenehmer geworden, nachdem er sich früher schwer damit tat, Hilfe zuzulassen. In der schwierigen Lebensphase besuchte Chorproben störte er zeitweise massiv: Wenn er etwas nicht oder falsch mitbekam, reagierte er aggressiv und beleidigend - und immer waren nur die anderen an allem schuld. Da wurde der vermeintlich richtige Einsatzton (stets höher als angegeben) von hinten reingebrüllt und dann die gesamte Zeit gegen die eigene Stimmlage angesungen. Die Mitsänger hätten alle keine Ahnung, der Chorleiter sei ein inkompetenter Idiot und der Vorsitzende ein dummes Arschloch. Wenn man dann in Konzertmitschnitte aus den 1980ern hineinhört und ihn dort noch in sehr guter musikalischer Verfassung agierend wahrnimmt, ist man schon ganz schön erschüttert darüber, was eine schlechtere körperliche Konstitution aus einem Menschen machen kann. Gleichzeitig macht einen das als Außenstehenden sehr vorsichtig, wenn es darum geht, jemanden als Versager auszusortieren, der nicht (mehr) die gewünschte Leistung bringt und deshalb besser zu Hause bleibt. Möglicherweise widerfährt einem eines Tages selbst ein solches Schicksal - und dann möchte man ja auch nicht so sang- und klanglos abgeschoben werden. Laienchöre decken zugleich soziale Funktionen ab und es geht dort nicht ausschließlich um das gute Singen an sich.

Nach so viel Off-Topic ein Nachsatz zum Ausgangsthema: Selbst ein noch so zuverlässiges Gehör (absolut oder relativ) kann einem nicht die wichtige Denkleistung abnehmen, Strukturen zu erkennen und Zusammenhänge herzustellen. Der Begriff Gehörbildung lässt erkennen, dass ein Prozess abläuft, der zu besserem Verständnis von Musik unter Beteiligung des Hörorgans führt. Gedächtnis und analytisches Denkvermögen sind damit untrennbar verknüpft - wobei ich bezweifle, dass eine Verbesserung der rein physiologischen Leistungsfähigkeit des Hörorgans zu erwarten ist.

LG von Rheinkultur
 
Im übrigen war meine Darstellung auch recht angespitzt. Das "Einzeltöne hören" funktioniert anscheinend so schnell dass ich nicht allzu Komplexe Akkorde auch direkt erkennen kann.
Wenn Gehörbildung als Fach unterrichtet wird, ist das "Einzeltöne hören" nur eine einzige Übungsform unter vielen. Intervalle, Akkorde, Satzstrukturen, zwei oder noch mehr Stimmen umfassende Abschnitte, rhythmische Muster und vieles mehr in ansteigendem Schwierigkeitsgrad und vielfältigen Kombinationen sind Teil eines ordentlichen musiktheoretischen Lehrkonzepts.

LG von Rheinkultur
 
@Rheinkultur
Das mit dem Transponieren ist bei mir genau so. Aber ich empfinde das nicht unbedingt als Nachteil - wahrscheinlich hat mir der Zwang zum Transponieren sogar dabei geholfen, alte Schlüssel und Bläserstimmen lesen zu lernen. Wenn man nur Klavier spielt, ist das vielleicht unnütz. Aber wenn man mit Partituren zu tun hat, ist das ziemlich praktisch. :-)

LG, Mick
 
Wenn man nur Klavier spielt, ist das vielleicht unnütz. Aber wenn man mit Partituren zu tun hat, ist das ziemlich praktisch.
Wer viel Kammermusik mit Holz- und Blechblasinstrumenten macht, hat ständig Musizierpartner an seiner Seite, die aus transponierend notierten Stimmen spielen (Klarinette, Horn, Trompete und transponierende Nebeninstrumente wie Englischhorn). Bei Streichinstrumenten wiederum (Viola und Violoncello) sind C-Schlüssel im Gebrauch und bei Liedbegleitern kann immer wieder die Aufgabe drankommen, ein Lied für den Gesangspartner zu transponieren. Gelegenheiten zum Üben gibt es jedenfalls reichlich.

LG von Rheinkultur
 
Ich bin Absoluthörer und Synästhetiker und habe das noch nie als Nachteil empfunden. Ich höre gewöhnliche Akkorde oder Akkordverbindungen keineswegs als Einzeltöne, sondern kann ohne weiteres Nachdenken einen gehörten Akkord benennen und auch in einen funktionalen Zusammenhang einordnen (sofern es um tonale Musik handelt). Frei tonale oder auch atonale Akkorde, die häufiger vorkommen (z.B. Prometheus-Akkord, diverse Akkordbildungen aus Messiaens Modi etc.) erkenne ich auch als Gesamtklang. Nur weit auseinanderliegende, mir unbekannte atonale Gebilde muss ich mir aus den gehörten Einzeltönen zusammensuchen.

Kann ich so unterschreiben!
 
Wenn mich Kunden fragen ob ich des absolute Gehör hätte, sag ich "nö, sonst könnt ich ja mein Beruf nicht ausüben". Ich könnt dann auch garnicht mehr Klavier spielen, da eine gleichschwebende Stimmung eine Verstimmung ALLER Tonarten ist, was mich dann arg stören würde.
LG
Alb
 
Wenn mich Kunden fragen ob ich des absolute Gehör hätte, sag ich "nö, sonst könnt ich ja mein Beruf nicht ausüben". Ich könnt dann auch garnicht mehr Klavier spielen, da eine gleichschwebende Stimmung eine Verstimmung ALLER Tonarten ist, was mich dann arg stören würde.
LG
Alb

Du hast eine ziemlich schräge Vorstellung davon, was ein absolutes Gehör ausmacht ...
 

Du hast eine ziemlich schräge Vorstellung davon, was ein absolutes Gehör ausmacht ...

Meinst Du? Ich habe ein einziges Mal in meinem Leben einen Kunden mit absolutem Gehör gehabt, der wußte auf Anhieb auf welcher Frequenz das a´ auf seinem Klavier ist - ich habe es nachgemessen, es stimmte aufs Komma genau. Ich mußte ihm das Klavier so stimmen, daß 5 Tonarten schwebungsfrei spielbar waren.
LG
Alb
 
Ich habe ein einziges Mal in meinem Leben einen Kunden mit absolutem Gehör gehabt

Und damit entsprich Deine Erfahrung wahrscheinlich eher dem zu erwartenden statistischen Mittel dieser selten anzutreffende Fähigkeit als der typische clavio-Forum-User.
Ich muss mich jedes mal bei dem Thema im Forum wundern, wie viele sich melden mit: Ich auch, ich auch, ich auch.
 
Ich finde, ein absolutes Gehör zu haben nicht als vorteilhaft. Ich höre wie @Alb beschrieben hat die Frequenzen der Töne. Das bedeutet, ich höre minimale Abweichungen einzelner Töne und kann die Abweichung ziemlich genau benennen. Also auch, wenn z.B. jemand auf der Flöte einen minimal verschobenen Ton spielt (was beim Gruppenmusizieren sehr oft vorkommt). Es klingt ein a, aber kein reines. Das ist echt fies, weil diese minimale Abweichung mir beim Hören weh tut.
So kann ich auch leichteste Verstimmungen in der Orgel hören und habe dann zwei Möglichkeiten:
1. Solange es nur minimal abweicht versuche ich das Ganze mit ein paar weiteren Registern zu vertuschen. Bis zu einem gewissen Punkt habe ich das so schon ganz gut im Griff.
2. Wenn die Abweichung an einen Viertelton herankommt, kann ich das bei aller Liebe nicht mehr ignorieren. ich muss folglich entweder den Ton oder das ganze Register meiden. Oder einen leichten Schauer verspüren bis hin zu Schmerz... je nach Stärke der Abweichung.
Klar hat man auch Vorteile, man hört die Dreiklänge, man hört die Einzeltöne und man kann Blattsingen.
Da liegt aber gleich das weitere Problem, manche Chorprobe ist da echt schwer, weil man eben jede Ungenauigkeit hört. Und bei welchem Chor wackeln einzelne Stimmen nicht mal minimal? Und das Problem mit dem Transponieren habe ich leider mangels Transponiererfahrung noch nicht im Griff. das verwirrt mich meist, wenn in den Noten was anderes steht als gesungen wird. Daher lege ich in so einem Fall die Noten weg und singe auswendig. Denn ohne Notenbild kann ich "transponieren" (mich also anpassen).

Sicher, manchmal ist ein absolutes Gehör angenehm, aber oft leider (und vorallem beim Gruppenmusizieren) eine Strafe.

Und nun zum Thema Gehörbildung für den TE: man kann üben die Akkorde als wirkliches Gefüge zu hören. Ich habe mich dabei einfach auf den Grundton fixiert und nur diesen entziffert. Dadurch schafft man es mit der Zeit den Akkord als solches nur noch durch die Entzifferung eines Tones zu erkennen. Ob eine Stimmung Dur oder Moll ist, das kriegt man auch mit absolutem Gehör ohne entziffern hin.
 
Ich glaube hier liegt ein ganz großes Mißverständnis vor, und das absolut seltenst vorkommende "absolute Gehör", wird einfach mal mit dem "sehr guten Gehör" verwechselt. Ein absolutes Gehör hat jemand, welcher einen Ton hört und sofort weiß welche Frequenz (also Schwingungen pro Sekunde) der Ton hat. Der von mir benannte Kunde konnte es bei jedem Ton den ich anspielte, ich habe jedes mal nachgemessen, und es stimmte exakt. Und wie @Andre73 schon anmerkte, sind diese Menschen sehr sehr selten.
Bei einem sehr guten und auch ausgebildetem Gehör, tritt natürlich das ein, was @Orgeltante beschreibt, und über ein sehr gutes Gehör dürften die meisten Forennutzer hier verfügen, was an sich auf der Hand liegt wenn man selbst ein Instrument spielt.
LG
Alb
 
Afaik gibt es verschiedene Ausprägungsformen des AG´s ...

Und dieses "auf jedes Cent genau hören" kann man trainieren.
 
Wie so nennst Du mich Afaik? Sind "Alb" Dir zu wenig Silben? :dizzy:
LG
Alb
 
Zuletzt bearbeitet:
Und dieses "auf jedes Cent genau hören" kann man trainieren.

Die absolute Höhe eines isoliert gespielten Tons?
Das bezweifle ich.

Aber Unsauberkeiten in der Intonation bei gleichzeitigen oder kurz hintereinander auftretenden Tönen erkennen, wie von @Orgeltante beschrieben: ja. Das muß man sogar lernen, wenn man nicht schief singen oder sein Instrument mit freier Intonation sauber spielen will.
 

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