Ein Flügel-Krimi

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15. Dez. 2009
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Hallo.

Seit Anfang 2006 betreue ich im Raum Frankfurt/M einen beachtlich guten 180er Flügel aus den 20er Jahren von dem wenig bekannten Berliner Fabrikat Görs & Kallmann. Damals war er frisch in einem entsprechenden Betrieb generalrenoviert worden und bekam von mir die klangliche Endbearbeitung. Es gelang alles bestens, etwas irritierend war lediglich, dass ein paar der neu gesetzten Wirbel in dem erneuerten Stimmstock nicht fest saßen.

Mit etwas zeitlichem Abstand verblieb als Ärgenis, dass der Flügel dazu neigte, klirrende und/oder zirpende Nebengeräusche zu machen. Beizeiten begann dann nochmals eine gründliche Suche, und es fand sich etwas ziemlich Unerwartetes: An mehreren Stellen waren die Rippen des Resonanzbodens auf Strecken von fünf bis deutlich über zehn Zentimeter abgeleimt, jeweils zu beiden Seiten eines ausgespänten Risses. Ui - da hat wohl die generalüberholende Werkstatt im Zuge der Ausspänungen nicht gründlich genug die Verleimungen gecheckt. Na ja, sei's drum - das war mit gewissermaßen chirurgischem Zusatzaufwand zu wuppen, maßgeblich unter handwerklich erstklassiger Mitwirkung des Eigentümers. Ergebnis: Die Geräusche verschwanden weitestgehend.

Aber nicht ganz. Es blieb etwas nach, gewissermaßen ein ins Hörbare verwandeltes teuflisches Grinsen. Das fis'' (Fis-2, zweigestrichenes Fis) erzeugte beim Anschlagen ein subtiles Klirren. Es hörte sich an, als ob hinter den entsprechenden Saiten auf dem Resonanzboden ein kleiner Fremdkörper liegt. Also ging die Suche neu an. Diesmal ergebnislos. Inzwischen war alles fest. Und alle wie auch immer erfundenen Sonden förderten selbst unter dem letzten Winkel der Gussplatte nichts Unbotmäßiges zutage. Dasselbe Ergebnis wiederholte sich ein weiteres Jahr später. Und dann ging nochmals Zeit ins Land - und bei meinem nächsten Besuch hatte der Eigentümer einen Selbsthilfe-Erfolg zu melden, der mich schier fassungslos machte. Er besitzt einen kompakten Metall-Klotz von ca. 500g, und den platzierte er direkt auf dem Steg, aber nicht beim Fis-2, sondern ganz rechts beim C-5. Und wenn man dann das Fis-2 spielte, dann klirrte es so gut wie gar nicht mehr. Man konnte es beliebig wiederholen: Klotz weg - Klirren. Klotz drauf - Klirren weg.

Also nochmals alles genau inspizieren. Aber es war immer noch alles fest, und es gab immer noch keine Fremdkörper. Und doch gab es was Neues: Ich war inzwischen auf clavio aktiv. Und suchte nun diskret per PN Rat bei einem, dem ich diesbezüglich hohe Ideenkompetenz zutraue. Der fand das Ganze genau so rätselhaft wie ich, gab dann aber noch den Hinweis, die Randverleimung des Resonanzbodens nochmal zu checken. Das hatte ich zwar schon gemacht, mehrfach. Aber trotzdem, der Hinweis blieb in meinem Kopf als Ausrufezeichen hängen.

Das ist inzwischen Monate her. Vor wenigen Tagen war ich nun wieder dort bei dem Gespenster-Flügel. Und nun ist endlich was passiert...

Fortsetzung folgt (es ist spät nachts, das Bett ruft)

Gruß
Martin
 
So, zwölf Stunden später, schon Nachmittag des 1. Advent... carpe diem.

Hier nun zunächst mal ein Bild von dem Klotz auf dem Steg:

guk-klotz.jpg


Also, des gesetzten Ausrufezeichens betreffs der Reso-Randverleimung eingedenk, schaute ich nun nochmal mit Lupenaugen hin, inzwischen der sicheren Überzeugung, dass die Geräuschquelle in unmittelbarer Umgebung des rechten Reso-Randes sein müsse, nicht aber in der näheren Umgebung des fis''. Ich nahm den Klotz weg, stattdessen drückte ich mit einem Schraubendreher den Reso ganz rechts vorn nieder, bereits unterhalb des Plattenrandes, und schlug fis'' an. Siehe da - nur ganz wenig oder gar kein Klirren. Aha! Und nun? Es ist doch alles fest, oder? Die Festigkeit der kleinen Schrauben am rechten vorderen Dammrand brauchte ich nicht checken, da ich die bei Bearbeitungen niemals auslasse. Auffällig war lediglich, dass ganz rechts, bereits unter der Platte, ein Schräubchen fehlte oder möglicherweise nie eins vorhanden war. Hm.

Keine Wahl: Nun muss die Mechanik raus, das ganze muss mit Grubenlicht von innen angegangen werden. Und nun endlich kam ich einen SChritt weiter: Wohl war alles fest, aber der Stoß des Resonanzbodens auf den rechten Dammbereich sah etwas zu scharf aus. Ich ahnte etwas. Von oben löste ich nun die (zweifelsfrei fest sitzenden) Dammrand-Verschraubungen etwas. Und dann nahm ich, zugegebenermaßen unsanft, einen scharfen Schraubendreher und trieb ihn an einer Stelle in den geargwöhnten Spalt. Und siehe da: der Reso-Rand ließ sich auf etlichen Zentimetern Weite mühelos anheben. Nun war also sicher, dass die Verleimung des Resonanzbodens auf dem Damm im Diskantbereich deutlich mangelhaft war! Das Weitere ging dann schnell: Verleimung erneuern bzw. ergänzen, sodann auch ganz rechts, wo man kaum rankommt, prophylaktisch gründlich leimen, und dann die kleinen Schrauben oben wieder anziehen.

Danach setzte ich dann meine Stimm-Arbeiten fort, die ich vorsorglich auf halber Strecke (nach Mitte und Bass) unterbrochen hatte. In gespannter Erwartung.

(Geht gleich weiter...)
 
Hier ein Blick auf die linke Hälfte des gefundenen Spalts:

guk-dammspalt.jpg


Und nun, nach Korrektur, war das Klirren beim fis'' tatsächlich verschwunden. Weitestgehend, bis auf einen Rest, wie er typischerweise als Nebenklang überall vorkommen kann und akzeptabel ist. Mit dem kleinen Stirnrunzeln, dass es wohl genau dieser arglose Nebenklang war, der durch die Rand-Instabilitäten bis ins mehrfach Unakzeptable verstärkt worden war. Nach vielen bangen Testanschlägen war es am Ende glaubhaft, dass man der Ursache auf den Grund gekommen war und das Übel gebändigt hatte.

Großen Dank an TASTENSCHERGE, der hier als diskreter Berater maßgeblich die Zielfindung voranbrachte!

Das ist allerdings noch nicht das Ende der Geschichte.

Fortsetzung folgt...

Gruß
Martin
 
Also -
wie weiter oben gesagt, meine Stimmung wurde nun in den Diskant hinein weitergeführt. Und je länger ich dabei war, desto deutlicher drängte sich mir eine Wahrnehmung auf, deren Realitätsgehalt ich dann nach Vollendung auf Konsistenz überprüfte. Und zwar, indem ich den Eigentümer bat, am Flügel zu spielen, und mir dann zu sagen ob er auch das wahrnehme was ich wahrnehme. Was das sei, sagte ich im Voraus nicht. Umso spontaner platzte es dann aber aus dem Eigentümr heraus: Der Flügel klinge jetzt im Diskant "genial", viel besser, viel ausgewogener, und der Gesamtklang passe nun endlich komplett zusammen. Eben das war es, was ich auch bemerkt hatte. Die Sangesfähigkeit hatte im Diskant deutlich zugenommen, die Töne drangen viel intensiver ans Ohr, der Klang war schlicht deutlich schöner geworden. Das war also keine Täuschung.

Wie ist das zu erklären?
Offenkundig führten die Instabilitäten am Resonanzbodenrand trotz aller Subtilität dazu, dass der Klang in signifikantem Ausmaß "entschlüpfen" konnte, wie ich das nenne. Eine kurze Erklärung: Der Reso, der im Grunde einen heftigen Schlag vom Hammer bekommt, trachtet danach, diese Energie so schnell und entsprechend so knallig wie möglich abzuführen. Daran wird er aber durch die Saiten gehindert, die den Knall-Impuls in zahllose Hin-und-her-Schwingungen zerhacken und demgemäß extrem verlangsamen. Das genau führt dazu, dass kein Knall, sondern Klang hörbar wird. Das funktioniert aber nur dann gut, wenn der Resonanzboden überall fest verankert ist und deshalb zwangsweise die Schwingungen der Saiten mitmachen muss. Sobald er aber irgendwo Schlupflöcher hat, durch die er die im Prinzip winzigen, aber sehr energiegeladenen Bewegungen schneller loswerden kann, wird er dies sicher auch tun. Und dann hören wir vom Knall des Anschlags mehr und vom Klang weniger. Die zuverlässige allseitige Verankerung des Resonanzbodens ist also (bei entsprechend konzipieren Konstruktionen) einer der wichtigsten Faktoren, die guten Klang ermöglichen.

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Ich finde es einfach menschlich, dass man manchmal sehr lange mit schwierigen unbeantworteten Fragen leben muss. Und ich finde es sehr ermutigend, dass es bei entsprechender Geduld eben doch auch dort Antworten geben kann. Und dies gern auch unter Einbeziehung kollegialer Korrespondenz.

Gruß
Martin
 
Prima, dass das dann doch noch geklappt hat mit der Ursachenforschung. Das kann soooo nervig sein....

Übrigens gibt es auch Instrumente, die den Resonanzboden eben nicht rundum verleimt haben, sondern im Bass "frei schwebend".
 
... gibt es auch Instrumente, die den Resonanzboden eben nicht rundum verleimt haben ...

Richtig, danke Tastenscherge und schmickus. Denen galt meine einschränkende Klammerbemerkung mit dem Hinweis auf entsprechend konzipierte Konstruktionen.

Zu denjenigen, bei denen manches anders gelöst wird, zählen auch die vielen Flügel mit Wiener Mechanik, bei denen der Damm bestenfalls eine Brücke sein kann, weil große Teile der Mechanik unter den Resonanzboden geschoben werden müssen.

Gruß
Martin
 
Hallo Martin.

Interessante Geschichte!

Übrigens ist der Hersteller Görs & Kallmann hierzulande durchaus bekannt. Auf dem Gebrauchtmarkt sieht man öfter mal Klaviere (Pianinos) von ihm. Mir scheint, das Fabrikat wurde gern nach Südafrika exportiert, wie z.B. auch Zimmermann, Seiler und andere.

Ciao,
Mark
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
... Übrigens ist der Hersteller Görs & Kallmann hierzulande durchaus bekannt...

Hallo Mark,
ja, das ist kein Wunder, dass G&K-Klaviere in deiner Erdregion öfters vorkommen. Sie wurden nämlich nicht dorthin exportiert, sondern dort gebaut. Der verschwundene Name Görs & Kallmann lebte in den 1980er Jahren wieder auf - als Label, geführt von einer (m. W.) Hamburger Firma, also nicht mehr Berlin wie einst. In den Klavieren prangte immer in der oberen Klappe ein großes Abziehbild mit etlichen Medaillen-Abbildungen und deren Datierungen in weit zurück liegenden Jahrzehnten, vermutlich abgepaust von entsprechenden Abzügen, die mal auf Resonanzböden alter G&K-Klaviere oder -Flügel gefunden wurden.
Diese neuen Görs & Kallmann Klaviere wurden in Südafrika hergestellt, noch zur Apartheid-Zeit, kamen entsprechend billig in D auf den Markt, waren entsprechend für nachdenkliche Menschen nur bedingt wählbar. Konzeptionell und klanglich waren sie im Grunde o.k., aber die Ausarbeitungsqualität war, sagen wir mal, mittelfein.
Inwieweit sie baugleich waren mit anderen südafrikanischen Labels, weißt du womöglich besser als andere hier im Forum.

Gruß
Martin
 
Hallo Martin,

Von der hiesigen Klavierfabrik, die der Hamburger Klavierbauer Dietmann ca. 1955 gründete und die bis in die 80er baute, wusste ich sehr wohl. Ebenso, dass er
... einige verschwundene Namen aufkaufte und als "Stencils" auf billige (englische?) Klaviere setzte, u.a. den Namen "Otto Bach", welches ursprünglich eine Exportreihe der Gebrüder Zimmermann in Leipzig war (mein Otto Bach ist kein Labelklavier von Dietmann, sondern ein originales von Zimmermann)
... einige Fabrikate unter der Lizenz und Aufsicht der weiterhin tätigen deutschen Hersteller hier (zusammen)baute, zumindest Ibach ist mir da bewusst - zumal ich derer eines besitze.

Auch die "mittelfeine" Ausarbeitung ist mir (schmerzlich) bewusst... Die Stegstifte an meinem Ibach sitzen wild durcheinandergewürfelt...

Dass aber G&K auch zu den von Dietmann wiederbelebten Namen gehörte, war mir bisher nicht bewusst, denn alle G&K, die ich bisher gesehen habe, sahen vom Stil her aus wie typische Klaviere der "goldenen Ära" - relativ hoch, viel Schnörkelwerk- bzw. Zierrat, Konsolen oder gedrehte Beine, oft mit Kerzenständern, Nussholzfurniere usw. usf. - daher hatte ich angenommen, dass es sich dabei um 90 bis 100 Jahre alte Originale aus Deutschland handle. (Muss es ja eigentlich, zumal Dietmanns Fabrik erst in den 50ern in Produktion ging.)

Die Klaviere, die Dietmann hier baute bzw. labelte (Dietmann, Ibach, Ludwig Meister, Otto Bach usw. usf.) sind eigentlich alle im typischen schlichten Kleinformat der 60er und 70er Jahre gehalten - 112 cm oder kürzer, schlichte Flächen und meist recht langweilige braune Mahagonifurniere. Und ein ebensolches G&K ist mir bisher noch nicht untergekommen.

Oder waren die neuen G&K aus Südafrika, die du beschriebst, etwa auch im Stil der frühen 1900er Jahre gebaut? Dann weiß ich nächstes Mal, was ich vor mir habe...

Ciao,
Mark
 
Das ist ja wirklich interessant, Mark!
Dann wurden also Görs&Kallmann Klaviere in früheren Zeiten tatsächlich nach Südafrika exportiert. Und das wurde dann wohl zum Anlass, dass die Marke später zu Exportzwecken in Südafrika wiederbelebt wurde...
In einigen Wochen werde ich ein modernes G&K überarbeiten, dann mache ich Fotos davon. Dürften sehr Ähnliches zutage fördern wie das, was du über die modernen Dietmänner schreibst.

Gruß
Martin
 


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