Der Reiz des Unspielbaren

durchpauken...Hammerklaviersonatenzirkus

hallo,

ich staune über Deine recht strengen Ansichten - ich sehe es etwas moderater:

- wer sich nach fleissigem "einpauken" durch ein sehr anspruchsvolles (lautes, schnelles etc etc) Stück fehlerfrei durchprügeln KANN, der hat doch schon mal eine Grundlage, von der aus man die noch fehlenden Differenzierungen mit Aussicht auf Erfolg erarbeiten kann --- im Gegensatz zu dem, der trotz Paukerei nix in besagtem Stück hinkriegt als verkrampfte Unterarme, ganz zu schweigen von dem, der mit besten interpretatorischen Absichten nichts ins Tempo bringt (warum auch immer) ... und die Haltung "ich will mal was ultravirtuoses hinbringen" hat auch ihre guten Seiten: man übt dann, nicht weil man eine Hausaufgabe bekommen hat, sondern aus eigenem Antrieb

- - wer danse russe oder Scarbo oder Tannhäuser vortragen KANN, ohne dass die Zuhörer gelangweilt einschlafen oder Reißaus nehmen, der hat die Stücke meiner Ansicht nach nicht vergewaltigt

- - - Arrau, Kempff, Pollini, Gulda, Schnabel, Fischer u.a. haben die Hammerklaviersonate meiner Ansicht nach als wirkliche Musik gespielt, sowohl live als auch im Studio (dass dabei keiner außer evtl Schnabel Beethovens Tempoangaben wirklich realisiert, ist ein anderes Thema)

- - - - Beethovens Tempi, ja gar alle seine Stücke, als Witz? Das entzieht sich wenigstens meinem Verständnis, auch glaube ich, dass sich mit Ausnahme einiger Finalesätze und der "Wut über den verlorenen Groschen" kaum was witzig spielen lässt - mal ganz krass: das Adagio aus op.27 Nr.2 oder gar aus op.106 "witzig" gespielt??? Wenn er denn wirklich ein Witzbold war, ja warum krakelt er dann Noten, statt Kalauer in der Witzeecke der Wiener Journale zu publizieren --- ABER ok, er hatte Superwitze drauf und die auch gelegentlich niedergeschrieben: "(...) alles was ich sch..... ist besser, als was er je gedacht" in einem Brief, der im Schottverlag Mainz in einer Vitrine ausgestellt ist; oder die grimme Anekdote von der Haushälterin, welcher er einen Stapel Bücher an den Kopf geworfen hatte, mit der Begründung, dass vielleicht so etwas hängen bliebe... ... vielleicht hast Du ja doch Recht :)

- - - - - der Lisztsche Zirkus, veranstaltet in op.106 - also im 2. Satz gibt es eine Passage, die beinahe von Liszt sein könnte! Warum sollte der Ludwig denn nicht gelegentlich loslegen dürfen, als wolle er Chopin und Liszt "erfinden"? es soll von Gould eine Aufnahme von op.106 geben, kennt die irgendwer? ich kenne sie nicht, leider - falls es sowas gibt: da würde mich die Fuge interessieren!!! und ansonsten: wo presto-prestissimo steht, sollte man auch presto-prestissimo spielen, ja besser noch spielen können.

"unspielbar" oder "vorerst noch nicht erreichbar"??? das ist meiner Ansicht nach die zentrale Fragestellung, und ich glaube, dass jeder immer wieder seine jeweils individuell verschiedenen Grenzen austesten sollte, um zu prüfen, ob sie sich verschoben haben oder verschieben lassen. Freilich kann das erst ab einem cum grano salis "fortgeschrittenen" Niveau versucht werden, sinnlos wäre, einen Anfänger nach ein paar Wochen mit dem Mephistowalzer zu foltern :)

Gruß, Rolf
 
es soll von Gould eine Aufnahme von op.106 geben, kennt die irgendwer? ich kenne sie nicht, leider - falls es sowas gibt: da würde mich die Fuge interessieren!!! und ansonsten: wo presto-prestissimo steht, sollte man auch presto-prestissimo spielen, ja besser noch spielen können.
Also, in der Complete Original Jacket Collection, die sämtliche LP-Aufnahmen Goulds bei Columbia Records umfasst, ist die Hammerklavier-Sonate jedenfalls nicht enthalten. So viel ich weiß, gibt es noch eine andere Gesamtausgabe der Gould-Einspielungen, in der auch die Fernseh-Aufnahmen etc. inbegriffen sind. Es würde mich auch interessieren, auf welcher CD die Aufnahme zu finden ist, - wenn es sie denn gibt.

Grüße von
Fips
 
- wer sich nach fleissigem "einpauken" durch ein sehr anspruchsvolles (lautes, schnelles etc etc) Stück fehlerfrei durchprügeln KANN, der hat doch schon mal eine Grundlage, von der aus man die noch fehlenden Differenzierungen mit Aussicht auf Erfolg erarbeiten kann

Das würde heißen, darauf zu hoffen, daß der Elefant im Porzellanladen anschließend alle die zertrampelten Porzellanfiguren wieder selber repariert.

--- im Gegensatz zu dem, der trotz Paukerei nix in besagtem Stück hinkriegt als verkrampfte Unterarme, ganz zu schweigen von dem, der mit besten interpretatorischen Absichten nichts ins Tempo bringt (warum auch immer) ... und die Haltung "ich will mal was ultravirtuoses hinbringen" hat auch ihre guten Seiten: man übt dann, nicht weil man eine Hausaufgabe bekommen hat, sondern aus eigenem Antrieb

So kann man es auch sehen. Ich seh es nicht so.

- - - Arrau, Kempff, Pollini, Gulda, Schnabel, Fischer u.a. haben die Hammerklaviersonate meiner Ansicht nach als wirkliche Musik gespielt, sowohl live als auch im Studio (dass dabei keiner außer evtl Schnabel Beethovens Tempoangaben wirklich realisiert, ist ein anderes Thema)

Ich warte jedenfalls immer noch auf eine Aufnahme der Hammerklaviersonate, der man ohne Kopfweh und Ohrensausen zuhören kann.

Am ehesten geht da noch die Aufnahme von Glenn Gould (!!!) in die von mir präferierte Richtung.

Ich will aber den von dir genannten Pianisten die ernste Absicht und die Seriosität nicht absprechen.

- - - - Beethovens Tempi, ja gar alle seine Stücke, als Witz? Das entzieht sich wenigstens meinem Verständnis,

Ist ja auch von mir etwas provokativ dahingeschrieben - allerdings glaube ich schon, daß man Beethovens Musik ohne ein Gespür für seine allgegenwärtige Ironie und seinen Sarkasmus kaum verstehen kann.

auch glaube ich, dass sich mit Ausnahme einiger Finalesätze und der "Wut über den verlorenen Groschen" kaum was witzig spielen lässt

Man soll Beethovens Musik nicht "witzig spielen" - Beethovens Witze sind meist boshaft oder bösartig. Für den heiteren Humor ist Haydn zuständig 8)

Goulds Hammerklavierfuge auf youtube (die Bilder passen vielleicht nicht so hundertprozentig)

http://www.youtube.com/watch?v=McEftw1X74c
 
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@Rolf und Haydnspaß

Wenn ich ehrlich bin, verstehe ich nicht, worauf Ihr hinauswollt.

Nach wie vor wundert mich, daß beim Thema "Schwierigkeiten" nur von den physiologischen Grenzen/Beschränkungen die Rede ist. Wenn einem Klavierspieler Grenzen gesetzt sind und er nicht schneller und/oder lauter spielen kann (was auch immer der Komponist vorschreibt), so ist dies in meinen Augen kein Indiz, daß er dieses Stück nicht doch gestalterisch überzeugend darbieten kann. Das wäre so ähnlich, als ob ich über jeden, der Rachmaninovs weitgriffige Akkorde arpeggieren muß, den Stab breche.

Ich habe höchst selten Sorge, daß Profi-Pianisten technisch an den Stücken scheitern könnten. Aber gestalterisch ist schon manch einer kläglich gescheitert: nicht weil er zu langsam oder zu leise gewesen wäre, sondern eher im Gegenteil, weil er zu laut und/oder zu schnell war.

Und was ist dagegen einzuwenden, wenn sich ein Musikliebhaber im halben Tempo durch sämtliche Beethoven-Sonaten und Chopin-Etüden fingert? Ich vermute, diese Menschen haben am Ende mehr von der Musik verstanden als diejenigen, die minutiös aufzählen können, welcher Pianist in welcher Aufnahme an welcher Stelle seine manuellen Unzulänglichkeiten demonstriert hat.

Aber vielleicht habe ich ja auch nur Eure ganze Diskussion nicht verstanden :floet:

Viele Grüße von einem, der sich neben akribischer Klein- und Feinarbeit nun seit Jahrzehnten mit größter Lust durch diese ach so unspielbare Literatur fingert. :D
 
Und was ist dagegen einzuwenden, wenn sich ein Musikliebhaber im halben Tempo durch sämtliche Beethoven-Sonaten und Chopin-Etüden fingert?

Eben dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden!

Wenn Musik als das verstanden wird, was sie ist: Musik!

Wer aber lieber ins Guiness Buch der Rekorde kommen wil, soll sich doch bitte mit etwas anderem beschäftigen als mit (klassischer) Musik.
 
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Gould Fuge aus op106 - besten Dank!

hallo,
besten Dank für die Aufnahme (und ja, die Bilder dazu sind unpassend).
...das also ist Gould - ganz ehrlich: ich hätte ein höheres Tempo gerade von ihm erwartet!! Merkwürdig - gespielt ist es schön, aber ich finde, dass Kempff die Fuge genauso deutlich, differenziert, ausdrucksvoll und "schönklingend", ja partienweise lieblicher gespielt hat. Wie auch immer: mich verblüfft das eher gemäßigte Tempo, aber auch der Pedalgebrauch (viel Pedal für Gould), auch manche Maniriertheit in den Trillern ist auffallend
auch wenn es jetzt ketzerisch scheinen mag: Pollini kommt mir da technisch souveräner vor, Gulda auch - das wundert mich selber sehr, da ja in der Literatur über Gould immer zu lesen ist, dass er selbst Horowitz in Sachen "Technik/Tempo/Präzision" (usw.) übertreffe - und dann spielt der Supertechniker die schwierige Fuge mit weniger drive und Tempo Gulda
--- das höre ich mir noch ein paar mal an - wo kommt die Aufnahme eigentlich her? wann aufgenommen? kriegt man die ganze Sonate von Gould auf CD?

der Elefant im Porzellanladen: das Trompetentier wird sicher nichts zusammenleimen könne, ist ja auch nicht sein Metier. Ich meinte: wer zwar ziemlich undifferenziert und quasi "bullig"/kräftig z.B. die Polonaise op.53 im Tempo durchhält, der hat eine gewisse Basis, die ausbaufähig ist (ich hätte mich gewiss präziser ausdrücken sollen, sorry) - - - wer dasselbe bullig-kräftig drischt, aber nicht durchhält sondern verkrampft, der sollte anders üben und anderes spielen - - - wer "hehre Gedanken/Intentionen" etc. in die Polonaise mitbringt, aber sie nach Monaten nur maximal im halben Tempo schafft, sollte sie gut ein Jahr lang weglegen, und wenns danach immer noch nicht geht, sollte er sich längere Zeit für andere Stücke inflammieren

bösartig und sarkastisch soll Beethoven gewesen sein? gut möglich! aber seine Musik auch?? manche ex-Menuette bzw Scherzi enthalten sicher einen bärbeißig-grimmigen Humor - aber bösartig und sarkastisch? Allerhöchstens die Dezimenvorschläge in der A-Dur Sonate kann man so sehen, aber die hat B. ja selber aus Jux dort reingschrieben, damit manche seiner Konkurrenten nicht mehr beim prima vista spielen angeben konnten (da gibts nen Brief, der das erwähnt) - und verglichen mit der Waldsteinsonate ist das eigentlich weniger anspruchsvoll. Waldsteinsonate: Lisztzirkus hin oder her - das IST ein glanzvoll VIRTUOSES Stück und soll und will das auch sein, bis hin zu den witzigen Oktavglissandi. Und dann gibts ja noch op.111: da vermag ich in keinem Ton bösartige Sarkasmen oder sarkastische Bösartigkeiten zu hören - es sei denn, man hat eine Allergie gegen lange leise Triller :)

op.106, ob 1.Satz oder Fuge: ich habe da Arrau im Ohr, aber auch Pollini und Gulda - hoffentlich gelange ich mal an die ganze Sonate mit Gould. Und für eine alles in enorme Klangschönheit bringende Interpretation empfehle die von Kempff.

Gruß, Rolf

...oh, jetzt hab ich gar nichts zum Thema "Reiz des Unspielbaren" schwadroniert... pardon! ok: reizvoll kann sein, den allegro Teil der Tannhäuser Ouvertüre wirklich überall im vorgeschrieben Tempo Halbe = 80 zu üben...pauken...dreschen...wüten..., reizvoller ist, das im Tempo zu spielen
 
kriegt man die ganze Sonate von Gould auf CD?

op.106, ob 1.Satz oder Fuge: ich habe da Arrau im Ohr, aber auch Pollini und Gulda - hoffentlich gelange ich mal an die ganze Sonate mit Gould. Und für eine alles in enorme Klangschönheit bringende Interpretation empfehle die von Kempff.

Gruß, Rolf
Die gibts z.b. hier: http://www.amazon.de/Glenn-Gould-Beethoven/dp/B000025KQK

Mir sagt Pollini aber auch mehr zu. Ich habe aber Brendel noch nicht gehört. An ihn habe ich ganz hohe Erwartungen :D

lg marcus
 
hallo kölnklavier

hallo,

wenn ich den Faden hier richtig verstanden habe, ging es eingangs darum, warum man "zu schwierige" bzw in Relation zum eigenen Können (noch?) "unspielbare" Stücke spielen/üben/können will.

Ich halte das Austesten der eigenen manuellen Grenzen nicht für schädlich.

Nichts ist dagegen einzuwenden, irgendeine Etüde schön aber langsamer als gefordert zu spielen. Aber jedem, der das so macht, stellt sich doch auch die Frage "was könnte ich tun, damits besser wird?" - und da fangen dann die Unannehmlichkeiten an (sicher nicht bei allen, aber sicher auch nicht bei keinem)

Dann aber gibt es ja auch - leider, möchte man sagen - folgende nicht unberechtigte Ansicht: "ein falscher Ton stört - ein falsches Tempo verzerrt" (Prof. V. Margulis in seinem Essay über op.111, die er eingespielt hat)

was tun? keine gute Idee wäre, zu postulieren "halb so schnell ist auch richtig" (da könnte man auch sagen "halb so viele Töne tuns auch"...)

---ich weiss, so gerät man in ärgerliche kontroverse Bereiche (und es hängt ja immer davon ab, was man erreichen und tun will)

"alle Pianisten sind unzufrieden mit ihrer Technik, aber zufrieden mit ihrer Musikalität - umgekehrt sollte es sein" (dito Margulis) --- natürlich gibt es auch "Schwierigkeiten", die mit Rasanz/Brillanz/Virtuosität nichts zu tun haben: Schumanns Träumerei zum Beispiel !!!! Die hört man selten wirklich gut... oder sogar die "Anfängermenuette" aus dem Notenbüchlein

...Klavier spielen ist ein tückisches Vergnügen... :)

Gruß, Rolf
 
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Dann aber gibt es ja auch - leider, möchte man sagen - folgende nicht unberechtigte Ansicht: "ein falscher Ton stört - ein falsches Tempo verzerrt" (Prof. V. Margulis in seinem Essay über op.111, die er eingespielt hat)

Das wär doch eigentlich ein gutes Thema für einen neuen Thread:
tempo giusto - welches ist das richtige Tempo? :cool:

Ich denke, das "richtige" nämlich das vom Komponisten als Metronomangabe gesetzte Tempo kann durchaus das falsche Tempo sein. Dann nämlich, wenn es dem Tempogefühl des Spielers nicht entspricht. Man kann sich zwar zum Schnellspielen zwingen, (oder zum Langsamspielen) aber man wird es dem Ergebnis anhören, wenn es sich um ein erzwungenes Tempo handelt. Zwei Leute können dasselbe Stück in sehr unterschiedlichen Tempi spielen, und trotzdem spielt jeder genau in seinem eigenen, "richtigen" Tempo. Und selbstverständlich ist das schnellere Tempo nicht auch automatisch das bessere und richtigere Tempo.
 
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Das wär doch eigentlich ein gutes Thema für einen neuen Thread:
tempo giusto - welches ist das richtige Tempo? :cool:

Ich denke, das "richtige" nämlich das vom Komponisten als Metronomangabe gesetzte Tempo kann durchaus das falsche Tempo sein. Dann nämlich, wenn es dem Tempogefühl des Spielers nicht entspricht. QUOTE]

...ich weiss nicht so recht...irgendwie gönne ich dem jeweiligen Urheber doch ein gewisses Primat, auch und gerade in Tempofragen...

schwieriges Thema... sehr schwierig, man kann sich leicht in Nesseln setzen...

nur ein Exempel: Chopin, Etüde op. 10 Nr.2 ... jaja...ich kenne die Metronomangabe des Komponisten - mal abgesehen davon, wers realisieren kann (und das gibt es!): ist Chopin ein Idiot, wenn er für SEINE Komposition ein Tempo ungefähr anvisiert und dann fixiert? ---- ich bin davon überzeugt, dass er kein Idiot ist, auch nicht in Sachen Tempoanweisung.

hic Rhodos, hic salta -- wers nicht kann, ist zumindest Chopins Anweisung (noch - man kann ja üben) nicht gewachsen...

so kann mans auch sehen!

aber ok, ich kann mir lebhaft vorstellen, dass solche Überlegungen zu Gram und Grimm etc führen - deshalb bitte ich vorab um Vergebung, Verzeihung und Gnade!

nachdenklich (und besorgt, sich in Nesseln gesetzt zu haben)
Rolf
 

Wir können nur Teilaspekte zeigen

Der Faden regt wirklich zum Nachdenken an-

Die Gould Version fand ich sehr interessant aber auch durchwachsen und gerade einige Stellen nicht so transparent gespielt, wie von Gould eigentlich erwartet. Ansonsten könnte ich mich mit dem Tempo 120, welches er meist nimmt durchaus anfreunden.

Op. 106 und Op.111 sind ja wirklich Geschwistersonaten und markieren fast einen Endpunkt oder zumindest einen Haltepunkt. Sie schliessen gewissermaßen die Epoche der Klassik ab . Danach müssten es dann weiter gehen aber diese Art der komposition, die sich auch in den späten Streichquartetten zeigt, wird nicht weitergeführt. Schubert komponiert anders und oft orchestraler aber nicht derart komplex.
die Fuge in op. 106 ist ja ein Universalwerk. Es ist Barock, Klassik und Moderne in einem. Sie führt uns zurück und weist weit in die Zukunft.
Vielleicht lag es in der Absicht von Beethoven, seinen Nachfolgern diese Schwere Aufgabe zu stellen, hier sinnvoll fortzuschreiten. Anscheinend ist es bisher keinem gelungen. Und natürlich war Beethoven voller hintergründigem Humor, denn anders ist die Umwelt für ein Genie kaum zu ertragen.

@Koelnklavier,
das ist ein guter Standpunkt. Ich freue mich über jeden, der sich durch die literatur fingert. Es gibt kaum eine bessere Beschäftigung und ich habe eine grpße Abneigung gegen Klavierlehrer, die solches ihren Schülern sogar verbieten mit der begründung: "Das ist doch viel zu schwer, so ruinierst du dir deine Technik" und weiterer Blödsinn. Etwas anderes ist es, einen Schüler, der auftreten soll, von stücken abzuhalten, denen er nicht gewachsen ist aber das ist ja nicht gemeint.

Und ich bin auch sehr der Meinung, dass viele prominente Pianisten gern mal ein Stück schrecklich darbieten, gerade weil sie es zu schnell spielen oder in teilen zu schnell sind. Der oft zitierte Schnabel ist dafür ein Paradebeispiel. Natürlich ist er ein Superpianist aber gerade viele seiner Beethoven Einspielungen der Sonaten sind auf Grund des gewählten Tempos einfach schlampig - ich entschuldige diesen rohen ausdruck - aber ich emfpinde das so. Ebenso hat Martha Argerich etliche Mozart Werke verfehlt und sogar Chopin Baladen nur unzureichend gespielt. Sie lockte sich selbst immer wieder in einen furor, von dem sie nicht mehr runterkommt. Im vergleich dazu gibt es kaum Pianisten, denen man ankreiden müsste, ein Stück zu langsam gespielt zu haben. Langlang, dem auch grosse Pianisten bescheinigen, viel Musikalität zu haben, tut sich und dem Publikum keinen Gefallen, in dem er regelmäßig in diese Zirkusarena Attitude verfällt und dann fast die Musik verlässt.

Bei aller Sucht, immer das Schwerste und Sensationellste zu erhaschen, müssen wir uns fragen, warum wir Klavier spielen und Musik machen. Barenboim betont es immer wieder. Musik besteht aus Inhalten, die mit Wissenschaft, Logik und Sprache nur unzureichend bis garnicht beschrieben werden können und trotzdem können wir uns darüber verständigen. diesem Mysterium versuchen wir immer wieder auf den Grund zu kommen. Dies ist ein ständiges Abenteuer, welches nie ein Ende haben wird- zum glück -

Vor diesem Hintergrund werden auch die anscheinend nicht so spektakulären Stücke neu zu bewerten sein. Eine gültige Interpretation einer Haydn sonaten kann da durchaus eine größere Aufgabe darstellen als eine Liszt Etude. Und die KV 576 Sonate in d-dur von Mozart stellt urplötzlich eine größere hürde dar als eine der schwereren Chopin etuden.
 
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...ich weiss nicht so recht...irgendwie gönne ich dem jeweiligen Urheber doch ein gewisses Primat, auch und gerade in Tempofragen...

schwieriges Thema... sehr schwierig, man kann sich leicht in Nesseln setzen...

nur ein Exempel: Chopin, Etüde op. 10 Nr.2 ... jaja...ich kenne die Metronomangabe des Komponisten - mal abgesehen davon, wers realisieren kann (und das gibt es!): ist Chopin ein Idiot, wenn er für SEINE Komposition ein Tempo ungefähr anvisiert und dann fixiert? ---- ich bin davon überzeugt, dass er kein Idiot ist, auch nicht in Sachen Tempoanweisung.
Aber gestehst du denn nicht zu, dass der Komponist auch Fehler bei der Fixierung des Tempos machen kann?
Du hast mal Brendel zitiert. Kennst du auch seinen Aufsatz zum Klavierkonzert von Schönberg? Da liegen die Metronomangaben offenbar ähnlich weit außerhalb des "Erwarteten" wie bei der Hammerklaviersonate.
Ich finde Brendel argumentiert ganz gut, dass hier schlicht falsch gedacht und kalkuliert wurde.

lg marcus
 
nur ein Exempel: Chopin, Etüde op. 10 Nr.2 ... jaja...ich kenne die Metronomangabe des Komponisten - mal abgesehen davon, wers realisieren kann (und das gibt es!): ist Chopin ein Idiot, wenn er für SEINE Komposition ein Tempo ungefähr anvisiert und dann fixiert? ---- ich bin davon überzeugt, dass er kein Idiot ist, auch nicht in Sachen Tempoanweisung.

hic Rhodos, hic salta -- wers nicht kann, ist zumindest Chopins Anweisung (noch - man kann ja üben) nicht gewachsen...


Ich hab schon verstanden, daß für dich Metronomangaben so eine Art umgekehrte Geschwindigkeitsbegrenzung darstellen. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung nach unten, Mindestgeschwindigkeit sozusagen :cool:

Selbstverständlich kann man sein Spiel immer verbessern. Ob aber die Verbesserung immer mit einer Temposteigerung einhergehen muß...? :rolleyes:

Oft wäre eine Tempoverringerung viel sinnvoller ^_^

Auch bei Ravel gibt es furchtbar übertriebene Metronomangaben, und es gibt Aufnahmen von Ravel. Ich finde, er spielt seine Stücke zu schnell. Er vertraut der Qualität seiner Kompositionen nicht. Langsamer gespielt hören sie sich viel besser an. Das gilt übrigens auch für Rachmaninow.
 
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Ich hab schon verstanden, daß für dich Metronomangaben so eine Art umgekehrte Geschwindigkeitsbegrenzung darstellen. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung nach unten, Mindestgeschwindigkeit sozusagen :cool:

Selbstverständlich kann man sein Spiel immer verbessern. Ob aber die Verbesserung immer mit einer Temposteigerung einhergehen muß...? :rolleyes:

Oft wäre eine Tempoverringerung viel sinnvoller ^_^

Auch bei Ravel gibt es furchtbar übertriebene Metronomangaben, und es gibt Aufnahmen von Ravel. Ich finde, er spielt seine Stücke zu schnell. Er vertraut der Qualität seiner Kompositionen nicht. Langsamer gespielt hören sie sich viel besser an. Das gilt übrigens auch für Rachmaninow.

:) was würde die Polizei sagen, wenn man auf der Autobahn mit 40km zockeln würde, sofern sie einen erwischt? ich meine natürlich außerhalb einer Baustelle...
...wow...Baustelle!! vielleicht sind nicht erreichte (bzw beim Übenden NOCH nicht erreichte) Tempi auch so eine Art Baustelle?

ok, das war jetzt auch bissle Witzelei.

Man könnte doch von einer realitv fixierten, freilich geringe Abweichungen erlaubenden "Richtgeschwindigkeit" ausgehen, wenn man Metronomangaben von Beethoven, Liszt, Chopin, Ravel etc. vorfindet. Das Ausmaß der Abweichung freilich stellt die Frage, ab wann evtl Verzerrung vorliegt.

...ach Musik ist schon so eine Sache... bei Bildern kommt man nicht in die Verlegenheit, Farben zu ändern; wer Theatertexte "aktualisierend" ändert oder kürzt, hat das zu benennen (a la Dingsbumsdrama nach Schiller); aber Frau Musica, das graziöse Biest, führt da eine Art Schleiertanz auf...

ich will die Frage, ob gravierende Tempoabweichungen "genehmigt" werden sollten, ja gar ob die Komponisten in Sachen Tempo Esel waren, nicht entscheiden müssen; mein Indiz, dass sie keine Spinner waren, sind die Noten: die findet doch nahezu jeder ok, oder moduliert irgendwer im 1. Satz der Mondscheinsonate nach F-Dur, nur weil er das für richtiger hält?

klavigen hat Recht, das Thema hier stimmt einen nachdenklich - ob op.101, op.106, opp.109-111 des Ende der Klassik oder nicht eher den Anfang einer konstruktiven Romantik markieren, wäre auch eine interessante Frage! Rubinstein, also der Artur, nicht die beiden Russen, meinte, dass Beethoven der größte Romantiker sei. Ich halte op.111 für eine hochkomplexe, extrem subjektive und damit romantische Komposition - op.106 wirkt auf mich wie eine Art Antizipation oder gar "voraus-Erfindung" des Klassizismus (musikalisch gesehen)

...aber es wird immer schwieriger hier...zumal manche Metronomzahlen nachweislich älter als das Guinessbuch (nicht das Bier) sind

liebe Grüße, Rolf
 
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Aber gestehst du denn nicht zu, dass der Komponist auch Fehler bei der Fixierung des Tempos machen kann?

lg marcus

hallo,
ja vielleicht gibt es das auch (manchmal) - was mich allerdings stutzig macht, ist der Umstand, dass man "Komponisten-Tempofehler" fast immer dort zu finden vorgibt, wo sie es den Ausführenden vorsichtig gesagt nicht eben leicht machen.
mal plump gesagt: wenns einer sehr schnell haben will, dann wird das gerne als unsinnig betrachtet.
Fehler kann natürlich jeder machen - aber passieren die den großen Komponisten denn wirklich so oft, und gerade in emotionalen Angelegenheiten (der emotionale Charakter eines Musikstücks kann durch Tempoänderungen erhebliche Änderungen erfahren!)??

aber das alles ist heikel...jedenfalls, was den Umgang damit betrifft

liebe Grüße, Rolf
 
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hallo,
ja vielleicht gibt es das auch (manchmal) - was mich allerdings stutzig macht, ist der Umstand, dass man "Komponisten-Tempofehler" fast immer dort zu finden vorgibt, wo sie es den Ausführenden vorsichtig gesagt nicht eben leicht machen.
Ich glaube, diese Behauptung ist einfach falsch :D
Oder anders gefragt: Setzt du denn bei allen Stücken, die eine Metronomangabe machen, diese genau um?
Ich glaube, man variiert dies vielmehr als einem bewusst ist. Zu den Kinderszenen gibt es Metronomangaben von R.Schumann und Clara Schumann. Gerade weil schon geringfügige Tempomodifikationen den Charakter eines Stückes eines ändern, fände ich es höchst kurios, wenn hier alle Pianisten dasselbe Tempo fühlen und spielen würden. (Zumal Clara ganz andere Metronomisierungen vorschlägt als Robert, aber ihm gebürt da wohl der Vorrang des Komponisten)
Für die Träumerei gibt Schumann "100 auf die Viertel" an. Ich würde ca.70 nehmen.
Gerade diesen Fall der Träumerei scheint mir ein gutes Beispiel für wirklich "falsche" Metronomangaben zu sein - in dem Sinne, dass sie das Stück entstellen.
Aber wer regt sich darüber auf, dass Brendel nur 69 auf Viertel spielt, statt 100? Ich denke es geht einfach dadurch unter, dass das Tempo wirklich angemessener ist.
Ein weiterer Grund mag sein, dass eben solche wahnwitzigen Metronomisierungen wie 138 auf Halbe im ersten Satz der Hammerklaviersonate (beinahe?) nicht umsetzbar sind. Das ist schon ein Kuriosum und deshalb nimmt man davon eher Notiz.

@topic: Der Reiz von unspielbaren Stücken?
Ich weiß nicht, wie es anderen Menschen da geht, aber mir macht es Spaß, Fähigkeiten "auszuleben" und quasi nach außen zu tragen. Etwas überspitzt gesagt: Ein schönes e-Moll Präludium ist sicher was tolles, aber das Scherzo Op.20 macht trotzdem mehr Spaß und ist aufregender :D

lg marcus

(rolf: Das Zitat, auf das du geantwortet hast, war übrigens von mir, nicht von dir. Ist eigentl klar, aber... )
 
Im vergleich dazu gibt es kaum Pianisten, denen man ankreiden müsste, ein Stück zu langsam gespielt zu haben.
Das Paradebeispiel dafür ist wohl noch immer Glenn Goulds Aufnahme der Appassionata von Beethoven.
1. Satz = 15 min.
2. Satz = 11 min.

Zum Vergleich Friedrich Gulda:
1. Satz = 7,5 min.
2. Satz = 5,5 min.

Der hatte schon Mut, der Gould... :)
Grüße von
Fips
 
Ich hab schon verstanden, daß für dich Metronomangaben so eine Art umgekehrte Geschwindigkeitsbegrenzung darstellen. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung nach unten, Mindestgeschwindigkeit sozusagen :cool:

Selbstverständlich kann man sein Spiel immer verbessern. Ob aber die Verbesserung immer mit einer Temposteigerung einhergehen muß...? :rolleyes:

Oft wäre eine Tempoverringerung viel sinnvoller ^_^

Auch bei Ravel gibt es furchtbar übertriebene Metronomangaben, und es gibt Aufnahmen von Ravel. Ich finde, er spielt seine Stücke zu schnell. Er vertraut der Qualität seiner Kompositionen nicht. Langsamer gespielt hören sie sich viel besser an. Das gilt übrigens auch für Rachmaninow.
Ich hab jetzt zwar nicht die Metronomangaben mit den Interpretationen verglichen. Aber so, wie du es am Schluss für Ravel und Rachmaninoff beschreibst, geht es mir bei vielen Pianisten, wenn sie bestimmte Stücke von Chopin spielen. Scheinbar glauben sie, dass gilt: je schneller, desto besser. Aber die Stücke werden zu schnell gespielt und verlieren dadurch an Qualität. Das Préude Nr. 16 in b-Moll z.B. wird regelmäßig kaputtgespielt. Pollini ist da eine löbliche Ausnahme, weil er für mein Gefühl genau das richtige Tempo erwischt.

Grüße von
Fips
 

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