Liebe Leute,
ursprünglich ging es hier ja darum, dass Babette diesen sehr erfreulichen Drang verspürt, zu komponieren und hier im Faden dazu Unterstützung und Feedback haben wollte.
Dann ging es um die Rolle des Komponierens und anschließend auch Improvisierens im Klavierunterricht, wobei Fred die folgende These aufgestellt hat:
"Nur wird dieser seit Mitte des 19.Jahrhunderts von der Rige der Klavierlehrer systematisch unterdrückt. Die hohe Kultur des sogenannten Sätzchen-Spiels, der Sinn von Passagrnübungen und Etüden und vielen anderen kleinen Bausteinen die in ihrem ursprünglichen Sinne zur Heranführung an das eigenständige Schaffen führen sollten, wurden durch die Unfähigkeit der Lehrerschaft Kreativität zu entwickeln ad Absurdum geführt....................... Die Entmündigung von der eigenen Kreativität im heutigen klassischen Klavierunterricht ist symptomatisch für unsere Gesellschaft."
Nach meinem Empfinden ist diese These schon polemisch formuliert, daher hatte ich auch darauf reagiert.
Denn gerade heute ist die Klavierdidaktik und -methodik, besonders letztere, ziemlich weit fortgeschritten ( immer noch nicht weit genug :p ) und lässt sich mit der damaligen Art, zu unterrichten, kaum mehr vergleichen. Als Klavierlehrer bemüht man sich sehr um Kreativität, um individuelle Förderung und Entwicklung, deshalb hat mich die Formulierung oben schon getroffen.
Der Trend geht im Klavierunterricht auch absolut dazu, den Beginn ohne Notenschrift zu gestalten. Bei mir spielen kleine Schüler oft monatelang ohne Noten. Fred hat da absolut recht, wenn er Musik mit Sprache vergleicht.
Die Frage aber ist, ob es wirklich Unterdrückung der Kreativität war, die den Klavierunterricht verändert und auch die Trennung des Interpreten vom Komponisten begünstigt hat.
Meiner Meinung nach ist es eher die ungeheure Vielfalt an Werken allerhöchster Qualität, die ab der Romantik auf uns niederschwappte. Glücklicherweise!!! Ich bin so dankbar, dass Komponisten uns solche Schätze hinterlassen haben!!!
Diese Werke erforderten und erfordern allerdings zum großen Teil ein erhebliches technisches Können, ein großes Musikverständnis. Die Folge war, dass Pianisten einfach sehr viel üben müssen (Zeitfaktor!), um diesen anspruchsvollen Werken gerecht zu werden. Solche Genies wie Liszt und Chopin, die hervorragend spielen und komponieren konnten, sind eben sehr selten.
Gegenüber diesen Werken wirken eigene Improvisationen halt - na ja, ihr wisst schon :p . Ich hätte jedenfalls keine Lust, mir frühere Klavierabende anzuhören, in denen von Thalberg, Kalkbrenner & Co. Improvisationen und eigene Stücke gespielt wurden.
Dort in der Romantik begann auch der Trend, Stücke alter Komponisten ( Bach, Beethoven, Mozart...) aufzuführen. Und zwar, weil diese Schätze nicht verloren gehen sollten. Auf den Studien der Werke dieser Meister bauten dann auch alle Kompositionen auf, die die Zeiten überdauert haben ( Chopin, Liszt, Schumann etc. etc.). Es war wichtig, dass diese Werke im Konzertsaal zu hören waren.
Somit wuchs die Vielfalt und zum einen die Möglichkeit, Konzerte äußerst vielfältig zu gestalten, zum anderen, eine riesige Menge an kompositorischem Erfindungsreichtum zu studieren.
Eigene Improvisationen waren dann nicht mehr so gefragt in Konzerten. Sicher spielt auch eine Rolle, dass mit den Improvisationen die für die damaligen Verhältnisse unglaublichen klanglichen Möglichkeiten des gerade neuen Flügels erforscht und ausgelotet wurden. Eine riesige Entdecker- und Experimentierfreude war m.E. der Ursprung. Schon eine Improvisation mit allerlei Arpeggiern, Tonleitern etc. konnte helles Entzücken beim Publikum auslösen, das diese Klänge noch nicht kannte, wobei eben gerade diese Entwicklung ( bloßes Virtuosengeklimper ...) von Schumann u.a. sehr kritisiert wurde. Später verlor dies dann seinen Reiz - wer will schon Arpeggien am laufenden Meter hören, wenn er Chopins op.10/1 hören kann. :p
Es ist natürlich unbedingt Aufgabe des Klavierunterrichts, auch diese Entdecker - und Experimentierfreude zu wecken. Die weckt man aber nicht nur mit Improvisation :p, auf gar keinen Fall. Es wäre doch schlimm, wenn Kreativität und eigenes Schaffen nur mit Improvisation zu erreichen wäre. Was Rolf oben gesagt hat bzgl. der Klavierausbildung, kann ich nur vollstens unterstützen! Übrigens hat auch Stilblüte hier schon mal eine sehr schöne Improvisation um Weihnachten rum hier eingestellt.
Improvisation gehört mittlerweile zur Ausbildung dazu, wobei man wiederum diffenzieren muss: in der Früherziehung, Schulmusik, Kirchenmusik, Komposition etc. wurde und wird viel improvisiert, in der Ausbildung zum Pianisten ist es ein Modul von vielen. Trotzdem hat natürlich die Improvisation nicht mehr den Stellenwert von früher in der pianistischen Ausbildung, was Fred sehr bedauert. Die Gefahr von Fachidioten, die nur noch Aufgeschriebenes spielen können, war vor allem während meiner Studienzeit, in der noch keine Improvisation unterrichtet wurde, durchaus gegeben.
Auch im klassischen Klavierunterricht mit Laien hat es die Entwicklung gegeben, dass die Improvisation in der Regel nur eine Nebenrolle hat. Das liegt aber auch an der reinen Unterrichtszeit, die zur Verfügung steht: früher hatten Schüler sehr häufig Unterricht, manchmal sogar täglich, heute sind es in der Regel wöchentlich 45 min..
Da das sehr wenig Zeit ist, muss man Prioritäten setzen. Und die richten sich nach den Bedürfnissen des Schülers. Wenn jemand wie Babette komponieren möchte, wird der Lehrer ( hoffentlich) alles daran setzen, sie zu unterstützen. Entweder stellt man dann andere Dinge im Klavierunterricht zurück oder erweitert die Zeit. Später, wenn das Interesse wächst und man als Klavierlehrer meint, nicht mehr genug unterstützen zu können, bietet sich ein Kompositionslehrer an, die es sehr häufig gibt - die Komponisten geben mangels anderer finanzieller Möglichkeiten ( wie mein eigener Cousin) Klavierunterricht u.v.a.m..
Wenn also ein Anfänger erst einmal Klavierspielen ohne Noten ( was je nach Fall auch anders sein kann) erlernt hat, kommt es auf den Grad seiner Motivation an, wieviel Zeit er der Improvisation und Komposition geben will.
Die meisten meiner Schüler haben mehr Spaß daran, sich mit der Literatur mehr oder weniger alter Meister zu beschäftigen. Denn Klavierspielen lernen ist nicht einfach und braucht Zeit. Gehörsschulung in Verbindung mit Musiktheorie, wobei man selbstverständlich improvisiert, musikalische und persönliche Entwicklung und Bildung, das Kennenlernen der so vielfältigen Klavierliteratur, die Umsetzung und Entwicklung klanglicher und technischer Abläufe, Erlernen kreativer Übestrategien ...... - dafür sind schon 45 min. wöchentlich verdammt wenig Zeit.
Es gibt aber immer wieder Phasen, in denen Schüler anderes machen wollen, gerade in der Pubertät. Dann wird mal ein halbes Jahr nur nach Gehör gespielt, es werden Ausflüge in andere Sparten gemacht ( auch vorher schon).... .
Insofern sehe ich es so, dass auch der klassische Klavierunterricht ( wir haben ja jetzt noch gar nicht von Unterricht in Pop/Rock/Jazz/Früherziehung/Percussion/Rhythmik/Improvisation... gesprochen) äußerst vielfältig sein kann. Das Spektrum hat sich gerade gegenüber früher ungeheuer erweitert.
Daher meine ich, dass man sehr differenzieren sollte, spricht man vom heutigen klassischen Klavierunterricht.
Ich selbst habe ja auch an einer Hochschule studiert, an der es auch eine Jazz-Ausbildung gab. Ich fand es sehr, sehr angenehm, dass es überhaupt keine Grabenkämpfe gab. Jeder hat den anderen respektiert ob seines besonderen Könnens. Ich habe die Jazzpianisten immer bewundert ob ihres phantastischen Improvisationstalents. Umgekehrt haben sie uns bewundert, weil sie, wie sie sagten, einer Beethoven-Sonate niemals gerecht werden konnten. Die Komponisten hatten wiederum eine ganz andere Sicht auf die Dinge, weil sie ein ungeheures Wissen um die gesammelte Literatur angesammelt hatten, vor allem im klassischen Bereich.
Man kann viel voneinander lernen.
Liebe Grüße
chiarina
@Hanapha: meiner Meinung nach hat Rolf absolut recht. Ich kann nur das unterrichten, was ich selbst spielen kann. Ein Lehrer kann nur dann unterrichten, wenn er einen Wissensvorsprung hat. Er braucht, um individuell auf jeden Schüler eingehen zu können, einen großen Topf an Erfahrungen. Hat er spieltechnisch mit Stücken keine Erfahrung, weil er diese nicht spielen kann, kann er diesbezüglich auch nichts vermitteln. Musikalisch kann er trotzdem etwas vermitteln, wenn er sich intensiv auskennt. Deshalb ist es oft interessant, auch mal von Sängern o.a. unterrichtet zu werden. Das kann aber immer nur zusätzlich sein, weil es zur Realisierung der musikalischen Vorstellungen noch ganz anderen Know-Hows bedarf. Wenn man da nicht mitkommt, kann man das nicht unterrichten.
Kämmerling hat dies alles mal gekonnt, davon bin ich überzeugt. Dass einer nicht auftritt, bedeutet nicht, dass er es nie gekonnt hat.