Das relative/ absolute Gehör

Je mehr ich darüber lese, umso mehr glaube ich fast, dass es für den "Hausgebrauch" eher eine Behinderung als eine Hilfe ist, absolut hören zu können

Was mich betrifft: absolut korrekt. Was habe ich die sog. historisch-informierte Praxis schon verflucht... Ich habe eine (ansonsten) wunderschöne Aufnahme einiger Bach-Konzerte (die Brandenburgischen, das Doppelkonzert in der c-moll-Ausführung für zwei Cembali, das Konzert für Geige und Oboe, auch c-moll), und kann sie nicht so richtig genießen, weil ich mich andauernd an der Tonhöhe stoße. Und Chorsingen habe ich ganz aufgegeben, obwohl ich wirklich gerne singe.

Was mit 7 Jahren ein Kuriosum in der Verwandschaft war ("Marki, zeig doch mal Onkel Werner, dass du jede Taste am Klavier blind erkennen kannst!"), ist mittlerweile nur noch lästig, wie eine chronische Allergie.

In diesem Sinne, an den/die FadenerstellerIn Tori: ich würd's mir dreimal überlegen, was ich mir wünsche oder aneignen will. Die Geister, die ich rief...
 
Das Andere, was ich noch nie begriffen habe: ich habe ein "internes, unterbewusstes" Tongedächtnis, was fast einen halben Ton zu tief liegt. Wenn ich ein Stück im Kopf anhöre, oder mit einem Ohrwurm wach werde, ist das sehr oft fast einen Halbton zu tief. Aber erst sobald ich die Musik hörbar mache, durch Singen, Pfeifen, etc., und bewusst hinhöre, merke ich, dass ich im Kopf zu tief lag.

Wenn ich also einen Ton, z.B. ein D, produzieren soll, muss ich mich immer erst eine kurze Sekunde lang konzentrieren, sonst kommt er manchmal um fast einen Halbton zu tief raus.

Das gilt wiegesagt nur für den inneren Ton. Wenn ich z.B. eine Aufnahme von Barockmusik anhöre, mit historischem Kammerton 415 Hz, werde ich ganz fusselig im Kopp, obwohl das eigentlich meinem inneren Ton entspricht.

Hey Klimperer,
sowas passiert mir auch manchmal - und ich habe den Eindruck, dass ich nicht zu tief anfange, sondern zu tief werde, und am ehesten betroffen sind Melodien, die in meiner Stimmlage unangenehm zu singen wären - aber trotzde singbar blieben. :D Ich sinke also beim inneren Anhören mit, als wäre ich im Chor!
Kann das bei dir auch sein?
Das mit den "Stimmungsschwankungen" kenn ich. Total krass - und mich wunderts überhaupt nicht, dass dich das Üben auf einem zu tief gestimmten Instrument richtig durcheinanderbringt. Ein älteres Familienmitglied ist *g* in Vorkriegsjahren noch mit einer anderen Stimmreferenz aufgewachsen und musste sich in Stresssituationen immer SEHR konzentrieren, um die richtigen Töne im Chor anzugeben.....
Liebe Grüße
 
Ich sinke also beim inneren Anhören mit, als wäre ich im Chor!
Kann das bei dir auch sein?

Ich glaube eher nicht - da bin ich m.W. recht stabil. Es ist letztlich aber schwierig zu sagen, denn ein Ohrwurm ist ja zumindest bei mir erstmal ganz unbewusst - schleicht sich sozusagen unbemerkt in den Schädel, nistet sich ein, frisst schon mal den halben Apfel... Und in dem Augenblick, wo mir das Stück und seine Tonhöhe bewusst werden, ist es schon zu tief. Wenn es also auf korrekter Tonhöhe anfängt und dann absinkt, dann passiert das alles schon im Unterbewusstein - da müsste ich (Scherzle) mal wieder meine Hypnotherapeutin aufsuchen und ihr was vorsingen.:D

Interessant, der ganze Themenbereich der Psychoakkustik. Oliver Sacks hat dazu absolut faszinierende Bücher geschrieben - sehr empfehlenswert!

Ciao,
Mark
 
zum Phänomen falsche und richtige Tonarten:
egal ob mit oder ohne absolutes Gehör, erübrigt sich diese Frage bei Musikstücken, die man nicht kennt :D und zum erstenmal hört; und selbst wenn man die Haupttonart gesagt bekommt, hilft das nicht viel, denn etliche Musikstücke beginnen nicht mit ihr (Chopin Ballade g-Moll, Skrjabin Sonate Fis-Dur, Beethoven Sonate Nr.32 - und um hörend wahrzunehmen, was sich da modulatorisch tut, braucht man deutlich mehr als die Fähigkeit, eine absolute Tonhöhe identifizieren zu können)
ob sich der "Charakter" einer Tonart ändert, wenn man nach oben oder unten oktaviert? :D das ist vernachlässigbar, denn z.B. Chopins Trauermarsch eine Oktave höher gespielt ändert seinen Charakter von genial zu blödelig...

schwarze Tasten weden anders gespielt? ... na von mir aus...
 
zum Phänomen falsche und richtige Tonarten:
egal ob mit oder ohne absolutes Gehör, erübrigt sich diese Frage bei Musikstücken, die man nicht kennt :D

Naja, wenn man der Thorie der unterschiedlichen Charaktere folgt (mein Gehör ist vermutlich zu schlecht, um darüber urteilen zu können), dann hat der Komponist -so er denn ein Meister seines Fachs ist- das Stück ja nicht zufällig in eine bestimmte Tonart gesetzt sondern er hat genau die Tonart gewählt, deren Charakter mit dem sonstigen Charakter des Stücks harmoniert und ein feinhörender Mensch, der dieses Stück unbekannterweise hört, sollte dementsprechend doch eine gewisse Dissonanz empfinden, wenn es in der verkehrten Tonart erklingt.

Andererseits , wenn Menschen mit einzelnen Tonarten bestimmte Emotionen oder Charaktäre assoziieren, wäre zu fragen, ob diese Assoziationen überhaupt intersubjektiv sind. Wenn sie hochgrading subjektiv sind -und das scheinen ja viele Aspekte rund um die Hörwahrnehmung zu sein- wäre es doch ein Wunder, wenn überhaupt jemand außer dem Komponisten selber die vollkomme intendierte Stimmigkeit einer Musik erleben könnte.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Naja, wenn man der Thorie der unterschiedlichen Charaktäre folgt (mein Gehör ist vermutlich zu schlecht, um darüber urteilen zu können), dann hat der Komponist -so er denn ein Meister seines Fachs ist- das Stück ja nicht zufällig in eine bestimmte Tonart gesetzt sondern er hat genau die Tonart gewählt, deren Charakter mit dem sonstigen Charakter des Stücks harmoniert

Die vermeintlichen Charakere der Tonarten sind aber Zuschreibungen, keine Naturgesetze ;) aus diesem Grund taugt As-Dur sowohl für eine heroische Polonaise als auch für ein zärtliches Prelude ;) (bei Chopin)
 
... und nicht nur bei Chopin ist solche "Mehrzwecknutzung" zu sehen.

Dankeschön, Rolf.
 
Hallo,

Mindenblues, und wen es sonst interessiert:

Ich habe heut morgen beim zweiten Frühstückskaffee (vorher läuft nix!) mal nachgemessen, weil es nun auch mich interessierte. Ich habe z.Zt. leihweise ein kleines Korg CA40 im Haus, mit Messeinheit 5 Cent und drei LEDs (minus=rot, null=grün, plus=rot). Kleinere Abweichungen als 5 Cent zeigt es an, indem es die jeweilige rote LED zusammen mit der grünen einschaltet.

Hinweis: bei 440 Hz ist 1 Cent 0,25 Hz, bei 220 Hz ist 1 Cent 0.5 Hz (logarithmische Centskala).

Versuch 1:
Stimmgerät meiner Frau gegeben und nach kurzem Konzentrieren das kleine a (220 Hz) gesungen. Ergebnis: grün, also bis auf ca. 1 Hz genau. Das Ergebnis war mir noch nicht bekannt!

Versuch 2:
Geige herausgenommen und die Saiten gedämpft gehalten. A-Saite ein Stück abgelassen, dann mit Streichen wieder hochgestimmt - ohne eine andere Saite anklingen zu lassen. Leider ist die Umwicklung schlecht; die Saite schwingt in sich. Ergebnis: schwankend zwischen rot-grün -5 Cent und rot +10 Cent, im Mittelwert also auch auf ca. 1 Hz genau, anscheinend sogar einen Tick zu hoch. (Muss wohl am leckeren Eduscho liegen. :lol: )

Damit kann ich an einem Freitagmorgen leben. :D

[Edit: das a ist natürlich durch's jahrelange Stimmen besonders genau eingeprägt. Mit anderen Tönen werde ich es gelegentlich auch mal versuchen.]

Es grüßt
Klimperer.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
@ Klimperer:

Deine Absoluthörpräzision ist für mich der totale Oberhammer!

Ich hätte nicht gedacht, dass man dermaßen genau absolut hören kann, wirklich Wahnsinn!

Hast du dich mal röntgen lassen, ob du als Baby eine Stimmgabel verschluckt hast, die immer noch ihren Dienst tut? :D
 
Was mich betrifft: absolut korrekt. Was habe ich die sog. historisch-informierte Praxis schon verflucht... Ich habe eine (ansonsten) wunderschöne Aufnahme einiger Bach-Konzerte (die Brandenburgischen, das Doppelkonzert in der c-moll-Ausführung für zwei Cembali, das Konzert für Geige und Oboe, auch c-moll), und kann sie nicht so richtig genießen, weil ich mich andauernd an der Tonhöhe stoße. Und Chorsingen habe ich ganz aufgegeben, obwohl ich wirklich gerne singe.(....)

:D Jawohl, so gehts mir auch. Besonders beim Streichinstrument.:)
Manche Orchester stimmen sehr hoch, andere für alte Musik tief- schrecklich.
Übrigens mögen die Instrumente das auch nicht- das Streichinstrument ist für eine bestimmte Spannung ausgelegt, die je nach Tonhöhe unterschiedlich ist. Das hört man und man fühlt es beim Spielen.

LG
VP
 

@ Klimperer:

Deine Absoluthörpräzision ist für mich der totale Oberhammer!

Ich hätte nicht gedacht, dass man dermaßen genau absolut hören kann, wirklich Wahnsinn!

Hast du dich mal röntgen lassen, ob du als Baby eine Stimmgabel verschluckt hast, die immer noch ihren Dienst tut? :D

Danke, MB, ich war selber etwas überrascht...

Röntgen habe ich mich schon öfter lassen (müssen) - leider meist nicht freiwillig. Die Musikerseele wohnt in meinem Falle anscheinend in keinem sehr robusten, ausgeglichenem Korpus...

In diesem Sinne: ja fein, die 440 erkennen wir - und was bringt uns das im Überlebenskampf?

Herzlichen Gruß,
Klimperer.
 

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