Comptine d'un autre été: L'après midi

Wie findet ihr Comptine d'un autre été: L'après midi?

  • Ich find's göttergleich!

    Stimmen: 38 48,1%
  • Ich kann es nichtmehr erhören!

    Stimmen: 41 51,9%

  • Umfrageteilnehmer
    79
Es geschehn noch Zeichen und Wunder:
Das wir zwo beide mal am gleichen Strang ziehn, hätte ich vor ein
paar Wochen eher bezweifelt.

Ich hielt deine Äußerungen für sehr richtig und sehr wahr. Das ist weder ein Zeichen noch ein Wunder. Und es ist durchaus möglich und wahrscheinlich, daß wir auch zukünftig gelegentlich am selben Strang ziehen. Ebenso möglich und wahrscheinlich ist, daß wir es gelegentlich mal wieder nicht tun, was wiederum kein Zeichen und kein Wunder wäre.
Na und? An dem einen wie dem anderen ist nichts Schlimmes. Mimosen sind wir doch sicherlich beide nicht. Und wer Karl Kraus gelesen hat, kann Polemiken gewiß vertragen.
 
Mir ging es darum, daß sich die zum Teil sehr verstiegenen Diskussionsbeiträge
aus dem anderen "Comptine"-Thread am Notentext belegen lassen müßten,
z.B. die Behauptung, dieses Musikstück Tiersens sei ein Beitrag zur "Volksverblödung".


Eine "Verblödungsabsicht" hier an Hand des Notentextes nachzuweisen
muss scheitern.

Möglicherweise ist dir die Unmöglichkeit dieses Nachweises in diesem Faden,
nämlich dass die Comptine auch ein Teil der Verdummungsstrategie darstellt,
längst bewusst...

Der Unmöglichkeit dieses Nachweises bin ich mir nicht bewußt. Ich hätte das Thema sonst gar nicht angesprochen.
Allerdings gebe ich zu, daß mir die Arbeit nicht ganz geheuer ist. Es wäre mir recht gewesen, wenn sich ein anderer
bereiterklärt hätte, sie zu erledigen.

Es ist ein bischen wie bei Kleist - in diesem Fall: die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben.
Ich weiß nicht, wohin sie mich treibt, aber ich lasse mich treiben - - und beginne mit einem Exkurs.

Eines der Haupt-Wesensmerkmale der abendländischen Kunstmusik ist ihre Diskursivität - und deren Voraussetzung:
die Sprachähnlichkeit der Musik. Ihre Themen werden als sprechend empfunden, Gegenthemen als Einspruch,
der Themen (und Tonarten-)Dualismus als ein auskomponierter Konflikt - und der dafür vorgesehene Austragungsort: die Durchführung.
Schon bei Haydn hat das Durchführungsprinzip nicht nur den Sonatenhauptsatz, sondern auch den langsamen Satz,
das Menuett und das Finalrondo geprägt. Der Anteil an motivisch-thematischer Arbeit stieg kontinuierlich -
und mit ihm eine zunehmende Differenzierung im Harmonischen: weg von den Hauptstufen, weg vom elementaren Kadenzieren.
Die Entwicklung der abendländischen Harmonik kann beschrieben werden als ein immer länger andauerndes Hinauszögern
der Kadenzbewegung. Ferner eine Differenzierung im Satztechnischen: weg von der Oberstimmenmelodik, in der durchbrochenen Arbeit
Wechsel der führenden Stimme quer durch alle Stimmlagen, Durchpolyphonisierung aller Stimmen bis hin zu realer Vielstimmigkeit.
Auffälligstes Merkmal dieser gesamten Entwicklung: die zunehmende Aversion gegenüber dem wörtlich Wiederkehrenden.
Themen bleiben nicht, was sie bei ihrem ersten Auftreten gewesen sind, ihr harmonisches Umfeld ändert sich,
Kontrapunkte treten hinzu. Die Themen ändern sich, so wie wir uns ändern, altern, verwandeln und doch identisch bleiben.


Populärer Musik vorzuwerfen, daß sie von alledem nichts oder nur wenig kennt, wäre albern. Es ist aber eine Frage der Redlichkeit
festzustellen, daß sie sich an alles klammert, was in der Kunstmusik verpönt ist: identische Formteile, weitgehend homophoner Satz,
undurchbrochene Oberstimmenmelodik, gleichförmige Begleitstimmen, einfache rhythmische und klare tonale Verhältnisse.
Als angewandte Musik, zum Beispiel für den Tanz, hat sie Gebrauchscharakter, was noch längst nicht gegen sie spricht:
Ihren Reiz bezieht sie aus der Prägnanz ihrer Melodien, der Übersichtlichkeit ihrer Formanlage, der Betonung der Zählzeiten.

Der idealtypische Hörer von Kunstmusik muß den musikalischen Verlauf mit wachen Sinnen verfolgen, wenn er nicht leer ausgehen will.
Dem idealtypischen Hörer populärer Musik reichen der Wiedererkennungswert eines Stückes - als Projektionsfläche für Gefühle aller Art -,
eine charakteristische Melodie und die Tanzbarkeit.

Es fällt aber auf, daß die "Comptine" auch die Standards guter Unterhaltungsmusik unterläuft -
wie macht sie das, und was macht sie mit ihren hörenden oder klavierspielenden Liebhabern?
Die in der linken Hand 13 x wörtlich zu wiederholende Viertakt-Gruppe dient der beständigen Bestätigung des Vertrauten.
Spieler und Hörer müssen keine Angst vor dem imprévu haben. Ist also die Entdeckung von etwas Unvertrautem angstbesetzt?
Seit der Romantik drückt sich die Invidualität in der Melodik aus - in einem singulären Thema, das Privateigentum des Komponisten ist.
Die schwache melodische Erfindung nimmt der "Comptine" das beste, was sie haben könnte, ihr Charakteristisches:
die Individualität. Ist das Absicht? Die spannungslose Harmonik, die mißklingende Setzweise tragen zu dieser Entindividualisierung bei.
Einübung in das regelmäßig Wiederkehrende, Bestätigung des Vertrauten, Entindividualisierung sind Merkmale heutiger Arbeit.
Als Gegengift gegen diese Mechanisierung, gewissermaßen zur Verschleierung, sucht die "Comptine" das Gefühlige
-
darum die Anlehnung an das lyrische Klavierstück, die sich nicht in gattungsspezifischer Satztechnik, sondern im Zitat des Klaviertones
an sich zu erkennen gibt. Das Klavier hat für heutige Maßstäbe etwas Vorweltliches. Als berühmtestes Möbelstück des 19.Jahrhunderts
steht es im kollektiven Bewußtsein heute für den Ernst des Lebens, für das Erwachsene, Momente der Reflexion, Trauer, Schwermut.
In jedem zweiten Film wird die Klavier-Klangfarbe so eingesetzt, wobei es nebensächlich ist, was an Musik erklingt.
Tiersen partizipiert daran. Die "Comptine" setzt den verdinglichten Menschen voraus - oder versucht, ihn zu erschaffen.
Gleichzeitig will sie ihn mit Gefühligkeit darüber hinwegtrösten, was sie ihm antut.

Der einzelne Hörer/Spieler dieser Musik wird damit nicht beurteilt. Er ist ohnehin das Opfer, denn ihm wird eine Bedürfnisbefriedigung
versprochen und zugleich verweigert - da hat sich seit den Tagen der guten alten Schlager-Analyse nichts geändert.

Leute, ich kann nicht mehr - es ist 4:50, und mir fallen fast die Augen zu. Heute mache ich mit Frau und Kind einen Tagesausflug.
Ich sollte noch ein wenig schlafen. Zerpflückt den Text oder - wer will - spinnt den Faden weiter!

Gruß, Gomez

-
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
..... bin (heute mal) kein Spinner...

Ein dickes Lob an den Nachtarbeiter!!!
 
Bonjour!


Mimosen sind wir doch sicherlich beide nicht.

Ich allerdings kann von Affinität getreulich berichten:
Ich liebe deren Duft.

- - - - - - - -

Tiersen partizipiert daran. Die "Comptine" setzt den verdinglichten Menschen voraus - oder versucht, ihn zu erschaffen.
Gleichzeitig will sie ihn mit Gefühligkeit darüber hinwegtrösten, was sie ihm antut.

Also, dann spinn ich mal weiter:

Der Verdinglichung des Menschen wird Vorschub geleistet, indem er
mit Gefühligkeit darüber hinweggetröstet wird.

Wie immer und überall gehörn selbstverständlich zwo dazu:
Er läßt sich allzu bereitwillig trösten....

gruß + kuß

stephan
 
Hallo Klavigen,

e- moll ist stabil - es ist die Grundtonart, wie ich sie höre

G-dur ist nicht stabil, weil es nicht das Resultat einer fallenden Quinte ist

H-moll ist stabil weil es den Gegenpol (nicht Gegenklang) zu e-moll darstellt

und d-dur ist unstabil, weil es die Tendenz zum e-moll in sich trägt-

Auch ich höre das Stück in der Grundtonart e moll. Aber bitte erkläre mir mal, wie du von e moll auf G dur mit einer fallenden Quinte kommst (*), und wieso D dur die Tendenz zum e moll in sicht trägt.

[EDIT: entschuldige, ich sehe erst jetzt: du schriebst, weil es NICHT das Resultat...]

* E moll auf G dur ist, falls beide in der Grundumkehrung stehen, ein Schritt von einer Sexte abwärts bzw. Terz aufwärts. In der jeweiligen Umkehrung, wie Tiersen sie benutzt, ist es ein Ganztonschritt abwärts. Ich sehe da nirgends eine Quinte - weder fallend noch aufsteigend.

Ciao,
Mark
 
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[EDIT: entschuldige, ich sehe erst jetzt: du schriebst, weil es NICHT das Resultat...]

* E moll auf G dur ist, falls beide in der Grundumkehrung stehen, ein Schritt von einer Sexte abwärts bzw. Terz aufwärts. In der jeweiligen Umkehrung, wie Tiersen sie benutzt, ist es ein Ganztonschritt abwärts. Ich sehe da nirgends eine Quinte - weder fallend noch aufsteigend.

Ciao,
Mark

sind wir uns da nicht ein bischen einig? Ich sehe da auch nirgendwo eine quint- nicht fallend und nicht steigend- oder hatte ich das geschrieben ?
 
Hi Gomez,

ich muss deinen Text nicht zitieren. Er kann ja gelesen werden.

Zu deiner Nachtarbeit muss ich dir gratulieren. Das hat sich gelohnt. Und ich hoffe, dass viele User sich das genauestens durchlesen und nicht nur überfliegen.

Du hast in allem Recht.

Ich habe unter anderen bei Rolf Riem und Richard Rudol Klein studiert -

Musikgeschichte bei Hucke- Didaktik bei Mautschka und Ickstadt-

du kannst dir denken, dass wir diese Themen- vor allem in Bezug auf den Warencharakter gründlich durchgenommen hatten. Allerdings war dies die Zeit (bis 1978) wo sich die Popmusik noch nicht in der Art durchsetzen konnte. Aber im Prinzip war es dasselbe.
 
Siehe mein "EDIT". Ich hatte deinen Beitrag zuerst falsch gelesen, das "nicht" hatte ich übersehen. Insofern sind wir uns wenigstens soweit einig, dass da keine Quinte vorkommt.

Aber davon würde ich nicht die Stabilität bzw. Ruhe der Harmonie herleiten wollen. Viel instabiler finde ich die Akkorde bzw. Akkordfolge wegen der fehlenden Grundtöne im Bass - das wurde hier aber schon oft genug beschrieben.

Auch empfinde ich die Folge vom D Dur (insbesondere weil eine Septime, also C oder Cis, fehlt) zurück zum e moll als eine Hauruck-aktion (Quintparallele usw.), die auf mich wirkt wie:

"Die Platte ist nach vier Takten abgelaufen, also reißen wir die Nadel - RATSCH - wieder in die Anfangsstellung zurück und es nudelt von vorn los."

Ciao,
Mark
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Die "Comptine" setzt den verdinglichten Menschen voraus - oder versucht, ihn zu erschaffen.
Gleichzeitig will sie ihn mit Gefühligkeit darüber hinwegtrösten, was sie ihm antut.

Der einzelne Hörer/Spieler dieser Musik wird damit nicht beurteilt. Er ist ohnehin das Opfer, denn ihm wird eine Bedürfnisbefriedigung
versprochen und zugleich verweigert - da hat sich seit den Tagen der guten alten Schlager-Analyse nichts geändert.


-

Ja Gomez- auch da muss ich dir restlos zustimmen. Damit wird aber auch klarer, warum ich dann bei Post /irgendwann erklärte, dass die Menschheit sich immer mehr der "Verblödung" nähert.

Wenn der Hörer ein Opfer ist, was ich genauso sehe, dann gibt es aber Menschen, die ihn dazu gemacht haben und das wollte ich auch in die Diskussion bringen. Nichts geschieht einfach nur so sondern hat Ursachen und die können gefunden werden.

Ich habe meine Sicht der Dinge mitgeteilt, oft auch um Widersprüche zu provozieren, denn ich wollte nicht dozieren sondern beleben.

folgender text aus dem Brightsblog verdeutlicht das:

Basis der allzu menschlichen Neigung oder gar Notwendigkeit zum Betrug durch alle Epochen der Menschheitsgeschichte sind allemal die von den Individuen empfundenen Mängel der Güterverteilung in der Gesellschaft und die eigene „Torheit“ (schönes altes Wort für Unwissenheit, Herdentierwesen und Leichtfertigkeit) . Die Unbildung, die nicht in Personaler- und Bürokratenmanier mit mangelnden Hochschulabschlüssen verwechselt werden sollte, ist das Einfallstor für alle Quacksalber, Politiker und Werber dieser Welt.

Niemand braucht es zu dabei zu wundern, dass je weiter rechts und lobbykratisch jemand steht, so wie der hessische Landeshäuptling Koch sich äußerte, die Bildungsausgaben bereitwillig geopfert werden dürfen. Denn Bildung der gemeinen Bevölkerung ist offenbar schädlich dem Wohlergehen der Wohlhabenden. Nach deren Vorstellungen sollen sich Hochschulbildung nur noch Kinder reicher Eltern leisten können, die sie wie in den USA auch mit hohen Semestergebühren erkaufen sollen. Ablenkend winkt man mit Stipendien-Almosen für ein paar wenige Hochbegabte. Notfalls darf man sich im Gegenzug für die anders nicht mögliche Finanzierung eines Studiums – wie in den USA üblich – ans Militär selbst ausverkaufen. Juchhei, mitten hinein in den Kriegseinsatz.

Unbildung ist das Lebenselixier, der Zaubertrank der skrupellosen Geschäftemacher und Ausverkäufer (Bankster und Politiker) der zivilisierten westlichen Welt. Wer keine kritische Haltung und hinreichende Kenntnisse hat in der Welt der Gegenwart, ist weitgehend wehrlos. Wie die jüngsten deutschen Debatten um Einsparen bei Bildung und Kinderbetreuung sowie Zensursula zum Bundespräsidenten zu küren zeigen, segeln wir lustig und trallala auf einem imposanten Narrenschiff des 21. Jahrhunderts.


Die Frage ist ja nun: Was machen wir mit diesen Erkenntnissen.

Einfach nur bedauern, wie weit es gekommen ist und das Buch von K. Kaiser " der letzte Mohikaner" lesen oder doch dagegenhalten und Gegenstrategien entwickeln.

Den "Opfern" werden wir nicht helfen können. Das sind zuviele. Nein, dieser gewaltige Fisch stinkt vom Kopf her und den muss man zu treffen suchen.

Du sahest mich ja bereits in den Fängen der See Ei Äj - wobei ich denke, dass die eher an anderen Fronten unterwegs sind und wenn doch wäre es ja eine Ehre und ich hätte genug Verteidiger.
Meine Sache ist es jedenfalls nicht, den Kopf in den Sand zu stecken.
 
Hi Gomez,

ich muss deinen Text nicht zitieren. Er kann ja gelesen werden.

Zu deiner Nachtarbeit muss ich dir gratulieren. Das hat sich gelohnt. Und ich hoffe, dass viele User sich das genauestens durchlesen und nicht nur überfliegen.

Du hast in allem Recht.

dieser Gratulation sowie dem abschließenden Urteil kann ich nur zustimmen!!

allerdings wundert mich eines: inhaltlich sind die meisten Beiträge von Gomez in genau diese Richtung gegangen, und doch wurden sie oft von Dir - klavigen - abgelehnt... wie auch immer: erfreulich, diese Wandlung zur Zustimmung zu sehen!

Gruß, Rolf
 

dieser Gratulation sowie dem abschließenden Urteil kann ich nur zustimmen!!

allerdings wundert mich eines: inhaltlich sind die meisten Beiträge von Gomez in genau diese Richtung gegangen, und doch wurden sie oft von Dir - klavigen - abgelehnt... wie auch immer: erfreulich, diese Wandlung zur Zustimmung zu sehen!

Gruß, Rolf

rolf, lass es doch einfach dabei. Ich kann jetzt nicht alle 500 Beiträge durchforsten und aufzeigen, wo was passiert ist.

Vielleicht tust du es ja und wirst dann sehen, dass zwischen Gomez´s und meinen Beiträge es immer eine Schnittmenge gab, wo wir uns ähnlich waren.

Meine Einwände betrafen immer die Verursacher und da hatten wir und haben wohl noch immer grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten.
Bei mir hat sich nichts gewandelt. Und meine Zustimmung betrifft diesen letzten Post, der wirklich hervorragend geschrieben ist.

Ich möchte das jetzt auch nicht mehr auseinanderklamüsern, falls dir dieser Begriff was sagt.
 
Bei Hucke? Vor allem in Bezug auf den Warencharakter? Gründlich?

Nein, das kann ich mir nicht vorstellen - und Christoph höchtwahrscheinlich
auch nicht.

Warencharakter war bei Ickstadt. Und kennst du Hucke?

Sag , was du sagen möchtest und ergehe dich nicht in nebulösen Andeutungen.
Kein User versteht, was du mitteilen möchtest.
 
(.....)Wenn der Hörer ein Opfer ist, was ich genauso sehe, dann gibt es aber Menschen, die ihn dazu gemacht haben und das wollte ich auch in die Diskussion bringen. .(...) .

Zunächst jeder selbst. Es wird niemand daran gehindert, das Radio oder Fernsehen abzuschalten , oder bestimmte Primitivmedien zu meiden und sich statt dessen "höherer Bildung" zuzuwenden. Freilich um den Preis, sich insofern von einer großen Masse ab- und auszugrenzen. Das muss aber jeder für sich entscheiden. ;) Die Spielräume, die den meisten Menschen (bei uns hier) insofern gegeben sind, werden von sehr vielen nicht ansatzweise genutzt. Welche Veränderungen schlägst Du denn vor , Klavigen?? (Die Weltrevolution mal ausgenommen...)
 
Der Unmöglichkeit dieses Nachweises bin ich mir nicht bewußt. Ich hätte das Thema sonst gar nicht angesprochen.
Allerdings gebe ich zu, daß mir die Arbeit nicht ganz geheuer ist. Es wäre mir recht gewesen, wenn sich ein anderer
bereiterklärt hätte, sie zu erledigen.

Es ist ein bischen wie bei Kleist - in diesem Fall: die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben.
Ich weiß nicht, wohin sie mich treibt, aber ich lasse mich treiben - - und beginne mit einem Exkurs.

Eines der Haupt-Wesensmerkmale der abendländischen Kunstmusik ist ihre Diskursivität - und deren Voraussetzung:
die Sprachähnlichkeit der Musik. Ihre Themen werden als sprechend empfunden, Gegenthemen als Einspruch,
der Themen (und Tonarten-)Dualismus als ein auskomponierter Konflikt - und der dafür vorgesehene Austragungsort: die Durchführung.
Schon bei Haydn hat das Durchführungsprinzip nicht nur den Sonatenhauptsatz, sondern auch den langsamen Satz,
das Menuett und das Finalrondo geprägt. Der Anteil an motivisch-thematischer Arbeit stieg kontinuierlich -
und mit ihm eine zunehmende Differenzierung im Harmonischen: weg von den Hauptstufen, weg vom elementaren Kadenzieren.
Die Entwicklung der abendländischen Harmonik kann beschrieben werden als ein immer länger andauerndes Hinauszögern
der Kadenzbewegung. Ferner eine Differenzierung im Satztechnischen: weg von der Oberstimmenmelodik, in der durchbrochenen Arbeit Wechsel der führenden Stimme quer durch alle Stimmlagen, Durchpolyphonisierung aller Stimmen bis hin zu realer Vielstimmigkeit.
Auffälligstes Merkmal dieser gesamten Entwicklung: die zunehmende Aversion gegenüber dem wörtlich Wiederkehrenden.
Themen bleiben nicht, was sie bei ihrem ersten Auftreten gewesen sind, ihr harmonisches Umfeld ändert sich,
Kontrapunkte treten hinzu. Die Themen ändern sich, so wie wir uns ändern, altern, verwandeln und doch identisch bleiben.


Populärer Musik vorzuwerfen, daß sie von alledem nichts oder nur wenig kennt, wäre albern. Es ist aber eine Frage der Redlichkeit
festzustellen, daß sie sich an alles klammert, was in der Kunstmusik verpönt ist: identische Formteile, weitgehend homophoner Satz,
undurchbrochene Oberstimmenmelodik, gleichförmige Begleitstimmen, einfache rhythmische und klare tonale Verhältnisse.
Als angewandte Musik, zum Beispiel für den Tanz, hat sie Gebrauchscharakter, was noch längst nicht gegen sie spricht:
Ihren Reiz bezieht sie aus der Prägnanz ihrer Melodien, der Übersichtlichkeit ihrer Formanlage, der Betonung der Zählzeiten.

Der idealtypische Hörer von Kunstmusik muß den musikalischen Verlauf mit wachen Sinnen verfolgen, wenn er nicht leer ausgehen will.
Dem idealtypischen Hörer populärer Musik reichen der Wiedererkennungswert eines Stückes - als Projektionsfläche für Gefühle aller Art -,
eine charakteristische Melodie und die Tanzbarkeit.

Es fällt aber auf, daß die "Comptine" auch die Standards guter Unterhaltungsmusik unterläuft -
wie macht sie das, und was macht sie mit ihren hörenden oder klavierspielenden Liebhabern?
Die in der linken Hand 13 x wörtlich zu wiederholende Viertakt-Gruppe dient der beständigen Bestätigung des Vertrauten.
Spieler und Hörer müssen keine Angst vor dem imprévu haben. Ist also die Entdeckung von etwas Unvertrautem angstbesetzt?
Seit der Romantik drückt sich die Invidualität in der Melodik aus - in einem singulären Thema, das Privateigentum des Komponisten ist.
Die schwache melodische Erfindung nimmt der "Comptine" das beste, was sie haben könnte, ihr Charakteristisches:
die Individualität. Ist das Absicht?
Die spannungslose Harmonik, die mißklingende Setzweise tragen zu dieser Entindividualisierung bei.
Einübung in das regelmäßig Wiederkehrende, Bestätigung des Vertrauten, Entindividualisierung sind Merkmale heutiger Arbeit.
Als Gegengift gegen diese Mechanisierung, gewissermaßen zur Verschleierung, sucht die "Comptine" das Gefühlige
-
darum die Anlehnung an das lyrische Klavierstück, die sich nicht in gattungsspezifischer Satztechnik, sondern im Zitat des Klaviertones
an sich zu erkennen gibt. Das Klavier hat für heutige Maßstäbe etwas Vorweltliches. Als berühmtestes Möbelstück des 19.Jahrhunderts steht es im kollektiven Bewußtsein heute für den Ernst des Lebens, für das Erwachsene, Momente der Reflexion, Trauer, Schwermut.
In jedem zweiten Film wird die Klavier-Klangfarbe so eingesetzt, wobei es nebensächlich ist, was an Musik erklingt.
Tiersen partizipiert daran. Die "Comptine" setzt den verdinglichten Menschen voraus - oder versucht, ihn zu erschaffen.
Gleichzeitig will sie ihn mit Gefühligkeit darüber hinwegtrösten, was sie ihm antut.

Der einzelne Hörer/Spieler dieser Musik wird damit nicht beurteilt. Er ist ohnehin das Opfer, denn ihm wird eine Bedürfnisbefriedigung
versprochen und zugleich verweigert
- da hat sich seit den Tagen der guten alten Schlager-Analyse nichts geändert.

Leute, ich kann nicht mehr - es ist 4:50, und mir fallen fast die Augen zu. Heute mache ich mit Frau und Kind einen Tagesausflug.
Ich sollte noch ein wenig schlafen. Zerpflückt den Text oder - wer will - spinnt den Faden weiter!

Gruß, Gomez

-


Hallo Gomez,

was für ein wunderbarer Post!!! Vielen Dank für deine Mühe!!! Und auch noch so verständlich geschrieben!

Ich wollte gern alles zitieren und habe deshalb, hoffentlich nimmst du es mir nicht übel, ein paar Sätze fett herausgehoben. Es sind eher Fragen und Gedanken, die mir da in den Sinn kommen, denn ich kann deinem Post nur in allen Dingen zustimmen!

Ich glaube wirklich, dass Unvertrautes angstbesetzt ist, wie du ja auch schon vermutest. Wenn ich z.B. eine Beethoven-Sonate höre, ist dies m.E. neben vielem anderen auch immer eine Auseinandersetzung mit mir selbst. Ich muss mich ganz auf das Stück einlassen, auf seine Entwicklung etc. und das führt zumindest bei mir auch immer in einen Dialog mit mir selbst. Das ist beim Hören der Comptine nicht nötig. Ich als Hörer muss mich nicht auf das Stück konzentrieren, sondern nur auf mich selbst bzw. dei Stimmung. Das kann ich nur deshalb, weil es keine Überraschungen und nichts Unvertrautes gibt in der Comptine. In den Ohren der Hörer ist das Vertraute also vermutlich eher eine Stärke als eine Schwäche.

Du schreibst, dass die schwache melodische Erfindung der Comptine das Charakteristische nimmt. Was aber ist, wenn genau dieses das Charakteristische ist? Was, wenn diese kurzen melodischen Einwürfe, die eigentlich keine Melodie im von dir genannten Sinne sind, genau das ist, was für manche ihren Reiz ausmacht. Ein Traum oder eine träumerische Stimmung besteht ja oft auch aus Gedankenfetzen. Was, wenn der Hörer einen schwebenden Klangteppich (wenn man ihn denn so nennen will) mit melodischen Bruchstücken als Analogie zu einem Traum oder einer träumerischen Stimmung empfindet. Und sich deshalb darin wiederfindet? Und gerade diese Stimmung ihm als Bedürfnisbefriedigung völlig ausreicht, weil er im Moment des Hörens einfach keine Lust auf Auseinandersetzung mit etwas hat, sondern sich einfach ausruhen will oder eine auch im Alltag empfundene Stimmung von Sehnsucht o.ä. in Musik umgesetzt hören will? Und auch mal im Multitasking überlasteten Alltag mal bewußt nicht denken will. Ist denn das mit einer Verdummung der Hörgewohnheiten gleichzusetzen?

Was mir aber noch gar nicht so bewußt war, ist, dass in Filmen die Klavierklangfarbe mit Trauer und Schwermut gleichgesetzt wird. Und beim Überlegen fallen mir tatsächlich auch nur solche Stellen ein. Darüber habe ich noch nie nachgedacht!

Insofern werde ich über deine Aussage, die Comptine wolle mit Gefühligkeit einen verdinglichten Menschen über ihre Mängel hinwegtrösten, noch sehr nachdenken. Kannst du mir aber noch genauer erklären, was du mit verdinglichtem Menschen meinst? Ich nehme an, es hat mit materiellen Dingen zu tun, aber ich glaube, dein Ausdruck geht noch weit darüber hinaus.

Ich hoffe sehr, dass du meinen Post nicht übelnimmst oder ihn als Widerspruch siehst. Es sollten nur ergänzende Gedanken sein, die vielleicht im weiteren Verlauf noch näher beleuchtet werden können.

Viele Grüße

chiarina
 
So langsam habe ich das Gefühl, wir sind hier im Yann Tiersen Forum. In den meisten aktuellen Fäden ist der Herr zu finden...
 
Ach wie gut, dass niemand weiss, dass ich eigentlich Yann Tiersen heiss.
 

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