Zum Nachdenken

  • Ersteller des Themas partita
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Studiere (die) Kunstgeschichte und du wirst Kunst verstehen.

Mein Binsenweisheitsalarmmometer schlägt gerade heftig aus. Es gibt Diplom-Physiker, die Physik nicht "verstehen", Maschinenbauer, die nicht systematisch arbeiten können, studierte Musiker, die Probleme mit der Musikalität haben (usf.)

Gute und schlechte Leute.

Die guten zeichnen sich i.d.R. durch Interesse und Nachdenken aus. Und Dingen auf den Grund gehen und diese auch verstehen wollen.
 
Die Gilde der Naturwissenschaftler macht aus ihren Methoden keinen Hehl. Und hier wirkt die Objektivität der Betrachtung wenigstens etwas glaubwürdiger. Aber die sogenannten Geisteswissenschaften tun sich da schon schwerer.

Mich ärgern offen gesagt solche Sätze. Sicher ist es schön, daß z.B. die Mathematik wirklich Beweise führen kann über gewisse Dinge - über die es dann keine "Diskussion" gibt (*).

Aber auch in den Geisteswissenschaften sitzen und saßen immer sehr kluge Köpfe. Möglicherweise auf andere Weisen klug, aber das ist unerheblich. Der Mensch hat sich geisteswissenschaftlicher Themen intensiv angenommen - und dementsprechend fundiert und umfassend wurden diese Dinge.

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(*) und wenn man es genau nimmt, findet ja auch das innerhalb der Geisteswissenschaft der Erkenntnistheorie statt
 
Ein möglicher Ansatz dazu: Kunst, und auch hohe Kunst, ist letztlich das Ergebnis eines langandauernden Entwicklungsprozesses. Von den ersten Höhlenmalereien bis hin zu etwa Salvador Dalí war es ein langer Weg. Und wie wurde der gegangen? Einfach: indem die Menschen peu à peu festgestellt haben: wenn ich jetzt das so und so mache (meist: anspruchsvoller, komplexer, komplizierter), dann wird das Ergebnis: "besser".

Treibe diese stete Verbesserung immer weiter, und am Ende landest Du bei der Kunst, bzw. Kunstformen, Vertretern derselben, und Kunstgattungen.

Kunst ist immer auf irgendeine Weise "besser" als nicht-Kunst.

Diesen "evolutionären" Kunstbegriff halte ich für unzutreffend. Man kann doch nicht einfach eine Entwicklungslinie von Lascaux zu Dalì ziehen und sagen: Mensch, der Rembrandt, der war zwar schon weiter als die Jungsteinzeit, aber zum Picasso hat ers nicht gebracht. Dann wäre Bach die Vorstufe zu Beethoven und damit weniger Künstler? Dem möchte ich entgegenhalten, daß es z.B. in der Literaturgeschichte auch Beispiele für einen qualitativen Abwärtstrend gibt, Stichwort "goldene" und "silberne" Latinität. Wer weiß, vielleicht befinden wir uns eigentlich, von einer höheren Warte aus gesehen, auf einem massiv absteigenden Ast und kommende Generationen werden sagen "Och, im 21. Jahrhundert war kunstmäßig nix mehr los, die haben nur noch häßliche Betonbuden gebaut, unhörbaren Lärm gespielt, Ölfarbe auf Leinwände geschmissen, unverständliches Zeug geschrieben, sich im Theater immer nur auf dem Bühnenboden gewälzt und statt zu lernen lieber mit dem i-phone gedaddelt."

Gruß,
Cem.
 
...es mag dir vielleicht nicht behagen, vielleicht ist es auch für dich nicht nachvollziehbar, aber das ändert ja nichts an realen Fakten: es gibt u.a. solche Disziplinen wie "Kunstgeschichte", das kann man studieren (buhu, ist nicht so leicht wie radfahren), und dann (wer hätt´s gedacht) kann man recht deutlich erklären, was der Unterschied zwischen einem Aquarell von Monet und einem Aquarell aus einem VHS-Malkurs ist :D:D und anders ist es bei Literatur und Musik auch nicht.

Lieber Rolf,

du verweist -wie gesagt- völlig zu Recht auf anerkannte Disziplinen, um sich Klarheit über dies, das und jenes zu verschaffen. Unbenommen. Aber, und darauf zielte meine kleine Ergänzung ab, die übrigens harmlos und im Grunde sogar banal ist: Wissenschaftliche Erklärungen, vor allem dann, wenn sie sich auf "Kunst" (whatever that means!) beziehen, bieten halt gerade mal so viel "Erklärung", wie es die Methoden zulassen. Und diese Reichweite ist alles andere als erschöpfend.

Beiträge der Musikwissenschaften sind wertvoll. Trotzdem sind sie als Ausdruck ernsthafter Forschung immer auch darauf limitiert, was mit den zur Verfügung stehenden Methoden greifbar ist.

Ach ja, und dann gibt es ja noch dieses ganze Heckmeck um die Instrumentalisierung von Wissenschaften. In Frankfurt hat man sich doch darüber mal gestritten. Eine völlig berechtigte Auseinandersetzung mit Wissenschaftstheorie, finde ich. Ok, das waren die Soziologen, aber ein paar Gedanken für unseren Kontext hier fallen daraus auch ab. Vor allem das zu hinterfragende Postulat der Wertfreiheit. Und dein Verweis auf "Erklärungen" klingt, als gäbe es hier wertfreie Wahrheiten ;-)

LG, Sesam
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Diesen "evolutionären" Kunstbegriff halte ich für unzutreffend. Man kann doch nicht einfach eine Entwicklungslinie von Lascaux zu Dalì ziehen (...)

Linear darf man das ganze wohl nicht betrachten, sondern viel eher wie einen Baum, der sich entfaltet. Aber schwieriger ist da schon die Frage, ob es in irgendwelchen "Ästen" Höhepunkte einer Kunst gab, die so nicht mehr erreicht wurden. Oder, ob es ganze Epochen mit mehr Kunst gab als andere, oder gar, ob manche Kunstformen wertvoller oder berechtigter sind als andere (vgl. "Wettstreit der Künste").

Abgesehen davon, daß diese Frage kaum beantwortbar sein dürfte, ist es auch gar nicht nötig, darauf eine Antwort zu geben. Jeder muß seine persönliche Antwort darauf finden - und sich im Laufe seines Lebens irgendwann entscheiden, wie er mit "Kunst" umgehen mag. Ob er sich für eine näher interessieren möchte, wenn ja, für welche, und wie tief er dann gern darin eintauchen möchte.

Die Fortentwicklung in der Kunst scheint mir von zwei Motoren getrieben zu sein: einerseits dem Drang, etwas neues zu machen, etwas, womit Künstler die Menschen wieder überraschen konnten. Andererseits vielleicht der Unfähigkeit, die bestehenden Meisterwerke einer Epoche effektiv zu überbieten.

Ich sag' mir immer: im Universum müßten doch zwischen den Galaxien noch ein paar grandiose Klavierkonzerte herumhängen, vielleicht auch Klavierwerke... aber keiner will sie anscheinend "herunterpflücken".

Vielleicht (!) reicht der Menschheit auch das, was wir an hochwertiger Kunst heute so besitzen. In Sachen Musik/Kompositionen ist das ja schon eine ganze Menge. Die alle zu sichten, und sich das herauszusuchen, was einem am besten gefällt, ist schon eine gute Beschäftigung...

Auch ich glaube, daß es Höhepunkte in der Kunst gibt oder gab... aber schon sind wir von dem Gebiet des persönlichen Geschmacks nicht mehr allzu weit entfernt.

Ja, und für eines sollten wir dankbar sein: daß wir in der heutigen Zeit leben, wo die Kunst schon so ziemlich alle Wege gegangen ist, und wo wir alle Möglichkeiten der modernen Zeit haben, auf Kunst wann, und wie wir wollen, zugreifen zu können.

Zu Bach's Zeiten war das alles noch ein bisserl anders... und es ist nicht auszudenken, was uns alles an Kunst noch fehlen würde, würden wir in dieser Zeit leben.
Was keinerlei Abwertung der Kunst bis zu diesem Zeitpunkt sein soll.

Schönen Gruß
Dreiklang
 
Mein Binsenweisheitsalarmmometer schlägt gerade heftig aus. Es gibt Diplom-Physiker, die Physik nicht "verstehen", Maschinenbauer, die nicht systematisch arbeiten können, studierte Musiker, die Probleme mit der Musikalität haben (usf.)

Gute und schlechte Leute.

Die guten zeichnen sich i.d.R. durch Interesse und Nachdenken aus. Und Dingen auf den Grund gehen und diese auch verstehen wollen.

Ähm, Dreiklang, du hast aber schon meinen Beitrag gelesen, oder? Wie kommst du darauf, mir dieses Zitat aus dem Zusammenhang gerissen in den Mund zu legen? Ich bin entsetzt! Du bist böse :D

LG, Sesam
 
Und, Dreiklang, eine Frage hätte ich noch: was ist hohe Kunst? Du sprachst davon. Höher als 2,30m?

LG, Sesam
 
Wissenschaftliche Erklärungen, vor allem dann, wenn sie sich auf "Kunst" (whatever that means!) beziehen, bieten halt gerade mal so viel "Erklärung", wie es die Methoden zulassen. Und diese Reichweite ist alles andere als erschöpfend.

Beiträge der Musikwissenschaften sind wertvoll. Trotzdem sind sie als Ausdruck ernsthafter Forschung immer auch darauf limitiert, was mit den zur Verfügung stehenden Methoden greifbar ist.

Vor allem (!) ist die Beschreibung von Kunst, die Vermittelbarkeit des "Künstlerischen" eines Werkes oder einer Arbeit, dadurch begrenzt, daß man emotionales Empfinden nicht wirklich mit Worten transferieren kann. Und Kunst zielt auf Emotion, auf Gefühl, auf Empfinden. Gute Kunst trifft das alles auch.

Es ist unmöglich, jemandem zu erklären, warum Horowitz besser als ein anderer Pianist spielt bei einem Stück. Das heißt, erklären kann man es schon (zumindest mit Worten versuchen). "Verstehen", erfahren, erfühlen, muß es aber letztlich der andere.

Kunst berührt tief innen, Kunst bringt etwas im Menschen in Resonanz.

(womit wir dann doch wieder den Brückenschlag zur Physik geschafft hätten :-))
 

Diesen "evolutionären" Kunstbegriff halte ich für unzutreffend. Man kann doch nicht einfach eine Entwicklungslinie von Lascaux zu Dalì ziehen und sagen: Mensch, der Rembrandt, der war zwar schon weiter als die Jungsteinzeit, aber zum Picasso hat ers nicht gebracht.
:D:D:D:D

epochenübergreifend kann das gelegentlich zu Mumpitz führen, wenn der jeweilige Kontext zu weit verlassen oder überstrapaziert ist (kein Bach muss dodekaphonisch komponiert haben, um genügend up to date zu sein) -- gemessen und verglichen werden kann aber ganz gut innerhalb einer Epoche (und da lässt sich ohne sonderliche Hirnakrobatik zeigen und erklären, was Mozart den meisten seiner Zeitgenossen voraus hatte)
 
Zitat von 3Klang:
Abgesehen davon, daß diese Frage kaum beantwortbar sein dürfte, ist es auch gar nicht nötig, darauf eine Antwort zu geben.
Eben, geht doch, na bitte, genau, mein Reden, sag ich doch! :D

Zitat von Rolf:
...und da lässt sich ohne sonderliche Hirnakrobatik zeigen und erklären, was Mozart den meisten seiner Zeitgenossen voraus hatte
Hmm, wie viele seiner Zeitgenossen kennst Du, oder besser, wie viele kennst Du nicht?
 
Argh - nachdem ich schon einen halben Beitrag verfasst hatte, habe ich alles aus Versehen gelöscht bzw. auf "zurück" geklickt und weg war alles :-((( Aber ich versuche es nochmal...

Linear darf man das ganze wohl nicht betrachten, sondern viel eher wie einen Baum, der sich entfaltet.

Das trifft es schon viel eher. Auch wenn das Bild des Baumes immer noch nicht der Sache gerecht wird: Ein Baum ist - schon rein mathematisch gesehen - immer gerichtet, d.h. wir haben eine eindeutige Richtung der Entwicklung und keinerlei Rückbezüge außer denjenigen, die als "Vorfahren" im Sinne der Graphentheorie gelten würden (also wenn man den Ast einfach zurückverfolgt). Das ist aber viel zu vereinfachend. Es gibt soviele Rückbezüge und gegenseitige Beeinflussungen, sowohl innerhalb einer Zeitspanne mit Zeitgenossen als auch zwischen den Jahrhunderten und Stilen (wobei selbstredend klar ist, dass Bach nicht von Schönberg beeinflusst sein konnte, umgekehrt aber sehr wohl). Es gibt auch Rückbezüge, die wiederum Rückbezüge hervorrufen und somit ein ständiges gegenseitiges sich Kommentieren und Verarbeiten die Folge ist (Bsp. Einfluss des Jazz auf die "ernste Musik" und umgekehrt). Zudem müsste, wenn man vereinfachend davon ausgeht, dass man nur bestimmte "relevante" Komponisten als Ast nimmt, sich dieser Ast in der Zeit entwickeln und ständig neue Rückbezüge und Beeinflussungen aufzeigen.

Ich glaube also, dass man, wenn man es überhaupt versuchen möchte, zu beschreiben, eher von einer Art sehr komplexem Netzwerk ausgehen muss, in dem es viele, viele Vernetzungen der verschiedensten Art in alle möglichen Richtungen gibt. An den Enden dieses Netzwerkes - also: heute - bauen die jungen Komponisten irgendwie am Netz weiter, sich aber stets rückbeziehend und interagierend mit anderen schon gewesenen oder gleichzeitig ablaufenden Netzbaustellen.

Daraus wird auch ersichtlich, dass es (mE) unmöglich ist, sich nicht in Tradition zu sehen - selbst eine vollkommene Abkehr von Tradition ist ein Bezug zu derselben. Und ganz nebenbei - warum nicht Neues schaffen, indem man sich Altbewährtes einmal vorher ganz bewusst anschaut und auf eine ganz andere Art denkt bzw. weiterentwickelt? Das hat schon die Natur gezeigt: Was sich evolutionstechnisch durchgesetzt hat, kann so schlecht nicht gewesen sein ;) Zu sehen durchaus auch an vielerlei Komponisten, auch an solchen des 20. Jhd., denen man auf oberflächlich betrachtete Art gerne entweder Beliebigkeit oder aber totale Konstruktion vorwirft.

Einzig ein fiktiver, irgendwo im Nirvana geborener Mensch, der nie Zugang zur Gesellschaft hatte und dann beginnt, Musik zu schreiben, könnte evtl. nicht in dieses Netzwerk hineinpassen. Das ist aber eher ein utopischer Fall... ;)

Wenn man jetzt mal bei dem Bild des Netzes bleibt - dann gibt es sicherlich darunter bedeutendere Knotenpunkte und weniger bedeutendere. Das wird man aber immer erst mit der Zeit feststellen.

Liebe Grüße,
Partita
 
Wenn man jetzt mal bei dem Bild des Netzes bleibt - dann gibt es sicherlich darunter bedeutendere Knotenpunkte und weniger bedeutendere
Das Bild gefällt mir gut. Da kann man schön dran weiter spinnen. :)

Man kann sich in dem Netz aufhalten, es ausbauen, in ihm gefangen sein oder erweitern. Die meisten "Künstler" werden wohl drin gefangen sein, die wenigsten es ausbauen (also im Netz neue Strippen ziehen...ist es das, was Kremer fordert?) und wer erweitert es? Ich glaube, Ansätze dazu gibt es ständig, aber ganz selten klappt ein solcher Versuch und es entstehen neue bedeutende Knotenpunkte.
 
Das trifft es schon viel eher. Auch wenn das Bild des Baumes immer noch nicht der Sache gerecht wird: Ein Baum ist - schon rein mathematisch gesehen - immer gerichtet,

Da bin ich anderer Meinung ;)

Ungerichteter Baum

Und: Manchmal kommt es mir so vor, dass die "heutigen" Komponisten zwar neue Wege finden mussten, ihre "Kunst" an den Mann zu bringen, aber dies teilweise aus der Not heraus, dass es alles Entscheidende vorher schon gab ;)

Und deshalb scheitert Schönberg in vielen Ohren, denn Beethovens oder Chopins Ideen gabs schon und waren schon abgehakt.

;)

Kunst ? Oder math. Experimentieren ( und damit meine ich nicht einen mit nem Spiegel gezogenen Bach-Choral oder Fuge ) ???

LG, Olli
 

Ok, stimmt, das kann man definieren, aber mich stört schon "in denen je zwei beliebige verschiedene Knoten durch genau einen Pfad verbunden sind". Diese Vereinfachung trifft mE einfach nicht auf die Musikgeschichte zu.

Und: Manchmal kommt es mir so vor, dass die "heutigen" Komponisten zwar neue Wege finden mussten, ihre "Kunst" an den Mann zu bringen, aber dies teilweise aus der Not heraus, dass es alles Entscheidende vorher schon gab ;)

Und deshalb scheitert Schönberg in vielen Ohren, denn Beethovens oder Chopins Ideen gabs schon und waren schon abgehakt.


Kunst ? Oder math. Experimentieren ( und damit meine ich nicht einen mit nem Spiegel gezogenen Bach-Choral oder Fuge ) ???

Das tut mir weh zu lesen, ehrlich. Da hast du nichts, aber auch gar nichts von Schönberg verstanden... :-(

Traurige Grüße,
Partita
 
...und ein ungerichteter Baum im Sinne der zitierten Wiki-Def. ist es ja so oder so auch nicht - wir haben ja schon ein Ende des Baums, das man als "Wurzel" bezeichnen könnte, die MuGesch entwickelt sich ja mit der Zeit. Man braucht eben die Möglichkeit der Interaktion und von Rückbezügen zwischen allen Ebenen.
 
Sicherlich. Ich denke aber auch, das war zu jedem Zeitpunkt in der Musikgeschichte so und ist somit nichts Besonderes oder unserer aktuellen Zeit Innewohnendes.
So sehe ich das auch und es gibt sicher viele Generationen, in denen keine neuen Knoten entstanden.
Gut möglich, dass auch wir in solch einer leben und deshalb muss man Bücher darüber schreiben. :D
 

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