Wunderkinder und Nachwuchstalente

Ich besuchte die Schule mit einem Mädchen, dass einen Großteil ihrer Volksschulzeit in Japan verbrachte. Ihre Mutter unterrichtet heute Japanologie an einer Uni.
Deshalb ist sie mit vielen Gepflogenheit in Japan vertraut.

Die Erwartungshaltung gegenüber Jugendlichen in Japan ist unermesslich hoch. In der Volkschule müssen die kleinen schon hunderte Schriftzeichen lernen und möglichst genau auf dem Papier zeichnen.

Alltag eines Jugendlichen: Am Morgen geht es in die Schule, bis zu Mittag, dann gibt es was zu essen, nachher geht es mit der Schule weiter.Jede Pause wird genutzt um mit dem Lehrer fachzusimplen. Lehrer sind strenger. Auf Disziplin wird großer Wert gelegt.
Nach der Schule werden Aufgaben gemacht und dann es gibt wahrscheinlich sowieso Nachmittagsunterricht (bis vier/fünf?). Danach gibt es spezielle Abendschulen, wo viele Kinder hin gehen und somit erst spät am Abend heim kommen.
Meine Mitschülerin meinte, dass die Kinder sehr arm seien und zu Höchstleistungen gedrillt werden. Es ist den Eltern auch nicht zu verdenken. Japan hat einen der höchsten Bildungslevels der Welt. Ohne Studium endet man wahrscheinlich irgendwo als Bauarbeiter.
Japan ist eine Riesenstadt mit etwa 1000km Länge, wo die Menschen in die Öffis hineingedruckt werden, dh. wo es eigene Angestellte gibt, die die Menschenmassen in die Öfiis "hineinstopfen", weil sie hoffnungslos überfüllt sind. Hotels haben oft Schlafräume, die sich in der Wand befinden, mit 4 Kubikmeter Raum.

Sie erzählte von Jugendlichen, die sich umbringen, weil sie eine Prüfung nicht geschafft haben! Und das ist mein Ernst.
Gar nicht daran zu denken, wenn man die Schule nicht schafft.
In jeder Schule herrscht strenge Schulkleidungsordnung.

Ich möchte nicht mit japanischen Kindern tauschen wollen.

Irgendwie verstehe ich Eltern, die ihre Kinder zu Virtuosen heranerziehen wollen.

Lg
Chris
 
Ich kann dem schielen auf die Kinder nicht viel abgewinnen. Das eine oder andere mag ja recht nett sein und eine tolle Leistung. Trotzdem würde ich mich eher nach oben - den berühmteren Kollegen orientieren um zu musikalischer Reife zu gelangen. Beim Staunen auf die Kinder schwingt viel zu häufig mit "ich bin nicht so begabt" und macht sich kleiner als man ist - und so gesehen erweitert man wohl kaum seinen eigenen Horizont - seine eigene musikalische Reife. Manchen verdirbt es sogar den Ansporn und damit die Freude an der Musik - und um die geht es doch in erster Linie. Wer will sich denn schon mit kleinen Kindern messen?

LG
Klaviermacher
 
In der Gesamtbetrachtung von Mozarts Werk spielt das Requiem sicher eine größere Rolle als die "Schuldigkeit des ersten Gebots" obwohl letzteres vielleicht im Verhältnis zu seinem damaligen Alter eine viel genialere Komposition war.
Für mich stellt sich bei allem Respekt vor dem Talent und der Leistung dieser Kinder die Frage: Wo stehen sie, wenn sie keinen Wunderkind-Bonus mehr haben? Reihen sie sich zwischen vielen großartigen "Spätzündern" ein, behalten sie ihren Vorsprung und nutzen ihn für ungeahnte mozartsche Geniestreiche oder passiert das genaue Gegenteil nämlich eine totale Ernüchterung, weil man zu früh zur Perfektion gelangt ist?
 
Für mich stellt sich bei allem Respekt vor dem Talent und der Leistung dieser Kinder die Frage: Wo stehen sie, wenn sie keinen Wunderkind-Bonus mehr haben? Reihen sie sich zwischen vielen großartigen "Spätzündern" ein, behalten sie ihren Vorsprung und nutzen ihn für ungeahnte mozartsche Geniestreiche oder passiert das genaue Gegenteil nämlich eine totale Ernüchterung, weil man zu früh zur Perfektion gelangt ist?

Das ist ein sehr guter Punkt!

Es spielt da aber noch ein anderer Aspekt mit:

die Erwartungshaltung des Publikums ist beim Wunderkind ja eine völlig andere als beim "erwachsenen" Pianisten bzw. Musiker.

Vom Kind will man ja sehen, daß es scheinbar ohne jede Anstrengung etwas kann, wofür Erwachsene normalerweise lange und hart arbeiten müssen. Das Wunder beim Wunderkind wäre also das erstaunliche Können ohne mühevolle Arbeit.
Daß die Realität eine andere ist (auch Wunderkinder müssen hart arbeiten) will das Publikum nicht wissen. Sonst wär das Wunder nämlich garkeins. Eher im Gegenteil. Dann würde der eine oder andere wohl eher das Jugendamt alarmieren wegen Kindesmißhandlung.

Vom erwachsenen Musiker erwartet das Publikum natürlich daß er Tag und Nacht übt, und eine exzellente, virtuose Technik hat und eben ein richtiges professionelles Feuerwerk veranstaltet.

Wenn nun ein Pianist weder Wunderkind noch Supervirtuose ist, dann hat er im heutigen Konzertleben eigentlich keinen Platz.

Bei anderen Instrumenten sieht es natürlich anders aus, aber Klavierspielen an sich interessiert das Publikum eigentlich nicht. 8)
 

Zurück
Top Bottom