Verstehen/Durchdringen eines Stücks

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Marsupilami

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Hi zusammen,

man hört und liest ja immer wieder, dass man ein Stück nicht dann spielen kann, wenn man nur die richtigen Töne zur richtigen Zeit trifft, sondern man muss das Stück "verstehen/durchdringen/...", um ihm Ausdruck zu verleihen.

Ich bin musiktheoretisch glaube ich recht fit, mein Klavierspiel steht allerdings am Anfang: darum die generelle Frage:
Was genau meint "ein Stück verstehen bzw. durchdringen"?

Hier mal ein Versuch, die Frage selbst zu beantworten:
- Erkennen der Harmonien
- Erkennen von Themen/Melodien, die ggfs. in verschiedenen Tonhöhen/Tonarten/... wiederkehren
- Erkennen von Abschnitten, die in sich abgeschlossen sind

Was fehlt hier noch? Was seht ihr anders? Ich freue mich auf euren Input.
(dass man sich an die Literatur hält (Noten, Rhythmus, ... ) ist selbstverständlich)
 
"Mehr Bauchgefühl" geht auch mit Theorie. "Weniger Theorie" nützt selten etwas. (In bestimmten Fällen schon)
 
Hier mal ein Versuch, die Frage selbst zu beantworten:
- Erkennen der Harmonien
- Erkennen von Themen/Melodien, die ggfs. in verschiedenen Tonhöhen/Tonarten/... wiederkehren
- Erkennen von Abschnitten, die in sich abgeschlossen sind
Weniger Theorie, mehr Bauchgefühl. Vertraue deinen Instinkten.
Beides finde ich richtig und wichtig.
 
@Marsupilami Bist denn DU der Meinung, dass man ein Werk erst richtig interpretieren kann, wenn man dessen Harmonik etc. komplett verstanden hat?

Ich interpretiere nie Werke auf Harmonik etc, die ich spiele. Wenn es dann nicht so klingt wie beabsichtigt(!) ist es eher eine Frage der mangelnden Lust, generell zu üben (das Handwerk, nicht die Interpretation, hab da grad wieder so ne Phase..).

Meiner Meinung nach sind zu viele Leute von eben solchen Aussagen irritiert und eingeschüchtert - das Klavier spielen wird vom Handwerk zur geistlichen höchst anspruchvollen Kunst erhoben (ja, für mich ist Klavier spielen und interpretieren eigentlich nur ein Handwerk, was geübt werden muss). Du musst auch nicht dein Auto bis zur letzten Schraube verstehen, um gut Auto zu fahren. Aber da werde ich hier wohl alleine mit meiner Meinung sein :super:.

Setz dich hin, höre dir zu! Begleitung lauter oder leise? Soll die Melodie lauter oder leiser werden? Welches Tempo ist angemessen? Probiere ein bisschen aus und höre dir selber zu, also ob du einer Aufnahme lauschst.

Auch so einen Unsinn wie dass man für manche Werke erst ein gewisses Alter erreicht haben muss, um sie angemessen interpretieren zu können, vergiss bitte bitte ganz schnell wieder.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Danke für eure Antworten.
@Marsupilami Bist denn DU der Meinung, dass man ein Werk erst richtig interpretieren kann, wenn man dessen Harmonik etc. komplett verstanden hat?
Genau das ist ja im Grund genommen die Frage, die ich eingangs gestellt habe. Unter der Annahme, ich spiele ein Stück technisch/mechanisch korrekt möchte ich wissen, was es darüber hinaus braucht, um ein Stück "perfekt" zu spielen.
Setz dich hin, höre dir zu! Begleitung lauter oder leise? Soll die Melodie lauter oder leiser werden? Welches Tempo ist angemessen? Probiere ein bisschen aus und höre dir selber zu, also ob du einer Aufnahme lauschst.
Alles wichtige Fragen bzw. Punkte. Nur muss ich ja (sei es explizit oder implizit) erst einmal das "Soll" definieren, um hinterher mein Spiel bewerten zu können, und damit wären wir wieder bei der Eingangsfrage ;-)
 
Für das Interpretations-Soll brauchst meiner Meinung nach Null Ahnung von Harmonik, eher gesunden Menschenverstand und musst viel Musik gehört haben. Aber das wollt ich ja oben ausdrücken...
 
Eine typische Variante von Interpretationen sind Cover-Versionen. Diese werden oft mit dem "Original" verglichen. Ist das mit Interpretations-Soll gemeint?
 
Eine typische Variante von Interpretationen sind Cover-Versionen. Diese werden oft mit dem "Original" verglichen. Ist das mit Interpretations-Soll gemeint?
Mehr oder weniger ja. Wobei in deinem Beispiel ist das SOLL klar definiert, denn man hat ja meist eine Tonaufnahme. Und selbst dann könnte man es auch noch anders interpretieren, es gibt ja kein richtig oder falsch, nur gut oder schlecht :)
 
Auch so einen Unsinn wie dass man für manche Werke erst ein gewisses Alter erreicht haben muss, um sie angemessen interpretieren zu können, vergiss bitte bitte ganz schnell wieder.

Das ist natürlich richtig. Damit will man eigentlich Neulinge nur abschrecken um den elitären Zirkel klein zu halten.

Unter der Annahme, ich spiele ein Stück technisch/mechanisch korrekt möchte ich wissen, was es darüber hinaus braucht, um ein Stück "perfekt" zu spielen.

Das gibt es nicht. Ein häufiger Fehler - Technik und Musikalität zu trennen. Ebenso wie Theorie und Praxis. Eine brauchbare Theorie läßt sich praktisch anwenden und ist nur eine verallgemeinernde Sicht vieler verschiedener praktischer Fälle. Und wer nicht musikalisch spielen kann, hat auch keine gute Technik. Man kann ein Stück nicht erst "technisch perfekt" lernen und dann die Musik quasi als Schokoglasur drübergießen.
 

Zu dem Thema gab es vor Jahren mal einen interessanten Bericht in der Zeitschrift Keyboards. Dort hatte jemand mit viel Akribie die Noten und Spielanweisungen in die Programmierung seines mechanischen Klaviers umgesetzt und das Ergebnis dem Klassik Rezensenten der Zeitschrift präsentiert. Fazit: Kein künstlerischer Hochgenuss aber doch deutlich besser als erwartet. Ich bin noch am Suchen um ihn wiederzufinden. Heute würde man es eher mit Computer und Pianosoftware machen
 
Ich weiß nicht, ob die Frage nicht viel zu theoretisch gestellt ist. Man spielt mit dem Kopf, aber aus dem Bauch.
Die akribischen Spielanweisungen - man korrigiere mich, wenn ich falsch liege - sind eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts. Vorher erwartete man mehr Eigenleistungen des Interpreten. Ich denke auch, dass das der Schlüssel zum guten Spiel ist.
 
Ich denke mit "verstehen" ist das gemeint, was man allgemein unter "verstehen" versteht. :-D

Wahrscheinlich, und das ist nur geraten und gedacht, ist damit gemeint, denn Komponisten zu verstehen.

Was hat er dabei gedacht? Für wen hat er komponiert? Was möchte er damit ausdrücken und was für ein Gefühl auslösen?
Wie löst er seine Vorstellungen und was tut er um zu erreichen, was er erreichen möchte? Wo sind die Schwerpunkte gesetzt? Was lässt das Stück leben?

Das ganze erfordert dann ein allgemeine Kenntnis über Musik die sich aus Theorie und Praxis zusammen setzt.
:super:
 
Ich möchte diesen Faden wieder hervorholen, weil der Titel genau meine Frage trifft.

Man muss vielleicht ein Stück nicht unbedingt verstehen/durchdringen, um es spielen zu können.
Ich glaube aber, dass es das Einüben erleichtern kann. Es ist z.B. sicher hilfreich zu erkennen, wenn es sich bei einem Lauf um einen gebrochenen Akkord über mehrere Oktaven handelt, anstelle jede einzelne Note zu lesen. Beim Auswendiglernen hilft es sicher auch ungemein.

Meine KL haben das Durchdringen eines Stücks leider nicht für wichtig genug gehalten, als dass sie es im Unterricht vermittelt hätten. Also muss ich selbst daran arbeiten. Ich denke, ich habe schon eine Vorstellung davon, was man so alles bei einem Stück "durchdringen" kann. Bei der tatsächlichen Durchführung komme ich aber nicht wirklich weit.

Ich möchte Euch daher fragen, wie Ihr persönlich diesbezüglich an ein Stück herangeht.

Zum Beispiel:
  • Schreibt Ihr zuerst alle Akkorde und vielleicht Akkord-Funktionen darüber? (Wie macht Ihr das dann bei schwierigen Stücken? Wie sich z.B. im Faden "BWV 936 Tipps zur Analyse" ergeben hat, ist das nicht immer so einfach)
  • Wenn ja, denkt Ihr beim Spielen dann tatsächlich in Akkorden oder Funktionen?
  • Versucht Ihr stattdessen vielleicht eher die Melodie zu verstehen? (also hier geht die Melodie rauf, da herunter, hier wird es dramatisch, dort fröhlich)
  • Lernt Ihr vielleicht die einzelnen Abschnitte auswendig? (z.B. erst Melodie-Teil A, dann abgewandelt nochmal, dann Melodie-Teil B u.s.w.)
  • Analysiert Ihr das komplette Stück, oder nur einzelne Passagen?
  • Macht Ihr ganz andere Dinge oder alles zusammen?
  • Arbeitet Ihr überhaupt gezielt an der Durchdringung oder kommt das bei Euch irgendwann automatisch nebenbei?
@Peter hat an anderer Stelle geschrieben:
Es macht (für mich) ein Stück schwerer, wenn ich die Harmonien, Struktur usw. nicht durchdringe. Viele Stücke in C (oder a-moll) verstehe ich oft sofort. Ich "denke" solche Stücke ganz anders und das Einüben wird viel einfacher. Manchmal transponiere ich Stücke nach C und wieder zurück, nur um sie zu "verstehen".

Was passiert da bei Dir im Kopf, @Peter ?

Ich frage Euch, weil ich zwar theoretisch weiß, was man alles analysieren könnte. Aber das würde wohl unendlich lange dauern, da käme ich kaum noch zum Spielen.
Gibt es vielleicht andere Wege, ein Stück zu "verstehen", auch ohne es vorher theoretisch durchzuackern?

Was macht Ihr? Wie macht Ihr das?

Ich möchte ausdrücklich nicht diejenigen von Euch fragen, die das Durchdringen/Verstehen eines Stücks für entbehrlich halten. Ich fände es nicht so hilfreich, hier zu lesen, dass man sich das sparen kann.

Liebe Grüße
Orchid
 
Wenn ja, denkt Ihr beim Spielen dann tatsächlich in Akkorden oder Funktionen?

In Akkorden, Funktionen (so vorhanden, es gibt ja auch Harmonik abseits der Funktionsharmonik), größeren Strukturen (z.B. Kadenz, Quintfallsequenz, Modulationen...), Formen ...

Denken ist zuviel gesagt, die üblichen Dinge merke ich beim Spielen. Wenn das nicht mehr automatisch geht, dann - aha! - gibt es da vielleicht was Interessantes, Neues an der Stelle. Analysieren, ausprobieren, aber auch damit herumspielen, transponieren. Damit man es dann wiedererkennt, wenn es nochmal in den Noten auftaucht oder wenn man nach Gehör spielt. Oder benutzt werden kann, wenn man improvisiert.

Je mehr Tools man hat, die man beherrscht, umso besser!

Grüße
Häretiker
 
Was passiert da bei Dir im Kopf, @Peter ?
Nur Kauderwelsch. :lol:

@Häretiker hat es ganz gut beschrieben.

Disclaimer: folgendes passiert auf einfachstem Niveau
Ich habe viele Jahre in C-Dur (respektive a-moll) vor mich hingeklimpert, nachgespielt, ausprobiert.... und mache es noch.
Alle möglichen Akkorde, egal ob B-Dur, F-Moll, D-Dur, E-Dur... haben bei mir einen Bezug zu der Grundtonart C-Dur, eine bestimmte Funktion, die ich sofort erkenne, selbst ohne die Theorie dahinter immer beschreiben zu können. Umgekehrt: Wenn ich in mal in Funktionen oder Stufen denke, ist für mich z.B. eine Dominante IMMER G bzw. G7 (respektive E7), eine vierte Stufe immer F, die Kadenz II V I immer d-moll, G-Dur, C-Dur usw., was natürlich total bescheuert ist.
@rolf hat es mal mit einem Gelände verglichen, in dem man sich auskennt, sich zu Hause fühlt, wo man weiß, wo welche Wege hinführen, wo man langlaufen muss, um von A nach B zu kommen...
Auf unbekanntem Gelände irrt man dagegen nur umher.
Deshalb ist es so ungemein wichtig, dass man von Anfang an alles Mögliche in alle Tonarten transponiert, um sich überall "zu Hause" zu fühlen (ich habe das nie gemacht).

Beispiel:
Wie von Häretiker angemerkt übst Du irgend eine einfache Kadenz ein. Irgend wann kannst Du das. Dann probierst Du aus, spielst verschiedene Melodien dazu, variierst und ganz wichtig: transponierst in alle Tonarten (das fängt eben schon mit Tonleitern an).
Wenn jetzt in einem neuen Stück diese Kadenz wieder vorkommt (und das passiert immer wieder), wirst Du sie sofort erkennen, wirst sie spielen können und musst Dich nur noch auf die wesentlichen Dinge konzentrieren müssen.

Wenn ja, denkt Ihr beim Spielen dann tatsächlich in Akkorden oder Funktionen?
Bei mir: Wenn es das Stück zulässt: ja! Ich denke und spiele da nur in Akkorden, Funktionen, Stufen. Allerdings betrifft das bei mir selten klassische Stücke.
 
Zuletzt bearbeitet:
Man muss vielleicht ein Stück nicht unbedingt verstehen/durchdringen, um es spielen zu können.

Es gab und es gibt Instinktmusiker, die vieles oder sogar fast alles instinktiv richtig, oder wenigstens akzeptabel machen. ( vielleicht Caruso, oder auf höherem Niveau Argerich??)
Als Lehrer taugen diese natürlich nicht, weil sie von sich und ihren Empfindungen normalerweise nicht abstrahieren können
 

Ich VERSUCHE eine Antwort, denn wir sind ja im Anfängerforum.
Obacht, es hört sich etwas verschwurbelt an:

Also das "theoretische Durchackern", das ist obligatorisch. Mit zunehmender Routine geht es ja auch leichter (daher mein Credo: Schon beim ersten ultraeinfachen Stück damit anfangen, dann wächst die "Theorie" gemeinsam mit der Praxis).
Aber das "theoretische Durchackern" ist nur die Vorstufe (zumindest wenn man sich im Anfängerstadium befindet). Irgendwie muss man einen mentalen Zugang zum Stück finden, der einem die inhärente Schlüssigkeit eröffnet. Ganz genau hinschauen, ganz genau hinhören, die Spannungsbögen beobachten und nachvollziehen, wo wird die Musik dichter, wo ist das Geschehen weitläufiger gespannt, warum steht welcher Ton wo er steht...
Beispiel, ich frag ja auch öfter mal nach, warum eine Stelle so auf den ersten Anschein "umständlich" notiert ist. Dann lässt meine Lehrerin mich die Stelle "un-umständlich" spielen (oder sie spielt sie selbst abgewandelt, falls ich nicht raffe, worauf es hinausläuft). Durch Praxis (selbst experimentieren oder zuhören) bekommt man peu-à-peu ein Gespür dafür, warum Stellen so und nicht anders komponiert sind.
Ich sitze an manchen Stellen wochenlang auf dem Schlauch und kapier sie einfach nicht. Plötzlich scheint sich wie ein Rolladen zu heben und ich sehe klar. Frage mich dann, wie doof ich vorher war. :021:
Die Praxis UND die "Theorie" gehen Hand in Hand. Viele verschiedene Stücke kennenlernen und immer wieder tapfer durchanalysieren. Das Stück wenn irgend möglich auch gedanklich nachvollziehen. Da wird einem manchmal mehr klar als wenn man den Wald vor lauter Tasten und Fingern nicht sieht.

Aber: All das klappt anfangs nur höchst unbefriedigend! Man muss tapfer dranbleiben und darf sich nicht kirre machen lassen, weil es lange Zeit nicht zu klappen scheint. In Wahrheit lernt man es dabei allmählich, und "plötzlich" klappt es.
 
Schreibt Ihr zuerst alle Akkorde und vielleicht Akkord-Funktionen darüber? (Wie macht Ihr das dann bei schwierigen Stücken?

Ich selbst nicht, weil der Analyse Computer sowieso nach vielen Jahren unterrichten und spielen automatisch mitläuft.
Bei Schülern gelegentlich, aber grundsätzlich sollten ab einem gewissen Level einfache Funktionen (Kadenzen, in welchen Tonart bin ich gerade, was sind leitereigene Töne, was ist ungewöhnlich/nicht auf Anhieb klar) immer aktiv sein.
Schwierig wird es bei atonaler Musik! Da ist es meist sehr schwierig Strukturen so klar und schnell zu sehen, dass sie dann auch beim Spielen helfen. Aber die großen Septimen und andere typische Intervalle helfen auch bei Weberns op. 27.
 

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