"Richtig" üben - Gibt es das überhaupt?

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Anajana

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11. Nov. 2020
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Hallo liebes Forum,

ich stelle mir aktuell des Öfteren die Frage, ob es beim Üben von insbesondere neuen Stücken ein "richtig" und ein "falsch" gibt. So wurde mir zum Beispiel geraten, und das hätte ich intuitiv genauso gemacht, die linke und die rechte Hand zunächst getrennt zu spielen. Außerdem, wenn ein Stück mehrere Stimmen enthält, zunächst die eine Stimme zu lernen, und erst später die weitere Stimme hinzuzunehmen.
Im Gespräch mit einem Freund, der aktuell Musik studiert, hat er mir erzählt, dass er bei neuen Stücke immer sehr langsam anfängt, sich dann aber darauf konzentriert, möglichst fehlerfrei zu spielen. Mein KL hingegen hat mir vor dem Lockdown geraten, kleine Passagen des Stückes eher in "Originaltempo" (bzw. annähernd in diese Richtung) zu üben, sodass einem der "Fluss des Stückes" bewusst wird, dafür aber Fehler ab und an in Kauf zu nehmen. Nun sind das beides zumindest für mich grundverschiedene Aussagen und mich würde brennend interessieren, wie ihr euer Üben gestaltet und was ihr für sinnvoll haltet.
Ich persönlich muss gestehen, dass ich (automatisch) eher in geringerem Tempo übe. Ich habe es zwar wie vom KL vorgeschlagen probiert, bin allerdings relativ schnell an meine Grenzen gestoßen. Außerdem habe ich technisch anspruchsvolle Passagen auf der Gitarre ebenfalls immer erst langsam geübt und bin damit gut gefahren. Habe jetzt aber ständig das Gefühl, "falsch" zu üben. Wie seht ihr das?

Liebe Grüße!
 
neuen Stücke immer sehr langsam anfängt, sich dann aber darauf konzentriert, möglichst fehlerfrei zu spielen.

kleine Passagen des Stückes eher in "Originaltempo" (bzw. annähernd in diese Richtung) zu üben
Das ist kein Widerspruch, solange man immer mit der langsamen Variante aufhört und beim Üben nicht immer nur durchspielt.
 
ich stelle mir aktuell des Öfteren die Frage, ob es beim Üben von insbesondere neuen Stücken ein "richtig" und ein "falsch" gibt.

Jede Übestrategie - vorausgesetzt, es ist eine Strategie! - verfolgt ein bestimmtes Ziel und ist zudem abhängig vom Übenden. Mir persönlich ist der "Fluss des Stücks" sehr wichtig, da sich mir Rhythmen und Phrasierungen erst bei annähernden Originaltempo erschließen. Aber es gibt auch Stücke, die mich mechanisch überfordern und bei denen ich die technischen Grundlagen in Zeitlupe erarbeiten muss.
 
Alles ist richtig.
Allerdings gibt es eine Einschränkung:
Wen man eine betimmte Stelle, die schwierig zu knacken ist, übt, dann muss man unbedingt darauf achten, diese richtig zu spielen. Also die richtigen Töne, den richtigen Rhythmus, die richtige Choreographie. Nur so lässt sich eine fiese Stelle dauerhaft gut einprägen und wird irgendwann ganz leicht. Dafür kann es notwendig sein, sie in sehr langsamen Tempo zu üben.
Wichtig ist es, dem Gehirn immer positives Futter zu geben. Das, was sich einprägt, darf nicht fehlerhaft sein, dann prägt sich das Negative auch ein. Wenn man z.B. bei einer Stelle leicht gestresst wird, dann so in Ruhe üben, dass der Stress keine Rolle mehr spielt. So gerät man dann später nicht in Panik, wenn es im schnellen Tempo an diese verkruxte Kurve kommt.
Davon unabhängig kann und sollte man auch ein Stück am Anfang oder Ende einer Sitzunge mal versuchen , im Ganzen zu spielen, egal, was passiert, um sich einen musikalischen Überblick zu verschaffen. Ein Maler klebt ja auch nicht immer makroskopisch nah an seiner Leinwand sondern sucht manchmal den Abstand, um zu sehen, wie sich das Bild gerade darstellt...
Auch einzlen üben kann sehr hilfreich sein.
Wichtig ist es, abwechslungsreich zu üben. Das erhält die Freude und man kanalisiert nicht so...
 
die linke und die rechte Hand zunächst getrennt zu spielen. [...]
bei neuen Stücke immer sehr langsam anfängt, sich dann aber darauf konzentriert, möglichst fehlerfrei zu spielen. [...] kleine Passagen des Stückes eher in "Originaltempo" (bzw. annähernd in diese Richtung) zu üben, sodass einem der "Fluss des Stückes" bewusst wird, dafür aber Fehler ab und an in Kauf zu nehmen.
Sieh das doch einfach als eine Art Werkzeugkasten, wo eben für alle Gelegenheiten etwas dabei ist. Die eine Herangehensweise, die sich dann an jedem Stück bewährt, ganz unabhängig von der jeweiligen Schwierigkeit, die kann ich mir nicht vorstellen.

Ich finde, bei solchen Überezepten kommt sowieso meistens die Musik zu kurz. Zum Üben gehört ja auch, musikalische Strukturen nachvollziehen, Harmonien genau betrachten, Charaktere/Stimmungen definieren usw. Wenn man dann eine genaue Vorstellung davon hat, was man da spielt und wie das klingen soll, dann bleibt vlt ein Rest übrig und den kann man dann "technisch" bewältigen. Aber wenn man das ganze Stück bloß motorisch bewältigt, dann klingt es am Ende auch entsprechend (das ist meine Erfahrung aus mehreren Jahren Schülervorspielen).

lg marcus
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir hat mein letzter KL mal gesagt: es kommt aufs abwechslungsreiche Üben drauf an. Das Stück von möglichst vielen Seiten zu belauschen und mit mehreren möglichst verschiedenen Strategien herangehen... mindestens dann, wenn man den Eindruck hat, dass das Eingeschliffene einen nicht mehr vorwärts bringt. Seitdem übe ich intuitiv und versuche zunächst das Problem zu ergründen um mir dann mit Kreativität eine geeignete Übestrategie zurechtzubasteln. Klappt bisher sehr gut.
 
Also, die Widersprüche erklären sich vielleicht aus der individuellen Situation. Langsam üben ist erstmal gut. Der Bewegungsablauf muss stimmen. Wenn ein Schüler allerdings sehr zögerlich spielt, würde ich einen ähnlichen Rat geben, wie dein Lehrer. Im Gegensatz zu den allgemeinen Hinweisen aus Büchern reagiert man als Lehrer ja immer individuell auf die Situation. Das macht richtigen Unterricht ja so unersetzlich.
 
Ich danke euch allen für eure zahlreichen, sehr hilfreichen Beiträge!
Insbesondere beim Üben von schwierigen Stellen bin ich jetzt auch dazu übergegangen, es langsam, aber dafür möglichst fehlerfrei zu probieren.
Ich freue mich wieder auf den Unterricht mit KL, denn ihr habt Recht, individuelles Feedback hilft vermutlich immer noch am besten.

Liebe Grüße!
 

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