@toggenburg Ihre Antwort läßt mich einigermaßen ratlos zurück. Als derjenige, der mit einer gewissen Häme über die "berühmten Gehimtips" redet und dabei gleichzeitig einen gehyptem Superstar ohne konkrete Referenz in Schutz nimmt, sollte Sie das Thema Musikindustrie durchaus interessieren. Die dort gängigen Mechanismen sind es unter anderem, die einen Großteil Ihrer eigenen Wahrnehmung prägen, weil sie u.a. darüber entscheiden, wen Sie überhaupt auf welcher Bühne hören können.
Ich kann auch in
https://www.zeit.de/2012/12/M-Blechacz/komplettansicht keine abgehobene Kritik entdecken, eher im Gegenteil. Ohne die entsprechende CD gehört zu haben, erscheint mir die Beschreibung aufschlußreich und anregend. Gut, bis auf das As im 18. Chopin Prélude - den Gong hat Blechacz nicht erfunden, sondern Igor Zhukov. Geschenkt.
Ich habe immer massive Probleme mit Absolutismen, ganz ehrlich. Wenn ich also lese, dass jemand schon "Alles Nötige" zu einem bestimmten Thema geschrieben hat, dann deucht's mich im Gekröse. Abgesehen davon, dass ich das zitierte Buch nicht lesen kann, weil mein Französisch dazu nicht ausreicht und es in keiner anderen Sprache verfügbar ist, habe ich starke Zweifel daran, dass der Autor meinen Ansprüchen an Universalwahrheiten - zumindest im Klavierbereich - gerecht werden kann. But that's just me.
Wenn Sie allerdings schreiben: "Abgesehen von der Wiedergabe des Notentextes gibt es kein "richtig" und "falsch", dann ist das einigermaßen hanebüchener Unsinn, weil das "abgesehen von" eine irrelevante, untergeordnete Rolle impliziert. Genau das Gegenteil ist der Fall. Ein Text will gelesen werden, er will detailliert analysiert werden, er will in einen historischen Kontext gestellt werden und dann will er noch pianistisch durchdrungen werden. Wenn das mal auf hohem Niveau durch ist, dann ist mehr als die halbe Miete in einer Interpretation drin. Und bis dahin ist "richtig" vs. "falsch" ein valides Kriterium.
Dass große Künstler in vielen Fällen darüber hinausgehen und einzigartige Interpretationen hinterlassen, sei es im Konzert oder in Aufnahmen, ist das, was uns überhaupt bewegt, einem Künstler zu folgen, seine Konzerte zu besuchen. Erst auf dem Fundament des Vorgenannten ist so etwas überhaupt möglich und befriedigend; Tiefe kann man wirklich erst dann produzieren, wenn denn mal die grundsätzlichen Sachen stimmen. Remember: "Ohne Technik sind Sie ein Fiasko".
Und, wissen Sie, all Ihren Tiraden Kritikern gegenüber: Diese haben den ungemeinen Vorzug, sich den Luxus der Unabhängikeit leisten zu können, was nicht heißt, dass das auch alle tun. Aber wo vielfach das Publikum einem kollektiven Hype erliegt, gibt es Kritiker, die dann doch manchmal pointiert auf des Kaisers neue Kleider hinweisen, wenn sie z.B. auf technische Unzulänglichkeiten aufmerksam machen, Lesefehler bemängeln, mangelnde Dynamik und/oder übermäßigen Pedalgebrauch aufzeigen und allgemein mit einer gehörigen Portion Skepsis (Und teilweise erheblichem Fachwissen) auf Hype reagieren.
7 Zugaben und ein tobendes Publikum sagen genau nichts über die Qualität eines Pianisten auf, aber einsame Rufer in der Wüste sind sehr schnell und sehr gerne böse Spielverderber ohne Ahnung und die Masse macht es sich schon fast reflexartig darin bequem, auf Kritiker einzuhacken. Es kann schließlich nicht sein, was nicht sein darf.
Ich weiß in dieser Hinsicht übrigens genau, wovon ich rede. Wenn Ihnen der Name Joyce Hatto etwas sagt, dann werden Sie auch zwangsläufig über meinen Namen stolpern, nämlich als den einsamen Rufer in der Wüste. Der eine oder andere mag sich an die Geschichte erinnern.