Musiktheorie - Anfängerfragen

Will man analysieren, dann muß man immer Zielpunkte suchen und schauen, wie es kam, dass dieses Ziel erreicht wurde
Und trotzdem kommen nur Wenige auf die Idee, eine Harmonieanalyse mit dem Schlussakkord zu beginnen.
Meist analysiert man doch nur die Modulationen von hinten nach vorne, weil der Rest sich auch in anderer Richtung gut erschließt.
 
Es ist ja nett, wenn ich Dreiklänge und sonstige Akkorde benennen kann. Wenn ich dann noch mit Begriffen wie Tonika, Subdominate, neapolitanischer Sextakkord etc. hantiere, bekommt das Ganze sogar einen professionellen Anstrich. Aber damit ist allenfalls etwas beschrieben - und nichts erklärt. Interessant wird es doch erst, wenn man erfassen kann, welche Wirkungen der Komponist intendiert hat, warum ein Musikstück an der einen Stelle genau diese Wendung nimmt. Wie er derErwartungshaltung des Hörers mal entspricht, ein andermal sich aber verweigert. Was es für den musikalischen Verlauf bedeutet, wenn mal dieser, mal jener Ton verdoppelt wird. Ich habe bisher nur wenige Musiker und Theoretiker erlebt, die über das Beschreibende hinaus zur eigentlichen musikalischen Substanz vorgedrungen sind. Auch die zahlreichen Harmonielehrebücher helfen hier selten weiter. Gelegentlich läßt uns ja @mick an solchem Wissen teilhaben, und ich bin ihm auch dafür sehr dankbar. Ich wünsche mir, daß es mehr solcher Informationen und tiefergehenden Analysen gäbe.
 
Analysierst du denn noch weiter ... oder hat sich das Interesse verflüchtigt?

@DerOlf, das Interesse ist nach wie vor da und ich versuche es weiter. Aber ich stoße dabei immer wieder auf mehr Fragen als Antworten. Und Bartók - mit dem ich mich derzeit beschäftige - scheint mir in Sachen Harmonielehre eher ein Steine-in-den-Weg-Werfer zu sein so schräg wie das oft klingt. Was in seinen Noten steht finde ich oft nicht weniger schräg, z.B. ein Wechsel von rechts d-f-c (Auftakt) zu d-f-g im 1. Takt (während die Linke noch nichts macht). Im gleichen Takt folgt c-d-f-a und das deute ich als d-moll-Septakkord. Und, dass im Auftakt der Quintton des Septakkordes fehlt.

Um Bartók vielleicht besser zu verstehen habe ich vorhin hier einige Videos heruntergeladen, in denen Sir András Schiff einige Bartók-Stücke erklärt. Die Videos werde ich mir mal in Ruhe anschauen.
 
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Es ist allerdings wichtig zu unterscheiden zwischen dem modalem Ansatz, funktionalem Denken und der Verwendung von Akkorden und anderen Strukturen in der Neuen Musik, die mit Debussy und Skjabin beginnt, die u.a. klangfarblich sowie bi- und polytonal motiviert ist. Mit Funktionsanalyse kommt man bei Bartok nicht weit.
Und man sollte ergänzend zum bisher gesagten immer im Auge behalten, dass Harmonielehre erst dann in ihrem ganzen Wesen richtig erkannt wird, wenn sie zu den Parametern Melodik, Rhythmik und Klangfarbe (u.a. Orchestrierung) in ein Verhältnis gesetzt wird.

Ein sehr lesenswertes Buch zu all diesen Dingen ist „Die Sprache der Musik im 20. Jahrhundert“ von Ton de Leeuw, der nicht nur die Neue Musik ab Debussy eingehend betrachtet, sondern auch Vergleiche herstellt zu früheren Stilen und Epochen.
 
Und Bartók - mit dem ich mich derzeit beschäftige - scheint mir in Sachen Harmonielehre eher ein Steine-in-den-Weg-Werfer zu sein so schräg wie das oft klingt.
Das trifft auf viele moderne Komponisten zu ... ausser auf die Neoklassizisten natürlich.

Es kann schweirig werden, da mit dem Rüstzeug, welches bei Mozart, Schumann oder Brahms noch funktioniert, überhaupt zu sinnvollen Ergebnissen zu kommen.

Ich habe mich viel mit Anton Webern beschäftigt ... und mit Ausnahme der Passacaglia op.1. und einiger Spätwerken hat man bei dem ganz allgemein schlechte Chancen mit Funktionsharmonie. Beim Op.1. geht das noch (aber auch das macht stellenweise schon Knoten im Gehirn).
Ich fand gerade bei neuer Musik Höranalysen unglaublich wichtig .. denn zumindest mir haben die weit mehr gebracht, als stundenlanges Herumanalysieren am Notentext. Aber eine Höranalyse ersetzt eben die Textanalyse nicht ... aber sie bietet eventuell Anhaltspunkte für diese.
Der erste Schritt sollte mMn (immer) ein aufmerksames Hören (zunächst ohne Notentext) sein.
 
Interessant wird es doch erst, wenn man erfassen kann, welche Wirkungen der Komponist intendiert hat, warum ein Musikstück an der einen Stelle genau diese Wendung nimmt.
Es ist wie beim Klavierspielen. Solange Du übst, überlegst Du Dir alles sehr genau: Fingersätze, Phrasierungen, Tempi, Dynamik... Beim Üben beachtest Du diese Parameter sehr genau . Damit erlangst Du bestimmte Fertigkeiten. Z.B. lehrt Dein Ohr Deine Finger, wie ein gutes crescendo geht. Du testest aus, mit wie wenig Impuls Du anfängst, und wie Du es steigerst, machst Dir Gedanken, welche Stimme mit dem crescendo beginnt und perfektionierst das.
Wenn du dann im Konzert spielst, lässt Du alles gehen. Du verlässt dich auf das Geübte und findest darüber hinaus das Quäntchen Inspiration, das nur im Konzert kommt. Du spielst dich frei!
Genauso ist es beim Komponieren (so ist meine Erfahrung).
Das, was du gelernt hast in Bezug auf Harmonielehre, Gehörbildung, Formenlehre, Kontrapunkt, Musikgeschichte und nicht zuletzt das Hören von großartigen Werken, sitzt in deinen Kreativschubladen.
Wenn du komponierst, machst du dich von alledem frei. Sonst kann Musik nicht natürlich schwingen, sonst wird sie konstruiert.
Ich mußte mal ein Stück von mir analysieren, weil eine Sängerin partout nicht einen Ton singen wollte, den ich ihr in den Hals gelegt hatte. Da sie anfing, in den Proben selber zu komponieren und damit die Aussage meines Liedes empfindlich störte, mußte ich ihr darlegen, warum diese Wendung nur so sein konnte wie ich sie geschrieben hatte und nicht anders. Ich war selber erstaunt, wieviele sinnvolle Belege ich in dem Lied fand. Schliesslich hat sie sich darauf eingelassen...Uff!
(Schon Mattheson kannte die Probleme, die Sänger den Komponisten bereiten können....)
Also, wenn ich schreibe, dann: drauflos - immer im Gefühl haben, dass es gut sein soll.
 
Wenn du komponierst, machst du dich von alledem frei. Sonst kann Musik nicht natürlich schwingen, sonst wird sie konstruiert.
Das glaube ich in dieser Pauschalität nicht. Wenn man sich einmal ansieht, wie verschiedene große Komponisten gearbeitet haben, dann wird man feststellen, dass viele von ihnen sehr konstruktivistisch mit dem Material umgegangen sind. Bachs Zahlensymbolik, Beethovens Skizzenbücher, Brahms' endloses Ringen um winzige formale Feinheiten oder Bergs geradezu manisch kryptologischer Zugang sind Zeugnisse davon, dass deren Kompositionen in jeder Note geistig durchdrungen und "gewollt" sind. Es ist nicht denkbar, dass die Musik sich quasi von allein so gefügt hat. Und trotzdem (oder gerade deshalb?) schwingt die Musik vollkommen natürlich.

Eine kleine Miniatur kann man ohne exakten Plan und viele Vorüberlegungen sicher erfinden. Ein großformatiges Werk bestimmt nicht.
 
Eine kleine Miniatur kann man ohne exakten Plan und viele Vorüberlegungen sicher erfinden. Ein großformatiges Werk bestimmt nicht.

Bei diesen Sätzen muss ich an diese interessante Dokumentation denken, die kürzlich ausgestrahlt wurde und noch bis zum 13.03.21 zu sehen ist.

 
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Bachs Zahlensymbolik, Beethovens Skizzenbücher, Brahms' endloses Ringen um winzige formale Feinheiten oder Bergs geradezu manisch kryptologischer Zugang sind Zeugnisse davon, dass deren Kompositionen in jeder Note geistig durchdrungen und "gewollt" sind.
Das ist kein Widerspruch.
Natürlich stellt man Überlegungen an, wenn man ein größeres Werk schreibt. Wie in der Improvisation und im Regen braucht man einen Kondensationskeim, um den sich der Orbit dreht. Bachs Zahlensymbolik ist vor allen Dingen eine Freude für Analytiker. Und natürlich muß man alle Einfälle, die einem durch den Bleistift rutschen , einfangen und in Form bringen.
Aber die Analyse ist etwas, das nach der Komposition geschieht und denen vorbehalten ist, die sie nicht geschrieben haben.
 

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