Mein alter Bechstein

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ConstanzeBackes

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19. Jan. 2024
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Guten Tag zusammen! Ich möchte in dieser Runde das Dilemma schildern, in dem ich mich befinde.
Seit 2002 besitze ich einen Bechsteinflügel von 1880 (Modell 4, 220cm). 1989 wurde er überarbeitet, die Hämmer neu gefilzt. Beim Kauf bin ich mit einem von mir sehr geliebten Professor für historische Tasteninstrumente vor Ort gewesen, wir haben ihn gespielt und fanden ihn gesund und schön.
Ich kann schon sagen, dass ich ein emotionales Verhältnis zu ihm habe, er hat das Dresdner Hochwasser gut überlebt, und obwohl ich Sängerin und keine Pianistin bin, spiele ich gern auf ihm und höre ihn gerne, wenn Pianisten darauf spielen. So weit, so gut, aber jetzt kommt's:

Seit 2016 steht er auf der Bühne eines Kammermusiksaales, den ich übernommen habe und betreibe. Seither gerät er immer wieder ins Kreuzfeuer von Hörern, die ihn völlig unmöglich finden. Hier der Auszug aus einer Zuschrift von vorletzter Woche:

"Ich fand den Flügel wirklich skandalös.
Ich finde, auf so einem Instrument kann man keine Klavierkonzerte gestalten.
Der Flügel klang matt und hat überhaupt keinen schönen Ton.
Die Mechanik scheint auch nicht in Ordnung zu sein bzw. einer modernen Flügelmechanik zu entsprechen.
Einige Töne kamen nicht und die Stimmführung konnte z.T. nicht transparent gestaltet werden.
Auch die Bass- und die Diskantlage war ein klangliches Desaster.
Der Pianist wirkte oft so, als müsse er mit dem Instrument kämpfen und als müsste er seine Spielfreude und Virtuosität weit zurückhalten, weil das Instrument nicht mitmacht."
(Programm: Liszt/Chopin/Tausig)

Dem gegenüber steht, dass auch immer wieder Pianisten kommen, die gerade das Zarte und Feine des Klanges loben, vor allem wenn sie bisweilen historische Instrumente spielen und eben ein anderes Klangbild im Ohr haben und auf individuelle Instrumente gut eingehen können.

Das Thema beschäftigt mich sehr und ich schwanke zwischen drei Standpunkten:

1: Es ist mein Haus und mein Ehrenamt, meine Bühne, mein Flügel. Findet Euch mit dem alten Schätzchen ab oder lasst es bleiben (Die Trotzhaltung).
2: Ich lasse den Flügel aufarbeiten, die Leute finden sich damit ab, dass er eine alte Mechanik und immer noch ein historisches Klangbild hat (Die halbgare Haltung)
3: Ich gehe mit dem Klingelbeutel durch die Stadt und aktiviere Sponsoren, um ein neues (gebrauchtes) Instrument zu kaufen (Der komplette Neustart).

Immer wieder kommt mal jemand und sagt "es gibt da einen günstigen Kawai in meinem Bekanntenkreis, nur 7000 Euro".
Das ist aber so gar nicht meine Klangvorstellung. Vielleicht muss ich Vorurteile abbauen, aber sobald ein Flügelklang ins Metallische geht, bleibt mein Herz kalt.

Über eine Resonanz würde ich mich wirklich sehr freuen.
 
Nörgler gibt es immer. Du solltest Ihnen anbieten, daß sie Dir einen gleich großen Steinway, Bösendorfer, Fazioli o.ä. Als Zweitinstrument kostenfrei zur Verfügung stellen. Alternativ bleibt es ihnen anheimgestellt, andere Lokalitäten aufzusuchen. Als Programmhinweis wäre es sicher sinnvoll, zu erwähnen, daß auf einem historischen Instrument musiziert wird. Viel interessanter als die Publikumsnörgler sind doch die Meinungen der Pianisten. An denen solltest Du Dich orientieren.
 
In Michael Endes Buch „Der Wunschpunsch“ wird das „Büchernörgele“ erwähnt (die Physiognomie ist derjenigen Marcel Reich-Ranickis sehr ähnlich): Es ist zu nichts zu gebrauchen, bekommt aber trotzdem ein Plätzchen - man weiß ja nie. Dresden scheint offenbar die Heimat eines Klaviernörgeles zu sein. Vielleicht solltest Du ihn regelmäßig mit Titelbezeichnung als Ehrengast vorstellen.
 
Danke schon mal, Ihr beiden!
Ich elaboriere nochmal zu Option 1:
Man könnte sagen: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Wenn das Publikum nicht mehr kommt, weil sie das Instrument zu schepperig finden, ist mir auch nicht geholfen.
Zu den Pianisten: Da teilt sich das Rote Meer in zwei Teile: Es gibt die historisch Aufgeschlossenen und die Virtuosen. Letztere ziehen wie eine Art Wanderzirkus durch die Lande und donnern ihr Programm herunter, egal was ihnen unter die Finger kommt.
Eigentlich setze ich die Virtuosen auch gar nicht auf mein Programm, weil ich immer schon weiß wie es endet, aber man kann sich bei uns auch einmieten, und da kam es zu dem Liszt-/Chopin-Desaster.
Am liebsten hätte ich natürlich ein Instrument, das allen gerecht wird und das ich trotzdem lieben kann!
 
In Michael Endes Buch „Der Wunschpunsch“ wird das „Büchernörgele“ erwähnt (die Physiognomie ist derjenigen Marcel Reich-Ranickis sehr ähnlich): Es ist zu nichts zu gebrauchen, bekommt aber trotzdem ein Plätzchen - man weiß ja nie. Dresden scheint offenbar die Heimat eines Klaviernörgeles zu sein. Vielleicht solltest Du ihn regelmäßig mit Titelbezeichnung als Ehrengast vorstellen.
Die Kritik war eigentlich nur beispielhaft für Kommentare, die ich oft erhalte. Leider ist es kein Einzelfall, ich verteidige meine alte Dame immer tapfer, aber wann wird aus Tapferkeit Trotz? (Es ist übrigens eine rheinische Kleinstadt, der Flügel und ich sind aus Dresden weggezogen)
 
und höre ihn gerne, wenn Pianisten darauf spielen
Vorab: Das kann ich sehr gut verstehen. Ich habe den gleichen Flügel aus 1879. Die wenigen Pianisten, die bisher darauf gespielt haben, waren vom Klang, aber auch der Repetierfähigkeit begeistert. Es gab aber auch schon von fortgeschrittenen Amateuren Kritik an der Mechanik.
Warum nicht einen vierten einnehmen und darauf hinarbeiten, als Kombination von 1 und 3?
--> Ein zweiter Flügel. Den Bechstein für seinen einzigartigen Klang und ein modernerer für den Zirkusakrobatikuniversalgewohnheitsklang.
 
Was für wohltuende Leute Ihr seid! Vielen lieben Dank für Eure Unaufgeregtheit und liebevolle Betrachtungsweise. Das tut mir sehr sehr gut, und die goldrichtige Zeichnung hängt schon über meinem Schreibtisch.
 
Warum nicht einen vierten einnehmen und darauf hinarbeiten, als Kombination von 1 und 3?
--> Ein zweiter Flügel. Den Bechstein für seinen einzigartigen Klang und ein modernerer für den Zirkusakrobatikuniversalgewohnheitsklang.
Hier muss ich noch ein bisschen was ausführen: Wir verdienen die Betriebskosten des Hauses damit, dass wir die Räume für Hochzeiten und Feiern aller Art vermieten. Der Flügel muss notgedrungen hin und her geschoben werden und notfalls auch mal auf der Hinterbühne verschwinden. Ein zweiter würde uns komplett zubauen.
 

Das meinte ich mit "darauf hinarbeiten". Keine der Lösungen ist einfach, aber ich denke, 1-3 wäre für dich noch nicht mal befriedigend.
Für Lösung 4 muss man sich dann etwas Pragmatisches einfallen lassen. Auf vielen Bühnen ist es Alltag und eine Sache von 10 Minuten, Flügel in Nebenräumen/Hinterbühne platzsparend auf der Seite zu lagern und wieder vorzuholen.
 
Seither gerät er immer wieder ins Kreuzfeuer von Hörern, die ihn völlig unmöglich finden. Hier der Auszug aus einer Zuschrift von vorletzter Woche:
...
Einige Töne kamen nicht und die Stimmführung konnte z.T. nicht transparent gestaltet werden.
Da muss ich doch mal höchst erstaunt fragen, was für Hörer so eine differenzierte Rückmeldung geben (können)! Stimmführung? Transparenz? Sowas hören normalerweise nur Profis oder gut geschulte, informierte Laien-Konzertbesucher. Die meisten hören gar keinen Unterschied zwischen verschiedenen Instrumenten, außer evtl. wenn sie sehr stark verstimmt oder extrem knallig sind.

Was die wichtigere Frage ist: Was sagen denn die Pianisten? Kommen die mit dem Instrument zurecht? Wie viele haben denn darauf schon gespielt? Dass mal Töne wegbleiben, passiert auf jedem Instrument, und die Stimmführung hängt eher vom Hören und Können des Pianisten ab, weniger vom Instrument. Mich würde hier beschäftigen, ob das Instrument in Ordnung ist, d.h. mit seinen Möglichkeiten (die ich mir auch als sehr charmant und individuell vorstellen kann) gut eingestellt. Nix schadhaft oder kaputt. Das wäre mein Ziel mit diesem Flügel. Sprich: Ist er gut reguliert, klappert nichts, nichts kaputt, gut gestimmt? Eventuell kann man auch ans Intonieren denken. Das Beste aus der Patina herausholen :-)
 
Es hat schon seinen Grund, dass im professionellen Konzertbetrieb fast immer junge, mehrheitsfähige Arbeitstiere auf den Bühnen stehen, weil historische und ungewöhnliche Instrumente die Geister scheiden. Versetze dich mal in die Rolle der Pianisten, die auf ihrem eigenen Instrument geübt haben und dann erstmals einen 140jährigen Bechstein vor sich haben. Ich glaube, mein alter Blüthner würde ähnlich gespaltene Reaktionen hervorrufen.

Wenn Du an dem Instrument festhalten willst, würde ich der Idee beipflichten, die Hörer mit dem Verweis auf ein historisches Instrument entsprechend vorzuwarnen.
 
Das sehe ich wie @Stilblüte, ich wäre sogar noch deutlicher.
Die Fähigkeit, transparent zu spielen ist zuallerförderst die des an dem Instrument sitzenden.
Ich kenne Pianisten, die aus einem Stück Sperrholz die geheimnisvollsten Klänge herausholen.
Und wenn man schon den Eindruck hatte, dass der Pianist gearbeitet hat, dann zweifele ich an der Kompetenz des Musikers.
Jemand, der richtig gut musiziert, wirkt niemals angestrengt, egal, worauf er spielt.
Wenn viele Pianisten von dem Flügel angetan sind, dann kann er so schlecht nicht sein, vielleicht für manche Stücke ungeeignet, das kann sein.
Ich habe auch einen alten Beschstein, der jedesmal heult, wenn ich Bartok auf ihm spiele...
Bei Mozart sagt er: Mehr! Mehr!
Das ist für solche Schätzchen völlig normal.
 
Bei solch einem Instrument kommt es immer auf den Zustand an, noch mehr aber darauf, wie gut der Klaviertechniker ist, der das Instrument betreut. Ich habe schon viele alte Bechsteins gehört, die sich scheußlich anhörten und scheußlich spielten, obwohl man im Charakter erkennen konnte, wie toll der Flügel eigentlich ist.

Mein Modell IV ist 10 Jahre jünger und sehr aufwändig restauriert worden. Und nach dem Restaurieren war der Techniker insgesamt fünf Mal bei mir, um den Flügel zu Intonieren (neue Hammerköpfe von Abel), vor allem aber zu regulieren. Nicht jeder Techniker kommt mit den Feinheiten einer gebundenen Mechanik zurecht, vor allem, wenn man nicht das richtige Werkzeug hat.

Ich würde vielleicht einmal mit einem anderen Techniker sprechen und insbesondere das Thema Regulieren einer gebundenen Mechanik ansprechen. Wenn dem mit Unverständnis begegnet wird, dann gleich den nächsten anrufen. Ein schön gewarteter 220er Bechstein kann ein herrliches Konzertinstrument sein.

 
Bechstein von 1880 ungeeignet für Liszt und Chopin?
Kit Armstrong, der als Pianist vielleicht nicht ganz unbekannt ist, hat vor gut 4 Monaten im Saal der Bechstein-Stiftung (ich war dabei) alle Liszt-Etüden auf einem Bechstein von 1862 gespielt. Liszt hat nachweislich einen solchen Flügel besessen, also authentischer geht nicht. Bei YouTube/Bechstein-Stiftung sind Videos abrufbar.
Zur Vermietung für Geburtstagsfeiern und ähnliches ist dieser Flügel, falls in gutem Zustand, Perlen vor die Säue werfen.
 
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Manche Pianisten der 4. oder 5. Profiliga, die sich über jede Auftritts- und Verdienstmöglichkeit freuen, sind zu ängstlich, sich über objektiv untaugliche Instrumente zu beschweren. Man möchte ja wieder engagiert werden ...
 

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