Mit dem armen Mädchen möchte wohl keiner gerne tauschen....
Was sich hier die Orchestermitglieder so anhören mussten, war auch nicht von Pappe:
Ob cholerische Naturen bessere Musik machen als diejenigen, die der Ansicht sind, dass man das meiste auch in ruhigem Tonfall sagen könnte, sei dahingestellt. Hektisch herumfuchtelnde Führungskräfte, die wild alle möglichen Kraftausdrücke herausschreien, wirken wenig souverän. Vielleicht hat sich inzwischen der Zeitgeist gewandelt und die gesellschaftlichen Hierarchien sind flacher geworden. Da passt das Bild des brüllenden Hauptmanns auf dem Kasernenhof wohl nicht mehr in die heutige Zeit: Wer nicht pariert, bekommt den Knüppel drüber und ab in die Zelle. Gut möglich, dass eine entsprechende Persönlichkeitsstruktur und Erziehungserfahrungen im Geiste totalitärer Systeme (Führerprinzip, Stalinismus und dergleichen) in zweifelhafter Weise miteinander vereint sein können.
Gewisse Parallelen zu meinem eigenen ersten Klavierunterricht fallen mir beim Ansehen solcher Videos auf: Der Lehrer, der zu uns privat nach Hause kam, war von Haus aus Theaterkapellmeister, der vor dem Mauerbau aus Ost- nach Westdeutschland gelangte. Er muss damals altersmäßig so in den mittleren Sechzigern gewesen sein, lebte allein und hielt sich als Leiter mehrerer Gesangvereine und mit Klavierstunden mehr schlecht als recht über Wasser. Unzufriedenheit und Verbitterung waren ihm stets anzumerken - und der Unterricht gestaltete sich freudlos bis angsterfüllt: Den Schüler anschreien, am Kragen packen und ihm Ohrfeigen androhen galt auch in den 1970ern bereits nicht gerade als Paradestück beispielhafter Meisterpädagogik. Viele Jahre danach kamen diese Unterrichtserfahrungen zwischen mir und meinen Eltern nochmals zur Sprache - die Tatsache hätte den Herrn Kapellmeister vielleicht mit Freude erfüllen können, dass aus seinem einstigen Schüler selbst ein gestandener Berufsmusiker geworden ist. Aus Elternmund war die sarkastische Einschätzung zu vernehmen, dass der sich bestimmt schon irgendwo aufgehängt hat. Inzwischen habe ich über Kontakte in der Chorszene erfahren, dass es anders kam: Er starb mit gut achtzig Jahren eines natürlichen Todes im Altersheim, aus dem er noch allwöchentlich zur Leitung seiner Chorproben abgeholt wurde, solange es ging. Mit den erwachsenen Chormitgliedern kam er im persönlichen Umgang offensichtlich besser zurecht als im Klavierunterricht mit Kindern und Jugendlichen. Nach einem Umzug in eine andere Stadt war dieses wenig ermutigende frühe Kapitel meines Musikerdaseins zu Ende - abgehalten von weiterer musikalischer Betätigung hat mich das allerdings nicht, eher sogar belastbarer gemacht. Was uns nicht umbringt, macht uns härter, oder so ähnlich.
LG von Rheinkultur