Konzertbesuchsaufklärungsgesetzdurchführungsverordnung

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An der Abendkasse eines deutschen Konzerthauses.
„Guten Abend, ich hätte gerne eine Karte für das Konzert der Norwegischen Staatsphilharmonie heute Abend.“
„Haben Sie Ihre Papiere dabei?“
„Papiere? Welche meinen Sie?“
„Na, die Bescheinigung über die erfolgreiche Teilnahme an einer Aufklärung gemäß KoBesAufGeDuV.“
„Kobesuffgedöns? Was ist das?“
„Wir müssen sicherstellen, daß Sie Bescheid wissen, was Sie in einem Konzert erwartet, was dort passieren kann, und wie Sie sich dort korrekt zu verhalten haben.“
„Keine Angst, ich klatsche nicht während der Satzpausen. Ich kenne mich aus.“
„Darum geht es nicht. Ich schließe aus Ihren Ausführungen, daß Sie das noch nicht erledigt haben. Kein Problem. Ihren Ausweis bitte… Und nun die Finger der rechten Hand auf das Lesegerät. Nun links. Nun in die Kamera blicken. Sehr gut, Sie konnten als Herr H bestätigt werden.“ Kramt einen Stapel Papiere heraus. „Dann fangen wir mal an: Bei einem Konzert werden typischerweise Geräusche erzeugt, die zeitweise den Pegel von 69 dB überschreiten können und damit als Lärm zu klassifizieren sind. Wir müssen…“
„Wie bitte? Ich will Musik hören. Keinen Lärm. Was soll der Unsinn?“
„Herr H, amtliche Definitionen mögen für manch einfachen Bürger wenig verständlich erscheinen. Legen Sie daher bitte nicht Ihre bescheidenen Maßstäbe an die Werke der wohlmeinenden Obrigkeit an. Machen wir weiter. … Lärmschutzverordnung … bla bla bla… Herr H! Bitte aufmerksam bleiben! Die Dokumentationssoftware hat Ihre Unaufmerksamkeit erkannt. Wir müssen also den letzten Absatz wiederholen. bla bla bla…. Infektionsschutz… Der Sitzabstand ist so gering, daß ein Mindestabstand von 2 Metern zwischen den Besuchern nicht eingehalten werden kann. Sie müssen daher mit der Infektionsgefahr durch Atemwegsviren rechnen. … Maske … korrektes Nießen … Brandschutz … Fluchtwege…“
„‘tschuldigung, es ist 1 Minute vor 8. Das Konzert soll doch gleich beginnen! So verpasse ich es noch!“
„So war es geplant. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Unsere internen Prüfer haben festgestellt, daß die Musiker, Musikerinnen und Musikerxes dieses nicht-EU-Orchesters nicht über die notwendigen Bescheinigungen gemäß Konzertausführungsaufklärungsgesetzdurchführungsverordnung besitzen. Dies wird im Moment nachgeholt. Voraussichtlich werden sie gegen 23:30 Uhr die Schulungen abgeschlossen haben. Erst danach kann das Konzert beginnen. Machen wir nun weiter mit Teil 2 von 11.“
 

Deutsche Sprache erschreckt mich immer noch!

Muss sie nicht. Lies solche Komposita einfach von rechts nach links:

Konzert ausführungs aufklärungs gesetz durchführungs verordnung.
=>
Verordnung [zur] Durchführung [des] Gesetzes [über] die Aufklärung [über] die Ausführung [von] Konzerten.

Das Deutsche ist, sagen die Linguistien, eine sog. "left branching language", d.h. Modifikatoren stehen links vom semantischen Nukleus, z.B. Emils Auto, Haustür, Gemeindebote. Und weil das deutsche sehr flexibel in der Wortkomposition ist, ist dieses modifier-head-Konstrukt beliebig wiederholbar; der modifier wird dabei einfach zum head des nächsten Worts nach links.

Probiers einfach mal aus und beachte dabei: Präpositionen und Artikel müssen natürlich bei der Univerbierung verschwinden, denn die unterliegen anderen Wortstellungsregeln (vgl. engl. night of horrors vs. dt. Schreckensnacht).
 
Zuletzt bearbeitet:
Donaudampfschiffahrtskapitänspatentsiegellackherstellerfirmenchefsekretärinnenschreibmaschinenbandnachfülltintenfassschraubdeckeldichtung
 
Eigentlich dachte ich, daß der Inhalt und nicht etwa die Sprache Angst machen könnte. Wie weit sind wir von den vorgestellten Zuständen noch entfernt? Unsere Bürokratire erschafft immer neue Monster, die zwar zunächst Unternehmen betreffen, aber letztlich uns kleine Leute erwischen (und sei es als Mitarbeiter eines betroffenen Unternehmens). Ich hätte oben noch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz - so, jetzt wißt ihr, wie ich auf solche Bezeichnungen komme - aufführen können, ob das ausländische Orchester auch nur Musikinstrumente aus sorgsam ausgewählten und korrekt gefällten Bäumen verwendet...
Letztlich übertrumpft die "Compliance" alles. "Sie sind schuldig!" tönt sie jedem entgegen, der nicht jedes Tun formgerecht dokumentiert hat. Nix "in dubio pro reo". Wenn die Dokumentation fehlt, ist der Verstoß bewiesen. Oder perverser: wenn die Dokumentation da ist, kann kein Verstoß vorliegen.
Polizist: "Stop! Sie sind gerade eben bei rot über die Ampel gelaufen!"
Fußgänger: "Wie bitte?" Kramt einen Papierstapel hervor. "Hier ist das Ampelüberquerungsdokumentationsformular. Korrekt ausgefüllt wie es sich gehört: Angaben zur überquerenden Person inkl. Personenidentifikationsnummer, Angaben zur Ampelanlage inkl. Ampelanlagenidentifikationsnummer, Angaben zur Überquerungsrichtung, Zeitpunkt, und schließlich noch die Identifikationsnummer des Photos in der zentralen elektronischen Ampelüberquerungsdokumentationsakte."
Polizist: "Entschuldigung, unter diesen Umständen liegt kein Verstoß vor."
Selbst wenn man auf dem Photo sofort sehen würde, daß die Ampel rot war...
 
Als einer, der kurz in dem Bereich tätig war, muss ich Dich korrigieren: Es heißt bitte schön nicht Ampel sondern Lichtsignalanlage.

Heißt es nicht "Lichtzeichenanlage", jedenfalls in der StVO? Ich fürchte, wenn @Bernhard Hiller mit seinem Ausblick recht behält, schaffst Du es über keine Ampel mehr. Jedenfalls nicht ohne pädagogische Eskorte. ;(
 
Nun, das Kompositum war jedenfalls korrekt gebildet. Natürlich wird sogar der "Amtsschimmel" sich sagen, dass aber einer gewissen Kompositiontiefe der Adressat die Aufmerksamkeit verweigert. Aber das ist keine Frage der sprachlichen Korrektheit, sondern der Sprachpragmatik.
 

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